BT-Drucksache 17/9446

Kriminalisierung von internationalem linken Aktivismus und Anarchismus durch die Polizeiagentur Europol

Vom 24. April 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9446
17. Wahlperiode 24. 04. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Annette Groth, Inge Höger, Ulla Jelpke,
Niema Movassat, Alexander Ulrich, Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Kriminalisierung von internationalem linken Aktivismus und Anarchismus
durch die Polizeiagentur Europol

Laut dem Protokoll der Ratsarbeitsgruppe „Terrorismus“ organisiert die EU-
Polizeiagentur Europol am 25. April 2012 eine Konferenz zu Anarchismus
(Ratsdokument 7705/12). Über den Ort werden keine Angaben gemacht. Die
Mitteilung durch einen Vertreter von Europol erfolgte im Rahmen eines Referats
der italienischen Delegation über Aktivitäten der „Federazione Anarchica Infor-
male“ (FAI). Jedoch soll sich die Konferenz von Europol laut der Gruppe „Out
of Control Berlin“ auch auf Aktivitäten gegen „Schienennetzwerke“ fokussieren
(http://outofcontrol.blogsport.de/2012/04/08/geheimdienste-und-polizeien-auf-
loesen-anarchy-in-the-eu). Unklar ist, welche Kampagnen hier gemeint sind.
Auf die Schriftliche Frage 6 des Abgeordneten Andrej Hunko auf Bundestags-
drucksache 17/9225 wurde seitens der Bundesregierung anderslautend berichtet,
das Treffen widme sich dem „Linksextremismus/-terrorismus“ und dessen an-
geblichen „Angriffe[n] auf Zugtransporte“. Auch hier ist unklar, welche „Zug-
transporte“ gemeint sein sollen. Die Fragesteller vermuten, dass die Aktivitäten
von Europol den legitimen Widerstand linker Bewegungen gegen sinnlose
Großprojekte (z. B. TAV in Italien und Spanien, Stuttgart 21 in Deutschland)
schwächen sollen.

Laut der Bundesregierung sollen zudem Aktivitäten des „No Border-Netzwerks“
auf der Konferenz von Europol thematisiert werden. Wieder ist offen, inwiefern
dies in der Zuständigkeit von Europol liegen soll. Unter Umständen sind Vor-
kommnisse wie auf dem Grenzcamp 2010 in Brüssel gemeint. Die belgische
Polizei wollte in einer beispiellosen Aktion verhindern, dass die Teilnehmerinnen
und Teilnehmer sich am Ende einer internationalen Gewerkschaftsdemonstration
einreihen. Geholfen hatte dabei vermutlich der später aufgeflogene deutsche
Polizeispitzel Simon Bromma. Der vom Landeskriminalamt (LKA) Stuttgart
geführte verdeckte Ermittler schlich sich ins Camp ein und unterwanderte dessen
Organisationsstrukturen. Seine „Erkenntnisse“ gab Simon Bromma an das LKA
Stuttgart weiter. Womöglich gelangten daraufhin Falschinformationen an die bel-
gische Polizei, die zur Festnahme von „96 Anarchisten“ führte. Derart vermel-
dete es ein Polizeisprecher ohne Angabe von Gründen für die Verhaftungen

(http://datarecollective.net/node/21). Weder führten diese verbotene Gegen-
stände mit, noch nahmen sie strafrechtlich relevante Handlungen vor. Es liegt
also nahe, dass die Festnahmen wegen einer vermuteten anarchistischen Gesin-
nung vorgenommen wurden, denn den Festgenommenen wurde keinerlei Vor-
wurf gemacht.

