BT-Drucksache 17/9808

Einflussnahme auf die europäische Innenpolitik über die informelle Struktur der "Gruppe der Sechs"

Vom 22. Mai 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9808
17. Wahlperiode 22. 05. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Jan Korte, Sevim Dag˘delen, Annette Groth,
Ulla Jelpke, Niema Movassat, Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Einflussnahme auf die europäische Innenpolitik über die informelle Struktur
der „Gruppe der Sechs“

Am 17. und 18. Mai 2012 haben sich die Innenminister der sechs einwohner-
stärksten EU-Mitgliedstaaten in München getroffen. So hatte es die Bundesre-
gierung erst kurz zuvor auf die Schriftliche Frage 8 auf Bundestagsdrucksache
17/9615 des Abgeordneten Andrej Hunko mitgeteilt. Die Zusammenkünfte die-
ser sogenannten Gruppe der Sechs (G6) widmen sich anstehenden Initiativen im
Bereich Justiz und Inneres, die auf Ebene der Europäischen Union beraten wer-
den. Die beteiligten Regierungen bringen auch eigene Vorschläge zur Gestal-
tung europäischer Innenpolitik ein. Stetig wiederkehrende Themen sind der
internationale polizeiliche Datentausch und die Migrationsabwehr. Auch die
Absicherung anstehender Großereignisse, etwa Gipfeltreffen oder Sportevents,
wird auf solchen Treffen diskutiert.

Zur heutigen „Gruppe der Sechs“ gehören seit ihrer Gründung 2003 die Regie-
rungen Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens, Italiens und Spaniens. Mit
dem Beitritt zur Europäischen Union (EU) wurde auch Polen 2005 Mitglied des
Zirkels. Die Initiative zur Einrichtung der G6 geht unter anderem auf den dama-
ligen französischen Innenminister Nicolas Sarkozy zurück. Mehrmals jährlich
finden zweitägige Treffen statt. Derzeit hält Deutschland den Vorsitz und verant-
wortet daher das Treffen in München. Zu den Aufgaben der jeweils ausrichten-
den Regierung gehört auch die Gestaltung der Tagesordnung. Neben der EU-
Kommissarin für Inneres, Cecilia Malmström, sind zudem die Heimatschutzmi-
nisterin der USA, Janet Napolitano sowie der für die Justiz zuständige US-Ge-
neralbundesanwalt, Eric Holder, zu Teilen der Treffen eingeladen. Es ist unklar,
welchem Muster die Entscheidung zur Teilnahme der hochrangigen US-Reprä-
sentanten folgt. Stattdessen liegt nahe, dass diese hierüber Einfluss auf höchst
strittige Entscheidungen über Abkommen zwischen der EU und den USA zum
polizeilichen Datentausch nehmen wollen. Deren besonderes Interesse gilt an-
scheinend der Ausforschung von „Reisebewegungen von Terrornetzwerken“.
Da die EU hierzu bereits ein entsprechendes Abkommen mit den USA zur
Datenweitergabe geschlossen hat, dürfte es um den Zugriff der USA auf die
geplante EU-Sammlung von Passagierdaten gehen.
Die Öffentlichkeit erfährt wenig oder nichts über Inhalte der Treffen. Das Bun-
desministerium des Innern (BMI) kündigte die Zusammenkunft auf seinem In-
ternetportal nicht einmal an (Zugriff 8. Mai 2012). Die britische Bürgerrechtsor-
ganisation Statewatch übt deshalb heftige Kritik an dem im Verborgenen
tagenden Zirkel: Es gebe keine Bestimmungen zur Veröffentlichung der Tages-
ordnung oder von Protokollen. Parlamentarier erhalten keinen Zugang zu den
dort verteilten Dokumenten.

Drucksache 17/9808 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Das vorige G6-Treffen fand im Dezember 2011 in Paris statt. Nach Angaben der
Europäischen Kommissarin, Cecilia Malmström, ist dort auch die „Situation in
Griechenland“ thematisiert worden. Gemeint sind innenpolitische Maßnahmen,
mit denen die G6 Athen zu schärferen Grenzkontrollen zwingen wollen. Laut
der Bundesregierung stand auch in München die „Solidarität beim Außengrenz-
schutz“ auf dem Programm. Dahinter steckt eine deutsch-französische Initiative
zur Unterstützung Griechenlands bei der Abschottung der EU-Außengrenzen.
Hierzu hatten die Innenminister Deutschlands und Frankreichs einen Brief an
den Ratsvorsitz geschickt, um zukünftig mit einer Situation wie in Griechenland
die Einführung temporärer Kontrollen der Binnengrenzen zu begründen (vgl.
www.euro-police.noblogs.org/files/2012/04/friedrich_gueant.pdf).

