BT-Drucksache 17/9569

Nanotechnologie - Chancen nutzen und Risiken minimieren

Vom 9. Mai 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9569
17. Wahlperiode 09. 05. 2012

Antrag
der Abgeordneten Nicole Maisch, Dorothea Steiner, Kerstin Andreae, Krista Sager,
Birgitt Bender, Hans-Josef Fell, Dr. Tobias Lindner, Cornelia Behm, Harald Ebner,
Bärbel Höhn, Undine Kurth (Quedlinburg), Friedrich Ostendorff, Markus Tressel,
Bettina Herlitzius, Dr. Anton Hofreiter, Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer,
Stephan Kühn, Dr. Hermann E. Ott, Daniela Wagner, Dr. Valerie Wilms und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Nanotechnologie – Chancen nutzen und Risiken minimieren

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Nanotechnologie gilt als eine der Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhun-
derts mit großem Potential für Umwelttechnik, Material- und Ressourceneffi-
zienz, Informations- und Kommunikationstechnik, Medizin und andere inno-
vative Produktentwicklungen. Weltweit gibt es inzwischen zahlreiche neue
Materialien und Produkte. Im Bereich der Untersuchung und Analyse kleinster
Strukturen sind nanotechnologische Methoden nicht mehr wegzudenken. Auch
die wirtschaftliche Bedeutung des industriellen Nanotechnologiesektor wächst.
Derzeit sind nach Angaben des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) e. V. in
Deutschland 960 überwiegend mittelständische Unternehmen in diesem Bereich
tätig. Laut Bundesregierung steht der industrielle Nanotechnologiesektor für
64 000 Mitarbeiter und Jahresumsätze von rund 14 Mrd. Euro; sie erwartet in den
nächsten Jahren einen weiteren Anstieg der Umsatz- und Beschäftigtenzahlen
(Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf
Bundestagsdrucksache 17/8885).

Gleichzeitig warnen sowohl Nichtregierungsorganisationen aus den Bereichen
Verbraucher-, Umwelt- und Arbeitsschutz als auch staatliche Einrichtungen wie
das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), das Umweltbundesamt (UBA)
und der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) vor möglichen Risiken
bestimmter Nanopartikel und -materialien für die menschliche Gesundheit und
die Umwelt. Nach wie vor bestehen große Wissenslücken über die veränderten
Eigenschaften von Nanomaterialien sowie deren Folgen. Das gilt auch für viele
Produkte, die bereits auf dem Markt sind. Daher ist es sowohl auf nationaler als
auch auf internationaler Ebene nötig, das Vorsorgeprinzip von der Produktent-
wicklung über die Markteinführung bis zur Entsorgung konsequent anzuwenden.
Um die bestehenden Wissenslücken zu schließen, ist es unverzichtbar, die Si-
cherheits- und Risikoforschung deutlich auszuweiten. Einige Studien haben be-
reits ernst zu nehmende Hinweise auf die Ökotoxizität bestimmter Nanopartikel
ergeben. Besonders bedenklich ist es, wenn im verbrauchernahen Bereich Nano-
materialien eingesetzt werden, für die bis heute nicht geklärt ist, ob diese Parti-
kel in ungebundener Form die Blut-Hirn-Schranke überwinden können.

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Gerade auch damit die positiven Innovations- und Wertschöpfungspotentiale
nanotechnologischer Verfahren und Materialien ausgeschöpft und weiterent-
wickelt werden können, sollte die Vorsorge bei der Entwicklung von Nano-
produkten und -verfahren bereits zum frühestmöglichen Zeitpunkt im Innova-
tionsprozess einsetzen und eine Einschätzung des Risikopotentials für Mensch
und Umwelt möglich machen, lange bevor eine staatliche Regulierung greift.
Neben der Verstärkung der begleitenden Sicherheitsforschung sollten Vorsorge-
kriterien schon beim Produktdesign berücksichtigt werden; hierbei ist z. B.
zwischen fest in einer Matrix gebundenen und ungebundenen Partikeln zu un-
terscheiden. Bei der Bewertung und Zulassung von Nanoprodukten und Nano-
materialien auf nationaler und europäischer Ebene müssen Risiken für Gesund-
heit und Umwelt durch eine strikt am Vorsorgeprinzip orientierte Regulierung
begrenzt werden. Dabei muss den veränderten Eigenschaften von Nanomateria-
lien durch nanospezifische angepasste Verfahren Rechnung getragen werden.
Entscheidend für eine erfolgreiche Markteinführung sind darüber hinaus trans-
parente Information und Aufklärung der Verbraucherinnen und Verbraucher
über Chancen und Risiken dieser neuen Technologie.