Auch der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA) Jörg Ziercke hatte linken
Aktivismus mit einem angeblichen militanten „Anarchismus“ ineinsgesetzt. Im

Drucksache 17/9446 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Januar letzten Jahres war Jörg Ziercke vom Innenausschuss des Deutschen Bun-
destages befragt worden, wozu seine Behörde mit Großbritannien ausgiebig
verdeckte Ermittler tauscht. Jörg Ziercke hatte zur Begründung der staatlichen
Unterwanderung des G8-Gipfels 2007 und des NATO-Gipfels 2009 eine angeb-
liche „Europäisierung der Anarchoszene“ aus Griechenland, Spanien, Groß-
britannien, Frankreich, Dänemark und Deutschland angeführt (www.spiegel.de/
politik/deutschland/0,1518,741826,00.html). Die Bundesregierung präzisiert,
der Spitzelaustausch anlässlich der Gipfelproteste sei gegen eine „grenzüber-
schreitenden Versendung von Briefbomben“ gerichtet (Bundestagsdrucksache
17/5736). Der Präsident des BKA wiederum begründete die in Heiligendamm
eingesetzten britischen Spitzel mit dem Vorgehen gegen „Euroanarchisten, mili-
tante Linksextremisten und -terroristen“. Der Begriff „Euro-Anarchisten“ war
bis dahin im deutschen Sprachraum nicht gebräuchlich. Laut der Konkretisierung
der Antwort vom 17. Juni 2011 auf die Schriftliche Frage 10 des Abgeordneten
Andrej Hunko auf Bundestagsdrucksache 17/6272 am 6. Juli 2011 durch den Par-
lamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister des Innern Dr. Ole Schröder
handelt es sich dabei um einen „Arbeitsbegriff der Sicherheitsbehörden, der auf
etwaige Beziehungen bestimmter anarchisch-autonomer Gruppierungen in ein-
zelnen EU-Mitgliedstaaten untereinander abstellt“. Das BKA habe dazu im
Rahmen der Zentralstellenfunktion an einem „Informationsaustausch mit Sicher-
heitsbehörden des Bundes und einzelnen Partnerbehörden aus verschiedenen EU-
Mitgliedstaaten zu ‚Euroanarchisten‘“ teilgenommen.

Neben Europol widmet sich auch der EU-Geheimdienst SitCen dem „Phänomen
,Anarchismus‘“ (Schriftliche Frage 27 des Abgeordneten Andrej Hunko, Bun-
destagsdrucksache 17/8279). Im Oktober 2011 hatte der Dienst ein „Situation
Assessment“ erstellt, für das auch das deutsche Bundesamt für Verfassungs-
schutz einen Beitrag lieferte.

Bei Europol einlaufende Erkenntnisse werden im jährlichen „Terrorism Situa-
tion and Trend Report“ (TE-SAT) publiziert. Zu den von „anarchist extremists“
unterstützten Themen berichtet der TE-SAT 2010 „anti-capitalism, anti-milita-
rism, anti-fascism and the ,No Borders‘ campaign“. Informationen seien aus
Deutschland, Schweden, der Tschechischen Republik und Großbritannien ange-
liefert worden.

Die Beobachtungen zu „Terrorismus“ und „Extremismus“ werden in der weit-
gehenden Analysearbeitsdatei (AWF) „Dolphin“ abgelegt. Laut der Bundes-
regierung findet das Treffen zu „Anarchismus“ im Rahmen der Einladung Euro-
pols an die 20 Mitgliedstaaten der AWF „Dolphin“ statt. Nicht nur durch die
Listung in den „Dolphin“-Dossiers werden die politischen Aktivisten kriminali-
siert. Im Mai 2012 werden die zahlreichen Analysearbeitsdateien bei Europol
neu strukturiert und sollen fortan unter den beiden Schlagworten „Organisierte
Kriminalität“ und „Terrorismus“ geführt werden.

