BT-Drucksache 17/9837

Lange Wartezeiten und Ungleichbehandlungen als Hürden im Visumverfahren

Vom 24. Mai 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9837
17. Wahlperiode 24. 05. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Annette Groth, Ulla Jelpke, Frank Tempel,
Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Lange Wartezeiten und Ungleichbehandlungen als Hürden im Visumverfahren

Den Fragestellern ist ein Fall aus der Praxis bekannt geworden, in dem einer Pri-
vatperson am 15. Mai 2012 über einen externen Privatdienstleister telefonisch
ein Termin zur Vorsprache in der deutschen Auslandsvertretung im russischen
Nowosibirsk zur Beantragung eines Schengen-Visums zu Besuchszwecken erst
für den 6. Juli 2012 eingeräumt wurde (spätere Testanrufe bestätigten dies bzw.
verschob sich die Vorsprache noch einmal auf den 9. Juli 2012). Diese lange
Wartezeit von über sieben Wochen verstößt eindeutig gegen die Regelvorgabe
einer maximal zweiwöchigen Wartefrist bis zur persönlichen Vorsprache nach
Artikel 9 Absatz 2 Satz 2 des Visakodex. Dass „diese Zielvorgabe … insbeson-
dere aufgrund hoher Antragszahlen zu saisonalen Spitzenzeiten nicht immer
eingehalten werden“ kann, hat die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die
Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 17/8221,
zu Frage 10 in allgemeiner Form eingeräumt. Eine derart deutliche Überschrei-
tung der Regelvorgabe um mehr als fünf Wochen kann nach Ansicht der Frage-
steller jedoch nicht mit saisonalen Gründen gerechtfertigt werden, zumal die sai-
sonalen Spitzenzeiten seit Jahren allgemein bekannt sind und hierauf, z. B. mit
einem verstärkten Personaleinsatz, reagiert werden könnte bzw. müsste.
Schließlich sind die Mitgliedstaaten nach Artikel 38 Absatz 1 des Visakodex
dazu verpflichtet, „geeignete Kräfte in ausreichender Zahl zur Prüfung der An-
träge“ einzusetzen, um eine „angemessene und harmonisierte Dienstleistungs-
qualität für die Öffentlichkeit“ sicherzustellen.

Saisonale Engpässe bei der Visavergabe in Russland gibt es schon seit Längerem.
Doch statt das Personal aufzustocken, wurde die Zahl der in Russland eingesetz-
ten Mitarbeiterkapazitäten im Jahr 2011 gegenüber dem Vorjahr sogar noch um
8 Prozent reduziert, obwohl die Zahl der bearbeiteten Visaanträge gleichzeitig
um fast 6 Prozent stieg – die Zahl der pro Mitarbeiter zu bearbeitenden Fälle pro
Jahr wuchs damit im Ergebnis um 15 Prozent auf 3 463 (vgl. Anlage zu Frage 20
auf Bundestagsdrucksache 17/8823). Bereits im Jahr 2010 hatte es eine ver-
gleichbare Entwicklung in Russland gegeben, wie infolge einer Kleinen Anfrage
der Fraktion DIE LINKE. bekannt wurde (vgl. Bundestagsdrucksache 17/8221).
Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete am 3. Januar 2012 über diese Überforde-
rung der deutschen Auslandsvertretungen in Russland und zitierte den Vizechef

der Visastelle in Moskau mit den Worten: „Wir arbeiten in allen Bereichen
bereits seit Monaten am absoluten Limit“ (Süddeutsche Zeitung vom 3. Januar
2012, „Am Limit“). Wie der eingangs dargestellte Fall zeigt, hat das Auswärtige
Amt auf diese Missstände jedoch offenkundig nicht wirksam reagiert.