Die Bundesregierung hat kurz vor Veröffentlichung des mit konkreten Hand-
lungsempfehlungen verbundenen Abschlussberichts der von ihr eingesetzten
NanoKommission (Februar 2011) den wenig konkreten „Aktionsplan Nanotech-
nologie 2015“ ins Leben gerufen (Januar 2011). Die Empfehlungen der Nano-
Kommission fanden darin keine Berücksichtigung und wurden seitdem weit-
gehend ignoriert. Der Aktionsplan leistet keinen Beitrag zur Entwicklung
gesellschaftlich breit getragener Leitbilder zur nachhaltigen Gestaltung der Na-
notechnologie, wie von der NanoKommission empfohlen. Auch hat die Bundes-
regierung es versäumt, Transparenz über die Mittel herzustellen, die während
der Laufzeit des Aktionsplans von 2011 bis 2015 in die Nanotechnologieförde-
rung und speziell in die Sicherheits- und Risikoforschung fließen sollen. Für die
weitere Forschung muss eine ressortübergreifende Strategie entwickelt werden
unter Einbeziehung der Ressortforschung und der Bundesbehörden, wie des
Bundesamts für Arbeitsschutz und des Umweltbundesamts.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

dafür Sorge zu tragen, dass das Vorsorgeprinzip zum Schutz von Mensch und
Umwelt als Leitprinzip für die Entwicklung und Nutzung der Nanotechnologie
konsequent angewendet wird; das bedeutet,

1. im gesamten Entwicklungs- und Innovationsprozess frühzeitig den nano-
spezifischen Vorsorgebedarf bei synthetischen Nanomaterialien und deren
Anwendungen für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, Verbraucher und
Verbraucherinnen und die Umwelt in strukturierter Weise abzuschätzen;

2. bei der Bewertung von Nanoprodukten ihre gesamte Lebensspanne zu be-
trachten, von der Produktentwicklung über den Produktionsprozess und die
Anwendung bis hin zur Entsorgung und möglichen Wiederverwertung;

3. geeignete Vorsorge zu treffen, um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die
beruflich mit Nanomaterialen in Kontakt kommen, vor gesundheitlichen
Risiken zu schützen;

4. das Haftungsregime für Nanoprodukte entsprechend den Empfehlungen des
SRU der Bundesregierung zu regeln;

5. nanospezifische Prüf- und Zulassungsverfahren zu entwickeln und verpflich-
tend durchzuführen, bevor ein Produkt auf den Markt kommt, um die Sicher-
heit der verwendeten Materialien im Bezug auf Gesundheit und Umwelt zu

gewährleisten;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9569

6. solange und soweit nanospezifische Prüf- und Zulassungsverfahren sowie
Haftungsregelungen noch fehlen, ist für verbrauchernahe und umweltoffene
Anwendungen von Nanomaterialien nur eine vorläufige Zulassung in Be-
tracht zu ziehen, die unter dem Vorbehalt einer erneuten Prüfung steht;

7. sich in Bezug auf das erstmalige Inverkehrbringen von verbrauchernahen und
umweltoffenen Anwendungen von Nanomaterialien, die Nanopartikel frei-
setzen können und bei denen mögliche Risiken und Auswirkungen auf
Mensch und Umwelt nicht ausreichend bewertet sind, für den Erlass eines
Rechtsaktes zur Einführung eines Moratoriums auf EU-Ebene einzusetzen,
das bis zur Etablierung nanospezifischer Prüf- und Zulassungsverfahren gel-
ten soll.

Für den Fall, dass eine solche rechtliche Regelung auf europäischer Ebene
nicht zeitnah realisierbar sein sollte, sind entsprechende nationale gesetzliche
Regelungen zu schaffen;

8. ebenso für bereits auf dem Markt befindliche Produkte eine Ermächtigungs-
grundlage zu schaffen, die es Behörden im Besorgnisfall ermöglicht, Maß-
nahmen wie Einsatzbeschränkungen oder das vom Markt Nehmen bestimm-
ter Produkte zu ergreifen. Gelten soll diese Ermächtigungsgrundlage für alle
Nanoprodukte und -anwendungen, sofern diese nicht bereits durch andere,
dem Vorsorgeprinzip entsprechende Rechtsgrundlagen gegeben ist. Sollte die
Einführung einer Ermächtigungsgrundlage auf EU-Ebene nicht zeitnah reali-
sierbar sein, sind entsprechende nationale gesetzliche Regelungen zu schaf-
fen. Außerdem ist nach der Entwicklung nanospezifischer Prüf- und Zulas-
sungsverfahren eine nachträgliche Risikoprüfung durchzuführen;

9. sich auf EU-Ebene nachdrücklich dafür einzusetzen, dass

a) eine umfassendere Definition des Begriffs Nanomaterialien im Gemein-
schaftsrecht festgeschrieben wird;

b) die Entschließung des Europäischen Parlaments zu Regelungsaspekten
bei Nanomaterialien (T6-0328/2009 vom 24. April 2009) bei der Entwick-
lung von Regulierungsvorschlägen umfassend berücksichtigt wird. Insbe-
sondere soll die Bundesregierung darauf hinwirken, dass eine Überarbei-
tung aller einschlägigen Rechtsvorschriften vorgenommen wird, um die
Unbedenklichkeit aller Anwendungen von Nanomaterialien für Gesund-
heit, Umwelt und Sicherheit zu gewährleisten und dafür zu sorgen, dass
die Bestimmungen und Durchführungsinstrumente den besonderen Merk-
malen von Nanomaterialien Rechnung tragen. Dabei ist es besonders
wichtig, dass Nanomaterialien ausdrücklich bei Rechtsvorschriften über
Chemikalien, Nahrungsmittel, Arbeitnehmerschutz sowie bei Rechtsvor-
schriften über Luftqualität, Gewässerqualität und Abfälle behandelt wer-
den;