„Anarchismus“ oder vermeintliche „Euro-Anarchisten“ werden zum Sammel-
begriff von unliebsamem internationalen, linken Engagement. Anarchismus ist
indes eine politische Einstellung, die auch von Behörden der EU-Mitglied-
staaten respektiert werden muss. Internationalen verkehrspolitischen und anti-
rassistischen Widerstand unter „Anarchismus“ zu führen, dient allein dessen
Kriminalisierung.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wo fand der „Informations- und Erfahrungsaustausch“ zu „Linksextremis-
mus/-terrorismus“ im April 2012 statt (Antwort auf die Schriftliche Frage 6
auf Bundestagsdrucksache 17/9225)?

a) Was kann die Bundesregierung über die Tagesordnung des Treffens der

AWF „Dolphin“ am 24. und 25. April 2012 mitteilen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9446

b) Inwiefern wurde die Tagesordnung nachträglich geändert?
c) Welche Behörden welcher Länder haben an dem bzw. den Treffen teil-

genommen?
d) Welche Behörden welcher Länder haben zum „Informations- und Erfah-

rungsaustausch“ Beiträge geliefert?
e) Worin bestanden die Beiträge (bitte in groben Zügen wiedergeben)?

2. Welche EU-Mitgliedstaaten sind an der AWF „Dolphin“ beteiligt?
a) Welche Fachreferate oder sonstigen Abteilungen bei Europol sind an der

AWF „Dolphin“ beteiligt bzw. können auf Daten zugreifen?
b) Seit wann ist die deutsche Bundesregierung Mitglied der AWF „Dolphin“?
c) Wie viel Prozent der Einträge in der AWF „Dolphin“ stammen von deut-

schen Behörden?
d) Wie viele Einträge (absolute Anzahl) wurden von deutschen Behörden

angeliefert?
e) Wie oft und in welchen Fällen haben deutsche Behörden im Zusammen-

hang mit Protesten gegen „Schienennetzwerke“, „Zugtransporte“, die
Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außen-
grenzen – FRONTEX, Castortransporte oder Gipfelproteste Erkenntnisse
für die AWF „Dolphin“ geliefert?

f) In welchen deutschen Ermittlungsverfahren der letzten zwei Jahre haben
aus „Dolphin“ gelieferte Erkenntnisse eine wesentliche Rolle gespielt?

g) Hat es in diesem Zusammenhang Verurteilungen gegeben, die ohne Er-
kenntnisse aus „Dolphin“ nicht hätten vollzogen werden könnten?

h) Betrachtet die Regierung angesichts dieser Bilanzen den Betrieb der AWF
„Dolphin“ als verhältnismäßig?

3. Wann und zu welchem Zweck ist die AWF „Dolphin“ errichtet worden?
a) Trifft es zu, dass in der AWF „Dolphin“ zunächst nur Erkenntnisse zu

jenen Gruppen und Personen gesammelt werden sollten, die in der „EU-
Terrorliste“ (Liste der Personen, Vereinigungen und Körperschaften, auf
die die Artikel 2, 3 und 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP
über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Ter-
rorismus Anwendung finden) geführt werden?

b) Warum und vom wem wurde die Entscheidung getroffen, in der AWF
„Dolphin“ nicht nur Erkenntnisse zu „Terrorismus“ zu speichern, sondern
auch zu „Extremismus“ oder „Anarchismus“?

c) Welche näheren Erläuterungen wurden seitens Europol über die Neustruk-
turierung der Analysearbeitsdateien gemacht?

d) Welche (neuen bzw. umbenannten) Dateien existieren demnach (bitte als
Baumansicht darstellen)?

4. Nach welchem Verfahren wird bei Bundesbehörden bestimmt, ob „aufgrund
des Umfangs, der Bedeutung und der Folgen der Straftat ein gemeinsames
Vorgehen der EU-Mitgliedstaaten erforderlich ist“ und Erkenntnisse an
Europol übermittelt werden (Bundestagsdrucksache 17/3143)?
a) Welche vermeintlich terroristischen Aktivitäten mit grenzüberschreiten-

dem Bezug verzeichneten die Bundesbehörden seit 2007?
b) Welche vermeintlich extremistischen Aktivitäten oder Bewegungen mit

grenzüberschreitendem Bezug verzeichneten die Bundesbehörden seit
2007?

