BT-Drucksache 17/9586

Mit DualPlus mehr Jugendlichen und Betrieben die Teilnahme an der dualen Ausbildung ermöglichen

Vom 9. Mai 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9586
17. Wahlperiode 09. 05. 2012

Antrag
der Abgeordneten Kai Gehring, Brigitte Pothmer, Ekin Deligöz, Katja Dörner,
Agnes Krumwiede, Monika Lazar, Tabea Rößner, Krista Sager, Ulrich Schneider
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Mit DualPlus mehr Jugendlichen und Betrieben die Teilnahme an der dualen
Ausbildung ermöglichen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland ist im europäischen Vergleich erfreu-
lich niedrig. Als ein wichtiger Erfolgsfaktor hierfür gilt das duale Ausbildungs-
system. Dennoch bleiben gravierende Probleme zu lösen. Denn etliche Jugend-
liche fallen zwischen Schulabschuss und Berufseinstieg durch das Ausbildungs-
raster. Aktuell befinden sich mindestens 300 000 Jugendliche in einer Maß-
nahme des Übergangssektors zwischen der allgemeinbildenden Schule und
Ausbildung. In der Folge haben 1,5 Millionen junge Menschen zwischen 20 und
29 Jahren keinen Berufsabschluss.

Die regionalen und branchenspezifischen Ungleichgewichte auf dem Ausbil-
dungsmarkt haben sich in den letzten Jahren verschärft, stellt auch der Berufs-
bildungsbericht 2012 fest. Denn obwohl sich das Verhältnis von offenen Aus-
bildungsstellen und Ausbildungsinteressierten derzeit bundesweit Richtung
Nachfragemangel verschiebt, hat 2011 erneut etwa jeder dritte ausbildungs-
interessierte Jugendliche keinen Ausbildungsplatz bekommen.

Nichtsdestotrotz hatten vor allem kleine Betriebe Schwierigkeiten, ihre Ausbil-
dungsplätze zu besetzen. 42 Prozent der Betriebe mit weniger als 19 Mitarbei-
ter/-innen und 35 Prozent aller ausbildenden Betriebe konnten 2010 einen oder
mehrere Plätze nicht besetzen. Zugleich ist ein Rückgang der ausbildenden Be-
triebe zu verzeichnen. Allein zwischen 2008 und 2010 haben 24 000 weniger
Betriebe ausgebildet, obwohl die Anzahl der Betriebe zugleich gestiegen ist.
Daher ist es auch angesichts des in einigen Branchen bestehenden oder sich ab-
zeichnenden Fachkräftemangels dringend notwendig, Anreize zu schaffen, um
mehr Betriebe für die Berufsausbildung junger Menschen zu gewinnen. Trotz
der demografisch und konjunkturell bedingten Verringerung der Anzahl von
Jugendlichen in Übergangsmaßnahmen in den letzten Jahren werden sich laut
nationalem Bildungsbericht 2010 ohne einschneidende Umgestaltung auch
2025 noch 238 000 potenzielle Fachkräfte in den praxisfernen und nicht an-

schlussfähigen Maßnahmen der nicht überschaubaren Förderlandschaft befin-
den.

Das Ziel einer gelingenden Ausbildungspolitik muss sein, allen Jugendlichen
und jungen Erwachsenen, Frauen wie Männern, unabhängig von ihrer sozialen
oder kulturellen Herkunft oder etwa einer Behinderung, gleiche Berufs- und
Lebenschancen zu eröffnen. Es ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, Schul-

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abgänger und Schulabgängerinnen, die kein Studium anstreben oder keinen
Studienplatz erhalten haben, in eine qualifizierende Berufsausbildung zu brin-
gen. Auch denjenigen muss der Abschluss einer Ausbildung nach dualem Prin-
zip ermöglicht werden, die keinen Schulabschluss erworben haben, bisher als
nicht „ausbildungsreif“ oder „ausbildungsfähig“ eingestuft wurden oder aus
anderen Gründen marktbenachteiligt sind.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sicherzustellen, dass zukünftig alle Jugendlichen, die einen Ausbildungsplatz
suchen, auch einen erhalten. Dafür sollen nach dem Konzept DualPlus zusätz-
liche Ausbildungsplätze insbesondere für marktbenachteiligte Jugendliche
und junge Menschen mit Förderbedarf über eine dritte Säule in überbetrieb-
lichen Lernorten geschaffen werden. Der Ausbildungsvertrag wird zwischen
den Jugendlichen und den überbetrieblichen Lernorten geschlossen. Durch
vorgeschaltete Produktionsschulen, individuelle Förderung und eine bis zu
einem Jahr längere Ausbildungsdauer soll jeder Jugendliche im Rahmen von
DualPlus zu einer Ausbildung befähigt werden und einen anerkannten Kam-
merabschluss erreichen. Dabei soll immer auch ein Wechsel in eine betrieb-
liche Ausbildung mit Kammerabschluss möglich sein. Die betriebliche duale
Ausbildung genießt gegenüber dieser ergänzenden Struktur Vorrang;

