BT-Drucksache 17/9925

Tagespflegepersonen stärken - Qualifikation steigern

Vom 12. Juni 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9925
17. Wahlperiode 12. 06. 2012

Antrag
der Abgeordneten Dorothee Bär, Markus Grübel, Marcus Weinberg (Hamburg),
Ingrid Fischbach, Michaela Noll, Norbert Geis, Michael Grosse-Brömer,
Thomas Jarzombek, Ewa Klamt, Katharina Landgraf, Stefan Müller (Erlangen),
Eckhard Pols, Erwin Rüddel, Nadine Schön (St. Wendel), Dr. Peter Tauber,
Elisabeth Winkelmeier-Becker, Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und der Fraktion
der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Miriam Gruß, Nicole Bracht-Bendt,
Florian Bernschneider, Sibylle Laurischk, Jörg von Polheim, Patrick Meinhardt,
Reiner Deutschmann, Michael Kauch, Rainer Brüderle und der Fraktion der FDP

Tagespflegepersonen stärken – Qualifikation steigern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Tagespflegepersonen (Tagesmütter und Tagesväter) leisten einen wichtigen
Beitrag für den Ausbau der Kindertagesbetreuung in Deutschland. Sie tragen
somit dazu bei, das in der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie verankerte Ziel
einer Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erreichen. Bis
zum Jahr 2013 sollen rund 30 Prozent der neu zu schaffenden, zusätzlichen
Plätze für Kindertagesbetreuung bei Tagespflegepersonen entstehen. Trotz
Werbemaßnahmen in Bund und Ländern ist bisher nicht absehbar, ob bis dahin
die ausreichende Anzahl von Tagespflegepersonen für die Kinderbetreuung zur
Verfügung steht.

Der „Dritte Zwischenbericht zur Evaluation des Kinderförderungsgesetzes“
zeigt, dass die Zahl der Kinder, die von einer Tagesmutter oder einem Tages-
vater betreut werden, erfreulicherweise weiter zunimmt. Nach Informationen
des Statistischen Bundesamtes haben zum Stichtag 1. März 2011 bundesweit
die Eltern von 124 000 Kindern das Angebot der öffentlich geförderten Kinder-
tagespflege in Anspruch genommen. Das entspricht einem Anstieg von
10,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Im März 2011 waren rund 80 000 von 124 000 betreuten Kindern jünger als
drei Jahre. Das entspricht 64 Prozent. Für die Betreuung aller Kinder standen
42 679 Tagesmütter und Tagesväter zur Verfügung, was einem Zuwachs von
2 000 Personen gegenüber dem Vorjahr oder 5 Prozent entspricht. Durch-

schnittlich werden somit 2,9 Kinder von einer Person betreut, während die Per-
sonal-Kind-Relation im März 2010 2,7 betrug.

Tagespflegepersonen arbeiten überwiegend (zu 94 Prozent) als selbständige
Unternehmerinnen und Unternehmer, was eine größere Flexibilität gegenüber
Kindertagesbetreuungseinrichtungen ermöglicht. Anders als andere Selbstän-
dige sind die Einnahmemöglichkeiten der Tagespflegepersonen aber durch
strenge Regulierungen beschränkt, so dass die Preise für Tagespflege nicht be-

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triebswirtschaftlich kalkuliert werden können. Um die Marktkräfte zur Wir-
kung kommen zu lassen und das Spannungsverhältnis der Tagespflegepersonen
aufzulösen, müssen die Rahmenbedingungen für eine professionelle Kinder-
tagespflege verbessert werden. Ziel der Maßnahmen ist es, das Berufsfeld Kin-
dertagespflege attraktiver zu gestalten.

Erfolgt die Förderung eines Kindes in der Kindertagespflege, erhalten die
Tagespflegepersonen eine finanzielle Unterstützung des Trägers der öffent-
lichen Jugendhilfe, die sich nach der Anzahl der Kinder und betreuten Stunden
richtet. Neben einem leistungsgerecht auszugestaltenden Betrag zur Anerken-
nung der Förderungsleistung beinhaltet diese Geldleistung auch die Erstattung
von Sachaufwendungen sowie bestimmter nachgewiesener Sozialversiche-
rungsbeiträge. Die Höhe der Geldleistungen variiert von Bundesland zu Bun-
desland sowie zwischen den jeweiligen Jugendhilfeträgern. Eine leistungsge-
rechte Ausgestaltung der finanziellen Anerkennungsleistungen ist daher unab-
dingbar.