c) die Verhandlungen über die EU-Verordnung über neuartige Lebensmittel
wieder neu aufgenommen werden und ein Zulassungsverfahren sowie die
Kennzeichnung für Lebensmittel, die Nanobestandteile enthalten, einge-
führt werden;

d) im Rahmen der anstehenden Novellierung der europäischen Chemikalien-
richtlinie REACH festgeschrieben wird, dass Nanomaterialien zukünftig
verpflichtend als eigene Stoffe behandelt werden müssen und spezifische
Datenanforderungen sowie Prüf- und Bewertungsverfahren für Nanoma-
terialien festgeschrieben werden;

alle gesellschaftlichen Akteure im Sinne von Transparenz, Partizipation und
Aufklärung bei der Erforschung und Nutzung der Nanotechnologie einzube-

ziehen; das bedeutet,

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10. in einem Nano-Zukunftsdialog mit Vertretern und Vertreterinnen von Wis-
senschaft, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Behörden zur Entwicklung von
gesellschaftlich breit getragenen Leitbildern zur nachhaltigen Erforschung
und Anwendung der Nanotechnologie beizutragen und die Ergebnisse öf-
fentlich bekannt zu machen;

11. die zuständigen Behörden mit besseren Informationen auszustatten und
Verbraucher und Verbraucherinnen besser über Chancen und Risiken von
Nanoprodukten zu informieren und die Wahlfreiheit zwischen Produkten
mit und ohne Nanomaterialien zu gewährleisten. Dafür ist zeitnah die Ein-
führung

a) einer Meldepflicht für Nanoprodukte,

b) eines öffentlich zugänglichen Nanoproduktregisters auf nationaler wie
auf EU-Ebene sowie

c) einer verständlichen und verbraucherorientierten Produktkennzeichnung
für verbrauchernahe und umweltoffene Nanoprodukte

entsprechend den Empfehlungen des SRU-Gutachtens zwingend notwendig.
Sofern mit der Verwendung von Nanoprodukten bestimmte Risiken verbun-
den sind, müssen Verbraucher und Verbraucherinnen unter Angabe von Ver-
wendungshinweisen darauf aufmerksam gemacht werden;

im Rahmen der Forschungsförderung zur Nanotechnologie, zu Nanomaterialien
und -partikeln

12. den Anteil der Mittel für die begleitende Sicherheits- und Risikoforschung
deutlich zu erhöhen – mindestens auf jeweils 10 Prozent der für Nanofor-
schung insgesamt zur Verfügung gestellten Mittel – und dabei dafür Sorge
zu tragen, dass

a) eine ressortübergreifende Strategie auf dem Feld der Begleitforschung
zu Sicherheits- und Risikofragen entsprechend der Empfehlung der
NanoKommission entwickelt wird;

b) die Lücken bei der Lebenszyklusbetrachtung von Nanomaterialien ge-
schlossen werden und dabei verbrauchernahe Anwendungsbereiche und
Auswirkungen auf die Umwelt in den Fokus gestellt werden. Entwick-
lungen und Ergebnisse der internationalen, insbesondere der europä-
ischen Forschung sind dabei einzubeziehen;

c) Informationen über laufende und abgeschlossene Forschungsvorhaben
zu Sicherheits- und Risikofragen zentral öffentlich zugänglich gemacht
werden;

13. im Rahmen der Forschungsförderung die Entwicklung und Erprobung von
Bewertungsverfahren zu unterstützen, die zu einem frühen Zeitpunkt im
Innovationsprozess zur Einschätzung von Nanomaterialien hinsichtlich
ihres möglichen Risiko- und Nutzenpotentials geeignet sind;

14. die Entwicklung von gesellschaftlich breit getragenen Leitbildern für eine
„Nachhaltige Nanotechnologie“ und deren Designprinzipien voranzutrei-
ben und diese Leitbilder in die Hightech-Strategie der Bundesregierung und
die Forschungsstrategien und Forschungsförderung der obersten Bundesbe-
hörden und Bundesinstitute einzubeziehen sowie in eine Leitbildentwick-
lung beim Nano-Aktionsplan der Bundesregierung aufzunehmen;

15. einen stakeholderübergreifenden Dialog – z. B. branchenspezifisch – wei-
terzuführen, wie Innovationsprozesse im Sinne eines Leitbildes von „Nach-

haltiger Nanotechnologie“ vorangetrieben werden können;

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16. dafür Sorge zu tragen, dass bei der Entwicklung und Weiterentwicklung re-
levanter Forschungsfragen zur Nanotechnologie gesellschaftliche Akteure
wie Umwelt- und Verbraucherschutzverbände, Unternehmen und Arbeit-
nehmervertreter einbezogen werden;

17. ein Konzept zu entwickeln, um entsprechend den Empfehlungen der Nano-
Kommission die Vergabe öffentlicher Forschungsgelder an die Einhaltung
der fünf Prinzipien zum verantwortungsvollen Umgang mit Nanomateria-
lien – Good Corporate Governance, Transparenz, Dialog, Risikomanage-
ment, Verantwortung – zu binden;