2. zu gewährleisten, dass vor Ort entschieden wird, ob die ergänzenden Lern-
orte der dritten Säule bei bestehenden Bildungsträgern, an gut ausgestatteten
Berufsschulen oder in neu aus- bzw. eingerichteten überbetrieblichen Aus-
bildungsstätten angeboten werden. Die Kompetenzen von Berufsbildungs-
werken sowie Trägern der berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen sind
dabei einzubeziehen;

3. dafür zu sorgen, dass durch eine flächendeckende Modularisierung aller
dualen Ausbildungsberufe innerhalb des Berufsbilds kein Ausbildungs-
schritt mehr ohne Anschluss bleibt. Leistungsschwächeren Jugendlichen
muss mehr Zeit zum Lernen eingeräumt werden. Durch das Erreichen von
Teilschritten haben sie schnellere Erfolgserlebnisse. Dabei kann an die guten
Erfahrungen mit Ausbildungsbausteinen im Rahmen von JOBSTARTER
CONNECT angeknüpft werden. Durch die enge Einbeziehung der Sozial-
partner und zuständigen Stellen wie etwa den Industrie- und Handelskam-
mern sowie Handwerkskammern ist die Qualität und bundesweite Anerken-
nung der Ausbildungsbausteine sicherzustellen. Grundmodule können für
verwandte Ausbildungsberufe gemeinsam vermittelt werden, eine Speziali-
sierung kann nach bestandener Prüfung des Grundmoduls erfolgen;

4. darauf hinzuwirken, dass auch kleine und spezialisierte Betriebe und solche
ohne Ausbildungstradition ausbilden können. Im Rahmen von DualPlus
können Betriebe bundesweit anerkannte betriebliche Ausbildungsbausteine
anbieten und sich durch die Übernahme einzelner Module an der Berufsaus-
bildung beteiligen, ohne die gesamte Verantwortung für eine duale Ausbil-
dung zu übernehmen. Diese Flexibilisierung erleichtert den Betrieben die
Teilnahme am Ausbildungsgeschehen. So können insgesamt wieder mehr
Unternehmen für die Berufsausbildung junger Menschen gewonnen werden;

5. zu ermöglichen, dass im Rahmen der dritten Säule für besonders leistungs-
starke Jugendliche allgemeinbildende Module angeboten werden, die zur
Fachhochschulreife führen. Dieses Angebot soll auch den Auszubildenden
des traditionellen dualen Systems in der Region zugänglich sein. Die überbe-
trieblichen Lernorte können sich so zu Kompetenzzentren für Aus- und Wei-
terbildung entwickeln. Zum einen wirken Perspektiven und Aufstiegs-
chancen motivierend auf die Jugendlichen, zum anderen kann so eine soziale

Segregation verhindert werden;

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6. zu gewährleisten, dass bei Ausbildungsangeboten im Rahmen der dritten
Säule immer die quantitativen und qualitativen Bedarfe vor Ort berücksich-
tigt werden. Hier kann die Bundesagentur für Arbeit ihre Kompetenz ein-
bringen. Eine regionale Zusammenarbeit mit den Arbeitsagenturen und
Jobcentern und mit den Sozialpartnern ist für die Umsetzung von DualPlus
unerlässlich, um unter Berücksichtigung der Berufswahlfreiheit den regio-
nalen Fachkräftebedarf immer mit in den Blick zu nehmen;