Drucksache 17/9446 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

c) Welche Kampagnen oder Aktionen gegen „Schienennetzwerke“ oder
„Zugtransporte“ in der EU werden von Europol, Eurojust, der Bundes-
regierung oder anderen EU-Mitgliedstaaten als „terroristisch“ oder „extre-
mistisch“ eingestuft (bitte soweit möglich mit Begründung aufführen)?

d) Welche Aktivitäten des „No Border-Netzwerks“ in der EU werden von
Europol, Eurojust, der Bundesregierung oder anderen EU-Mitgliedstaaten
als „terroristisch“ oder „extremistisch“ eingestuft (bitte soweit möglich
mit Begründung aufführen)?

5. Zu welchen der im TE-SAT 2010 publizierten Tätigkeitsfeldern von
„anarchist extremists“ (anti-capitalism, anti-militarism, anti-fascism and the
,No Borders‘ campaign) haben deutsche Behörden Beiträge geliefert?
a) Welcher grenzüberschreitende Bezug war hierfür nach Einschätzung des

BKA gegeben, um eine Mitteilung an Europol zu rechtfertigen?
b) Inwiefern ist Europol mit der Beobachtung rechter Gruppen oder der

Koordination gemeinsamer Maßnahmen hierzu befasst?
c) Über welche Vorkommnisse oder Tätigkeitsfelder hinsichtlich linker

Aktivitäten gegen Rechtsextremismus, wie sie etwa nach Anlieferung
deutscher Stellen im TE-SAT 2010 aufgeführt werden, haben Bundes-
behörden Europol in den letzten drei Jahren informiert?

6. Welche sogenannten trigger events haben Bundesbehörden in den letzten
fünf Jahren verzeichnet, bei denen Ereignisse in anderen Ländern auch in
Deutschland zu starken Protesten in linken Zusammenhängen geführt hatten,
wie es etwa die spanische Polizei für die tödlichen Polizeischüsse 2008 auf
den griechischen Teenager Alexis Grigoropolis meldete?

7. Welche Angehörigen der Bundesregierung befassen sich in Ratsarbeitsgrup-
pen oder EU-Agenturen mit linken oder anarchistischen Bewegungen in der
EU?

8. Welchen Inhalt hatte der Vortrag der italienischen Delegation anlässlich des
„Informations- und Erfahrungsaustauschs“ zu „Linksextremismus/-terroris-
mus“ bei Europol über Aktivitäten der FAI?
a) Handelt es sich aus Sicht italienischer Behörden bei der FAI um eine

Gruppe, ein Netzwerk oder eine „Aktionsform“?
b) Welche konkreten Aktionen werden der FAI laut Vortrag der italienischen

Delegation zugerechnet?
c) Welche konkreten Aktionen werden der FAI in Deutschland aus Sicht von

Bundesbehörden zugerechnet?
d) Inwiefern hat die Bundesregierung Zweifel überprüft, wonach die Authen-

tizität der FAI von linken Gruppen infrage gestellt wird (z. B. http://de.
indymedia.org/2004/01/71110.shtml)?

9. Welche EU-weiten Arbeitsgruppen oder sonstigen Maßnahmen wurden
wann und von wem gegen vermeintlich anarchistische Absender von Brief-
bomben in Stellung gebracht?
a) Seit wann nehmen welche Bundesbehörden an grenzüberschreitenden

Maßnahmen gegen vermeintliche Absender von Briefbomben teil?
b) Welche weiteren Länder sind mit welchen Kapazitäten am Informations-

und Erfahrungsaustausch oder sonstigen Maßnahmen gegen vermeint-
liche Absender von Briefbomben beteiligt?

c) Welche Institutionen der EU sind mit welchen Kapazitäten am Informa-
tions- und Erfahrungsaustausch oder sonstigen Maßnahmen gegen ver-
meintliche Absender von Briefbomben beteiligt?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/9446

10. Inwiefern war der Widerstand gegen „Schienennetzwerke“ oder „Zugtrans-
porte“ Gegenstand des Treffens bei Europol, und welche Ausführungen
wurden hierzu gemacht?
a) Was wurde hierzu über den Widerstand gegen den „Treno ad Alta

