BT-Drucksache 17/944

Zukunft der Filmförderung und Digitalisierung der Kinos

Vom 5. März 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/944
17. Wahlperiode 05. 03. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Kathrin Senger-Schäfer, Dr. Petra Sitte, Agnes Alpers,
Herbert Behrens, Nicole Gohlke, Dr. Rosemarie Hein, Dr. Lukrezia Jochimsen
und der Fraktion DIE LINKE.

Zukunft der Filmförderung und Digitalisierung der Kinos

Mit einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Februar 2009 ist das
deutsche Modell der Filmförderung ins Wanken geraten. Nach einer Klage von
mehreren Kinobetreibern gegen die Filmabgabe der Filmtheater, aus der die
Filmförderungsanstalt (FFA) ein Drittel ihres jährlichen Budgets bestreitet, er-
klärte das Gericht die Erhebung von Abgaben zwar für grundsätzlich rechtmäßig,
gleichzeitig aber die bestehende Beitragsbemessungspraxis für verfassungs-
widrig. Das Gericht sah das Prinzip der Abgabengerechtigkeit verletzt, indem
einerseits für die Kino- und die Videobranche Pflichtabgaben erhoben würden,
andererseits öffentlich-rechtliche und private Fernsehanbieter lediglich freiwil-
lige Beiträge auf Vertragsbasis leisteten und verwies den Fall weiter an das Bun-
desverfassungsgericht.

Der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien unternahm darauf-
hin zahlreiche Anstrengungen, das Solidarmodell in der Filmförderung zu erhal-
ten. Ein Einigungsvorschlag allerdings, der eine Rücknahme der Klagen und die
vorbehaltlose Zahlung der Filmabgabe durch die Kinobetreiber mit dem Ange-
bot zu einer Anschubfinanzierung für die flächendeckende Digitalisierung der
Kinos verband, scheiterte im November des vergangenen Jahres. In der Folge hat
die Bundesregierung eine sogenannte kleine Novelle des Filmförderungsgeset-
zes (FFG) auf den Weg gebracht. Diese beabsichtigt, einen Abgabemaßstab für
die Fernsehveranstalter erstmals gesetzlich festzuschreiben. Öffentlich-rechtli-
che und private Fernsehanbieter sollen demnach nach unterschiedlichen Prozent-
sätzen an den Realkosten bzw. Nettowerbeumsätzen für die Ausstrahlung von
Kinofilmen in Anspruch genommen werden, Pay-TV-Anbieter gemäß einem
pauschalen Abgabesatz nach Umsätzen mit Abonnementverträgen. Dies würde
durch eine rückwirkende Änderung auch für den Zeitraum 2004 bis 2008 gelten.

In der Fachöffentlichkeit allerdings ist es umstritten, ob die von der Bundesregie-
rung gewählte rechtliche Ausgestaltung die Zukunft der Filmförderung und mit-
hin die Digitalisierung der Kinos garantieren kann. Kritisiert werden insbeson-
dere die Ungleichbehandlung von öffentlich-rechtlichen und privaten Fernseh-
sendern, die Intransparenz in der Bemessungsgrundlage der Abgaben sowie der

mit der Novellierung einhergehende Eingriff in die Rundfunkfreiheit und die
Rundfunkhoheit der Länder.

Drucksache 17/944 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Gründe waren aus Sicht der Bundesregierung maßgebend dafür,
dass die Verhandlungen mit den Kinobetreibern – vertreten insbesondere
durch den Hauptverband Deutscher Filmtheater (HDF) – in Sachen Film-
abgabe und flächendeckende Digitalisierung der Kinos erfolglos verliefen?

2. Welches Ausmaß (in Mio. Euro) hat die Praxis von Kinobetreibern insge-
samt erreicht, die Filmabgabe seit 2004 lediglich unter Vorbehalt – bzw. seit
Anfang 2009 überhaupt nicht mehr – zu leisten, und welche Auswirkungen
zeitigt diese Praxis auf die aktuelle Haushaltslage und die konkreten Förde-
rungsbereiche der FFA?

3. Sind jüngste Presseberichte (siehe etwa Bernd Neuman im Interview mit der
Tageszeitung „DIE WELT“ vom 27. Januar 2010) zutreffend, dass weiterhin
zwei Drittel der Kinos die Filmabgabe nur unter Vorbehalt zahlen, oder tref-
fen anderslautende Berichte zu, nach denen aktuell bis auf den Betreiber der
Kinokette UCI Kinowelt wieder alle Filmtheater die Filmabgabe ohne Vor-
behalt leisten?

