BT-Drucksache 17/9545

Auftragsvergabe an private Dienstleister im Bereich des Bundesministerium des Innern

Vom 16. Mai 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9545
17. Wahlperiode 16. 05. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Korte, Steffen Bockhahn, Ulla Jelpke, Jens Petermann,
Dr. Petra Sitte, Frank Tempel und der Fraktion DIE LINKE.

Auftragsvergabe an private Dienstleister im Bereich
des Bundesministeriums des Innern

Nachdem am 8. Oktober des vergangenen Jahres durch eine Analyse des Chaos
Computer Club e. V. (CCC) die massiven Eingriffsmöglichkeiten und Schwächen
des sogenannten Staatstrojaners aufgedeckt worden waren, geriet die Vergabe
von Aufträgen an Privatunternehmen zur Herstellung staatlicher Überwachungs-
software in die Kritik.

Dabei war es vor allem die hessische Firma DigiTask GmbH, die in den Fokus
der Öffentlichkeit geriet. Die DigiTask GmbH unterliegt bereits seit 2001 der
Geheimschutzbetreuung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Techno-
logie (Bundestagsdrucksache 17/7760) und erhielt von verschiedenen Bundes-
behörden (u. a. vom Bundeskriminalamt – BKA, dem Zollkriminalamt – ZKA
und den Landeskriminalämtern – LKAs) Aufträge in Millionenhöhe, um auch
rechtsstaatlichen Standards nicht genügende und nicht kontrollierbare Überwa-
chungssoftware herzustellen.

Begründet wird die Beauftragung von Privatunternehmen mit finanziellen Vor-
teilen und der bei den Sicherheitsbehörden fehlenden, zumindest nicht aus-
reichend vorhandenen Expertise.

Im Jahr 2010 ergaben sich beispielsweise für eine selbstprogrammierte Über-
wachungssoftware des BKA Kosten in Höhe von 680 000 Euro, während man
für den TKÜ-Trojaner (TKÜ = Telekommunikationsüberwachung) der Firma
DigiTask GmbH lediglich 15 000 Euro Mietgebühr für drei Monate und 200 000
Euro für die jährliche Generallizenz aufbringen musste (SPIEGEL ONLINE,
„Behörden sollen Trojaner selbst programmieren“/heise online, „Staatstrojaner:
Privater ,Vermögenswert‘ wiegt mehr als Grundrechte“, 23. November 2011).

Um Kosten einzusparen, werden die Entwicklung, Betreuung und möglicher-
weise auch der Einsatz von Technik und Instrumenten, die tiefste Eingriffe in
Grundrechte ermöglichen, in die Hände von Privatfirmen verkauft. Es ist, auch
das haben die Auseinandersetzungen um den sogenannten Staatstrojaner noch
einmal gezeigt, kaum nachvollziehbar, wie diese agieren, wie sie mit den hoch-
sensiblen Produkten umgehen und wie eine Kontrolle durch die dafür zuständi-
gen Gerichte und Behörden überhaupt noch gewährleistet werden könnte.
Medienberichten zufolge, gehört das BKA auch zum Kundenstamm jener Fir-
mengruppe, zu der die Gamma International GmbH zählt.

Gamma International GmbH geriet im März 2011 in die Schlagzeilen, weil sie
dem ehemaligen ägyptischen Staatschef Hosni Mubarak Produkte der Reihe
FinFisher anbot, die es ermöglichen, PCs und Smartphones mit Überwachungs-
trojanern zu infizieren. Zudem erhielten die ägyptischen Behörden eine Testver-

Drucksache 17/9545 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

sion des Programms, mit der sie über fünf Monate lang Oppositionelle ausspio-
nierten. („Schnüffeltechnik für die Welt“, taz, 15. Dezember 2011).

Im konkreten Falle des Staatstrojaners war aufgrund des „Geschäfts- und Be-
triebsgeheimnisses“ der Firma DigiTask GmbH nicht einmal dem Bundesminis-
terium des Innern (BMI) der Quellcode der Trojaner-Software einsehbar. Erst
der CCC konnte die durch die fahrlässige Programmierung entstandenen massi-
ven Sicherheitslücken des Trojaners aufdecken. Peter Schaar, Bundesbeauftrag-
ter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, bestätigte in seinem Prüf-
bericht zur „Quellen-Telekommunikationsüberwachung durch die Sicherheits-
behörden des Bundes“, dass „die Anforderungen des […] Bundesdatenschutz-
gesetzes zur Gewährleistung des Datenschutzes [bei der Programmierung des
Staatstrojaners] nicht erfüllt wurden“.