18. in den Verhandlungen zur Ausgestaltung des neuen EU-Forschungspro-
gramms „Horizon 2020“ darauf hinzuwirken, dass der Bereich der beglei-
tenden Sicherheits- und Risikoforschung einen Forschungsschwerpunkt
bildet und die Ausrichtung der Forschungsförderung im Bereich Nanotech-
nologie dem Leitbild einer „Nachhaltigen Nanotechnologie“ entspricht;

19. neben der Stärkung der wichtigen Grundlagen- und Risikoforschung die
Forschungsförderung im anwendungsorientierten Bereich auf nanotechno-
logische Ansätze, die einen gesellschaftlichen und ökologischen Mehrwert,
z. B. für den Klimaschutz, die Energiewende, die Umweltsanierung oder
den Ersatz toxischer Stoffe erwarten lassen, auf hohem Niveau fortzufüh-
ren. Nanotechnologische Forschungsansätze, die eine Verbesserung der
Lebensumwelt und technologischen Fortschritt erwarten lassen, wie zum
Beispiel in der IUK-Technologie, erneuerbare Energien, Effizienztechnolo-
gien, Medizintechnik u. a. sollten gestärkt werden, problematische Ansätze
wie neuartige Waffensysteme, Überwachungstechnologien, unnütze Lebens-
mittelzusätze oder von vorherein klar erkennbare toxikologisch bedenk-
liche Anwendungen sollten keine öffentliche Forschungsunterstützung er-
halten;

20. eine steuerliche Forschungsförderung in Form einer Steuergutschrift von
15 Prozent auf alle Forschungs- und Entwicklungsausgaben für Unterneh-
men mit bis zu 250 Mitarbeitern einzuführen.

Berlin, den 9. Mai 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Zur Definition von Nanotechnologie

Nanomaterialien sind nach einer Definition der EU-Kommission natürliche, bei
Prozessen anfallende oder hergestellte Materialien, die Partikel in ungebunde-
nem Zustand, als Aggregat oder als Agglomerat enthalten und bei denen min-
destens 50 Prozent der Partikel in der Anzahlgrößenverteilung ein oder mehrere
Außenmaße im Bereich von 1 nm bis 100 nm haben.

Aufgrund ihrer geringen Größe (1 Nanometer = 1 Milliardstel Meter) weisen
Nanopartikel deutlich vom Ausgangsstoff abweichende physikalische und che-
mische Eigenschaften auf. Allerdings können auch Partikel, die größer als 100 nm
sind, bereits grundlegend veränderte Eigenschaften aufweisen, weshalb unter
anderem das UBA, der SRU und der Bund für Umwelt und Naturschutz
Deutschland e. V. eine vorsorgende Überprüfung der Materialeigenschaften be-

reits ab einer Größe von 300 Nanometern empfehlen. Für eine effektive und
konsistente Regulierung im Nanobereich sind deshalb eine einheitliche und

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breite Definition des Begriffs sowie eine Übertragung ins Gemeinschaftsrecht
notwendig. Die EU-Kommission hat angekündigt, ihre Definition im Dezember
2014 zu überprüfen, um sicherzustellen, dass sie der rasch voranschreitenden
technologischen Entwicklung und dem Stand der Wissenschaft entspricht.

Chancen der Nanotechnologie

Nanotechnologien können einen großen Mehrwert zur Wohlstandsverbesserung,
zur wirtschaftlichen Entwicklung, zum Umwelt- und Klimaschutz, zur Medizin-
technik, für IUK-Technologien beisteuern. So können neuartige glatte, schmutz-
abweisende Oberflächenstrukturen neue Möglichkeiten zur Hygienevorsorge,
zur Effizienzverbesserung in Fahr- und Flugzeugen, zur Lärmreduktion im
Verkehr oder industriellen, wie häuslichen Maschinen geben. Neuartige, sogar
steuerbare nanotechnologische Glasstrukturen können die Solar-, Laser- und
Bautechnologie bezüglich Lichtlenkung, Beleuchtung, Dämmung und Laseran-
wendungen revolutionieren. Nanoskalige Strukturen können die Informations-
speicherdichten und Geschwindigkeiten bei der Informationsverarbeitung in der
Computertechnologie verbessern. Nanostrukturen können Prothesen in der Me-
dizintechnik verbessern, z. B. bei Seh- oder Hörhilfen. Nanotechnologische Ver-
fahren in der Biotechnologie, vor allem wenn sie mit der bionischen Forschung
verbunden werden, können die Fotosynthese für die Gewinnung neuartiger
nachhaltiger Biokraftstoffe oder Biokunststoffe erschließen sowie katalytische
Verfahren für material- und energiesparende chemische Herstellungsprozesse
fördern.

Zum Vorsorgeprinzip als Grundlage für den verantwortungsvollen Umgang mit
der Nanotechnologie

Ein verantwortungsbewusster Umgang mit Nanotechnologien basiert auf einer
umfassenden Anwendung des Vorsorgeprinzips in Forschung und Entwicklung
über die Produktentwicklung und -vermarktung bis hin zur Entsorgung. Die
Bundesregierung muss die Rahmenbedingungen für solch einen verantwortli-
chen Umgang mit der Nanotechnologie gestalten. Grundlage eines solchen ver-
antwortungsbewussten Handelns sind fundiertes Wissen über das Verhalten der
verschiedenen Nanopartikel und Informationen über deren Verbreitung durch
Produkte und Anwendungen.

