BT-Drucksache 17/9858

Der baskische Friedensprozess

Vom 29. Mai 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9858
17. Wahlperiode 29. 05. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Wolfgang Gehrcke, Annette Groth, Harald Koch,
Stefan Liebich, Niema Movassat, Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Der baskische Friedensprozess

Der politische Konflikt im Baskenland hat im vergangenen Jahr eine hoffnungs-
volle Wendung genommen. Am 20. Oktober 2011 erklärte die baskische Unter-
grundorganisation ETA (Euskadi Ta Askatasuna) nach 52 Jahren des bewaffne-
ten Kampfes das endgültige Ende ihrer bewaffneten Aktivitäten. Die Entschei-
dung markiert den Anfangspunkt einer neuen politischen Entwicklung und be-
deutet einen Paradigmenwechsel im politischen Szenario im Baskenland. Bisher
dominierte die gewalttätige Konfrontation den Konflikt, in deren Rahmen mehr
als 1 000 Menschen getötet und Tausende verletzt wurden. Das spanische Innen-
ministerium und die baskische Menschenrechtsorganisation Argituz zählen
829 Tote durch ETA. Argituz kommt außerdem auf 93 bis 122 Tote durch die
Polizei und 72 bis 76 Tote durch „unkontrollierte“ Gruppen wie die Todes-
schwadrone der GAL (Grupos Antiterroristas de Liberación) in den 80er-Jahren
(vgl. www.argituz.org/documentos/inf/mapacastfinal.pdf). Nach Angaben der
Koordination für Folterprävention (Coordinadora para la Prevención de la
Tortura) haben allein seit 2001 mehr als 5 000 Menschen Folter und Misshand-
lungen durch staatliche Sicherheitskräfte angezeigt und im Laufe der Jahre wur-
den Tausende Menschen inhaftiert. Nun eröffnet sich zum ersten Mal seit Jahren
eine Möglichkeit, dass sich der Konflikt zu einer demokratischen Auseinander-
setzung wandelt und eine friedliche Dialoglösung des Konfliktes erreicht wer-
den kann.

Der aktuellen Lage vorangegangen war eine strategische Debatte innerhalb der
linken baskischen Unabhängigkeitsbewegung („abertzale Linke“), deren Ergeb-
nis ein Dokument war, das im Februar 2010 unter dem Namen „Steh auf Bas-
kenland!“ („Zutik Euskal Herria“) bekannt wurde. Darin erklärt sie ihre Bereit-
schaft, politische Ziele mit „ausschließlich politischen und demokratischen Mit-
teln“ und „in der völligen Abwesenheit von Gewalt“ zu erreichen.

Im März 2010 stellten international bekannte Persönlichkeiten die so genannte
Brüsseler Erklärung vor. Unter ihnen befanden sich die vier Friedensnobelpreis-
träger Desmond Tutu, Frederick Willem De Klerk, Betty Williams und John
Hume sowie die Nelson-Mandela-Stiftung und der ehemalige irische Minister-
präsident Albert Reynolds. In der Erklärung unterstützen die Unterzeichnerin-
nen und Unterzeichner die Initiative für eine friedliche Lösung des Konflikts um

das Baskenland. Sie appellieren an die ETA, einen permanenten und verifizier-
baren Waffenstillstand zu erklären und an die Regierung, eine solche Initiative
mit Unterstützung zu beantworten und zum Erfolg zu führen.

Aus dem Kreis der Unterstützerinnen und Unterstützer der Brüsseler Erklärung
wurde eine internationale Kontaktgruppe um den südafrikanischen Rechts-
anwalt Brian Currin gebildet. Die Aufgabe dieser Kontaktgruppe ist es, Ver-
handlungen der involvierten politischen Parteien mit dem Ziel zu ermöglichen,

Drucksache 17/9858 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

eine neue politische Struktur für das Baskenland zu vereinbaren (siehe http://
icgbasque.org).

Im September 2011 wurde darüber hinaus eine internationales Verifizierungs-
komitee (IVC) gegründet, dessen Aufgabe es sein soll, den von der ETA er-
klärten „permanenten und umfassenden Waffenstillstand“ zu überprüfen
(www.ivcom .org).