Der genannte Fall ist noch in einer zweiten Hinsicht äußerst bemerkenswert: Am
selben Tag, den 15. Mai 2012, wurde über denselben externen Dienstleister

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telefonisch ein Vorsprachetermin zur Beantragung eines Schengen-Visums in
derselben Auslandsvertretung zu Geschäfts- (d. h. nicht zu Besuchs-)zwecken
beantragt. Ergebnis: In diesem Fall wurde ein Termin bereits für den 25. Mai
2012 angeboten, d. h. sechs Wochen früher als für ein Besuchsvisum! Eine sol-
che Ungleichbehandlung von geschäftlich und privat Reisenden ist nach Ansicht
der Fragesteller ein eindeutiger Verstoß gegen die Charta der Grundrechte der
Europäischen Union, auf die in Erwägungsgrund 29 des Visakodex ausdrücklich
Bezug genommen wird. Nach Artikel 20 der Charta der Grundrechte der Euro-
päischen Union sind alle Personen vor dem Gesetz gleich, nach Artikel 21 der
Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind insbesondere Diskriminie-
rungen wegen der sozialen Herkunft oder dem Vermögen verboten.

Erleichterungen im Visumverfahren, insbesondere in Bezug auf Russland bzw.
Osteuropa (aber auch darüber hinaus), wurden jüngst von der Fraktion DIE
LINKE. mit einem parlamentarischen Antrag eingefordert (vgl. Bundestags-
drucksache 17/9191). Die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel hatte auf einer
Pressekonferenz zu den 12. deutsch-russischen Regierungskonsultationen in
Jekaterinburg am 15. Juli 2010 erklärt: „Es wird, um jetzt keine falschen Hoff-
nungen zu wecken, sicherlich kein ganz kurzer Prozess sein, mit dem wir die
komplette Visafreiheit (in den Beziehungen) der Europäischen Union (EU) zu
Russland erreichen werden. Aber dieses Ziel ist richtig, und an diesem Ziel muss
Schritt für Schritt gearbeitet werden“. Sie betonte die „große Bedeutung“ und
die „Dringlichkeit“ des Themas und sprach auch von einer „Bereitschaft“ des
Bundesministeriums des Innern (BMI), zu „sehr schnellen“ bilateralen Ver-
besserungen zu kommen (www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/
Pressekonferenzen/2010/07/2010-07-15-jekaterinburg.html). Ein klares Be-
kenntnis des BMI zu Visaliberalisierungen fehlt allerdings bis heute. Somit stellt
sich die Frage, ob das Ziel einer schrittweise herzustellenden Visumfreiheit in
Bezug auf Russland von der gesamten Bundesregierung getragen wird. Diese
Zweifel wurden in der Debatte zu dem oben genannten Antrag der Fraktion DIE
LINKE. genährt, weil dort ein Abgeordneter einer Regierungsfraktion erklärte:
„Es ist für die Innenpolitiker der CDU/CSU völlig unvorstellbar, dass auch nur
ansatzweise über eine Lockerung des Visaverfahrens nachgedacht wird, bevor
diese Visa-Warndatei nicht in der Praxis eingesetzt worden ist … Mit den Innen-
politikern von CDU und CSU wird es in dieser Legislaturperiode keine Ände-
rungen im Visumverfahren oder gar im Visumrecht geben“ (Reinhard Grindel,
Plenarprotokoll 17/178, S. 21269).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Inwieweit kann die Bundesregierung die in der Vorbemerkung der Fragestel-
ler gegebenen Informationen bestätigten, wonach es Mitte Mai 2012 in Bezug
auf die deutsche Auslandsvertretung in Nowosibirsk eine Wartezeit von über
sieben Wochen für einen Vorsprachetermin zur Beantragung eines Schengen-
Visums zu Besuchszwecken und von etwa zehn Tagen für die Beantragung
eines Schengen-Visums zu Geschäftszwecken gab, und wie bewertet die
Bundesregierung dies?

2. Wie lang sind derzeit die Wartezeiten für privat bzw. geschäftlich Reisende
(bitte stets differenzieren) für einen Termin zur Visumantragstellung in den
verschiedenen deutschen Auslandsvertretungen in Russland (bitte differen-
ziert angeben) bzw. in den 15 wichtigsten Herkunftsländern weltweit, und
wie bewertet die Bundesregierung dies?