Während die Anzahl der auf dem Markt befindlichen nanohaltigen Produkte ste-
tig zunimmt, bestehen in der begleitenden Risiko- und Sicherheitsforschung
weiterhin große Wissenslücken. Das kann erhebliche negative Auswirkungen
für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, Verbraucher und Verbraucherinnen
oder die Umwelt haben. Deshalb müssen schnellstmöglich alle Möglichkeiten
ausgeschöpft werden, um diese Wissenslücke mit einer ressortübergreifenden
Forschungsstrategie zu schließen und die Verwendung von Nanomaterialien an-
gemessen zu regulieren. Denn mit der Anzahl der auf dem Markt befindlichen
Anwendungen und Produkte steigt auch das Risiko, dass Nanopartikel in größe-
rem Umfang in die Umwelt gelangen oder sich im menschlichen Körper anrei-
chern.

Die konsequente Anwendung des Vorsorgeprinzips als Leitprinzip für die Erfor-
schung und Nutzung der Nanotechnologie umfasst dabei nicht nur regulatori-
sche Aspekte, sondern auch eine vorläufige Risikoabschätzung, solange vali-
dierte Mess- und Testmethoden noch nicht ausreichend zur Verfügung stehen.

Frühzeitig im Innovationsprozess, lange vor der möglichen Vermarktung eines
Produkts, müssen Industrie und Gewerbe im Sinne unternehmerischer Verant-
wortung bereits abschätzen, welche Gefahren für den Menschen oder die Um-
welt entstehen könnten. Dafür müssen Forschung und Behörden geeignete
Hilfsmittel zum Erkennen möglicher Risiken im Umgang mit synthetischen Na-

nomaterialien zur Verfügung stellen. Ein positives Beispiel ist das Schweizer

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/9569

„Vorsorgeraster Synthetische Nanomaterialien“. Zur vorläufigen Risikoabschät-
zung von Nanopartikeln und -materialien hat auch die Arbeitsgruppe (AG) 2 der
NanoKommission in ihrer ersten Arbeitsphase Besorgnis- und Entlastungskrite-
rien entwickelt. Dieser wegweisende Ansatz sollte unbedingt weiterverfolgt
werden. Der Arbeitsschutz von Beschäftigten in Labors und industriellen An-
lagen, die beruflich intensiv mit Nanomaterialien in Kontakt kommen, verdient
in diesem Zusammenhang besondere Beachtung. Unternehmen, die sich nicht
beteiligen oder andere Prinzipien des verantwortungsvollen Umgangs mit Nano-
materialien vernachlässigen, sollten durch angepasste Haftungsregelungen im
Sinne der Gefährdungshaftung zur Verantwortung gezogen werden können, wie
vom SRU empfohlen.

Zu Risiken und Regulierung

Derzeit mehren sich Hinweise auf Risiken und Nebenwirkungen von bestimm-
ten Nanopartikeln: Polystyrol-Kunststoffpartikel beeinflussten das Fressverhal-
ten und den Fettstoffwechsel von Fischen negativ. Bestimmte ungebundene
Kohlenstoffröhrchen (Nanotubes) können Lungenerkrankungen auslösen und
stehen im Verdacht, das Erbgut zu schädigen. Ceriumoxidpartikel, die als Addi-
tive für Dieselkraftstoffe eine effizientere Verbrennung fördern sollen, reicher-
ten sich im Tierversuch nach dem Einatmen in der Leber an und zeigten dort
toxische Wirkung. Inhalierte Eisenoxidpartikel können heftige allergische Reak-
tionen bei den stark exponierten und häufig bereits gesundheitlich vorbelasteten
Arbeitern und Arbeiterinnen in der Textilindustrie auslösen. Titandioxid und
Zinkoxid, beide bereits im verbreiteten industriellen Einsatz, hemmten im Ver-
such das Wachstum von Weizen und schädigten die Bodenfruchtbarkeit. Alumi-
niumoxid in Nanogröße, das z. B. auch als Poliermittel in verbrauchernahen
Produkten zum Einsatz kommt, förderte im Versuch die Übertragung von Anti-
biotikaresistenzgenen von harmlosen Bakterien auf die gefährlichen Salmo-
nellen. Das BfR warnt zudem in einer aktuellen Pressemitteilung vor den Gefah-
ren einer kombinierten Antibiotika- und Silberresistenz von Krankheitserregern,
die durch den leichtfertigen Einsatz von Nanosilber in Verbraucherprodukten
gefördert wird. Die wertvolle antimikrobielle Wirkung des Silbers in medizi-
nischen Anwendungen würde dadurch gefährdet.

Da der Eintrag von Nanomaterialien in die Umwelt, zum Beispiel über das
Waschwasser von Nanosilbertextilien, irreversibel ist, muss er verhindert wer-
den, solange mögliche Auswirkungen auf Mensch und Umwelt nicht umfassend
analysiert und bewertet sowie ernsthafte Risiken nicht ausgeschlossen werden
können. Sonst drohen uns ähnliche Probleme wie zum Beispiel mit perflourier-
ten Kohlenwasserstoffen (PFCs), deren ubiquitäres Vorkommen in Wasser,
Böden und Organismen uns weiterhin vor massive Probleme stellt, obwohl sie
bereits weitgehend verboten sind.

