BT-Drucksache 17/9353

Getöteter deutscher Staatsbürger bei US-Drohnen-Angriff in Pakistan im Oktober 2010

Vom 18. April 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9353
17. Wahlperiode 18. 04. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Christine Buchholz, Annette Groth, Andrej Hunko,
Niema Movassat, Paul Schäfer (Köln), Frank Tempel, Kathrin Vogler
und der Fraktion DIE LINKE.

Getöteter deutscher Staatsbürger bei einem US-Drohnenangriff in Pakistan
im Oktober 2010

Bei einem US-Raketenangriff auf ein Gebäude im pakistanisch-afghanischen
Grenzgebiet in der Nähe der Stadt Mir Ali wurden am Abend des 4. Oktober 2010
auf pakistanischem Territorium mindestens der deutsche Staatsbürger B. E. aus
Wuppertal, ein Iraner aus Hamburg und drei Pakistaner getötet. In der Antwort
auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache
17/3786 erklärte die Bundesregierung am 15. November 2010 „Über Anzahl
und Identität der bei dem angeblichen Raketenangriff am 4. Oktober 2010 an-
geblich getöteten Personen liegen der Bundesregierung bislang keine offiziell
bestätigten Informationen vor“. Doch nach Informationen des Magazins „stern“,
dem offenbar bislang ungekannte Dokumente der Sicherheitsbehörden vorlie-
gen, wusste das Bundeskriminalamt (BKA) bereits am Tag nach dem Angriff
aufgrund abgehörter Telefonate, wer die beiden Toten aus Deutschland waren
und dass außer ihnen noch drei Einheimische umgekommen waren.

Nach Informationen des „stern“ verfügte das BKA zudem aufgrund eines abge-
hörten Telefonats aus Pakistan vom 7. September 2010 über Informationen, wo-
nach B. E. als Selbstmordattentäter ein Attentat mit „80 bis 90 Toten“ begehen
solle. Das BKA sah darin am 14. September 2010 Indizien für einen „tatsäch-
lichen Tatplan“ (www.stern.de/investigativ/projekte/terrorismus/us-drohnenopfer-
deutschtuerke-war-fuer-terroranschlag-eingeplant-1806189.html).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Inwieweit verfügt die Bundesregierung heute über offiziell bestätigte Infor-
mationen über die bei einem Raketenangriff am 4. Oktober 2010 in Pakistan
getöteten Personen?

2. Trifft der Bericht des „stern“ zu, wonach das BKA bereits am Tag nach dem
Drohnenangriff über die Identität der aus Deutschland stammenden Getöte-
ten informiert war?
a) Wenn ja, warum wurden diese Informationen in der Antwort auf die
Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/3786 von der Bundesregie-
rung verschwiegen?

b) Wenn nein, wann, und auf welche Weise hat die Bundesregierung Kennt-
nis über die Identität der aus Deutschland stammenden Getöteten erhal-
ten?

Drucksache 17/9353 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

3. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Anzahl und Identität
der bei dem Raketenangriff am Abend des 4. Oktober 2010 getöteten Perso-
nen?

a) Wie viele Personen wurden insgesamt bei dem Angriff getötet?

b) Inwieweit wurde die Identität aller bei dem Angriff getöteten Personen
festgestellt?

c) Wie viele der getöteten Personen hatten die deutsche Staatsbürgerschaft?

d) Wie viele Personen anderer Staatsbürgerschaft, die zuvor ihren rechtmä-
ßigen Aufenthalt in Deutschland hatten, wurden dabei getötet, und über
welche Aufenthaltstitel verfügten diese?

4. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über weitere zum Zeitpunkt
des Raketenangriffs in dem Haus oder seiner nächsten Umgebung aufhäl-
tigen deutschen Staatsbürger bzw. Personen, die zuvor ihren rechtmäßigen
Aufenthalt in Deutschland hatten?

5. Welche politischen und diplomatischen Schritte hat die Bundesregierung
nach dem 4. Oktober 2010 bis heute im Einzelnen unternommen, um Kennt-
nisse über den Raketenangriff, die Opfer und die Verantwortlichen zu erlan-
gen?

6. Waren bundesdeutsche Behörden an der Spurensuche vor Ort und der
Obduktion der Leichen beteiligt?

a) Wenn ja, welche Behörde, und mit welchem Untersuchungsergebnis?

b) Wenn nein, inwieweit gab es von deutscher Seite ein entsprechendes
Ansinnen, warum, und durch wen wurde dies negativ beschieden?

7. Welche politischen Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem in
ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/8088 ge-
nannten Sachverhalt, wonach die US-Behörden bis dahin deutschen Bitten
um Aufklärung der präzisen Faktenlage nicht nachkamen?

8. Inwieweit haben sich pakistanische Behörden nach Kenntnis der Bundes-
regierung nach dem 4. Oktober 2010 um eine Aufklärung des Raketen-
angriffs und der Identität der Opfer bemüht?

9. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Beteiligung von B. E.
und des mit ihm zusammen getöteten aus Deutschland stammenden Iraners
sowie mutmaßlicher weiterer in dem bombardierten Haus oder dessen nächs-
ter Umgebung aufhältiger Personen mit deutscher Staatsbürgerschaft oder
Aufenthaltsstatus in Deutschland an Aktivitäten bewaffneter islamischer
Gruppen in Afghanistan oder Pakistan?

a) Inwieweit und seit wann standen die aus Deutschland stammenden
getöteten Personen vor ihrer Abreise nach Pakistan unter Beobachtung
deutscher Sicherheitsbehörden?

b) Inwieweit und seit wann war die Bundesregierung darüber informiert, ob
sich die aus Deutschland stammenden getöteten Personen in den Kreisen
bewaffneter islamischer Gruppen im pakistanisch-afghanischen Grenz-
gebiet aufhielten, und woher stammen diese Informationen?

c) Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Beteiligung der
getöteten Personen an Anschlägen oder sonstigen bewaffneten Aktionen
in Afghanistan oder Pakistan, woher, und von wann stammen diese
Erkenntnisse?

d) Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über mögliche Anschlags-

planungen der getöteten Personen in Europa, woher, und von wann stam-
men diese Erkenntnisse?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9353

10. Inwieweit war die Bundesregierung vor dem 4. Oktober 2010 über eine
mögliche Tötung deutscher Staatsbürger oder aus Deutschland stammender
Personen durch einen US-Angriff in Pakistan informiert?
a) Durch US-Behörden?
b) Durch andere Quellen, wie ihre eigenen Nachrichtendienste?

11. Inwieweit verfügt die Bundesregierung über Hinweise, dass bei anderen
Drohnenangriffen außer am 4. Oktober 2010 im pakistanisch-afghanischen
Grenzgebiet deutsche Staatsbürger oder Personen mit einem rechtmäßigen
Aufenthaltsstatus in Deutschland getötet wurden (gegebenenfalls Ort, Zeit-
punkt, Identität der Getöteten und Todesumstände angeben)?

12. Hat die Bundesregierung inzwischen in Kenntnis gebracht, welche US-
Dienststelle den Raketenangriff vom 4. Oktober 2010 befohlen hatte, bzw.
welche militärischen und geheimdienstlichen Stellen an der Vorbereitung
des Angriffs beteiligt waren?
a) Wenn ja, um welche Stellen handelt es sich?
b) Wenn nein, was hat die Bundesregierung unternommen, um an solche

Erkenntnisse zu gelangen?
c) Wenn nein, warum konnten solche Erkenntnisse bislang nicht erbracht

werden?

13. Wurde von der Generalbundesanwaltschaft ein Strafverfahren wegen der
Tötung des deutschen Staatsbürgers B. E. eingeleitet?

a) Wenn ja, wann, und mit welchem Verfahrensstand?

b) Wenn nein, warum nicht?

14. Bei welchen Gelegenheiten und mit welcher Intention und welchem Ergeb-
nis hat die Bundesregierung die Tötung von B. E. gegenüber US-Behörden
und US-Regierungsstellen thematisiert?

15. Wie beurteilt die Bundesregierung vor dem Hintergrund ihrer aktuellen
Kenntnisse über die Tötung von B. E. das Mittel gezielter Tötung mutmaßli-
cher Anhänger bewaffneter islamischer Gruppen durch die USA in Pakistan?

16. Wie bewertet die Bundesregierung ausgehend vor dem Hintergrund ihrer
aktuellen Kenntnisse über die Tötung von B. E. und damit eines deutschen
Staatsbürgers durch die USA auf pakistanischem Territorium aus völker-
rechtlicher Sicht?
a) Welche politischen und diplomatischen Konsequenzen ergeben sich aus

diesem Vorgang und seiner Bewertung?
b) Wie gedenkt die Bundesregierung sicherzustellen, dass sich zukünftig

eine gezielte Tötung deutscher Staatsbürger durch einen US-Geheim-
dienst nicht wiederholt?

17. Inwieweit haben deutsche Stellen nach heutiger Kenntnislage im Vorfeld
des Drohnenangriffs Informationen über die aus Deutschland stammenden
Islamisten in Nordwasiristan – oder auch über andere verdächtige Deutsche
in der Region – an US-amerikanische Behörden, an andere staatliche Stel-
len oder in den Strukturen der NATO weitergegeben?

18. Inwieweit kann die Bundesregierung weiterhin ausschließen, dass die
Tötung von B. E. aufgrund von Informationen erfolgte, die deutsche Sicher-
heitsbehörden an die US-amerikanischen Behörden, an andere staatliche
Stellen oder in den Strukturen der NATO weitergegeben haben?

Berlin, den 17. April 2012
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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