3. Inwieweit hält die Bundesregierung eine Wartezeit von etwa sieben Wochen
für vereinbar mit der zweiwöchigen Regelvorgabe in Artikel 9 Absatz 2
Satz 2 des Visakodex, auch angesichts der Verpflichtung nach Artikel 38

Absatz 1 des Visakodex (siehe auch Erwägungsgrund 7 des Visakodex), für
geeignete Mitarbeiter in ausreichender Zahl zu sorgen (bitte ausführen)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9837

4. Was für eine Wartezeit hält die Bundesregierung angesichts der zweiwöchi-
gen Regelvorgabe in Artikel 9 Absatz 2 Satz 2 des Visakodex und der Ver-
pflichtung nach Artikel 38 Absatz 1 des Visakodex für gerade noch tolera-
bel, auch angesichts des Umstands, dass saisonale Spitzenzeiten
vorhersehbar sind und mithin zumindest in einem gewissen Umfang für
eine Aufstockung des Personals oder/und eine Absenkung der Prüfungsvor-
gaben (im gesetzlichen Rahmen) gesorgt werden könnte, um die Warte-
zeiten in einem akzeptablen Umfang zu halten (bitte ausführen), und was ist
nach Kenntnis der Bundesregierung die Haltung der Europäischen Kom-
mission zu dieser Frage, und welche offiziellen Stellungnahmen hierzu gibt
es gegebenenfalls bereits?

5. Ist es zutreffend, dass Überschreitungen der Zwei-Wochen-Frist nach Arti-
kel 9 Absatz 2 Satz 2 des Visakodex in Russland in saisonalen Spitzenzeiten
dem Auswärtigen Amt seit Längerem bekannt sind (wenn nein, wie verhält
es sich tatsächlich), und was genau wurde unternommen, um diese langen
Wartezeiten auch in den absehbaren und regelmäßig immer wieder vorkom-
menden Spitzenzeiten zu senken?

6. Wieso wurden trotz der bekannten Probleme mit den Wartezeiten bzw. der
Überlastung des Personals und trotz gestiegener Visumantragszahlen in
Russland die im Bereich der Visumbearbeitung eingesetzten Mitarbeiter-
kapazitäten in den Jahren 2010 und 2011 reduziert – mit der Folge einer
deutlichen Steigerung der pro Mitarbeiter zu bearbeiteten Antragszahlen?

7. Wie will die Bundesregierung ihren Verpflichtungen aus dem Visakodex
nach Artikel 38 Absatz 1 nachkommen, wenn die bereitgestellten Mittel
und Mitarbeiter reduziert werden bzw. wurden, obwohl bereits presse-
öffentlich bekannt wurde, dass die Führungsspitze in der deutschen Visa-
stelle in Moskau sich darüber beklagt, „bereits seit Monaten am absoluten
Limit“ zu arbeiten (Süddeutsche Zeitung vom 3. Januar 2012, „Am Limit“)?

8. Was wurde in Reaktion auf die durch den genannten Zeitungsbericht und
die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. bekannt gewordenen Miss-
stände einer anwachsenden Arbeitsbelastung des Personals unternommen?

9. Mit welchen Vorgaben/Weisungen oder Ähnlichem gibt das Auswärtige
Amt den visabearbeitenden Auslandsvertretungen bzw. allgemein vor, An-
träge für Termine zur Beantragung von Schengen-Visa von Geschäftsleuten
bzw. zu geschäftlichen Zwecken bevorzugt oder schneller – im Vergleich zu
Besuchsvisa – zu bearbeiten, und welche entsprechenden Vorgaben gibt es
in Bezug auf die Bearbeitung der Visaanträge selbst (bitte mit Datum und
Inhalt genau benennen)?

10. Für welche Länder gibt es solche Regelungen zur insofern bevorzugten Be-
handlung von Geschäftsleuten im Visaverfahren, seit wann gibt es solche
Vorgaben, und wer hat sie konkret veranlasst?

11. Wie ist nach Kenntnis der Bundesregierung die diesbezügliche Praxis ande-
rer EU-Mitgliedstaaten, und womit begründen diese womöglich eine ent-
sprechende Ungleichbehandlung von Privat- und Geschäftsreisenden?

12. Wie begründet die Bundesregierung eine solche bevorzugte Behandlung
von Geschäftsleuten im Visumverfahren vor dem Hintergrund des Gleich-
behandlungs- bzw. Diskriminierungsverbots nach Artikel 20 und 21 der
Charta der Grundrechte der Europäischen Union, die bei der Anwendung
des Visakodex zu beachten ist (bitte ausführlich begründen)?