Das Durchschnittseinkommen von Tagespflegepersonen beträgt knapp 600 Euro
im Monat (3,18 bis 4,06 Euro je Stunde und Kind). Fast ein Drittel aller Befragten
liegt bei einem Einkommen unter 365 Euro. Aufgrund der steuerlichen und ver-
sicherungsrechtlichen Rahmenbedingungen ist es für viele Tagesmütter und
Tagesväter, insbesondere für Alleinerziehende, nicht attraktiv, trotz freier Kapa-
zitäten mehr Kinder zu betreuen.

Derzeit wird an einer Expertise zur leistungsgerechten Vergütung von Kinder-
tagespflegepersonen gearbeitet. Ein Ergebnis dieser Untersuchung sollte sein,
die Grundlage für die Erarbeitung für zukünftige Vergütungsmodelle zu schaf-
fen. Darüber hinaus wäre es begrüßenswert, die Rechte der selbständigen
Tagespflegepersonen als Berufsgruppe gegenüber der öffentlichen Jugendhilfe
zu stärken und Festanstellungsverhältnisse in der Kindertagespflege zu fördern.

Die Herausforderungen an die frühkindliche Förderung sind in den vergange-
nen Jahren deutlich gestiegen. Qualifikationen und Kompetenzen des frühpäda-
gogischen Fachpersonals sind entscheidend, wenn es darum geht, der Profes-
sionalisierung in der Frühpädagogik gerecht zu werden. Eine tragende Säule für
den qualitativen Ausbau der Kindertagespflege stellt das im Rahmen des Ak-
tionsprogramms Kindertagespflege von Bund, Ländern und der Bundesagentur
für Arbeit entwickelte und von den Ländern verliehene Gütesiegel für Bil-
dungsträger dar. Hiermit wird gewährleistet, dass die Qualifizierung von Tages-
pflegepersonen nach anerkannten Qualitätsstandards im Umfang des Curricu-
lum des Deutschen Jugendinstituts e. V. (DJI) erfolgt. Auch die bundesweit be-
währte Zertifizierung von Tagespflegepersonen durch den Bundesverband für
Kindertagespflege e. V. ist eine zentrale Maßnahme für die Qualitätssicherung
und - entwicklung in der Kindertagespflege. Mittlerweile erhalten bereits
21 000 Personen das Zertifikat „Qualifizierte Kindertagespflegeperson“.
Grundlage für die Vergabe ist der Nachweis von 160 Unterrichtsstunden nach
dem DJI-Curriculum.

Durch die EU-Hygieneverordnung und ihre Umsetzung in den Bundesländern
ist unter Tagespflegepersonen Verunsicherung entstanden, inwieweit Tages-
mütter als Lebensmittelunternehmer zu betrachten sind. Befürchtet werden
bürokratische Regelungen und umfangreiche Dokumentationspflichten und
Kontrollen. Die für die Umsetzung zuständigen Länder haben einen erheb-
lichen Spielraum in der Ausgestaltung von Leitfäden und Verordnungen zur
Lebensmittelhygiene sowie bei der Durchführung der Kontrollen. Diese Spiel-
räume müssen im Sinne der besonderen Situation der Tagespflegepersonen ge-
nutzt werden. Es muss eine differenzierte Anwendung hygienerechtlicher Stan-
dards mit Augenmaß gewährleistet werden, die der Familienähnlichkeit als

Strukturprinzip der Kindertagespflege wie auch dem gebotenen Schutz des
Kindeswohls Rechnung trägt. Dies ist angestammte Aufgabe der örtlichen Trä-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9925

ger der öffentlichen Jugendhilfe und wird bereits im Rahmen der Eignungsfest-
stellung von Tagespflegepersonen berücksichtigt.