7. betriebliche Angebote wie Einstiegsqualifizierungen (EQ) als betriebliches
Ausbildungsmodul in DualPlus zu integrieren, damit ihre Anschlussfähig-
keit sichergestellt ist. Zugleich würde dieses an sich sinnvolle Instrument
damit zielgruppenadäquat eingesetzt werden: EQ sollten sich grundsätzlich
auf förderbedürftige oder marktbenachteiligte Jugendliche beschränken.
Vor allem Jugendliche mit Migrationshintergrund sollten die Chance be-
kommen, sich darüber den Betrieben bekannt zu machen und ihre Stärken
zu zeigen;

8. zusammen mit den Ländern dafür zu sorgen, dass die Mittel der vielen Pro-
gramme und berufsvorbereitenden Maßnahmen des so genannten Über-
gangssektors in DualPlus integriert werden. Hier fallen derzeit jährlich
Kosten in Höhe von mindestens 4 Mrd. Euro an, die sinnvoller und effi-
zienter eingesetzt werden müssen. Die Bundesagentur für Arbeit muss den
Fokus stärker auf abschlussbezogene Maßnahmen legen. Auch bisher rein
außerbetriebliche Maßnahmen sind in das praxisbezogene DualPlus zu in-
tegrieren. Zudem muss ausreichend Fachpersonal für die Berufsschulen
und die überbetrieblichen Lernorte zur Verfügung stehen. Das bislang in
den Übergangsmaßnahmen beschäftigte Personal kann in DualPlus über-
führt und entsprechend weiterqualifiziert werden. Aus Gründen der Konti-
nuität und aufgrund des anstehenden Lehrermangels, von dem besonders
Berufsschulen und -kollegs betroffen sein werden, ist der Zugang für qua-
lifizierte und pädagogisch-didaktisch fähige Quereinsteiger/-innen zu er-
leichtern;

9. sicherzustellen, dass alle förderungswürdigen Schülerinnen und Schüler an
der Berufseinstiegsbegleitung teilnehmen können. Förderprogramme des
Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) und des Bundesprogramms
Bildungsketten sollten kompatibel gemacht werden. Durch eine bedarfs-
deckende Ausweitung der Berufseinstiegsbegleitung könnten andere För-
dermaßnahmen beim Übergang Schule – Ausbildung zurückgefahren wer-
den. Derzeit scheitert die Fortführung der Berufseinstiegsbegleitung nach
dem SGB III in vielen Bundesländern an der von der Bundesregierung ge-
setzlich verankerten obligatorischen Kofinanzierung durch Dritte;

10. sich im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention dafür einzusetzen, dass
Menschen mit Behinderung die Ausbildung in anerkannten Ausbildungs-
berufen ermöglicht wird. Dazu müssen auch mehr bundesweite Muster-
regelungen zur Qualitätssicherung angepasster bzw. modularisierter Aus-
bildungsgänge für Menschen, die wegen Art und Schwere ihrer Behinde-
rung keine vollständige Ausbildung in einem anerkannten Beruf machen
können, geschaffen werden. Das Konzept DualPlus schafft in all seinen
Facetten von der Modularisierung bis zum überbetrieblichen Lernort die
Grundlagen für Inklusion. Zudem ist das Kooperationsverbot in der Bil-
dung aufzuheben, um gemeinsame Programme zwischen Bund und Län-
dern zur schulischen und berufsschulischen Inklusion zu ermöglichen;

11. gegenüber den Ländern und der Kultusministerkonferenz darauf hinzuwir-
ken, die frühzeitige Berufs- und Studienorientierung sowie Berufswegepla-
nung in den Curricula aller allgemeinbildenden Schulen zu verankern, um

die Berufswahl am Übergang zu erleichtern und Ausbildungsabbrüchen
vorzubeugen. Dabei muss in enger Kooperation mit Berufsschulen und Be-

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trieben über das gesamte Spektrum der Ausbildungsberufe und über die
regionale Nachfrage am Ausbildungsmarkt informiert werden. Unter den
erfolgreichen Maßnahmen zur Besetzung von Ausbildungsplätzen sind
Vernetzungsaktivitäten zwischen Schulen und Ausbildungsbetrieben be-
sonders effektiv und müssen daher systematisiert, intensiviert und verste-
tigt werden;