Nach Ansicht der Fragesteller ist die Struktur der G6 intransparent und hinsicht-
lich demokratischer Verfahren fragwürdig. Wie in diversen anderen informellen
Netzwerken von Polizeien (etwa zum Einsatz von Überwachungssoftware oder
verdeckten Ermittlerinnen und Ermittlern) wird Abgeordneten wie auch der Öf-
fentlichkeit kein Zugang zu erörterten Inhalten, Absprachen oder Dokumenten
gewährt. Zudem werden im Falle der G6 die 21 übrigen EU-Mitgliedstaaten
vom Prozess der Meinungsbildung und Entscheidung ausgeschlossen, während
gleichzeitig die USA eingebunden werden.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie kam die Einrichtung der „Gruppe der Sechs“ zustande?

a) Wer hatte die Initiative zur Einrichtung der G6 übernommen, und wie
wurde dies begründet?

b) Welche Abteilungen welcher deutscher Behörden waren an den Diskus-
sionen um die Einrichtung und Teilnahme an den G6 beteiligt?

c) Wie, und von wem wurde schließlich die Entscheidung getroffen, dem
Kreis der G6 beizutreten?

d) Welche Überlegungen führten dazu, den ursprünglichen Kreis auf fünf
EU-Mitgliedstaaten zu beschränken?

e) Welche Überlegungen führten dazu, den ursprünglichen Kreis um Polen
zu erweitern?

f) Seit wann nimmt die Europäische Kommission an G6-Treffen teil?

g) Welche Überlegungen führten dazu, die Europäische Kommission einzu-
laden?

2. Seit wann nehmen Repräsentanten der USA an den G6-Treffen teil?

a) Welche Überlegungen haben zu ihrer Einladung geführt?

b) Nach welchen Kriterien wird bestimmt, an welchen Tagesordnungspunk-
ten die USA hinzugezogen werden?

d) Inwieweit wird hierzu das Einverständnis aller G6-Teilnehmerstaaten ein-
geholt?

d) Inwieweit artikulieren die USA selbst die Forderung zur Teilnahme an be-
stimmten Tagesordnungspunkten?

e) Welche Absprachen existieren über die Möglichkeit, dass die USA selbst
Tagesordnungspunkte vorschlagen oder sogar einfordern?

f) Inwieweit erhalten die USA Zugang zu Protokollen oder Mitschriften
jener Tagesordnungspunkte, an denen sie teilnehmen?
g) Inwieweit erhalten die USA Zugang zu Protokollen, Mitschriften oder
verteilten Dokumenten jener Tagesordnungspunkte, an denen sie nicht
teilnehmen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9808

3. Welche inhaltliche Ausrichtung wurde bei der Gründung der G6 für die Tref-
fen bestimmt, und wie war die Haltung der Bundesregierung dazu?

4. Wie ist die Struktur der G6 organisatorisch angelegt?

a) An welchen Kriterien orientiert sich die Frequenz der Treffen?

b) Wie ist die Übernahme des jeweiligen Vorsitzes geregelt (bitte die Reihen-
folge angeben)?

c) Inwiefern existiert für die G6 eine eigene Bürostruktur, bzw. inwiefern
sind Angehörige der Bundesregierung ausschließlich oder größtenteils mit
der Aufrechterhaltung der Struktur betraut?

5. Nach welchen Kriterien wird die Tagesordnung der Treffen festgelegt?

a) Welche Gespräche oder sonstigen Meinungsbildungsprozesse werden
hierzu gestartet?

b) Inwiefern werden die übrigen 21 EU-Mitgliedstaaten im Vorfeld der Tref-
fen über die dort behandelten Themen unterrichtet?

c) Inwiefern können die übrigen 21 EU-Mitgliedstaaten im Vorfeld der Tref-
fen Einfluss auf die dort behandelten Themen nehmen?

d) Welche Stellen der Bundesregierung sind konkret in die Vorbereitung der
Treffen eingebunden?