Velocità“ (TAV) in Italien, Spanien oder anderen Ländern berichtet (bitte
in groben Zügen wiedergeben)?

b) Wurde seitens italienischer Behörden vorgetragen, Demonstranten
gegen den TAV würden Tote in Kauf nehmen oder seien als „terroris-
tisch“ einzustufen?

c) Was wurde bei dem Treffen über den Widerstand gegen Atomtransporte
in Deutschland oder Frankreich berichtet (bitte in groben Zügen wieder-
geben)?

d) Was wurde bei dem Treffen über den Widerstand gegen Stuttgart 21 in
Deutschland berichtet (bitte in groben Zügen wiedergeben)?

11. Von welcher Seite wurden Aktivitäten des sogenannten No Border-Netz-
werks bei dem Treffen am 25. April 2012 thematisiert?
Welche Ausführungen wurden hierzu gemacht (bitte in groben Zügen wie-
dergeben)?

12. Wie waren deutsche Behörden anderweitig in die Sicherheitszusammen-
arbeit beim Grenzcamp im September 2010 in Brüssel eingebunden?
a) Wurden im Vorfeld des Grenzcamps Informationen von deutschen Bun-

desbehörden an belgische Behörden übermittelt?
b) Wenn ja, welche, und aufgrund welcher Rechtsgrundlage?

13. Inwiefern war das BKA in den Einsatz des vom LKA Stuttgart geführten,
aufgeflogenen deutschen Polizeispitzels Simon Bromma beim Grenzcamp
2010 in Brüssel eingebunden?
a) Hat das BKA in diesem Zusammenhang von belgischen Behörden gelie-

ferte Informationen an das LKA Baden-Württemberg weitergeleitet?
Wenn ja, welche?

b) Trifft es zu, dass der Einsatz des verdeckten Ermittlers hierfür im Vorfeld
bei belgischen Behörden beantragt oder wenigstens mitgeteilt werden
musste?

c) Falls ja, inwieweit wurde dies vom BKA übernommen?
d) Falls nein, unter welchen Umständen kann ein derartiges Verfahren ent-

fallen?

14. Hinsichtlich wie vieler deutscher Staatsangehöriger haben Bundesbehörden
anlässlich des Grenzcamps in Brüssel Mitteilungen über Vorkommnisse
oder Festnahmen im Rahmen des Camps oder anderer Proteste in der frag-
lichen Zeit erhalten?
a) Wie und wo (bitte die datenverarbeitenden Stellen aufführen) wurden die

Mitteilungen weiter prozessiert?
b) An welche Stellen und auf Basis welcher Rechtsgrundlage wurden diese

Mitteilungen gegebenenfalls weitergegeben?
c) Hat auch Europol Daten erhalten?
d) Wenn nicht, wurden diese später durch die EU-Agentur selbst besorgt?

15. Welchen Inhalt hatte das „Situation Assessment“ zum „Phänomen Anar-
chismus“, das der EU-Geheimdienst SitCen im Oktober 2011 erstellt hatte
(Bundestagsdrucksache 17/8279)?
a) Zu welchen Tatkomplexen oder Themen hatte das deutsche Bundesamt
für Verfassungsschutz auf Anfrage des EU-Geheimdienst SitCen Infor-
mationen zum „Phänomen Anarchismus“ beigesteuert?

Drucksache 17/9446 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

b) Welche Beiträge haben Zypern, Spanien und Griechenland hierfür
erbracht?

c) Inwiefern wurde für SitCen eine neue Bezeichnung eingeführt („Int-
Cell“), und welche Erwägungen lagen dem zugrunde?

16. Inwiefern ist die EU-Agentur zur justiziellen Zusammenarbeit (Eurojust) an
Maßnahmen oder einem Informationsaustausch zu linkem Aktivismus oder
„Anarchismus“ beteiligt?