Am 17. Oktober 2011 fand im Baskenland eine internationale Konferenz unter
Beteiligung prominenter Politikerinnen und Politiker statt. An ihr nahmen unter
anderem der ehemalige irische Ministerpräsident Bertie Ahern, der ehemalige
UN-Generalsekretär Kofi Annan, der irische Politiker Gerry Adams, der ehema-
lige Stabschef in der Downing Street unter Premier Tony Blair, Jonathan Powell,
die ehemalige norwegische Ministerpräsidentin Dr. Gro Harlem Brundtland und
der französische Politiker Pierre Joxe teil. Auch Gewerkschaften, Unternehmer-
verbände und alle im Baskenland aktiven politischen Parteien mit Ausnahme der
spanischen Volkspartei (Partido Popular – PP) beteiligten sich an der Konferenz.
Die sechs internationalen Vertreterinnen und Vertreter veröffentlichten am Ende
der Konferenz eine Erklärung (bekannt als Erklärung von Aiete). Im Nachhinein
erklärten auch 38 Abgeordnete des Europäischen Parlaments, darunter acht Ver-
treter aus Deutschland, ihre Unterstützung für die Erklärung. Sie endet mit den
folgenden fünf Empfehlungen:

„Wir fordern ETA zu einer öffentlichen Erklärung auf, in der sie definitiv das
Ende aller bewaffneten Aktionen bekannt gibt und in der sie die spanische und
die französische Regierung zu Gesprächen auffordert, die ausschließlich die
Konsequenzen des Konflikts betreffen.

Wir bitten die Regierungen von Spanien und Frankreich dringend, eine solche
Erklärung zu begrüßen und Gesprächen zuzustimmen, die ausschließlich die
Konsequenzen des Konflikts betreffen.

Wir mahnen größere Schritte an, um Versöhnung zu fördern, alle Opfer anzuer-
kennen, sie zu entschädigen und ihnen zu helfen, das Leid anzuerkennen, das
ihnen angetan wurde und zu versuchen, persönliche und soziale Wunden zu
heilen.

Aus unserer Erfahrung der Konfliktlösung sind es oft weitere Themen, die hel-
fen können, das Ziel eines dauerhaften Friedens zu erreichen, wenn man sie
adressiert. Wir schlagen vor, dass sich gewaltlose Akteure und politische Reprä-
sentanten treffen und in Abstimmung mit der Bevölkerung politische und ver-
wandte Themen diskutieren, die zu einer neuen Ära ohne Konflikt beitragen
können. Aus unserer Erfahrung hilft die Anwesenheit Dritter als Beobachter
oder Moderatoren einem solchen Dialog. Hier könnte ein solcher Dialog auch
von internationalen Moderatoren unterstützt werden, wenn die Teilnehmer dies
wünschen.

Wir sind bereit, ein Komitee zu gründen, das diese Empfehlungen weiterver-
folgt.“

Kurze Zeit später unterstützten auch der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter,
der ehemalige britische Premierminister Tony Blair und der US-Senator George
Mitchell die Erklärung.

Als Antwort auf die internationale Konferenz erklärte die ETA am 20. Oktober
2011 das endgültige Ende ihres bewaffneten Kampfes.

Die Friedensinitiative hat eine gerechte und demokratische Lösung des langjäh-
rigen Konflikts zwischen dem Baskenland und dem spanischen sowie dem fran-
zösischen Staat in greifbare Nähe gebracht.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9858

Der Konflikt im Baskenland ist der letzte bewaffnete Konflikt innerhalb der EU
und betrifft zwei Mitgliedstaaten. Als Kernmitglied der EU hat die Bundesrepu-
blik Deutschland auch eine Verantwortung für eine friedliche Lösung des Kon-
fliktes im Baskenland.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Ist der Bundesregierung die „Erklärung von Aiete“ und die Erklärung der
ETA vom 20. Oktober 2012 bekannt, und welche Bedeutung misst sie den
beiden Erklärungen für eine mögliche friedliche Lösung des Konflikts um
das Baskenland bei?