Um solche offensichtlichen Fehlleistungen zukünftig zu vermeiden, wollen das
BKA und die Bundesregierung die Entwicklungshoheit von TKÜ-Trojanern in
die Hände der Bundesbehörden legen, die im extra eingerichteten „Kompetenz-
zentrum Informationstechnische Überwachung“ (CC ITÜ) arbeiten sollen. Da-
für werden dem BKA zusätzlich 2,2 Mio. Euro im Bundeshaushalt bereitgestellt
(Bundestagsdrucksache 17/8279). Damit ist das Problem des Auslagerns von
Know-how für Entwicklung, Einsatz, Kontrolle und Auswertung sicherheits-
technischer IT-Instrumente keineswegs umfassend gelöst.

In den Fragen 1 bis 18 wird nach allen sicherheitsrelevanten Ausgaben (z. B.
Forschungsprojekte, Studien, Erprobungen, Soft- und Hardwareentwicklung/
Leasing/Kauf/Betreuung, biometrische und Videoerkennungstechniken, thema-
tische Konferenzen, etc.) im Zusammenhang mit den originären Aufgaben der
Behörden im Geschäftsbereich des BMI gefragt.

Die Fragesteller räumen der Bundesregierung, im Interesse einer umfassenden
Beantwortung der Fragen, eine Fristverlängerung bis zum 31. Mai 2012 ein.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Aufträge hat die Bundespolizei (BPOL) seit 2002 an externe
Dienstleister vergeben, und welche Kosten sind dadurch entstanden (bitte
nach Jahren, Gesamtanzahl der vergebenen Aufträge und Gesamtkosten auf-
schlüsseln)?

2. In welchen Bereichen und mit welcher thematischen Anforderung und Ziel-
setzung hat die BPOL welche Aufträge, Projekte, Studien, Forschungen und
Erprobungen an welche externen Dienstleister in welcher Höhe seit 2002 ver-
geben (bitte konkret auflisten)?

3. Wie viele Aufträge hat das BKA seit 2002 an externe Dienstleister vergeben,
und welche Kosten sind dadurch entstanden (bitte nach Jahren, Gesamtan-
zahl der vergebenen Aufträge und Gesamtkosten aufschlüsseln)?

4. In welchen Bereichen und mit welcher thematischen Anforderung und Ziel-
setzung hat das BKA welche Aufträge, Projekte, Studien, Forschungen und
Erprobungen an welche externen Dienstleister in welcher Höhe seit 2002 ver-
geben (bitte konkret auflisten)?

5. Wie viele Aufträge hat das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstech-
nik (BSI) seit 2002 an externe Dienstleister vergeben, und welche Kosten
sind dadurch entstanden (bitte nach Jahren, Gesamtanzahl der vergebenen
Aufträge und Gesamtkosten aufschlüsseln)?

6. In welchen Bereichen und mit welcher thematischen Anforderung und Ziel-
setzung hat das BSI welche Aufträge, Projekte, Studien, Forschungen und

Erprobungen an welche externen Dienstleister in welcher Höhe seit 2002
vergeben (bitte konkret auflisten)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9545

7. Wie viele Aufträge haben der Zoll bzw. das Bundesministerium für Finan-
zen im Bereich Innere Sicherheit seit 2002 an externe Dienstleister vergeben
und welche Kosten sind dadurch entstanden (bitte nach Jahren, Gesamtan-
zahl der vergebenen Aufträge und Gesamtkosten aufschlüsseln)?

8. In welchen Bereichen und mit welcher thematischen Anforderung und Ziel-
setzung hat der Zoll welche Aufträge an welche externen Dienstleister in
welcher Höhe seit 2002 vergeben (bitte konkret auflisten)?

9. Wie viele Aufträge hat das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) seit
2002 an externe Dienstleister vergeben, und welche Kosten sind dadurch
entstanden (bitte nach Jahren, Gesamtanzahl der vergebenen Aufträge und
Gesamtkosten aufschlüsseln)?

10. In welchen Bereichen und mit welcher thematischen Anforderung und Ziel-
setzung hat das BfV welche Aufträge an welche externen Dienstleister in
welcher Höhe seit 2002 vergeben (bitte konkret auflisten)?

11. Wie viele Aufträge hat das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Kata-
strophenhilfe (BBK) seit 2002 an externe Dienstleister vergeben, und welche
Kosten sind dadurch entstanden (bitte nach Jahren, Gesamtanzahl der ver-
gebenen Aufträge und Gesamtkosten aufschlüsseln)?

12. In welchen Bereichen und mit welcher thematischen Anforderung und Ziel-
setzung hat das BBK welche Aufträge an welche externen Dienstleister in
welcher Höhe seit 2002 vergeben (bitte konkret auflisten)?