17. Welche Vertreter bzw. Abteilungen deutscher Bundesbehörden haben an
den letzten drei Treffen des EU-Polizeitechniker-Netzwerkes ENLETS teil-
genommen, von denen eines vom 27. bis 28. Februar 2012 in Kopenhagen
stattfand?
a) Welche Beiträge leisten die deutschen Behörden für ENLETS?
b) Welche Gremienfunktionen werden durch Entsandte deutscher Behör-

den dort wahrgenommen?
c) Durch welche Kapazitäten oder Maßnahmen unterstützt die Polizeiagen-

tur Europol das Netzwerk?

18. Welchen konkreten Stand kann die Bundesregierung zu ihren Bemühungen
mitteilen, eine politische Datensammlung zu „reisenden Gewalttätern“
(violent travelling offenders) auf EU-Ebene anzusiedeln (Bundestagsdruck-
sache 17/7018)?
a) Inwiefern war das Thema in den letzten beiden Jahren Gegenstand von

Ratsarbeitsgruppen, und welche Haltung vertrat die Bundesregierung
dabei?

b) Welche Ergebnisse resultierten aus den Beratungen?
c) Mit welchem Inhalt hat die Bundesregierung die hierzu versandten Fra-

gebögen beantwortet?
d) Welche rechtlichen und definitorischen Probleme werden von anderen

Mitgliedstaaten geltend gemacht?
e) Welchen Stand hat die anvisierte Machbarkeitsstudie der Europäischen

Kommission zum Vorhaben „reisende Gewalttäter“ (siehe die Antwort
auf die Schriftliche Frage 26 des Abgeordneten Andrej Hunko auf Bun-
destagsdrucksache 17/8279)?

f) Welchen Stand hat die anvisierte Machbarkeitsstudie der Europäischen
Kommission zur Frage, ob die Datensammlung zu „violent travelling of-
fenders“ im geplanten EU-Strafregister (EPRIS) aufgehen könnte?

g) Welche Bewerbungen sind hierzu bis zum 16. September 2011 eingegan-
gen?

h) Liegt mittlerweile ein Ergebnis der Ausschreibung einer Machbarkeits-
studie der Europäischen Kommission vor, das Vorhaben „reisende Ge-
walttäter“ in das Vorhaben „European Police Records Index System“
(EPRIS) zu integrieren?

19. Welche Instrumente stehen Sicherheitsbehörden der EU-Mitgliedstaaten
zur Verfügung, wie sie ausweislich der Antwort der Bundesregierung auf
der Konferenz zu „Reisebewegungen von Terrornetzwerken“ im Juni 2011
in Berlin zur „Erkennung und Verhinderung von Anschlägen internationaler
Terrornetzwerke“ zusammengetragen wurden “ (siehe die Antwort auf die
Schriftliche Frage 27 des Abgeordneten Andrej Hunko auf Bundestags-
drucksache 17/8279)?
a) Welche EU-Mitgliedstaaten haben nicht an der Konferenz teilgenom-

men?

b) Welche Beiträge wurden auf der Konferenz gehalten?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/9446

c) Welche inhaltlichen Ausführungen wurden hierfür von Bundesbehörden
erbracht?

d) Inwiefern wurden auf der Konferenz auch Aktivitäten im Sinne der Fra-
gestellung dieser Kleinen Anfrage thematisiert?

e) Inwiefern waren auch bei Europol geführte Analysearbeitsdateien Ge-
genstand der Konferenz?

f) Welche weiteren Verabredungen wurden auf der Konferenz getroffen?

20. Inwieweit sind die Zentren für Zusammenarbeit von Polizei und Zoll
(PCCC) in einen Informationsaustausch über „Euroanarchisten“ eingebun-
den oder haben Zugriff auf entsprechende Datensammlungen in EU-Mit-
gliedstaaten oder bei Europol?
a) Welche PCCC existieren derzeit innerhalb der EU bzw. sind im Aufbau

begriffen?
b) Wie ist die regionale, nationale und internationale Zusammenarbeit der

PCCC mit anderen Sicherheitsbehörden ausgestaltet?
c) Inwiefern arbeiten die PCCC auch mit der Europäischen Kommission,

Europol, Interpol oder Institutionen der Vereinten Nationen zusammen?
d) Welchen Inhalt hatte das Seminar, das Europol 2010 unter dem Titel

„PCCCs, national bodies and Europol: 3 levels, 1 goal“ organisiert hatte?