12. durch die flächendeckende Öffnung der Hochschulen für beruflich Qualifi-
zierte die Attraktivität der dualen Ausbildung zu steigern und die Durchläs-
sigkeit des gesamten Bildungssystems zu fördern. Der Weg zur Hochschul-
bildung darf nicht nur über das Abitur, sondern muss auch über die beruf-
liche Ausbildung führen. Ein Wechsel zwischen beiden Systemen muss
durch eine bessere Verzahnung der beruflichen und der akademischen Bil-
dung selbstverständlich werden. Auszubildende müssen im Rahmen ihrer
dualen Ausbildung frühzeitig über Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten
und Karrieremöglichkeiten informiert werden. Anrechnungsverfahren, wie
sie etwa im Rahmen der Initiative ANKOM – Übergänge von der beruf-
lichen in die hochschulische Bildung erprobt wurden, sind flächendeckend
zu etablieren und bedarfsgerechte Angebote für beruflich Qualifizierte zu
entwickeln, die ihre Lebensumstände berücksichtigen.

Berlin, den 9. Mai 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

In der Gesamtschau hat sich die Lage auf dem Ausbildungsmarkt in den letzten
Jahren zugunsten der Bewerberinnen und Bewerber verbessert. Im Jahr 2011
haben in Deutschland mit rund 565 900 Jugendlichen 1,2 Prozent mehr als im
Vorjahr einen neuen Ausbildungsvertrag im Rahmen des dualen Systems abge-
schlossen (Statistisches Bundesamt, 2012). Bei der Bilanzierung des erneuerten
Ausbildungspakts im Februar 2012 vermittelte die Bundesregierung den Ein-
druck, die Probleme auf dem Ausbildungsmarkt hätten sich aufgrund des de-
mografischen Wandels und der guten Konjunktur von selbst gelöst.

Doch der politische Handlungsbedarf in der beruflichen Bildung ist unvermin-
dert hoch.

Die Entwicklung verläuft in den Ländern sehr unterschiedlich. Während die
Zahl der Auszubildenden 2011 im früheren Bundesgebiet um 1,4 Prozent sank,
gab es in den neuen Ländern 11,3 Prozent weniger Auszubildende als 2010.
Entsprechend ist die Zahl der ausbildungsinteressierten Jugendlichen in den
neuen Bundesländern viel stärker gesunken (2006: 224 100, 2011: 125 200) als
in den alten Bundesländern (2007: 821 600, 2011: 709 000). Der deutlich stär-
kere Rückgang der ausbildungsinteressierten Jugendlichen in den neuen Län-
dern ist zum einen auf den demografisch bedingten Rückgang der Schulabgän-
ger und Schulabgängerinnen und zum anderen auf eine höhere Studierneigung
bei den Schulabsolventen mit Hochschulzugangsberechtigung zurückzuführen.

In den alten Bundesländern wird dieser Trend derzeit noch durch die doppelten
Abiturjahrgänge in Bayern und Niedersachsen abgemildert. Wenn nach 2013
auch in dem Flächenland Nordrhein-Westfalen der vorübergehend durch den
doppelten Abiturjahrgang bedingte Zuwachs an Schulabsolventen mit Hoch-

schulreife wieder zurückgeht, werden die Auswirkungen des demografischen
Wandels auch in den alten Bundesländern stärker zu spüren sein. Durch den

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Trend zu höheren Bildungsabschlüssen sinkt die Zahl der leistungsstärkeren
Ausbildungsinteressierten zusätzlich. Angesichts des akuten Fachkräfteman-
gels wird es auch aus volkswirtschaftlichen Gründen zunehmend wichtiger,
dass alle Schulabsolventinnen und -absolventen in Ausbildung gelangen.

Die regionalen und sektoralen Disparitäten führen zunehmend zu Matching-
Problemen. Matching-Probleme auf dem Ausbildungsmarkt bestehen in min-
destens dreifacher Hinsicht: Auf quantitativer Ebene gibt es Unterschiede zwi-
schen Ballungsräumen und ländlichen Regionen, sodass hier Angebot und
Nachfrage an Ausbildungsplätzen und Bewerberinnen/Bewerber auseinander
gehen. Auf qualitativer Ebene passen einerseits die Qualifikationen und/oder
Kompetenzen der Bewerberinnen/Bewerber nicht zu den Erwartungen und An-
forderungen der Betriebe, andererseits stimmen umgekehrt viele Ausbildungs-
platzangebote nicht mit den Berufswünschen der Jugendlichen überein, d. h. sie
sind nicht attraktiv genug.