Um das potentielle Risiko, das von Nanomaterialien und ihrer Verwendung aus-
gehen kann, besser einschätzen zu können, müssen die möglichen Wirkungen
von Nanopartikeln im gesamten Lebenszyklus – von der Herstellung und der
Weiterverarbeitung über die Verwendung, Entsorgung und mögliche Wiederver-
wertung – betrachtet werden. Dabei ist einzubeziehen, wie groß die möglichen
Stoffmengen eines ungewollten Eintrags in die Umwelt sind beziehungsweise
wie hoch die Wahrscheinlichkeit einer Anreicherung in der Umwelt oder im
menschlichen Organismus ist. Doch geeignete, validierte Messverfahren für
Nanomaterialien stehen noch nicht ausreichend zur Verfügung. Hier besteht er-
heblicher Forschungs- und Entwicklungsbedarf.

Schutz von Menschen und Umwelt gewährleisten

Bevor ein Produkt auf den Markt kommt, das Nanopartikel enthält, muss dessen

Sicherheit gewährleistet werden. Dafür sind nanospezifische Prüf- und Zulas-
sungsverfahren verpflichtend einzuführen. Die Verwendung von Nanomate-

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rialien und Nanoprodukten, bei denen schwerwiegende Gesundheits- und
Umweltgefahren nicht ausgeschlossen werden können, muss im Sinne des Vor-
sorgeprinzips unterbleiben.

Hier wäre die strikte Befolgung des Prinzips „no data, no market“ (keine Ver-
marktung eines Stoffs ohne Durchführung bestimmter Prüfungen) ein wichtiger,
bisher nicht realisierter Bausteine. Dazu ist die europäische Chemikalienricht-
linie REACH grundsätzlich geeignet. Sie muss jedoch um spezifische Rege-
lungen zu Nanomaterialien ergänzt und stärker vorsorgeorientiert ausgestaltet
werden.

Bis nanospezifische Prüf- und Zulassungsverfahren sowie Haftungsregelungen
in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen und die Prüfung und Bewertung
von Nanomaterialien ausreichend gesetzlich geregelt ist, ist daher im Sinne des
Vorsorgeprinzips für das erstmalige Inverkehrbringen von verbrauchernahen
und umweltoffenen Produkten, die Nanopartikel freisetzen können und bei de-
nen mögliche Risiken und Auswirkungen auf Mensch und Umwelt nicht ausrei-
chend bewertet sind und daher eine zumindest abstrakte Besorgnis anzunehmen
ist, ein rechtswirksames Moratorium (Verbot mit Zulassungsvorbehalt) als
Übergangslösung zu erlassen. Dieses hat insbesondere zu gelten für Lebensmit-
tel und deren Zusatzstoffe, Verpackungen und Aromen, frei verkäufliche Aero-
sole (Sprays), Baby- und Kinderprodukte und Textilien, sofern diese Nanobe-
standteile enthalten, sowie für alle Anwendungen von Nanosilber für nicht
medizinische Zwecke.

Für Nanomaterialien, die sich bereits auf dem Markt befinden, ist eine Ermäch-
tigungsgrundlage einzuführen, die es Behörden ermöglicht, bei Vorliegen einer
konkreten oder abstrakten Besorgnis nach einer Abwägung von Nutzen und
Risiken Maßnahmen wie Einsatzbeschränkungen oder das vom Markt Nehmen
bestimmter Produkte zu ergreifen. Nach der Entwicklung nanospezifischer Prüf-
und Zulassungsverfahren ist außerdem eine nachträgliche Risikoprüfung durch-
zuführen.

Die Schaffung eines solchen Moratoriums bzw. einer solchen Ermächtigungs-
grundlage auf europäischer Ebene wäre angesichts der Zielsetzung des Vertrages
über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), ein EU-weit hohes
Schutzniveau für Verbraucher und die Umwelt zu schaffen (Artikel 12 und 169
– Verbraucherschutz –; Artikel 11 und 191 – Umweltschutz, Grundsatz der Vor-
sorge) sowie aufgrund des europäischen Binnenmarktes und des freien Waren-
verkehrs innerhalb der EU wünschenswert.

Die Bundesregierung ist aufgefordert, sich im Rahmen der Ratsverhandlungen
auf EU-Ebene für den Erlass eines entsprechenden Rechtsaktes einzusetzen.

Sollte ein Moratorium bzw. eine solche Ermächtigungsgrundlage auf europä-
ischer Ebene nicht zeitnah realisierbar sein, sind im Sinne des Vorsorgeprinzips
entsprechende nationale gesetzliche Regelungen zu schaffen, die sich auf die
Artikel 20a (Staatsziel Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen) und 2 (Recht
auf körperliche Unversehrtheit) des Grundgesetzes stützen können sowie auf die
Artikel 114 und 191 AEUV, der es Nationalstaaten ermöglicht, zum Schutz von
Umwelt und Gesundheit über das Gemeinschaftsrecht hinausgehende Bestim-
mungen zu erlassen. Während die Bundesregierung sich für ein rechtswirksames
Moratorium auf EU-Ebene einsetzt, soll sie – für den Fall, dass eine europäische
Regelung nicht zeitnah zustande kommt – entsprechende nationale gesetzliche
Regelungen vorbereiten. Hierzu ist zu prüfen, welche nationale Maßnahmen er-
griffen werden können und müssen, um zur Schutzverstärkung über bereits
bestehende europäische Regelungen hinauszugehen, welche Produkte und Nano-
materialien genau einbezogen werden sollten und welche Folgewirkungen und
Implikationen ein nationales gesetzliches Moratorium haben könnte.