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13. Inwieweit hängt die bevorzugte Behandlung von Geschäftsreisenden im Vi-
sumverfahren unter Umständen mit der Ankündigung des Bundesministers
des Auswärtigen Dr. Guido Westerwelle zusammen, die Visavergabe in Be-
zug auf Geschäftsleute und Studierende zu erleichtern (Wirtschaftswoche
vom 22. Dezember 2011, „Westerwelle will Visa-Vergabe erleichtern“),
bzw. inwieweit hat das Auswärtige Amt bei Visaerleichterungen generell
vor allem Erleichterungen für Geschäftsreisende und Studierende im Blick
– und weniger z. B. für sonstige Besuchsreisende oder auch Familienange-
hörige (bitte ausführen)?

14. Was wird die Bundesregierung gegebenenfalls gegen die derzeitige mög-
liche Ungleichbehandlung von privat Reisenden gegenüber Geschäftsrei-
senden unternehmen?

15. Wie ist derzeit ganz konkret die Vergabe der Termine zur Beantragung von
Schengen-Visa geregelt, insbesondere auch in Bezug auf eine mögliche
Ungleichbehandlung von Antragstellerinnen und Antragstellern mit unter-
schiedlichem Reisezweck (Besuchsvisa, Geschäftsvisa, Familienbesuche,
andere Zwecke, z. B. welche Vorsprachekontingente werden für welche
Zwecke in welchem Zeitraum bereitgestellt, gegebenenfalls in Relation zu
zur Verfügung stehenden Mitarbeitern)?

a) Wie ist dies weltweit und im Allgemeinen geregelt, wie sind die Rege-
lungen konkret in den Ländern Russland, Türkei und China?

b) Welche besonderen Vorgaben gibt es diesbezüglich insbesondere für
externe Dienstleister, im Allgemeinen und in den Ländern Russland,
Türkei und China?

c) Wird bei der Terminvergabe abgefragt, zu welchem Zweck ein Visum
beantragt werden soll – und zwar nicht nur, ob ein nationales oder ein
Schengen-Visum beantragt werden soll, sondern vor allem, ob ein Visum
zu Besuchs- oder Geschäfts- oder anderen Zwecken beantragt werden
soll –, und wenn ja, aus welchem Grund?

16. Wer bestimmt im Bereich der Visumerteilung bzw. -erleichterung, insbe-
sondere mit Blick auf Russland, im Zweifelsfall die Richtlinien der Politik
der Bundesregierung (die Bundeskanzlerin, der Bundesminister des Aus-
wärtigen, der Bundesminister des Innern)?

17. Ist mit Visumerleichterungen, insbesondere in Bezug auf Russland – im
Rahmen des geltenden Rechts, aber auch darüber hinaus (bitte differenzie-
ren) – in dieser Legislaturperiode zu rechnen oder nicht, und wenn ja, wie
wird die Bundesregierung mit dem angekündigten Widerstand der Innen-
politiker der CDU/CSU umgehen (Plenarprotokoll 17/178, S. 21269)?

18. Wie genau ist die Position des Bundesministers des Innern zur Frage von
Visaerleichterungen, insbesondere mit Blick auf Russland und noch in die-
ser Wahlperiode, und stimmt die Aussage, in dieser Legislaturperiode solle
es keinerlei entsprechende Erleichterungen geben, mit seiner Auffassung
überein und ist dies mit ihm abgestimmt?

19. Inwieweit gilt noch die Aussage der Bundeskanzlerin (vgl. Vorbemerkung
der Fragesteller), wonach Schritt für Schritt an einer kompletten Visumfrei-
heit mit Russland gearbeitet werden muss und diese Aufgabe eine hohe
Dringlichkeit hat, und was wird gegebenenfalls zur Umsetzung dieses Ziels
unternommen?

20. Inwieweit gilt noch die Aussage der Bundeskanzlerin (vgl. Vorbemerkung
der Fragesteller), wonach das BMI zu sehr schnellen bilateralen Verein-
fachungen im Visumverfahren in Bezug auf Russland bereit (gewesen) sein

soll, und wie konkret äußert sich diese Bereitschaft derzeit?