Kindertagespflegestellen, in denen eine größere Anzahl von Kindern von meh-
reren Tagespflegepersonen betreut wird, können eine sinnvolle Ergänzung der
Tätigkeit selbständiger Tagespflegepersonen, die eine kleine Anzahl von Kin-
dern betreuen, sein. Es muss allerdings gewährleistet sein, dass nicht über eine
massive Ausweitung der Großtagespflege eine „Tagesbetreuung light“ mit ge-
ringerem Qualitätsstandard und niedrigerer Bezahlung der Tagesmütter etab-
liert wird.

Kindertagespflegestellen bieten durch ihre kleinteilige Struktur für Kommunen
und Kreise eine wünschenswerte Flexibilität, um auf schwankende demogra-
phische Entwicklungen reagieren zu können.

Qualitativ hochwertige Betreuung durch Tagesmütter und Tagesväter gibt es
nicht zum Nulltarif. Sie ist abhängig von guten und verlässlichen Rahmenbe-
dingungen für Tagespflegepersonen, Kinder und Eltern.

II. Der Deutsche Bundestag begrüßt,

1. die fachlichen Empfehlungen und Standards, die im Rahmen des „Aktions-
programms Kindertagespflege“ im Auftrag des Bundesministeriums für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) vom Deutschen Jugendinsti-
tut e. V. (DJI) erarbeitet worden sind sowie das geplante Qualifizierungs-
Handbuch des DJI;

2. die Förderung von 160 Modellstandorten bundesweit, an denen gute Ideen,
wie Tagespflegepersonen gewonnen werden können, umgesetzt werden. Das
Programm wurde mit 17 Mio. Euro aus dem Europäischen Sozialfonds ge-
fördert;

3. die Einsetzung einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe durch das BMFSFJ, um
die rechtliche und finanzielle Situation der Tagespflegepersonen zu verbes-
sern;

4. dass seit dem 1. Juni 2012 Fördermittel des Europäischen Sozialfonds (ESF)
und Mittel aus dem Haushalt des BMFSFJ für die Festanstellung von Tages-
pflegepersonen zur Verfügung gestellt werden, um durch Zuschüsse zu Per-
sonalkosten die Kindertagespflege weiter zu professionalisieren;

5. dass neben der bewährten selbständigen Tätigkeit von Tagespflegepersonen
Festanstellungsverhältnisse von Tagespflegepersonen erprobt werden und
das BMFSFJ dies aus nicht verbrauchten Mitteln der Offensive „Frühe
Chancen“ und Mitteln der Bundesagentur für Arbeit fördert;

6. die Förderung der berufsbegleitenden Weiterbildung von Tagespflegeperso-
nen an staatlich anerkannten Fachschulen oder Berufsfachschulen zu Erzie-
herinnen und Erziehern bzw. in einen sozialpädagogischen Assistenzberuf
und die Möglichkeit, einen Zuschuss zum Schulgeld sowie eine monatliche
Aufwandsentschädigung in Höhe von 150 Euro zu beantragen. Hiermit wird
die Anschlussfähigkeit des Berufsbildes „Tagespflegeperson“ gewährleistet
und damit eine Forderung des Koalitionsvertrages zwischen CDU, CSU und
FDP umgesetzt;

7. die Initiative des BMFSFJ, gemeinsam mit den Ländern und der Bundes-
agentur für Arbeit ein gemeinsames Gütesiegel für die Qualifikation zur
Kindertagespflege auf den Weg zu bringen, das an Bildungsträger vergeben
wird. Ziel ist es, Tagespflegpersonen nach fachlich anerkannten Standards
zu qualifizieren, so dass Eltern die Gewissheit haben, dass ihr Kind gut be-

treut wird;

Drucksache 17/9925 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

8. dass einige Bundesländer, z. B. Bayern, in ihren Ausführungsgesetzen zum
Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) detaillierte Vorgaben zur Stei-
gerung der Attraktivität der Kindertagespflege, insbesondere zur leistungs-
gerechten Vergütung und zur sozialen Ausgestaltung der Elternbeiträge ge-
macht haben;

