BT-Drucksache 17/9743

Für eine zukunftsfähige Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes und ein modernes Wasserstraßenmanagement

Vom 23. Mai 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9743
17. Wahlperiode 23. 05. 2012

Antrag
der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Gustav Herzog, Garrelt Duin, Doris Barnett,
Dr. Hans-Peter Bartels, Klaus Barthel, Sören Bartol, Martin Burkert, Martin
Dörmann, Ingo Egloff, Petra Ernstberger, Iris Gleicke, Ulrike Gottschalck, Michael
Groß, Hans-Joachim Hacker, Bettina Hagedorn, Rolf Hempelmann, Gabriele
Hiller-Ohm, Johannes Kahrs, Ute Kumpf, Kirsten Lühmann, Manfred Nink, Florian
Pronold, Wolfgang Tiefensee, Andrea Wicklein, Dr. Frank-Walter Steinmeier und
der Fraktion der SPD

Für eine zukunftsfähige Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes und
ein modernes Wasserstraßenmanagement

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Seit Beginn der 17. Legislaturperiode verfolgt die Bundesregierung das Ziel, die
Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) radikal umzustrukturie-
ren. Sie hat dem Deutschen Bundestag dazu in den vergangenen eineinhalb Jah-
ren verschiedene schriftliche Berichte vorgelegt, die sich immer mehr auf An-
kündigungen und bisher nicht abgeschlossene Untersuchungen beschränkten.
Bis heute liegen dem Deutschen Bundestag keine Ergebnisse von Untersuchun-
gen vor, die als Entscheidungsgrundlage für eine Modernisierung der WSV oder
eine solide Priorisierung von Wasserstraßenprojekten dienen könnten. Damit
wird der Deutsche Bundestag von diesen umfangreichen Umstrukturierungspro-
zessen für einen Verkehrsträger von nationaler Bedeutung ausgeschlossen.

Im Mittelpunkt aller bisherigen Überlegungen der Bundesregierung steht das
Ziel, den Umfang von Personal und Investitionen zur Unterhaltung der Wasser-
wege in Deutschland drastisch zu senken; zugleich soll der Anteil der Vergabe
bei der Erledigung von Aufgaben der WSV nach dem Willen der Bundesregie-
rung deutlich erhöht werden.

Mit einer wirklichen Zukunftsvision und Entwicklungsperspektive für den Ver-
kehrsträger Wasserstraße und für die mit seiner Unterhaltung betraute Bundes-
verwaltung hat die Bundesregierung ihre Pläne bislang in keiner Weise ver-
knüpft. Dies zeigt der Verlauf der bisherigen Diskussion um die künftige Struk-
tur der Bundeswasserstraßen in Deutschland sowie den Umbau der WSV.
Die Bundesregierung ignoriert die volkswirtschaftliche Bedeutung der Bundes-
wasserstraßen als nachhaltigem Verkehrsträger. Mit ihrem ursprünglichen Plan,
den Erhalt und Neubau von Strecken künftig einzig von der Menge der dort
transportierten Güter abhängig zu machen, hat sich die Bundesregierung gegen
die Interessen der hafenbezogenen Branchen und der regionalen Wirtschafts-
unternehmen entlang der Wasserwege gestellt. Das Bestreben, den Einsatz von
Personal und Investitionen künftig auf wenige Hauptwasserwege im Land zu

Drucksache 17/9743 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

beschränken, geht an der wirtschaftlichen Realität in Deutschland vorbei. Zudem
blendet es die Tatsache aus, dass Effizienz und Funktionsfähigkeit eines Netzes
klar von seiner Durchgängigkeit und dem Grad seiner Verästelung abhängen.
Eine Beschränkung auf einige wenige Hauptwasserwege würde nicht nur die Ef-
fektivität und Wertschöpfung des Gesamtnetzes empfindlich treffen, es hätte
auch eine massive Verlagerung der Güter auf die Verkehrsträger Schiene und
vorrangig auf die Straße zur Folge. Da beide bereits unter erheblichem Entwick-
lungsdruck stehen, hätte die von der Bundesregierung jetzt vorbereitete Ent-
scheidung, den Verkehrsträger Wasserstraße derart einzuschränken, weitrei-
chende Folgen für die Volkswirtschaft. Ähnliches gilt für den Wassertourismus
in Deutschland, der ebenfalls über ein enormes Wachstumspotenzial verfügt; die
Bundesregierung misst dem „Wassertourismusnetz“ zwar eine große Bedeutung
sowohl für die Personenschifffahrt als auch den Wassertourismus bei, klare Aus-
sagen zur inhaltlichen Konzeption eines Netzes für Wassertourismus fehlen
aber.