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21. Inwieweit hält der Bundesminister des Auswärtigen Dr. Guido Westerwelle
an seiner Ankündigung fest: „Es ist mir ein wichtiges Anliegen, für Besu-
cher Europas und Deutschlands so viele Vereinfachungen und Erleichterun-
gen wie möglich zu erreichen“ (Wirtschaftswoche vom 22. Dezember 2011,
„Westerwelle will Visa-Vergabe erleichtern“), was wird diesbezüglich kon-
kret unternommen, und wie ist dies mit den Aussagen vereinbar, wonach es
keine weiteren Erleichterungen in dieser Legislaturperiode geben soll?

a) Was ist konkret darunter zu verstehen, dass sich der Außenminister laut
dem genannten Artikel in der „Wirtschaftswoche“ vom 22. Dezember
2011 bei den europäischen Partnern „für eine weitere Liberalisierung der
Visapolitik einsetzen“ will, und beinhaltet dies insbesondere z. B. eine
Lockerung des Artikels 7 Absatz 3 des Schengener Grenzkodex, mit
dem intensive Kontrollen an den EU-Außengrenzen selbst zu solchen
Aspekten vorgeschrieben sind, die in einem vorherigen Visumverfahren
geprüft wurden (vgl. die diesbezüglichen Forderungen und Darlegungen
auf Bundestagsdrucksache 17/9191, insbesondere S. 4)?

b) Inwieweit ist die Information des genannten Zeitungsartikels in der
„Wirtschaftswoche“ zutreffend, wonach der Außenminister Dr. Guido
Westerwelle eine Visumfreiheit für Russland, die Ukraine und langfristig
auch für die Türkei anstrebt, und welches sind diesbezüglich jeweils die
ungefähr angestrebten Zeiträume?

22. Inwieweit gibt es „Pläne des Auswärtigen Amtes, die Visavergabe durch
Privatfirmen durchführen zu lassen“ (vgl. Plenarprotokoll 17/178,
S. 21269)?

23. Inwieweit sind bereits Teilbereiche des Visumverfahrens an externe Dienst-
leister übertragen worden, und wie sind vor diesem Hintergrund Äußerun-
gen von Abgeordneten einer Regierungsfraktion (vgl. Plenarprotokoll 17/
178, S. 21269) erklärbar, eine solche bereits gängige Praxis verhindern zu
wollen?

24. Wie entgegnet die Bundesregierung dem Einwand, es gebe keinen einzigen
Beleg dafür, „weshalb die Visafreiheit für Russland und die Ukraine über-
haupt nötig ist“, obwohl die Bundeskanzlerin dies als Ziel ausgegeben hat,
und ist auch der Bundesregierung „kein einziger Fall“ bekannt, in dem es
Probleme bei der Visumvergabe an Geschäftsreisende gab (vgl. Plenarpro-
tokoll 17/178, S. 21270)?

25. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass sich der Ostaus-
schuss der Deutschen Wirtschaft mit seinen Forderungen nach Visaerleich-
terungen in Bezug auf Russland bzw. Osteuropa auf dem „Holzweg“ befin-
det und sich „einige im BDI (Bundesverband der Deutschen Industrie e. V.)
völlig verrannt haben“, was sich schon daraus ergeben soll, dass die Frak-
tion DIE LINKE. zum Thema Visaliberalisierung ähnliche Forderungen
wie die deutsche Wirtschaft stellt (vgl. Plenarprotokoll 17/178, S. 21270)?

26. Wie beurteilt die Bundesregierung die sich aus Visaerleichterungen (Ver-
fahrenserleichterungen nach geltendem Recht bis hin zur Visumfreiheit,
bitte differenzieren) ergebenden Gefährdungen für die Innere Sicherheit,
insbesondere in den Bereichen Organisierte Kriminalität, Spionage und
extremistische und terroristische Gefährdungen (allgemein bzw. in Bezug
auf Russland, bitte differenzieren), und wie kann diesen Gefährdungen ge-
gebenenfalls trotz Visaerleichterungen begegnet werden (bitte ausführlich
und differenziert darstellen und angeben, zu welchen Aspekten es womög-
lich unterschiedliche Auffassungen innerhalb der Bundesregierung zu
dieser Frage gibt)?