4. Welcher zusätzliche Betrag (in Mio. Euro) würde in 2010 nach den Berech-
nungen der Bundesregierung für die FFA in Form von Vorbehalts- und
Nichtzahlungen haushaltsrelevant, käme es nicht zu der beabsichtigten klei-
nen Novelle?

5. In welcher Form und durch wen wurden und werden die für die Vorbehalts-
zahlungen durch die Kinobetreiber zu bildenden Rückstellungen der FFA
angelegt, und an welchen Anlagerichtlinien im Einzelnen muss sich die FFA
(oder der ggf. beauftragte Treuhänder) dabei orientieren?

6. Aus welchen Gründen leisten Abgabepflichtige der Videowirtschaft teil-
weise ebenfalls Zahlungen unter Vorbehalt, und welches Ausmaß (in Mio.
Euro) haben diese Vorbehaltszahlungen erreicht?

7. Welche Fernsehsender (bitte einzeln aufführen) haben im Vorfeld des Kabi-
nettbeschlusses zum FFG am 27. Januar 2010 ihre grundsätzliche Bereit-
schaft erklärt oder signalisiert, die kleine Novelle mitzutragen, welche nicht?

8. Wie hat sich der Verband Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT) gegen-
über dem Vorhaben der Bundesregierung geäußert, und trägt er die mit der
kleinen Novelle angestrebten Ziele durchgängig mit?

9. Auf welcher Modellrechnung und welchen kalkulatorischen Einnahmen (in
Mio. Euro) beruht die von der Bundesregierung in der kleinen Novelle vor-
gesehene Abgabenpflicht für die Fernsehanbieter (bitte aufschlüsseln
jeweils nach öffentlich-rechtlichen Fernsehanbietern, privaten Free-TV-
Anbietern, Pay-TV-Anbietern und neueren Programmvermarktern)?

10. Welche sonstigen Modelle zu einer Abgabepflicht der Fernsehanbieter hat
die Bundesregierung durchgerechnet, und zu welchen Zahlenangaben (in
Mio. Euro) gelang sie bei diesen (bitte aufschlüsseln jeweils nach öffentlich-
rechtlichen Fernsehanbietern, privaten Free-TV-Anbietern, Pay-TV-Anbie-
tern und neueren Programmvermarktern)?

11. Bei welchen Fernsehsendern ergeben sich auf Basis des gewählten Abgabe-
maßstabs im Vergleich zum vorherigen Film- und Fernsehabkommen Min-
derungen in den Zahlungsverpflichtungen (bitte aufschlüsseln in Gesamt-
gruppen nach öffentlich-rechtlichen Fernsehanbietern, privaten Free-TV-
Anbietern und Pay-TV-Anbietern)?

12. Sind Presseberichte (FAZ vom 12. Februar 2010) richtig, dass einige Fern-
sehsender ihre Zahlungen freiwillig aufstocken wollen?
Wenn ja, welche Sender sind das?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/944

13. Wie begegnet die Bundesregierung verfassungsrechtlichen Bedenken – wie
sie jüngst auch von Seiten der ARD (epd medien Nr. 7 vom 30. Januar
2010) geäußert wurden –, die Erhebung einer (bundes-)gesetzlichen Film-
abgabe greife in die Programmfreiheit der Rundfunkveranstalter ein?

14. Wie begegnet die Bundesregierung den Befürchtungen von Produzenten,
dass die gewählten Abgabenprozentsätze im Vergleich zum vorherigen
Film- und Fernsehabkommen zu gering seien und künftig weniger Geld von
den Fernsehsendern für die Produktion von Kinofilmen zur Verfügung
stehe?

15. Wie begegnet die Bundesregierung der Befürchtung der Spitzenorganisation
der Filmwirtschaft (SPIO), dass der gewählte Abgabenmaßstab für die
Öffentlich-Rechtlichen (geringere Kosten, die für Kinofilme ausgegeben
werden, vermindern die Abgabepflicht) wie auch für die Privaten (eine ge-
ringere Gesamtsendezeit von Kinofilmen vermindert die Abgabepflicht) in
der Konsequenz dazu beitragen könne, die Präsenz des Kinofilms in den Pro-
grammen der Fernsehsender insgesamt zurückzudrängen?

16. Auf welcher empirischen Basis gelangt die Bundesregierung im Falle von
Pay-TV-Anbietern zu der Annahme, der durchschnittliche Anteil der Sende-
zeit von Kinofilmen in von diesen dargebotenen Programmpaketen und so-
mit die diesbezüglichen zur Berechnung der Abgabenpflicht herangezoge-
nen Einnahmen aus Kinofilmen betrugen lediglich etwa 10 Prozent?