2. Hat die Bundesregierung Kenntnis über die bisherigen Reaktionen der spa-
nischen und der französischen Regierung auf die Erklärung des Gewaltver-
zichts durch die ETA, und welche Schlussfolgerungen zieht sie daraus im
Hinblick auf eine friedliche Lösung des Konflikts?

3. Welche weiteren Schritte sind nach Meinung der Bundesregierung aufseiten
der Regierungen Spaniens und Frankreichs sowie der ETA und der baski-
schen Unabhängigkeitsbewegung notwendig, um eine friedliche und demo-
kratische Lösung des Konflikts um das Baskenland zu erreichen, angesichts
der Tatsache, dass die ETA die erste Empfehlung der „Erklärung von Aiete“
erfüllt und ihre Gewalt für beendet erklärt hat?

4. Welche Initiativen hat die Bundesregierung getroffen, um eine friedliche
Lösung des Konflikts um das Baskenland zu unterstützen?

5. Ist die Bundesregierung bereit, in einem möglichen Dialog zur friedlichen
Lösung des Konflikts eine aktive Rolle einzunehmen?

Wenn ja, hat die Bundesregierung der spanischen und der französischen Re-
gierung diese Bereitschaft zum Ausdruck gebracht?

In welcher Form, und wann?

Wenn nein, warum nicht?

6. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Arbeit und
Position der Internationalen Kontaktgruppe (ICG), wie positioniert sie sich
gegenüber der ICG, sind ihr die Berichte der ICG bekannt, und welche Be-
deutung misst sie ihnen bei?

7. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Arbeit und
Position des Internationalen Verifikationskomitees (IVC), und wie positio-
niert sie sich gegenüber dem IVC?

8. Ist der Bundesregierung der Bericht des IVC vom 26. Januar 2012 bekannt,
in dem das IVC nach direkten Kontakten mit der ETA bestätigt, dass die
ETA-Erklärung vom 20. November 2011 voll in Kraft ist, und welche Be-
deutung misst sie dem Bericht bei?

9. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um die Arbeit des IVC zu
unterstützen?

10. In welcher Form und mit welchen Positionen thematisiert die Bundesregie-
rung die jüngsten Entwicklungen in Bezug auf den Konflikt um das Basken-
land bei bilateralen Treffen mit der spanischen und mit der französischen
Regierung?

11. In welchen Ratsarbeitsgruppen wurde die Situation im Baskenland seit 2010
thematisiert, und welche weiteren Schritte oder Schlussfolgerungen wurden
bei den jeweiligen Sitzungen beschlossen?

Drucksache 17/9858 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
12. Inwiefern hat sich der Ständige Ausschuss des Rates für die innere Sicher-
heit (COSI) seit 2010 mit der Situation im Baskenland befasst, und welche
Entscheidungen wurden getroffen, bzw. welche weiteren Initiativen wurden
bei den jeweiligen Sitzungen oder sonstigen Vorgängen beschlossen?

13. Inwieweit waren die EU-Agenturen Eurojust und Europol mit der Situation
im Baskenland respektive dort agierenden Personen, Gruppen, Organisatio-
nen oder Vorgängen befasst?

14. An welchen entsprechenden formellen oder informellen Treffen oder Kon-
ferenzen haben die Agenturen seit 2010 teilgenommen?

15. Welche Datensammlungen existieren bei den Agenturen zu Akteuren oder
Vorgängen im Baskenland?

16. Inwiefern wurden die genannten Arbeitsgruppen, Agenturen und Gremien
der EU von der veränderten Lage im Baskenland unterrichtet, und welche
Schritte wurden dort daraufhin unternommen?

17. Welche baskischen Personen oder Organisationen standen wann in den ver-
gangenen fünf Jahren auf der so genannten EU-Terrorliste und wurden wann
mit welcher Begründung von der Liste gestrichen?

a) Welche Position hat die Bundesregierung zur Listung oder Streichung
baskischer Personen oder Organisationen vertreten?

b) Ist die Bundesregierung der Meinung, dass weiterhin baskische Personen
oder Organisationen auf der EU-Terrorliste geführt werden sollten (bitte
auflisten und begründen)?

Berlin, den 29. Mai 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.