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Auch die Entschließung des Europäischen Parlaments zu Regelungsaspekten bei
Nanomaterialien (T6-0328/2009) vom 24. April 2009 hat dringenden Regulie-
rungsbedarf aufgezeigt und der Kommission eine Frist von zwei Jahren zur An-
passung des Europäischen Rechts gesetzt. Diese Anpassung ist leider bisher nur
in begrenzter Weise erfolgt.

Zur besseren Information und Transparenz

Viele Bürger und Bürgerinnen können mit der Begrifflichkeit „Nano“ noch nicht
viel anfangen. Darüber hinaus ist es für die Verbraucher und Verbraucherinnen
in vielen Fällen noch nicht ersichtlich, in welchen Produkten Nanomaterialien
enthalten sind – und welche möglichen Auswirkungen damit für die eigene Ge-
sundheit oder die Umwelt verbunden sein können. Verbraucher und Verbrauche-
rinnen haben aber das Recht zu wissen, was in den Produkten steckt, die sie kau-
fen.

Eine verbindliche Verbraucheraufklärung und die Kennzeichnung bestimmter
Nanoprodukte sind deshalb notwendig und geeignet, um die notwendige Trans-
parenz herzustellen. Für Produkte, deren Inhaltsstoffe bereits nach jetziger
Rechtslage auf der Verpackung anzugeben sind, sollte die Kennzeichnung um
einen „Nanozusatz“ ergänzt werden. Eine neue Kennzeichnungspflicht sollte für
Produkte eingeführt werden, bei denen durch nanoskalige Inhaltsstoffe be-
stimmte relevante Wirkungen (z. B. antibakterielle Wirkungen) erzielt werden
oder die Nanomaterialien freisetzen. Sofern mit der Verwendung von Nanopro-
dukten bestimmte Risiken verbunden sind, müssen Verbraucher und Verbrau-
cherinnen darauf unter Angabe von Verwendungshinweisen aufmerksam ge-
macht werden.

Damit der Staat im Interesse seiner Bürger und Bürgerinnen seinen Kontroll-
und Informationspflichten nachkommen kann, ist der Aufbau einer Meldepflicht
und eines öffentlich zugänglichen Registers für nanomaterialhaltige Produkte
notwendig, wie es auch das UBA und der SRU empfohlen haben. Dieser In-
formationsanspruch muss mit dem Schutz öffentlicher Interessen (Sicherheit,
Gesundheit, Umweltschutz) und privater Interessen (Datenschutz, Geschäfts-
geheimnisse) abgewogen werden und im Vollzug für die Behörden handhabbar
sein.

Planungen für ein nationales Register müssen weitergeführt werden, damit die-
ses kurzfristig realisiert werden kann, falls die Verwirklichung eines europä-
ischen Registers nicht zeitnah realisierbar scheint oder scheitert.

Ein europäisches Produktregister hat auch der Bundesminister für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit, Dr. Norbert Röttgen, bei der Präsentation des
Abschlussberichts der NanoKommission gefordert.

Das Register sollte, zusammen mit weiterführenden Informationen, über eine
zentrale und neutrale Online-Plattform zugänglich gemacht werden, vergleich-
bar dem neuen Nanoportal Baden-Württembergs.

Zur Forschung

Deutschland gibt mit steigender Tendenz erhebliche Mittel für die Forschung im
Bereich Nanotechnologie und Nanomaterialien aus und nimmt dabei weltweit
hinter den USA und Japan den dritten Platz ein. Dies ist auch fortzuführen, um
die damit einhergehenden wirtschaftlichen, ökologischen, medizinischen und
technologischen Chancen ausnutzen zu können. Dabei richten sich aufgrund der
neuen Eigenschaften von Materialien im nanoskaligen Bereich hohe Erwartun-
gen an die Anwendungsmöglichkeiten, u. a. auch für mehr Ressourceneffizienz,
Energieeinsparung und -speicherung oder für medizinische Zwecke. Es existie-

ren aber große Wissenslücken über die Auswirkungen und Folgen des Einsatzes
von Nanomaterialien und nanotechnologischen Verfahren. Die begleitende