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27. Wie beurteilt die Bundesregierung die Argumentation, dass gerade für pro-
fessionelle Kriminelle Visaanforderungen eher leicht zu erfüllen bzw. zu
umgehen sind, und wie beurteilt sie das Argument, dass auch nach Visa-
erleichterungen oder gar einer Visumfreiheit bei Einreise in die EU stets
umfangreiche (Sicherheits-)Überprüfungen und Kontrollen nach dem EU-
Grenzkodex stattfinden?

28. Inwieweit stimmt die Bundesregierung der Einschätzung zu, dass der Anteil
der Mehrjahresvisa an allen erteilten Schengen-Visa allgemein, aber auch in
Bezug auf Russland, im Vergleich zu anderen EU-Mitgliedstaaten sehr ge-
ring ist, und inwieweit hält das Auswärtige Amt seine diesbezüglich nur
sehr allgemeinen Weisungen für effektiv und ausreichend (vgl. Bundestags-
drucksache 17/8823, Antwort zu Frage 8)?

29. Evaluiert das Auswärtige Amt, ob seine Anweisungen für eine positive Nut-
zung der sich aus dem Visakodex ergebenden Anwendungsspielräume für
Verfahrensvereinfachungen (vgl. Bundestagsdrucksache 17/8823, Antwor-
ten zu den Fragen 9 bis 11 und 13) in der Praxis auch umgesetzt werden und
entsprechende Auswirkungen haben, wenn nein, warum nicht.

Wenn ja, auf welche Weise und mit welchen Ergebnissen, und welche
Handlungen resultierten hieraus?

30. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung, etwa aus den regelmäßigen
Zusammenkünften der Konsularbeamten der Schengen-Anwender vor Ort,
über die Erfahrungen der Botschaft Österreichs im Hinblick auf ihre Zu-
sammenarbeit mit Visaannahmezentren in verschiedenen russischen Städ-
ten?

31. Wird eine Zusammenarbeit mit den Vertretungen anderer Schengen-Länder
in Russland nach dem Vorbild Österreichs angestrebt, um den Service zu
verbessern und vorhandene oder einzurichtende Visaannahmezentren bes-
ser auslasten zu können (wenn nein, warum nicht)?

32. Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, dass – im Gegensatz zu den in
der Vorbemerkung der Fragesteller geschilderten Umständen in Bezug auf
deutsche Auslandsvertretungen in Russland – Termine zur Visaantragstel-
lung bei der Botschaft Österreichs zur gleichen Zeit innerhalb der Frist des
Visakodex zu bekommen sind (Abfrage vom 15. Mai 2012: für Privatbesu-
che Termine ab 30. Mai 2012, für Geschäftsreisen ab 21. Mai 2012), ob-
wohl Österreich keine weiteren Vertretungen in Russland hat, mit Aus-
nahme des Leningrader Gebiets (Vertretung durch Finnland), und welche
Konsequenzen zieht sie daraus?

33. Wie bewertet die Bundesregierung den Umstand, dass man im größten Flä-
chenland der Erde, der Russischen Föderation, nur an insgesamt fünf Stel-
len Visumanträge für Reisen nach Deutschland einreichen kann, während
Reisende nach Österreich dies bereits an 13, in Kürze sogar an 16 Orten tun
können, auch hinsichtlich der möglichen negativen Auswirkungen auf den
familiären, wissenschaftlichen, kulturellen, wirtschaftlichen und sonstigen
gesellschaftlichen Austausch zwischen den Ländern?

34. In welchem Umfang wird von der Vielreisenden- bzw. Bona-fide-Regelung
(bitte jeweils differenzieren) Gebrauch gemacht, weltweit und in Bezug auf
die fünf wichtigsten Herkunftsländer (gegebenenfalls werden ungefähre
relative Schätzwerte erbeten)?