Vor diesem Hintergrund wurde auch von der Bertelsmann Stiftung in Koopera-
tion mit acht Bundesländern und der Bundesagentur für Arbeit ein Konzept
für „Übergänge mit System“ entwickelt. Über eine dritte Säule – neben dem
dualen System und dem Schulberufssystem – soll eine größtmögliche Zahl von
Jugendlichen zu einer qualifizierten Ausbildung geführt werden.

Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und
FDP die Neustrukturierung des Übergangs für junge Menschen von der allge-
meinbildenden Schule in die Berufsausbildung angekündigt. Dies ist bei Ein-
mündungsquoten, nach denen jeder dritte ausbildungsinteressierte Jugendliche
keinen Ausbildungsplatz findet, auch bitter nötig. Bisher bleibt die Bundes-
regierung aber auf halbem Wege stehen. So empfiehlt die ressortübergreifende
Arbeitsgruppe „Übergang Schule-Beruf“ in ihrem Bericht vom 21. Dezember
2011, die Programme für „marktbenachteiligte“ junge Menschen zu beenden,
ohne Alternativen für die betroffenen Jugendlichen aufzuzeigen.

Die bislang vielfach weder zielgruppengerechten noch zielgerichteten Maß-
nahmen müssen grundsätzlich an den Berufsbildern und innerhalb des dualen
Berufsprinzips als Ausbildungsbausteine so ausgerichtet werden, dass sie kon-
sequent zum Erreichen eines Ausbildungsabschlusses beitragen.

Die Bundesregierung ist von der Erreichung der Ziele des Ausbildungspakts
weit entfernt: Es ist ihr nicht gelungen, die Zahl der 1,5 Millionen 20- bis
29- Jährigen ohne Berufsabschluss zu verringern. Auch das Ziel, bis 2015 die
Anzahl derjenigen ohne Hauptschulabschluss von 8 auf 4 Prozent zu halbieren,
ist nicht mehr erreichbar. Der Beitritt der Beauftragten der Bundesregierung für
Migration, Flüchtlinge und Integration zum Ausbildungspakt blieb für die Inte-
gration im Ausbildungsbereich folgenlos.

Nach wie vor erreichen überproportional viele Jugendliche mit Migrationshin-
tergrund entweder keinen Schulabschluss oder maximal einen Hauptschul-
abschluss. Eine Untersuchung des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB)
hat ergeben, dass Bewerber/Bewerberinnen mit türkisch-arabischem Hinter-
grund keinen Vorteil durch einen mittleren Schulabschluss haben. Die Über-
gangsquoten in eine betriebliche Ausbildung sind mit 20 Prozent für diese jun-
gen Menschen ebenso niedrig wie bei einem Hauptschulabschluss. Selbst wenn
diese Jugendlichen eine (Fach-)Hochschulreife vorweisen können, bleiben ihre
Aussichten auf einen Ausbildungsplatz gering (26 Prozent). Dies ist ein Ar-
mutszeugnis für unser Land. Junge Migrantinnen/Migranten werden bei der
Ausbildungsplatzsuche zudem seltener zu einem Vorstellungsgespräch eingela-
den (vgl. BIBB REPORT, Heft 16/11). Diese Problematik wird auch durch die
Bilanz des Pilotprojekts der Antidiskriminierungsstelle des Bundes deutlich.
Eine sehr ähnliche Situation ist bei jungen Menschen mit Behinderung zu be-

obachten. Nur ein kleiner Teil dieser Gruppe bekommt die Möglichkeit, eine
betriebliche Ausbildung zu absolvieren, während der weitaus größere Teil ent-

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weder auf Berufsbildungswerken und Werkstätten für behinderte Menschen
verwiesen oder in oft nur mäßig auf ihre Bedürfnisse eingerichtete Übergangs-
maßnahmen untergebracht wird. Auch hier spielen Vorurteile über Leistungsfä-
higkeit und Zuverlässigkeit der Ausbildungsuchenden eine bedeutende Rolle.
„Diversity“ muss endlich als ein Erfolgsfaktor von Unternehmen erkannt wer-
den. Die positiven Erfahrungen mit anonymisierten Bewerbungsverfahren im
Pilotprojekt der Antidiskriminierungsstelle des Bundes sollten zukünftig auch
bei den Bewerbungsverfahren um Ausbildungsplätze berücksichtigt werden.