9. dass mit dem Programm „Mehrgenerationenhäuser“ an 450 Orten Begeg-
nungsstätten geschaffen worden sind, die immer stärker mit Partnern aus
der Wirtschaft kooperieren. Jedes Mehrgenerationenhaus arbeitet durch-
schnittlich mit mehr als zehn Partnerunternehmen zusammen. Mehrgenera-
tionenhäuser könnten in Kooperationen mit Tagesmüttern auch Funktionen
der Kinderbetreuung für Betriebsangehörige außerhalb der regulären Öff-
nungszeiten der Kindertagesstätten abdecken;

10. dass die Bedeutung der Arbeit von Tagespflegepersonen gewürdigt und
deutlich gemacht wird, dass die Kindertagespflege eine gleichberechtigte
Säule der Kindertagesbetreuung neben der Betreuung in Kindertagesstätten
ist.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung im Rahmen der zur
Verfügung stehenden Haushaltsmittel auf,

1. die Bundesländer anzuhalten, ihre Verpflichtungen zum Ausbau der Kin-
dertagesbetreuung auch hinsichtlich der Wahlfreiheit zwischen Tagesein-
richtungen und Tagespflegepersonen einzuhalten und ihre finanziellen För-
derschwerpunkte so zu verteilen, dass das Ziel erreicht wird, ein bedarfsge-
rechtes, den Elternwünschen entsprechendes Angebot an Plätzen in der
Kindertagespflege zu gewährleisten;

2. gemeinsam mit Ländern und Kommunen eine Initiative „Tagesmütter und
Tagesväter fair bezahlen“ zu starten und dabei Träger der öffentlichen
Jugendhilfe herauszustellen, die ihre Tagespflegepersonen mit einem regio-
nal angemessenen Betreuungssatz vergüten;

3. die Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Verbesserung der rechtlichen und
finanziellen Situation der Tagespflegepersonen voranzutreiben und einen
Abschlussbericht mit zwischen Bund und Ländern konsentierten Vorschlä-
gen bis Ende 2012 vorzulegen;

4. die Unterstützung der Qualifizierungsaktivitäten für Tagespflegepersonen
– unter Einbezug der Zertifizierung des Bundesverbandes für Kindertages-
pflege e. V. – fortzusetzen und zu intensivieren;

5. zu prüfen, ob analog zur Initiative „MEHR Männer in Kitas“ eine Initiative
„Mehr Männer für Tagespflege“ gestartet werden kann;

6. sich für eine möglichst unbürokratische Auslegung der EU-Hygienevor-
schriften und für eine differenzierte Anwendung mit Augenmaß unter
Federführung des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe einzu-
setzen;

7. die Bundesländer aufzufordern, die bestehenden Spielräume bei der Aus-
gestaltung der Leitfäden und Verordnungen für die Lebensmittelhygiene im
Sinne der Tagesmütter und -väter zu nutzen, diesen entsprechende Schu-
lungsangebote zu unterbreiten und die Federführung des örtlichen Trägers
der öffentlichen Jugendhilfe für die Gewährleistung der erforderlichen
hygienerechtlichen Standards sicherzustellen, der auch für die Abstim-
mung mit den für die Lebensmittelkontrolle zuständigen Behörden verant-
wortlich sein sollte, so dass eine den Besonderheiten der Kindertagespflege
Rechnung tragende Kontrolle mit Augenmaß gegenüber den Tagespflege-

personen sichergestellt ist;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/9925

8. zu prüfen, ob im Rahmen des „Aktionsprogrammes Mehrgenerationen-
häuser“ Module erprobt werden können, bei denen Tagesmütter und -väter
in Mehrgenerationenhäusern für Partnerunternehmen abends oder am Wo-
chenende die Funktion von Betriebskindertagesstätten übernehmen;

9. zu prüfen, inwieweit Tagespflegepersonen durch eine Verbesserung der
Beratungsinfrastruktur gefördert werden können.

Berlin, den 12. Juni 2012

Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und Fraktion
Rainer Brüderle und Fraktion

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