6. Wie ist der Zugang von Abgeordneten, Journalistinnen und Journalisten oder
der allgemeinen Öffentlichkeit zu Inhalten der Treffen der G6 geregelt?

a) Welche Bestimmungen wurden bei der Gründung der G6 zur Veröffentli-
chung der Tagesordnungen, Protokolle, Mitschriften oder verteilten Do-
kumente festgelegt?

b) Sofern hierzu keine Regelungen verabredet wurden, welche Praxis exis-
tiert hierzu bei der Bundesregierung wie auch in den übrigen Mitgliedstaa-
ten bzw. auf Ebene der EU deren Innenkommissarin ja ebenfalls an Tref-
fen teilnimmt?

c) Nach welchen Kriterien wird entschieden, ob sogenannte Schlussfolge-
rungen veröffentlicht werden?

d) Welche Überlegungen bewogen das BMI, das Treffen in München nicht
auf seiner Webseite anzukündigen?

7. Inwieweit nehmen weitere Personen oder Institutionen an den G6-Treffen teil?

a) Werden bei den Treffen externe Beratungen, Konsultationen oder Folgen-
abschätzungen eingeholt?

b) Inwieweit werden Institutionen oder Agenturen der EU im Vorfeld der
Treffen oder auch danach über Themen oder beabsichtigte Absprachen
unterrichtet oder diese anderweitig (auch über die Erstellung von Doku-
menten) in die Struktur der G6 eingebunden?

8. Inwieweit existieren innerhalb der G6 weitere Strukturen, in denen Arbeits-
inhalte ausgelagert werden?

a) Inwieweit stand das Treffen der auch in den G6 organsierten sechs Innen-
ministerien und den USA, das 2007 in Potsdam/Schwielowsee stattfand,
im Kontext der G6 (Pressemitteilung des BMI im Internet vom
1. Dezember 2007)?

b) Wer hatte das Treffen in Potsdam einberufen, und welcher Zweck wurde
damit verfolgt?
c) Welche Regierungen, EU-Agenturen oder sonstige Institutionen nahmen
mit welchem Personal an dem Treffen teil?

Drucksache 17/9808 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

d) Welche „Wissenschaftler und Experten“ nahmen an dem Treffen teil,
und nach welchen Kriterien wurden sie ausgesucht?

e) Welche Inhalte wurden auf dem Treffen erörtert (bitte hierzu die Diskus-
sionen nach Tagesordnungspunkten kurz skizzieren)?

f) Welche „wichtige Impulse“ wurden von Deutschland gesetzt, wie es das
BMI auf seiner Webseite zur Bekämpfung von „Gefahren des internatio-
nalen Terrorismus“ hinsichtlich der Konferenz in Potsdam vorträgt?

g) Welche weiteren Treffen oder Symposien haben außerhalb oder im Rah-
men der G6-Staaten stattgefunden (bitte Datum, Orte und Thema mitlie-
fern)?

9. Trifft es, wie vom Internetportal heise.de (Meldung vom 24. März 2006)
berichtet, zu, dass bei dem G6-Treffen in Heiligendamm 2006 die Einrich-
tung der Europol-Plattform „Check the Web“ beschlossen wurde, deren
Vorsitz Deutschland übernahm?

a) Wo wurde die Initiative zuvor beraten?

b) Inwiefern wurde Europol im Rahmen des G6-Treffens vorher in die Mei-
nungsbildung oder Beschlussfassung einbezogen?

10. Welche Tagesordnung hatte das Treffen der G6 im Dezember 2011 in Paris
(bitte in groben Zügen skizzieren)?

a) Inwieweit waren die Europäische Agentur für die operative Zusammen-
arbeit an den Außengrenzen – FRONTEX und Europol in die Vor- oder
Nachbereitung des Treffens eingebunden?

b) Inwieweit wurde die vom Bundesmminister des Innern, Dr. Hans-Peter
Friedrich, und seinem französischen Amtskollegen, Claude Guéant, lan-
cierte Initiative einer „Schengen-Regierungsführung“, die eine 30-tägige
Wiedereinführung von Grenzkontrollen bei „hohem Migrationsdruck“
vorsieht, auf dem Treffen in Paris diskutiert?

c) Wer hat an dem Vortrag bzw. der Diskussion teilgenommen?

d) Welche Verabredungen wurden zur Weiterverfolgung der Initiative ge-
troffen?

e) Was ist mit der „Situation in Griechenland“ gemeint, die laut der
EU- Innenkommissarin, Cecilia Malmström, thematisiert wurde (http://
blogs.ec.europa.eu/malmstrom/“G6“-in-paris), und welche Position hat
die Bundesregierung hierzu vertreten?

f) Welche Inhalte wurden in Paris hinsichtlich der Bekämpfung einer soge-
nannten Wanderkriminalität vorgetragen und diskutiert?

g) Inwieweit wurde thematisiert, dass der Begriff der „Wanderkriminalität“
zur Stigmatisierung von Roma-Gruppen beiträgt?

