BT-Drucksache 17/9385

EU-Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland

Vom 24. April 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9385
17. Wahlperiode 24. 04. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Korte, Andrej Hunko, Jens Petermann, Dr. Petra Sitte,
Frank Tempel, Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

EU-Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland

Die Auseinandersetzung um die Umsetzung der europäischen Richtlinie zur
Einführung der Vorratsdatenspeicherung in der Bundesrepublik Deutschland
erreicht im Frühjahr 2012 einen neuen Höhepunkt.

Nach der Verurteilung der ersten Umsetzung der Richtlinie durch das Bundes-
verfassungsgericht, ist die weitere Umsetzung nicht nur verfassungsrechtlich
umstritten, da auf EU-Ebene bereits an der Ablösung wegen erwiesener Un-
brauchbarkeit gearbeitet wird. Wegen der Blockade in der Bundesregierung, hat
die Europäische Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bun-
desregierung bzw. die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet.

Am 22. März 2012 setzte die Kommission der Bundesregierung eine einmona-
tige Frist zur Umsetzung der Richtlinie. Sie läuft am 26. April 2012 ab.

Dieses Verfahren wiederum bietet den Verfechtern einer umfassenden, anlass-
losen Vorratsdatenspeicherung von mindestens sechs Monaten den willkomme-
nen, wenn nicht sogar bestellten Anlass, ihrerseits den Druck auf die kritische
Öffentlichkeit, vor allem aber auch auf das Bundesministerium der Justiz zu er-
höhen, um endlich eine entsprechende gesetzliche Regelung durchzusetzen.

Nachdem die Behauptung, durch die bisher nicht legalisierte Vorratsdatenspei-
cherung seien unverantwortbare Sicherheitslücken entstanden, weder auf euro-
päischer noch auf nationaler Ebene überzeugend belegt werden konnte, soll nun
die Drohung mit „erheblichen Strafgeldern“ (u. a. internet-law am 2. Januar
2012) oder Strafgeldern in „zweistelliger Millionenhöhe“ (Süddeutsche Zei-
tung vom 18. April 2012) als Folge der Vertragsverletzung das gewünschte Ge-
setzesverfahren endlich zu Ende bringen.

Vertragsverletzungsverfahren sind allerdings in der Europäischen Union (EU)
keineswegs selten, betreffen alle möglichen politischen Bereiche und werden
mit unterschiedlichen Begründungen eingeleitet.

Von den über 2 000 in der ganzen EU geführten Verfahren richten sich bisher
immerhin 81 (internet-law am 2. Januar 2012) oder 74 (afp am 17. April 2012)
gegen die Bundesrepublik Deutschland, ohne dass auch nur ansatzweise politi-

scher Druck in Richtung sofortiger Vollzug, wie im Falle der Vorratsdatenspei-
cherung, ausgeübt worden wäre oder wird. Ein Zwangsgeld wurde gegen die
Bundesrepublik Deutschland bisher nicht verhängt (ebd.). Während in Deutsch-
land jedes Gericht vor einer Verurteilung prüfen muss, ob die Grundlagen seiner
Entscheidung grundrechtskonform sind, und die Frage gegebenenfalls dem
Bundesverfassungsgericht vorgelegt werden muss, ist dies bislang bei Vertrags-
verletzungsverfahren in der EU nicht der Fall.

Drucksache 17/9385 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Verfahren sind derzeit EU-weit tatsächlich anhängig?

2. Wie viele solcher Verfahren sind derzeit gegen die Bundesrepublik
Deutschland oder einzelne Bundesländer anhängig, und welchen Verfah-
rensstand haben sie jeweils?

3. Wann wurden diese Verfahren mit welcher Begründung (Nichtumsetzung,
ungenügende Umsetzung, falsche Rechtsgrundlage und andere) eingeleitet
(bitte einzeln auflisten)?

4. Welche Politikbereiche, politische Projekte und Bundesministerien sind in
der Bundesrepublik Deutschland von einem Verletzungsverfahren wegen
welcher Thematik jeweils betroffen (bitte einzeln auflisten)?

5. Wie viele Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutsch-
land wurden mit welchem Ergebnis bisher abgeschlossen?

6. In welchen Fällen hat die Bundesregierung von der in Artikel 114 des Ver-
trages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) festgeschrie-
benen Möglichkeit Gebrauch gemacht und bei der Kommission Ausnahme-
regelungen bei der Umsetzung der jeweiligen Richtlinien beantragt?

7. Wie viele Zwangsgelder wurden wann in welcher Höhe gegen welche EU-
Mitgliedstaaten verhängt, und welche davon wurden bis heute gezahlt?

8. Wer legt nach welchen Kriterien die Höhe des Zwangsgeldes fest?

9. Welche Möglichkeiten gibt es für Mitgliedstaaten, gegen Zwangsgelder
vorzugehen, hat die Bundesregierung davon Gebrauch gemacht, wenn ja,
in welchen Fällen, und welche Sanktionsmöglichkeiten hat die EU, gegen
Zahlungsverweigerer vorzugehen?

10. Erwartet die Bundesregierung, dass eine Entscheidung des Europäischen
Gerichtshofes (EuGH) über die Frage der Gültigkeit der Richtlinie 2006/
24/EG noch vor der Vertragsverletzungsklage gegen Deutschland getroffen
wird?

11. Wenn die Richtlinie 2006/24/EG erst nach einer Verurteilung Deutschlands
für nichtig erklärt wird, wird dann die gezahlte Vertragsstrafe zurücker-
stattet?

Wenn nein, warum nicht?

12. Auf welchen Betrag schätzt die Bundesregierung die jährlichen Kosten einer
Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG für Wirtschaft und Verbraucher?

13. Müssen die EU-Verträge nach Ansicht der Bundesregierung so geändert
werden, dass künftig auch der EuGH vor Verurteilungen wegen Vertrags-
verletzung prüfen muss, ob die verletzte EU-Sekundärrechtsnorm grund-
rechtskonform und gültig ist?

14. Liegt nach Ansicht der Bundesregierung eine Vertragsverletzung vor, wenn
eine der EU-Grundrechtecharta widersprechende Norm des Sekundärrechts
umgesetzt und angewandt wird?

Berlin, den 24. April 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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