21. Was verbirgt sich hinter dem Vorschlag der tschechischen Delegation vom
Juni 2010, Operationen namens „SEarCH“ (SIRENE SErious Criminals
Hunt) zu organisieren?
a) Inwieweit wird hierfür von EU-Informationssystemen Gebrauch ge-

macht?
b) In welcher Form sind EU-Agenturen oder internationale Organisationen

in diese Operationen eingebunden?
c) Inwieweit trifft es zu, dass für „SEarCH“ auf Informationssysteme Euro-

pols zurückgegriffen wird?
d) Welche näheren Ausführungen kann die Bundesregierung zur Konferenz

über „Searches for wanted persons“, zu der Europol im April zusammen
mit European Network of the Fugitive Active Search Teams (ENFAST)
einlädt?

22. Inwiefern spricht der EU-Koordinator für die Terrorismusbekämpfung in
seinem Vermerk an den Europäischen Rat (Ratsdokument 17595/11) auch
für die Haltung der Bundesregierung, wenn er ausführt, „dass die ungüns-
tigen wirtschaftlichen Bedingungen in Europa selbst auch den Boden für die
Ausdehnung gewaltbereiter linker oder anarchistischer Ideologien bereiten
können“?
a) Inwiefern teilt die Bundesregierung dessen Schlussfolgerungen, wonach

das EU-Lagezentrum SitCen und Europol bei der „Terrorismusbekämp-
fung“ die „Entscheidungsträger“ mit Bedrohungsanalysen über Erkennt-
nisse „gewaltbereiter linker oder anarchistischer Ideologien“ beliefern
sollen?

b) Inwiefern teilt die Bundesregierung die Forderung, dass diese Bedro-
hungsanalysen über Erkenntnisse „gewaltbereiter linker oder anarchis-
tischer Ideologien“ zur „Unterstützung der Politikgestaltung“ eingesetzt
werden sollen?

c) Fallen nach Ansicht der Bundesregierung auch libertäre Strömungen wie
in „Pirates Parties International“ (PPI) vertreten unter das Themenfeld
„anarchistische Ideologien“?

Drucksache 17/9446 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

23. Welche Verhaltensweisen müssen vorliegen, um als „Mitglied bzw. Unter-
stützer eines linksextremistischen Personenzusammenschlusses“ verdächtigt
zu werden und beim Inlandsgeheimdienst in die Personenkategorie „Euro-
anarchisten“ zu fallen (siehe hierzu die Mitteilung des Ermittlungsausschus-
ses Berlin; http://ea-berlin.net/berlin-der-vs-verschickt-briefe#content)?
a) Seit wann werden beim Bundesamt für Verfassungsschutz Mitglieder

linker Zusammenhänge mit der vom Parlamentarischen Staatssekretär
Dr. Ole Schröder als „Arbeitsbegriff“ bezeichneten Formulierung „Euro-
anarchisten“ geführt (ergänzendes Schreiben vom 6. Juli 2011 auf die
Schriftliche Frage 10 auf Bundestagsdrucksache 17/6272)?

b) Mit welchen Sicherheitsbehörden des Bundes betreiben oder betrieben
das BKA oder deutsche Geheimdienste, wie vom Parlamentarischen
Staatssekretär Dr. Ole Schröder beschrieben, einen „Informationsaus-
tausch“ zu „Euroanarchisten“?

c) Mit welchen Partnerbehörden aus welchen EU-Mitgliedstaaten betrei-
ben oder betrieben das BKA oder deutsche Geheimdienste, wie vom Par-
lamentarischen Staatssekretär Dr. Ole Schröder beschrieben, einen „In-
formationsaustausch“ zu „Euroanarchisten“?

d) Wie oft, in welcher Form, und wann haben diese „Informationsaustau-
sche“ stattgefunden?

