BT-Drucksache 17/9544

Umsetzung der Listen terroristischer Organisationen und Personen von der Europäischen Union und den Vereinten Nationen

Vom 7. Mai 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9544
17. Wahlperiode 07. 05. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Heidrun Dittrich, Heike Hänsel,
Inge Höger, Andrej Hunko, Niema Movassat, Alexander Ulrich, Kathrin Vogler
und der Fraktion DIE LINKE.

Umsetzung der Listen terroristischer Organisationen und Personen
von der Europäischen Union und den Vereinten Nationen

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 haben die Vereinten Nationen
(UN) eine sogenannte Terrorliste eingeführt. Gelder, finanzielle Vermögens-
werte und wirtschaftliche Ressourcen der in der Liste aufgeführten Personen,
Vereinigungen und Körperschaften sind einzufrieren, ihnen dürfen weder direkt
noch indirekt Gelder, andere finanzielle Vermögenswerte und wirtschaftliche
Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Die gelisteten Personen unterliegen
zudem einem Ein- und Durchreiseverbot in oder durch die Mitgliedstaaten. Auf
Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 des Rates vom 27. Dezember
2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete
restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus hat der Rat der Euro-
päischen Union (EU) neben der UN-Terrorliste eine eigene darüber hinausge-
hende Terrorliste beschlossen. Der EU-Ministerrat muss nach dem in der Regel
auf Geheimdienstinformationen beruhenden Antrag des Innenministers eines
Mitgliedstaates einstimmig entscheiden, wer auf diese Liste kommt. Bis auf die
Beschränkung der Reisefreiheit gelten für die darauf Gelisteten dann dieselben
Sanktionen wie bei der UN-Liste.

Obwohl mit der EU-Terrorliste – wie die Bundesregierung zuletzt auf Bundes-
tagsdrucksache 17/9076 einräumte – „Nach dem Gemeinsamen Standpunkt
2001/931/GASP […] ausschließlich Finanzsanktionen“ verhängt werden, wird
eine Listung von deutschen Behörden auch im Asyl- und Ausländerrecht sowie
bei der Begründung von Haftbefehlen nach § 129b des Strafgesetzbuchs (StGB)
herangezogen.

Der Sonderermittler des Europarates, Dick Marty, beklagte im November 2007
bei Vorstellung seines Berichts, dass auch gänzlich unschuldige Menschen, die
aufgrund „vager Verdachtsmomente“ in das Visier des US-Geheimdienstes CIA
(Central Intelligence Agency) geraten sind, durch die Terrorlisten von UN und
EU mit einer „zivilen Todesstrafe“ belegt werden.
Wir fragen die Bundesregierung:

1. Hat die Bundesregierung Kenntnis, nach welchem Verfahren Personen oder
Organisationen in die von der EU und den UN geführten Terrorlisten aufge-
nommen werden?

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2. Hat die Bundesregierung Kenntnis, ob, und inwieweit die Gründe für eine
Listung von Personen oder Organisationen auf Informationen von Geheim-
diensten basieren?

a) Auf welche Art und Weise ist – nach Kenntnis der Bundesregierung – das
EU-Geheimdienstzentrum SitCen in dieses Verfahren eingebunden?

b) In wie vielen Fällen lieferte das SitCen Informationen sowohl zum Listing
als auch zum Delisting?

3. Wie wird – nach Kenntnis der Bundesregierung – sichergestellt, dass eine
Listung auf der EU-Terrorliste auf Antrag eines Mitgliedstaates nicht dazu
dient, die anderen Mitgliedstaaten zur Verfolgung unliebsamer politischer
Bewegungen zu verpflichten?