Dabei ist die Wasserstraße der Verkehrsträger mit dem größten Entwicklungs-
potential. Die Weiterentwicklung von Standorten wird durch eine WSV in der
Fläche als notwendiger Partner für alle Wirtschaftsbeteiligten erst möglich. Auf
massiven politischen Druck von Wirtschaftsunternehmen, Verbänden, Ländern
und Gewerkschaften sowie der Fraktion der SPD ist die Bundesregierung von
ihrem Vorhaben, die Wasserstraßen alleine auf der Basis der transportierten Jah-
restonnagen zu kategorisieren, denn auch inzwischen wieder abgerückt. Doch
bisher hat das federführende Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtent-
wicklung darauf verzichtet, Kriterien für eine systemgerechte Priorisierung der
Wasserstraßen zu entwickeln und Elemente eines modernen Wasserstraßen-
managements zu formulieren, die den Anforderungen der regionalen Wirtschaft
gerecht werden.

Die Bundesregierung ignoriert insofern auch die verkehrliche Bedeutung der
Bundeswasserstraßen. Bisher hat die Bundesregierung darauf verzichtet, ihre
Planungen für das Wasserstraßennetz und die WSV in ein verkehrspolitisches
Gesamtkonzept einzubetten. Dies betrifft das Ziel einer weiteren Verlagerung
von Verkehr auf den umweltfreundlichen Verkehrsträger Wasserstraße ebenso
wie die wünschenswerte Verzahnung der Wasserstraßenpolitik mit den Zielen
des Nationalen Hafenkonzeptes. Zugleich verzichtet die Bundesregierung da-
rauf, einen verlässlichen Rahmen für die finanzielle Ausstattung der Wasser-
straßen in Deutschland zu setzen.

Die Bundesregierung verkennt damit das Potenzial der Wasserstraße als Güter-
verkehrsweg der Zukunft. Schon heute sind die Bundeswasserstraßen im Bun-
deshaushalt erheblich unterfinanziert. In der mittelfristigen Finanzplanung sind
für die Bundeswasserstraßen rund 800 Mio. Euro in den kommenden fünf Jahren
vorgesehen. Selbst der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Dr. Peter Ramsauer hat einen Mehrbedarf beim Ausbau der Wasserstraßen von
500 Mio. Euro pro Jahr angegeben.

Diese Unterfinanzierung kann mit dem jetzigen Konzept der Bundesregierung
zur Neuordnung des Wasserstraßennetzes in Deutschland nicht kompensiert
werden. Im Gegenteil: Die Bundesregierung stellt unter dem Deckmantel der
Privatisierung von Aufgaben der WSV alle größeren Maßnahmen für Erhalt und
Ausbau unter Vorbehalt. Eine Umstrukturierung der WSV in einem Umfang,
wie es die Bundesregierung derzeit andeutet, würde die gesamte Verwaltung
über Jahre mit sich selbst beschäftigen und ihre Arbeitsfähigkeit immens schwä-
chen.

Mit ihren Plänen kündigt die Bundesregierung den bisherigen verkehrspoli-
tischen Konsens in Deutschland auf. Denn sie definiert die Unterhaltung des

Wasserstraßennetzes nicht länger als eine vorrangig öffentliche Aufgabe. Die
geplante Neuordnung der Wasserstraßen und ihrer Verwaltung bedeuten im

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9743

Kern eine Abkehr von der Vorstellung der Infrastrukturverantwortung des Bun-
des in diesem Bereich.

Bereits mit dem Aufbau eines geschlossenen Finanzierungskreislaufes Straße
hat die Bundesregierung eine Kehrtwende in der deutschen Verkehrspolitik ein-
geleitet, die in der Diskussion um die Wasserstraßen und die WSV jetzt ihre
Fortsetzung findet. Die Wasserstraße spielt in den verkehrspolitischen Über-
legungen der Bundesregierung nurmehr eine zu vernachlässigende Rolle. Ein
grundlegendes Konzept für ein zukunftsfähiges Wasserstraßenmanagement er-
scheint aus dieser Sicht verzichtbar.