Um die Chancen für Bewerberinnen und Bewerber mit Behinderung in an-
erkannten Ausbildungsberufen nachhaltig zu verbessern, müssen Bund, Länder
und Wirtschaft ihre Anstrengungen zur Inklusion auch im Berufsbildungs-
bereich intensivieren. Auch deswegen ist es notwendig, dass Bund und Länder
das Kooperationsverbot in der Bildung aufheben, um gemeinsame Programme
zur Inklusion zu ermöglichen.

Auch die Stabilität von Ausbildungsverhältnissen sollte als ein Indikator für
Leistungsfähigkeit des dualen Systems der Berufsausbildung in den Blick ge-
nommen werden. Mit 23 Prozent stieg die Quote der Vertragslösungen in 2010
gegenüber dem Vorjahr sogar leicht an. Unterschiedliche Erwartungen durch
Arbeitgeber und Auszubildendem sowie falsche Vorstellungen von dem Beruf
spielen hierbei eine große Rolle. Es liegt auf der Hand, dass Bund und Länder
dem Problem gemeinsam durch gezielte präventive Maßnahmen begegnen
können, zum Beispiel durch eine flächendeckende frühzeitige Berufs- und Stu-
dienorientierung an allen Schulen.

Bildungsarmut wird hierzulande stärker als in anderen Ländern der Organisa-
tion für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) vererbt.
Dies zeigt sich in einer mangelnden schulischen Grundbildung, mangelnden
Sprachkompetenzen oder im Extremfall in funktionalem Analphabetismus, der
die betroffenen Menschen massiv in ihren sozialen, kulturellen, politischen und
ökonomischen Teilhabemöglichkeiten einschränkt. Das verstärkt den Fach-
kräftemangel und die Abhängigkeit von Transferleistungen, führt zu sozialer
Spaltung und massiven volkswirtschaftlichen Schäden für die Gesellschaft.

Wie in den Anträgen auf den Bundestagsdrucksachen 16/12680 und 17/541 be-
reits ausgeführt, bietet das grüne Ausbildungskonzept DualPlus für diese Pro-
bleme passgenaue Lösungen an.

Mit DualPlus erhalten die Jugendlichen ein ergänzendes Angebot im Rahmen
des bewährten dualen Ausbildungsprinzips, die keinen betrieblichen Ausbil-
dungsplatz gefunden haben. Leistungsstarke Jugendliche haben heute gute
Chancen einen Ausbildungsplatz zu erhalten. DualPlus konzentriert sich daher
in erster Linie auf marktbenachteiligte Jugendliche und junge Menschen mit
Förderbedarf. Je nach regionalen Gegebenheiten des Ausbildungsmarkts und
der Konjunktur kann DualPlus flexibel auf Veränderungen reagieren.

Ineffiziente Warteschleifen und Maßnahmen des Übergangssystems, die jähr-
lich mehrere Milliarden Euro verschlingen, müssen durch wirkliche Über-
gangsschritte ersetzt werden. DualPlus reformiert daher den Übergangssektor
zwischen Schule und Ausbildung so, dass jeder Ausbildungsschritt anerkannt
und auf eine berufliche Ausbildung angerechnet werden kann. Ein Wechsel in
eine betriebliche Ausbildung ist nach Abschluss jedes Ausbildungsbausteins
möglich, eine betriebliche Ausbildung genießt stets Vorrang.

Vor allem kleine Betriebe bilden zunehmend weniger aus, weil sie nicht das
Know-how oder die Kapazitäten haben, um die Verantwortung für eine voll-
ständige Ausbildung zu übernehmen. DualPlus ermöglicht diesen Betrieben,
sich an der betrieblichen Ausbildung zu beteiligen und damit auch für ihren

eigenen Fachkräftenachwuchs zu sorgen, indem sie einzelne betriebliche
Module anbieten.

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DualPlus setzt damit genau bei den Betrieben und den Jugendlichen an, die
nicht bereits im Rahmen des dualen Ausbildungssystems zueinander gefunden
haben. Es ist eine ergänzende Struktur, die das duale Ausbildungssystem unter-
stützt und nicht mit ihm konkurriert.

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