11. Welche näheren Ausführungen kann die Bundesregierung zum jüngsten
G6-Treffen in München machen?

a) Wo hat das Treffen stattgefunden?

b) Welche Behörden oder sonstigen Stellen waren mit welchen Kräften ein-
gebunden?

c) Welche weiteren Personen aus welchen Ländern nahmen mit welchen
Aufgaben teil?

d) Welche Kosten sind für die Durchführung entstanden, und wie werden
sie übernommen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/9808

e) Welche Inhalte wurden diskutiert (bitte hierzu die Tagesordnung beile-
gen und erörterte Inhalte sowie Ergebnisse in groben Zügen skizzieren)?

f) Welche Dokumente wurden im Rahmen des Treffens verteilt (bitte bei-
legen; sofern dies nicht möglich ist, bitte jeweils für jedes Dokument ein-
zeln begründen)?

g) Welche Absprachen wurden unter den sechs Regierungen hinsichtlich
dem „Smart Borders“-Paket der EU, einer „Solidarität beim Außen-
grenzschutz“, dem Thema „Nordafrika und Syrien“ sowie den damit ver-
bundenen Themen „Migration, Aufbauhilfe, Sicherheit“ getroffen, bzw.
welche Meinungen wurden hierzu vorgetragen?

12. An welchen Tagesordnungspunkten oder Arbeitsgruppen haben die USA
sowie die Europäische Kommission beim Treffen in München teilgenom-
men?

a) Nach welchem Verfahren sowie nach welchen Kriterien hat der deutsche
G6-Vorsitz festgelegt, an welchen Tagesordnungspunkten oder Arbeits-
gruppen die USA teilnehmen dürfen?

b) Nach welchem Verfahren sowie nach welchen Kriterien hat der deutsche
G6-Vorsitz festgelegt, an welchen Tagesordnungspunkten oder Arbeits-
gruppen die Europäische Kommission teilnehmen darf?

c) Welche im Rahmen des gesamten Treffens angefallenen Tagesordnun-
gen, Protokolle, Mitschriften oder Dokumente wurden vor, während
oder nach dem Treffen an die USA sowie an die Europäische Kommis-
sion übergeben?

d) Welche Inhalte und insbesondere Anliegen haben die USA hinsichtlich
einer „Bekämpfung der Piraterie“, der „Aufdeckung der Finanzströme“
sowie der Ausforschung der „Reisebewegungen von Terrornetzwerken“
vorgetragen?

e) Inwieweit wurde diskutiert, ob die USA Zugriff auf die geplanten EU-
Systeme zur Sammlung von Passagierdaten (EU PNR) und Bankdaten
(EU TFTS) erhalten können?

f) Welche Absprachen bzw. Ergebnisse wurden mit den USA sowie der Eu-
ropäischen Kommission in München getroffen?

13. Trifft es zu, dass das inzwischen abgeschlossene Abkommen zwischen der
EU und den USA zur Weitergabe von Passagierdaten zuvor im Rahmen der
G6 behandelt wurde, und falls ja, mit welchen Inhalten und Absprachen?

a) Welche weiteren Regierungen, Institutionen oder Personen haben an
dem Tagesordnungspunkt teilgenommen?

b) Inwiefern hatte die US-Delegation dabei Stellung zu ihrer Verhandlungs-
position bezogen?

c) Trifft es zu, dass die USA gefordert hatten, den Entwurf des Vertrags
ohne weitere Verhandlungen dem Rat der Europäischen Union zur Billi-
gung vorzulegen?

d) Inwieweit wurden die übrigen 21 EU-Mitgliedstaaten über die vorgetra-
gene Verhandlungsposition der USA in EU-Ratsarbeitsgruppen oder
Ausschüssen in Kenntnis gesetzt, und wie reagierten diese im Einzelnen
darauf?

Berlin, den 22. Mai 2012
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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