Nachdem sie mit ihrer Absicht gescheitert ist, einen radikalen Abbau der WSV
durch eine Reduzierung des Wasserstraßennetzes auf ein Hauptnetz zu begrün-
den, hat die Bundesregierung die beiden Prozesse nun entkoppelt, um die Ver-
waltungsreform vorziehen zu können. Damit käme sie der eigentlichen Forde-
rung der Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und FDP nach erhöhten Vergabe-
quoten und Privatisierung von WSV-Aufgaben nach.

Dies erklärt auch, weshalb das federführende Bundesministerium darauf ver-
zichtet hat, zunächst einen aktuellen Netzzustandsbericht vorzulegen und eine
umfassende Personalbedarfsermittlung vorzunehmen, um auf dieser Basis die
Erfordernisse eines modernen Wasserstraßenmanagements zu skizzieren und die
künftige finanzielle Ausstattung der Bundeswasserstraßen zu quantifizieren.

In den vergangenen Monaten hat eine „Koordinierungsstelle für die Modernisie-
rung der WSV“ denn auch bereits im Vorfeld der umfangreichen Untersu-
chungsergebnisse erste Weichen für die Neuordnung der Verwaltung gestellt.
Über deren Aufgabe und Prüfergebnisse wurden die Mitglieder des Deutschen
Bundestages von der Bundesregierung bisher nicht informiert.

Die bisher bekannt gewordenen Umbaupläne der Bundesregierung für die WSV
sind nicht nur eine Katastrophe für die See- und Binnenschifffahrt sowie die von
leistungsfähigen Transportwegen abhängige regionale Wirtschaft. Die Umbau-
pläne für die WSV gefährden auch massiv Arbeitsplätze. Die Gewinnung von
qualifizierten Fachkräften wie Ingenieuren, Technikern und Meistern wird da-
durch erschwert. Denn die WSV ist ein wichtiger Garant von Arbeitsplätzen –
dies nicht allein für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ämtern und
Direktionen, sondern auch durch die Sicherung von Beschäftigung in den hafen-
bezogenen Branchen und der regionalen Wirtschaft entlang der Wasserstraßen.
Allein durch die seit eineinhalb Jahren geführte Diskussion um eine Netzkate-
gorisierung und WSV-Reform wurde bei den Akteuren aus der Schifffahrt und
der verladenden Wirtschaft massive Unsicherheit verbreitet, Investitionsent-
scheidungen in erheblichem Umfang wurden zurückgestellt.

Die Fraktion der SPD tritt ein für mehr Effizienz und Konzentration dort, wo es
notwendig und sinnvoll ist. Doch Stellenstreichungen und Privatisierungen aus
Prinzip können nicht die Lösung für die umwelt- und verkehrspolitischen Her-
ausforderungen der Zukunft sein. Notwendig ist ein fairer offener Dialog mit
allen Beteiligten über die Frage, wie ein Zukunftskonzept für die WSV aussehen
kann. Im Zentrum dieses Prozesses sollte die Sicherung und Weiterentwicklung
der WSV im Interesse einer zukunftsfähigen Infrastrukturplanung stehen.

Die Bundesregierung ist aufgefordert, eine Antwort auf die Frage zu geben, wie
die WSV weiterentwickelt werden kann, um die besonderen Stärken des Ver-
kehrsträgers Wasserstraße optimal zu nutzen und die bestehenden Kapazitäts-
reserven zu erschließen.