4. In wie vielen und welchen Fällen wurden – nach Kenntnis der Bundesregie-
rung – in der EU Gelder oder sonstige Vermögenswerte der auf den EU- und
UN-Terrorlisten genannten Organisationen, Körperschaften oder Einzelper-
sonen seit deren Einführung eingefroren (bitten einzeln nach Staaten und Jah-
ren aufschlüsseln)?

a) Welche und wie viele Gruppierungen oder Einzelpersonen waren davon
betroffen?

b) Wie hoch waren die eingefrorenen Gelder oder Vermögenswerte jeweils?

c) Wo wurden diese Gelder oder Vermögenswerte aufgefunden?

d) In wie vielen und welchen Fällen wurde den auf den Listen genannten
Personen oder Unterstützern der genannten Organisationen oder Körper-
schaften die Bereitstellung von Geldern, Krediten oder sonstigen wirt-
schaftlichen Ressourcen verweigert?

e) In wie vielen und welchen Fällen wurden eingefrorene Gelder wieder frei-
gegeben?

5. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Umsetzung
der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 des Rates vom 27. Dezember 2001 in
den einzelnen Staaten der EU?

6. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über die Einleitung strafrecht-
licher Schritte gegen in Deutschland ansässige Firmen, Institutionen oder
Personen wegen geschäftlicher Beziehungen mit auf den EU- und UN-Ter-
rorlisten genannten Organisationen, Personen oder Körperschaften?

7. Welche, und wie viele Verstöße gegen § 34 des Außenwirtschaftsgesetzes im
Zusammenhang mit auf den EU- und UN-Terrorlisten genannten Organisa-
tionen oder Personen innerhalb des Bundesgebietes sind der Bundesregie-
rung seit deren Einführung bekannt?

a) In welchen dieser Fälle kam es zu einer Anklageerhebung?

b) In welchen dieser Fälle kam es zu einer Verurteilung, und in welcher
Höhe?

c) In welchen Fällen kam es zu einer Einstellung oder einem Freispruch?

d) In welchen dieser Fälle erfolgte zugleich eine Anklage nach § 129b StGB?

e) In welchen dieser Fälle erfolgte zugleich eine Verurteilung nach § 129b
StGB?

8. Hat die Bundesregierung Kenntnis, in wie vielen und welchen Fällen betrof-
fene Einzelpersonen oder Organisationen gegen Maßnahmen deutscher
Behörden im Zusammenhang mit der EU-Terrorliste geklagt haben, und mit

welchem Erfolg?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9544

9. Hat die Bundesregierung Kenntnis, in wie vielen und welchen Fällen und vor
welchen Gerichten Einzelpersonen oder Organisationen gegen ihre Listung
auf der EU- oder UN-Terrorliste geklagt haben, und mit welchem Erfolg?

10. In wie vielen und welchen Fällen führte eine Listung auf der EU- oder UN-
Terrorliste auch zur Einleitung von statusrechtlichen Maßnahmen im Rah-
men des Asyl- und Aufenthaltsrechts (bitte aufschlüsseln nach Auswei-
sungsverfügungen; Entscheidungen über die Erteilung von Aufenthalts-
und Niederlassungserlaubnissen; abgelehnten Asylanträgen; Asylwiderrufs-
entscheidungen; politische Betätigungsverbote nach dem Aufenthaltsge-
setz; Maßnahmen zur Überwachung von Ausländern nach § 54a des Auf-
enthaltsgesetzes; Entscheidungen über Einbürgerungsanträge)?

11. Welche der auf der EU- oder UN-Terrorliste genannten Organisationen oder
Einzelpersonen sind nach Erkenntnis der Bundesregierung im Bundesge-
biet aktiv bzw. aufhältig?

12. In wie vielen und welchen Fällen wurden aufgrund einer Nennung in der
UN-Terrorliste Einreiseverbote nach Deutschland verhängt bzw. eine Ein-
reiseerlaubnis verwehrt bzw. Personen ausländischer Herkunft des Bundes-
gebietes verwiesen?

13. Wie viele auf der UN- oder EU-Terrorliste genannte Personen befanden
oder befinden sich in Deutschland in Haft (bitte nach Art der Haft, Zeit-
punkt und Dauer der Inhaftierung aufschlüsseln)?

14. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Aussage des
EU-Anti-Terrorismus-Koordinators Gilles De Kerchove, wonach eher poli-
tische Gründe für eine Listung in der EU-Terrorliste ausschlaggebend seien?

15. Hat die Bundesregierung Kenntnis, inwieweit seit der vom Sonderermittler
des Europarates Dick Marty geäußerten Kritik Ende 2007 Modifikationen
an der EU-Terrorliste bzw. dem Verfahren ihrer Erstellung vorgenommen
wurden?

16. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Kritik des
UN-Beobachters für Menschenrechte und Grundrechte im Kampf gegen den
Terrorismus, Martin Scheinin, der die rechtsstaatlichen Einschränkungen
durch das Listungsregime der UN für nicht länger hinnehmbar hält und der
Auffassung ist, dass der Sicherheitsrat mit dessen Aufrechterhaltung seine
Kompetenzen überschreitet, weil die Voraussetzungen nach Artikel 39
UN-Charta nicht mehr vorliegen (siehe „Blacklisted: Targeted sanctions,
preemptive security and fundamental rights“, herausgegeben vom ECCHR
– European Center for Constitutional and Human Rights –, 2010)?

17. Inwieweit wurden bislang Schritte zur Einführung einer Ombudsperson für
die EU-Terrorliste analog zur Einführung eines solchen Postens für die UN-
Terrorliste unternommen?

a) Befürwortet die Bundesregierung die Einrichtung eines solchen Postens,
und wenn ja, was macht sie zur Realisierung einer solchen Institution?

b) Welche Alternativen zur Stelle einer Ombudsperson sieht die Bundes-
regierung?

18. Welche Evaluationen der EU-Terrorliste gab es – nach Kenntnis der Bun-
desregierung – bislang, und mit welchem Ergebnis?

19. In welcher Form werden die auf die EU-Terrorliste aufgenommenen Perso-
nen und Organisationen von ihrer Listung und den dafür ausschlaggeben-
den Gründen in Kenntnis gesetzt?
20. In wie vielen und welchen Fällen wurden Personen oder Organisationen
wieder von den EU- und UN-Terrorlisten gestrichen (bitte Grund nennen)?

Drucksache 17/9544 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
21. In wie vielen und welchen Fällen, und mit welchem Ergebnis haben auf der
EU-Terrorliste genannte Personen und Organisationen bislang beim Gene-
ralsekretariat des Rates einen Antrag auf Überprüfung ihrer Listung einge-
reicht?

22. Welchen Zeitraum für ein Verfahren zum Delisting hält die Bundesregie-
rung gegenüber Betroffenen für zumutbar?

23. Wie können Betroffene aus Sicht der Bundesregierung nach einem Delis-
ting für die unrechtmäßige Listung einen Ausgleich für die über viele Jahre
hinweg entstandenen finanziellen Einbußen und die Demoralisierung erhal-
ten?

24. Inwieweit existiert im Zusammenhang mit der EU-Terrorliste eine Frei-
gabeklausel für Mittel zur Zahlung von professioneller, angemessener
Rechtsberatung für die Gelisteten?

25. Inwieweit sieht die Bundesregierung eine Verpflichtung von Unternehmen
und Finanzdienstleistern zum regelmäßigen Abgleich ihrer Geschäftskon-
takte mit den EU- und UN-Terrorlisten?

26. Inwieweit sieht die Bundesregierung den Bund schon aus hoheitsrecht-
lichen Gründen in der Pflicht zur kostenlosen Bereitstellung entsprechend
einheitlicher Software an Unternehmen zum Abgleich von Geschäftskon-
takten mit den EU- und UN-Terrorlisten?

27. Welche volkswirtschaftlichen Kosten sind nach Schätzung der Bundes-
regierung bislang durch die EU- und UN-Terrorlisten entstanden?

Berlin, den 7. Mai 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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