17. Warum werden bei privaten Free-TV-Anbietern Abgabenstufen nach der tat-
sächlichen Nutzung von Kinofilmen zur Berechnung der Höhe der Film-
abgabe gebildet, bei Pay-TV-Anbietern jedoch nicht?

18. Aus welchem Grund werden bei Pay-TV-Anbietern die Einnahmen aus tech-
nischen Dienstleistungen aus der Berechnung der Gesamteinnahmen mit Ki-
nofilmen herausgerechnet, und auf welchen Betrag (in Mio. Euro) taxiert die
Bundesregierung diese herauszurechnenden Einnahmen in dem der kleinen
Novelle zugrunde liegenden Berechnungsmodell?

19. In welcher Form und durch welche Regelungen sieht es die Bundesregierung
als ausgeschlossen an, dass Pay-TV-Anbieter ihre Einnahmen aus Kino-
filmen gegenüber Einnahmen aus technischen Dienstleistungen durch
konzerninterne Verrechnungspreise und nationale oder internationale Ge-
winnabführungsverträge systematisch herunterrechnen?

20. Wie bewertet die Bundesregierung den Einwand des Bundesverbands In-
formationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (BITKOM),
dass die im Gesetzentwurf vorgesehene Rückwirkungsregelung bis zum
1. Januar 2004 jüngere Programmvermarkter wie IPTV-Anbieter und Ka-
belbetreiber – für die eine Abgabepflicht erstmals zum 1. Januar 2009
wirksam geworden ist – gesetzessystematisch nicht zwingend von einer
Inanspruchnahme ausnimmt, und sieht sie in diesem Punkt Klarstellungs-
bedarf?

21. Inwieweit werden Fernsehsender, deren Sendestart nach dem 1. Januar 2004
erfolgte (z. B. Das Vierte), von einer Inanspruchnahme durch die Rückwir-
kungsregelung ausgenommen?

22. Sind Differenzen, wie sie sich auf Basis der Rückwirkungsregelung durch
Minderungen in den neu begründeten Zahlungsverpflichtungen gegenüber
bereits geleisteten Zahlungen ergeben können, den Fernsehsendern von der
FFA zurückzuerstatten?

23. Welche Kosten (in Mio. Euro) verursacht nach Kenntnisstand der Bundes-
regierung die flächendeckende Digitalisierung der Kinos insgesamt, und in

welcher Höhe beteiligen sich daran der Bund und die Länder mit direkten
oder indirekten Fördermitteln bereits jetzt?

Drucksache 17/944 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
24. Wie viele Kinosäle nach Orts-, Center- sowie Saalgrößen waren im Ver-
gleich zum jeweiligen Gesamtbestand bis Ende 2009 bereits digital umge-
rüstet?

25. Aus welchen Gründen fördert die FFA die Digitalisierung der Kinos ledig-
lich in der Umstellung auf die digitale 2D-Projektion, nicht aber auf die
ebenfalls digitale 3D-Technologie, und bestehen Überlegungen dazu, diese
Praxis zu ändern?

26. Welches Modell für eine flächendeckende Digitalisierung der Kinos verfolgt
die Bundesregierung aktuell, und inwiefern fließen darin Überlegungen ein,
vom bisherigen Grundsatz, die Digitalisierung unabhängig von der Kino-
größe zu fördern, abzurücken und künftig nur noch Filmtheater nach Maß-
gabe bestimmter regionaler und kultureller Gesichtspunkte zu fördern?

27. Strebt die Bundesregierung einen eventuellen Modellwechsel zur Digitali-
sierung der Kinos im Rahmen einer Veränderung der internen Förderungs-
praxis der FFA an, oder plant sie, dieses Ziel mittels einer späteren, weiteren
Novellierung des FFG zu erreichen?

28. Wann beabsichtigt die Bundesregierung, das von Deutschland am 15. Sep-
tember 2009 unterzeichnete Europäische Übereinkommen zum Schutze des
audio-visuellen Erbes zu ratifizieren?

29. Welche Gesetzesregelungen plant die Bundesregierung, um die zentrale Be-
stimmung des Übereinkommens, eine gesetzliche Hinterlegungspflicht für
sämtliches Filmmaterial und jede Koproduktion, soweit diese der Öffent-
lichkeit zugänglich gemacht wurden, umzusetzen?

30. Welche Folgewirkungen und kalkulatorischen Kosten entstehen staatlichen
Einrichtungen sowie privaten und öffentlich-rechtlichen Unternehmen – jen-
seits der nach § 21 Absatz 1 FFG schon jetzt bestehenden Hinterlegungs-
pflicht für geförderte Filme – durch die oben genannte Bestimmung des
Übereinkommens?

Berlin, den 5. März 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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