Drucksache 17/9743 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

• einen transparenten Dialog zur Modernisierung der WSV zu führen und alle
wesentlichen Ergebnisse der umfangreichen Studien als Entscheidungs-
grundlage vorzulegen, bevor abschließende Festlegungen zur Organisation
der Verwaltung getroffen werden; die Wasser- und Schifffahrtsdirektionen
sind an ihren Standorten sowie in ihrer Funktionalität und Aufgabenstellung
zu erhalten;

• dem Deutschen Bundestag umgehend über die Ergebnisse der Prüfungen der
„Koordinierungsstelle für die Modernisierung der WSV“ (KoM-WSV) zu
berichten;

• dem Deutschen Bundestag eine umfassende Personalbedarfsabschätzung für
die WSV vorzulegen, die den derzeitigen Personalbestand sowie die vorhan-
denen Qualifikationen und Qualifizierungsbedarfe und die künftigen Auf-
gaben umfasst; diese muss insbesondere auch die derzeitige und künftige
Altersstruktur der WSV-Beschäftigten sowie die Fachkräftesituation in den
Aufgabenbereichen der WSV berücksichtigen;

• den Deutschen Bundestag umgehend und umfassend über die bisher vorge-
nommene Aufgabenkritik sowie die darauf abgeleiteten Schlussfolgerungen
zur Anpassung der Aufbauorganisation der WSV zu informieren;

• bei allen Planungen zum Umbau der WSV sowie der entsprechenden Refe-
rate und Abteilungen des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtent-
wicklung (BMVBS) umgehend für eine umfassende Transparenz zu sorgen
und die Beteiligung der Personalvertretungen an den Prozessen zu gewähr-
leisten;

• eine Wirtschaftlichkeitsüberprüfung der Vergabe von Aufgaben an private
Unternehmen gegenüber der Eigenerledigung durch die WSV vorzunehmen,
bevor über Vergabequoten entschieden wird; diese muss insbesondere auch
die volkswirtschaftlichen Gesamtkosten der Fremdvergabe einbeziehen;

• alle weiteren Überlegungen zur Zukunft des Bundeswasserstraßennetzes in
Deutschland in ein tragfähiges, dem Prinzip der Nachhaltigkeit verpflichte-
tes, verkehrspolitisches Gesamtkonzept einzubinden und dabei sowohl die
Güter- und Fahrgastschifffahrt als auch den Wassertourismus zu berücksich-
tigen;

• dem Deutschen Bundestag umgehend das vom BMVBS, den Ländern und
dem Bundesverband der Deutschen Binnenschiffahrt e. V. (BDB) in Auftrag
gegebene Rechtsgutachten zur Netzstruktur der Wasserstraßen in Deutsch-
land vorzulegen;

• umgehend einen umfassenden Netzzustandsbericht vorzulegen, der Auskunft
über den Unterhaltungszustand und die Leistungsfähigkeit auch der Bundes-
wasserstraßen gibt;

• das Prinzip der geschlossenen Finanzierungskreisläufe aufzugeben, um eine
solide und planbare Finanzierungsgrundlage für die Bundeswasserstraßen in
Deutschland zu schaffen;

• eine transparente Überprüfung der Nutzerentgelte der Bundeswasserstraßen
unter Einbeziehung aller Nutzer durchzuführen und die Ergebnisse dem
Deutschen Bundestag zur Einbettung in ein verkehrsträgerübergreifendes
Gesamtkonzept zur Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur vorzulegen;

• für eine angemessene finanzielle Ausstattung der Bundeswasserstraßen mit
Haushaltsmitteln zu sorgen, insbesondere für verkehrliche Investitionen, so-
wie zusätzliche Finanzmittel zur Verbesserung von seewärtigen Zufahrten

und Hinterlandanbindungen bereitzustellen;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/9743

• ein schlüssiges Priorisierungskonzept vorzulegen, das klare Prioritäten bei
Wasserstraßenprojekten mit nationaler Bedeutung berücksichtigt und gleich-
zeitig auch in der Fläche Entwicklungsimpulse setzt;

• die Vorlage eines Wasserstraßenausbaugesetzes zu prüfen, um damit einen
transparenten Dialog über den Zustand und die Entwicklung unseres Wasser-
straßennetzes und eine bessere parlamentarische Kontrolle zu ermöglichen;

• sich für eine stärkere Verknüpfung der verschiedenen Verkehrsträger einzu-
setzen und dabei insbesondere die intermodalen Knoten und die verkehrsträ-
gerübergreifende Anbindung der Häfen zu stärken;

• dem Deutschen Bundestag regelmäßig einen Infrastrukturzustandsbericht
vorzulegen, der als Basis für alle weitergehenden Entscheidungen über das
Bundeswasserstraßennetz in Deutschland dienen muss.

Berlin, den 23. Mai 2012

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.