24. Inwiefern ist die Bundesregierung mit der Praxis von Europol einverstan-
den, den Aktivismus in den Bereichen „anti-capitalism, anti-militarism,
anti-fascism and the ‚No Borders‘ campaign“ als „anarchistisch“ zusam-
menzufassen?
a) Teilt die Bundesregierung die Ansicht der Fragesteller, dass dieses Ver-

fahren geeignet ist, anarchistische Ideen zu delegitimieren?
b) Falls nein, warum nicht?

25. Welche Erkenntnisse brachten den Präsidenten des BKA zu seinen Ausfüh-
rungen im Innenausschuss des Deutschen Bundestages über angebliche
schwerste Straftaten einer europäischen „Anarchoszene“?
a) Welche „schwerste Straftaten“ der „Anarchoszene“ sind dem BKA aus

den hierzu von Jörg Ziercke genannten Ländern Griechenland, Spanien,
Großbritannien, Frankreich, Dänemark und Deutschland bekannt?

b) Da der Präsident des BKA im Innenausschuss des Deutschen Bundesta-
ges seine Ausführungen anlässlich von Fragen zum internationalen Spit-
zeleinsatz beim G8-Gipfel in Heiligendamm machte, inwiefern sind
diese angeblichen schwersten Straftaten nach Kenntnis der Bundesregie-
rung beim G8-Gipfel geplant oder ausgeführt worden?

c) Inwiefern haben das BKA oder andere Bundesbehörden Erkenntnisse,
dass im Rahmen von Aktivitäten gegen den G8-Gipfel 2007 oder den
NATO-Gipfel 2009 eine „grenzüberschreitende Versendung von Brief-
bomben“ geplant worden sei?

d) Sofern es keine Erkenntnisse gibt, inwiefern sollte der Austausch deut-
scher und britischer Polizeispitzel dann einer Bekämpfung der „grenz-
überschreitenden Versendung von Briefbomben“ gelten (Bundestags-
drucksache 17/5736)?

26. Wofür steht der Begriff der „Euro-Anarchisten“ beim BKA?
a) Welche „anarchisch-autonome Gruppierungen in einzelnen EU-Mit-

gliedstaaten“ oder wenigstens deren Spektren sind mit der vom Par-
lamentarischen Staatssekretär Dr. Ole Schröder als „Arbeitsbegriff“
bezeichneten Formulierung „Euroanarchisten“ gemeint, wonach dieser
Begriff „auf etwaige Beziehungen“ jener Gruppen „untereinander

abstellt“ (ergänzendes Schreiben vom 6. Juli 2011 auf die Schriftliche
Frage 10 auf Bundestagsdrucksache 17/6272)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9 – Drucksache 17/9446

b) Werden darunter auch autonome, marxistische, linksradikale, kom-
munistische oder anarcho-syndikalistische Gruppen zusammengefasst,
sofern sie grenzüberschreitend aktiv sind (bitte für die jeweiligen Strö-
mungen einzeln beantworten)?

c) Fallen nach Ansicht der Bundesregierung auch libertäre Strömungen wie
in „Pirates Parties International“ (PPI) vertreten unter „Euro-Anarchis-
ten“, zumal auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) der
deutschen Piratenpartei eine „anarchistische Konzeption“ unterstellt
(dpa, 3. April 2012)?

d) Zu den Teilfragen 26b und 26c: Falls nein, unter welchem „Arbeitsbe-
griff“ werden diese geführt, nachdem sie womöglich ins Visier des BKA
geraten sind?

e) Teilt die Bundesregierung die Ansicht der Fragesteller, dass eine pau-
schale Diffamierung linker, auch militanter Aktionen als von „Euro-
Anarchisten“ begangen, geeignet ist, anarchistische Ideen einer herr-
schaftsfreien Gesellschaft zu delegitimieren?

f) Falls nein, warum nicht?

Berlin, den 24. April 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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