35. Weshalb kann das Vielreisendenverfahren in deutschen Auslandsvertretun-
gen nur nach zwei nachgewiesenen rechtmäßigen Vorreisen in einem Zwei-
jahreszeitraum genutzt werden, wohingegen Österreich bereits nach nur

einem Vorvisum die Benutzung eines Visaannahmezentrums für die Antrags-
einreichung zulässt?

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36. In Bezug auf welche EU-Mitgliedstaaten sieht die Bundesregierung aus
welchen Gründen Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht, insbesondere
den Visakodex, was unternimmt sie diesbezüglich, und wenn sie keine
solchen Verstöße sieht, weshalb übernimmt sie dann nicht liberalere
Anwendungspraktiken anderer EU-Mitgliedstaaten, um dem Ziel weiterer
Visaerleichterungen zu entsprechen?

37. Inwieweit kann die Bundesregierung die von „SPIEGEL ONLINE“ am
21. Mai 2012 („Schwarzhändler hackten deutsche Konsulats-Website“)
dargestellten Umstände bestätigen, wonach chinesische Staatsangehörige
„mitunter Monate auf das Visum warten“ müssen (ein „deutscher Diplomat
in China“ habe „resignierend über die Antragsflut“ gesagt: „Wir kommen
nicht mehr mit … Das behindert die Zusammenarbeit, auch die wirtschaft-
liche“), und welche konkreten Maßnahmen zur Änderung dieser womög-
lich europarechtswidrigen Verhältnisse bzw. personellen Unterausstattung
hat das Auswärtige Amt gegebenenfalls ergriffen oder/und geplant (bitte
darlegen)?

38. Wie ist der Hinweis auf der Webseite des Generalkonsulats in Istanbul,
wonach für die Terminvergabe „mit längeren Vorlaufzeiten zu rechnen“ sei
und „Termine mindestens 1 Monate im voraus [so im Original] beim Call-
Center IKS zu erfragen“ seien – insbesondere „für private Besuchs-Reisen
und touristische Aufenthalte (auch für Familienangehörige von Geschäfts-
reisenden). Um Wartezeiten bei der Visumantragstellung zu vermeiden, hat
das Generalkonsulat ein kostenpflichtiges Terminvergabesystem eingeführt,
das durch die externe Firma IKS betreut wird“ (www.istanbul.diplo.de/
Vertretung/istanbul/de/07/Visabestimmungen__Formulare.html), zu verein-
baren mit der zweiwöchigen Regelvorgabe des Artikels 9 Absatz 2 Satz 2
des Visakodex, seit wann wird in diesem Konsulat und türkeiweit gegen die
zweiwöchige Regelvorgabe verstoßen, und was hat das Auswärtige Amt
auch angesichts der Verpflichtung nach Artikel 38 Absatz 1 des Visakodex
wann unternommen, um diese übermäßigen Wartezeiten zu verkürzen (bitte
darlegen)?

39. In welchen Ländern erfolgt derzeit keine Bearbeitung von Visaanträgen im
Rahmen des Ehegattennachzugs, solange kein Nachweis über das Sprach-
niveau A1 erbracht wurde, auch wenn alle übrigen Unterlagen bereits vor-
liegen und damit eine weitere Verzögerung der Visumerteilung und Zusam-
menführung der Eheleute um mehrere Monate verbunden ist – und wie wird
dies begründet?

40. Wie lauten die Antworten zu den Fragen 27b „Wie hoch war der Anteil ,Ex-
terner‘ an Sprachprüfungen ,Start Deutsch 1‘ der Goethe-Institute weltweit
im Jahr 2011 (bitte nach den 15 wichtigsten Herkunftsländern differenzie-
ren)?“ und 27c „Wie hoch waren die Bestehensquoten bei Sprachprüfungen
,Start Deutsch 1‘ der Goethe-Institute weltweit im Jahr 2011 (bitte nach
externen und internen Prüfungsteilnehmenden sowie nach den 15 wichtigs-
ten Herkunftsländern differenzieren und zudem die jeweils zehn Länder mit
den höchsten bzw. niedrigsten Quoten mit einer Teilnehmendenzahl von
über 100 angeben)?“ der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf
Bundestagsdrucksache 17/8663, nachdem nunmehr hoffentlich die Angaben
für das gesamte Jahr 2011 vorliegen?

Berlin, den 24. Mai 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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