Drucksache 17/9569 – 10 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Sicherheits- und Risikoforschung und die dafür eingesetzten Mittel hinken der
rasanten Entwicklung hinterher. Insbesondere fehlen Erkenntnisse, die den
gesamten Lebenszyklus von Nanomaterialien und -produkten einbeziehen. Die
NanoKommission der Bundesregierung fordert deshalb zu Recht seit langem
eine deutliche Erhöhung der Mittel für die Risiko- und Sicherheitsforschung.
Der notwendige Anteil für die Sicherheits- und Risikoforschung des Gesamt-
haushalts von 371 Mio. Euro (Bundesministerium für Bildung und Forschung,
vgl. Bundestagsdrucksache 17/8885) sollte jeweils mindestens 10 Prozent, das
entspricht insgesamt 74,2 Mio. Euro, ausmachen. Zudem muss sichergestellt
werden, dass diese für die Risikoforschung vorgesehenen Forschungsmittel
nicht zweckentfremdet werden, z. B. für Akzeptanzprogramme, wie dies bei-
spielsweise in der Gentechnik geschah. Das Europäische Parlament fordert
ebenfalls eine erhebliche Aufstockung der Mittel für Forschung über die Um-
welt-, Gesundheits- und Sicherheitsaspekte von Nanomaterialien im gesamten
Lebenszyklus und empfiehlt hierfür neben der Anpassung der Vergabekriterien
zugunsten von mehr Risikoforschung auch die Einrichtung eines besonderen
europäischen Fonds im Forschungsrahmenprogramm. Ergebnisse der Sicher-
heits- und Risikoforschung sollten auf der bereits erwähnten zentralen Online-
Plattform öffentlich zugänglich gemacht werden, damit diese auch von kleinen
und mittleren Unternehmen oder für den Arbeits- und Verbraucherschutz früh-
zeitig berücksichtigt werden können.

Die Entwicklung und Implementierung von Leitbildern für eine an Nachhaltig-
keitsprinzipien orientierte Nanotechnologie sind ein vielversprechender Ansatz.
Bei technologischen Entwicklungen stehen häufig zunächst die technische
Machbarkeit und wirtschaftliche Potentiale im Fokus. Der Ansatz der leitbild-
orientierten Technikentwicklung sucht dagegen nach gesellschaftlich gewünsch-
ten und akzeptierten Zukunftsbildern und stellt den gesellschaftlichen Mehrwert
in den Mittelpunkt bei gleichzeitiger weitgehender Vermeidung von Risiken und
negativen Effekten. Im Falle der Nanotechnologie geht es dabei sowohl um die
Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien als Designprinzipien in For-
schung und Entwicklung als auch um die Orientierung an Nachhaltigkeitszielen
bei der Anwendung. Die AG „Green Nano“ hat in der zweiten Arbeitsphase der
NanoKommission Vorschläge für die Entwicklung solch gesellschaftlich getra-
gener Leitbilder gemacht und Prinzipien für ein nachhaltiges Design im Bereich
der Nanotechnologie erarbeitet. Die technologischen Lösungen selbst sollen
nachhaltig und risikoarm gestaltet werden, indem beispielsweise sicherheits-,
umwelt- oder gesundheitsgefährdende Nanostrukturen und toxische Stoffe im
Entwicklungsprozess vermieden werden. Dabei ist der gesamte Lebenszyklus
der Produkte zu betrachten, auch im Hinblick auf die Energieeffizienz.

Die Bundesregierung sollte die Empfehlungen und Vorschläge der AG „Green
Nano“ aufgreifen, beispielsweise durch die Ausschreibung eines Wettbewerbs
zum Thema Nachhaltigkeit in der Nanotechnologie. Zur Entwicklung und Ver-
ankerung von Leitbildern für eine nachhaltige Nanotechnologieentwicklung ist
ein Dialogprozess mit den wichtigsten Stakeholdern und gesellschaftlichen Ak-
teuren aus der Wissenschaft, aus Unternehmen, Verbraucherschutz-, Umwelt-
verbänden, und Arbeitnehmervertretungen zu entwickeln. Die Ergebnisse sind
der breiten Öffentlichkeit und allen relevanten Fach-Communities bekannt zu
machen und in den relevanten nationalen Forschungsstrategien zu verankern
(Hightech-Strategie, Nano-Aktionsplan, koordinierte Forschungsförderung von
UBA, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, BfR, Bundesanstalt
für Materialforschung und -prüfung). Außerdem müssen gesellschaftliche
Akteure in die Definition von Forschungsprioritäten und Forschungsfragen zur
Nanotechnologie einbezogen werden. Die Nationale Forschungsstrategie Bio-
Ökonomie 2030 sollte internationale Forschungsvorhaben und -ergebnisse ein-

beziehen.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 11 – Drucksache 17/9569

Zur steuerlichen Forschungsförderung

Die Nanotechnologie birgt erhebliches Potential für deutsche Unternehmen.
Derzeit haben heimische Unternehmen bei vielen Nanotechnologieanwendun-
gen eine marktführende Position und besetzen auch in der Forschung und deren
industrieller Umsetzung einen Spitzenplatz. Diese Innovationsstärke sollte wei-
ter ausgebaut werden, denn Innovationen sind die Triebfedern zukünftiger Wert-
schöpfung. Drei Viertel der deutschen Unternehmen, die sich mit Nanotechno-
logie befassen, sind kleine bis mittlere Unternehmen. Diese haben oft nicht die
Kapazitäten, um aufwändige Forschungsförderanträge zu stellen. Die staatliche
Forschungsförderung fließt deshalb vor allem in Großunternehmen. Um diese
Lücke zu schließen, ist eine steuerliche Forschungsförderung notwendig, die
sich an kleine und mittlere Unternehmen richtet. Dies wurde auch von der Ex-
pertenkommission für Forschung und Innovation (EFI) in ihrem Jahresgutach-
ten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutsch-
lands 2012 erneut betont.

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