13. Wie viele Aufträge hat die Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden
und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BDBOS) seit 2002 an externe
Dienstleister vergeben, und welche Kosten sind dadurch entstanden (bitte
nach Jahren, Gesamtanzahl der vergebenen Aufträge und Gesamtkosten
aufschlüsseln)?

14. In welchen Bereichen und mit welcher thematischen Anforderung und Ziel-
setzung hat die BDBOS welche Aufträge an welche externen Dienstleister
in welcher Höhe seit 2002 vergeben (bitte konkret auflisten)?

15. Wie viele Aufträge hat die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW)
seit 2002 an externe Dienstleister vergeben, und welche Kosten sind da-
durch entstanden (bitte nach Jahren, Gesamtanzahl der vergebenen Aufträge
und Gesamtkosten aufschlüsseln)?

16. In welchen Bereichen und mit welcher thematischen Anforderung und Ziel-
setzung hat die THW welche Aufträge an welche externen Dienstleister in
welcher Höhe seit 2002 vergeben (bitte konkret auflisten)?

17. Wie viele Aufträge hat das Bundesverwaltungsamt (BVA) seit 2002 an ex-
terne Dienstleister vergeben, und welche Kosten sind dadurch entstanden
(bitte nach Jahren, Gesamtanzahl der vergebenen Aufträge und Gesamtkos-
ten aufschlüsseln)?

18. In welchen Bereichen und mit welcher thematischen Anforderung und Ziel-
setzung hat das BVA welche Aufträge an welche externen Dienstleister in
welcher Höhe seit 2002 vergeben (bitte konkret auflisten)?

19. In welchen Bereichen und mit welcher thematischen Anforderung und Ziel-
setzung hat das BMI – über die in den Fragen 1 bis 18 angesprochenen hi-
naus – welche Aufträge, Projekte, Studien, Forschungen und Erprobungen
an welche externen Dienstleister in welcher Höhe seit 2005 vergeben (bitte
konkret auflisten)?

20. Auf welche Art und Weise begleitet und kontrolliert das BMI den Prozess

der Auftragserfüllung, und wie viele Regressverfahren haben seit 2005 mit
welchem Ergebnis jeweils stattgefunden?

Drucksache 17/9545 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
21. Welche Rolle spielt bei diesen Auftragsvergaben das Beschaffungsamt des
BMI/des Bundes?

22. Welche der in den Fragen 1 bis 19 aufgeführten Auftragsvergaben wurden
mit welchem Ergebnis vom Bundesrechnungshof geprüft?

23. Wie viele und welche Lizenzen hat das BMI von welchen externen Dienst-
leistern seit 2005 in welcher Höhe erworben, und welche dieser Lizenzen
beinhalten die Weitergabe von Hard- oder Software an weitere deutsche
Bundes- und Landesbehörden und ausländische Behörden (bitte einzeln
auflisten)?

24. Der Praxiseinsatz welcher auf Lizenzbasis seit 2005 erworbener Hard- oder
Software wird durch den jeweiligen Lizenzgeber bzw. Dienstleister unmit-
telbar betreut (bitte einzeln auflisten)?

25. Welche Produkte der in den Fragen 1 bis 19 erfragten Aufträge wurden oder
werden von der Bundeswehr im In- oder Ausland, vom Bundesnachrichten-
dienst oder vom Amt für den Militärischen Abschirmdienst genutzt?

26. Welche Produkte der in den Fragen 1 bis 19 erfragten Aufträge wurden,
nach Kenntnis der Bundesregierung, von welchen EU-Mitgliedstaaten oder
Drittstaaten ebenfalls erworben?

27. Für welche Abnehmer dieser Produkte (Frage 25) wurden von Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeitern von Bundesbehörden Schulungs- oder Bildungs-
veranstaltungen, Kurse oder Ähnliches durchgeführt (bitte auch den perso-
nellen und zeitlichen Aufwand einzeln auflisten)?

28. In welchen dieser Fälle wurden die Kurse oder andere Veranstaltungen ganz
oder teilweise in Kooperation mit den externen Dienstleistern durchgeführt?

29. Welche Ergebnisse hat die Untersuchung der Kooperationsmöglichkeiten
von Bund, Ländern und weiteren Kooperateuren im Rahmen des CC ITÜ
gebracht, die der Aufbaustab im BKA durchgeführt hat?

30. Welche der in den Fragen 1 bis 19 erfragten Dienstleister sind derzeit oder
zukünftig geplant mit welchen Aufgaben in die Arbeit des CC ITÜ einge-
bunden?

Berlin, den 16. Mai 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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