BT-Drucksache 17/9276

Ergänzende Informationen zur Asylstatistik für das erste Quartal 2012

Vom 5. April 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9276
17. Wahlperiode 05. 04. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Agnes Alpers, Sevim Dag˘delen,
Petra Pau, Jens Petermann, Kersten Steinke, Frank Tempel, Jörn Wunderlich
und der Fraktion DIE LINKE.

Ergänzende Informationen zur Asylstatistik für das erste Quartal 2012

Die von der Fraktion DIE LINKE. regelmäßig erfragten ergänzenden Informa-
tionen zur Asylstatistik des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge
(BAMF) beleuchten ausgewählte Aspekte, die in der medialen Berichterstattung
wenig Beachtung finden.

So gab es im Jahr 2011 nicht nur gut 45 000 Asylerstanträge und knapp 10 000
Anerkennungen (inklusive subsidiärem Schutz). Es wurden zudem 17 439 Ver-
fahren eingeleitet, mit denen der Flüchtlingsstatus bereits anerkannter Flücht-
linge noch einmal überprüft wurde. Zwar führte dies „nur“ in knapp 500 Fällen
(5,7 Prozent aller Entscheidungen) zum Widerruf der Anerkennung, zumeist
wegen geänderter Bedingungen im Herkunftsland. Doch Widerrufsverfahren
sind für die Betroffenen – politisch verfolgte und häufig traumatisierte Flücht-
linge – extrem belastend und für Behörden und Gerichte sehr arbeitsaufwändig.
Die deutsche Widerrufspraxis ist in der Europäischen Union (EU) einmalig
restriktiv, kein anderer Mitgliedstaat kennt obligatorische Widerrufsprüfungen
nach einer bestimmten Zeitdauer. Viele Länder verzeichnen überhaupt keine
oder nur vereinzelte Widerrufe, in Deutschland hingegen war im Zeitraum 2005
bis 2010 die Zahl der Asylwiderrufe mit 38 500 fast so groß wie die Zahl der
Asylanerkennungen (41 000).

Auch viele durch das BAMF zunächst abgelehnte Asylsuchende sind verfolgt
oder gefährdet: Im Jahr 2011 (bis November) wurden etwa 20 000 Klagen gegen
ablehnende Asylentscheidungen erhoben, 10 Prozent der Klägerinnen und
Kläger erhielten daraufhin einen Schutzstatus, bei afghanischen und syrischen
Asylsuchenden betrug dieser Anteil sogar 30 Prozent.

Bei etwa 20 Prozent aller Asylgesuche im Jahr 2011 war das BAMF der Auffas-
sung, dass ein anderes Land der EU für die Asylprüfung zuständig sei. Das
Land, das dabei mit Abstand am häufigsten ersucht wurde, Asylsuchende aus
Deutschland zu übernehmen, war ausgerechnet Italien (2 279 Ersuchen), das un-
ter anderem wegen unzureichender Aufnahmebedingungen in der Kritik steht.

Ein behördliches Asylverfahren in Deutschland dauert im Durchschnitt ein

knappes halbes Jahr, bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung inklusive
Gerichtsverfahren vergehen im Schnitt weitere zehn Monate. Bei bestimmten
Herkunftsländern mit geringen Anerkennungsquoten, etwa Serbien und Maze-
donien, sind die Verfahrensdauern deutlich kürzer. Dies widerlegt eine verbrei-
tete Vorstellung, wonach sich ein Aufenthalt in Deutschland angeblich bereits
durch eine Asylantragstellung und lange Verfahren quasi „erzwingen“ ließe.

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364 Anhörungen von Asylsuchenden (1,1 Prozent aller Anhörungen) wurden im
Jahr 2011 mit Hilfe der höchst umstrittenen Videokonferenztechnik durchge-
führt. Betroffen waren dabei auch Asylsuchende aus Afghanistan, dem Irak,
dem Kosovo, Syrien und Indien. Unter anderem nach Einschätzung des Wissen-
schaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages sind diese Videoanhörungen
rechtswidrig. Auch der Innenausschuss des Deutschen Bundestages hatte sich in
seiner Sitzung vom 25. Januar 2012 nahezu einhellig gegen den Einsatz der
Videotechnik ausgesprochen, weil ohne Not ein bewährtes Verfahren verlassen
würde. Konkreter Anlass für die Einführung der problematischen Videotechnik
waren nach Auskunft des BAMF interne Personalplanungsprobleme. Zwar gilt
derzeit ein Moratorium, das Bundesministerium des Innern will entgegen der
juristischen und politischen Bedenken jedoch grundsätzlich an Videoasylanhö-
rungen festhalten.

Im ebenfalls höchst umstrittenen Asylflughafenverfahren landeten im Jahr 2011
819 Personen, unter ihnen 150 afghanische, 143 iranische und 59 syrische
Staatsangehörige sowie 42 unbegleitete Minderjährige. Im Ergebnis wurde
dabei lediglich 60 Asylsuchenden nach einer Ablehnung als „offensichtlich
unbegründet“ die Einreise im Rechtssinne verweigert – wie viele von ihnen tat-
sächlich freiwillig oder zwangsweise ausreisen mussten oder in Deutschland
verbleiben konnten, ist ungeklärt.

36,4 Prozent aller Asylsuchenden in Deutschland im Jahr 2011 waren minder-
jährige Kinder, 4,7 Prozent waren unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie hoch war die Gesamtschutzquote (Anerkennungen nach § 16a des Grund-
gesetzes – GG –, nach § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes – AufenthG – in
Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention – GFK und von Abschie-
bungshindernissen nach § 60 Absätze 2, 3, 5 und 7 AufenthG) in der Ent-
scheidungspraxis des BAMF im ersten Quartal 2012, und wie lautet der Ver-
gleichswert des vierten Quartals 2011 (bitte in absoluten Zahlen und in
Prozent angeben, und nach den zehn wichtigsten Herkunftsländern und der
Art der Anerkennung differenzieren: Asylberechtigung, Flüchtlingsschutz,
subsidiärer Schutz nach § 60 Absatz 2 und 5 AufenthG – unmenschliche
Behandlung –, nach § 60 Absatz 3 AufenthG – Todesstrafe –, nach § 60 Ab-
satz 7 Satz 2 AufenthG – bewaffnete Konflikte – und nach § 60 Absatz 7
Satz 1 AufenthG, sonstige existenzielle Gefahren)?

2. Wie viele der Anerkennungen nach § 16a GG bzw. nach § 60 Absatz 1
AufenthG/GFK (bitte differenzieren) beruhten in den zuvor genannten Zeit-
räumen auf staatlicher, nichtstaatlicher bzw. geschlechtsspezifischer Verfol-
gung (bitte differenzieren und in absoluten und relativen Zahlen angeben)?

3. Wie viele Widerrufsverfahren wurden in den genannten Zeiträumen einge-
leitet (bitte Gesamtzahlen angeben und nach den verschiedenen Formen der
Anerkennung und den zehn wichtigsten Herkunftsländern differenzieren),
und wie viele Entscheidungen in Widerrufsverfahren mit welchem Ergebnis
gab es in diesen Zeiträumen (bitte Gesamtzahlen angeben und nach den ver-
schiedenen Formen der Anerkennung und den zehn wichtigsten Herkunfts-
ländern differenzieren, bitte auch die jeweiligen Widerrufsquoten benen-
nen)?

4. Wie lang war die durchschnittliche Bearbeitungsdauer im ersten Quartal
2012 bis zu einer behördlichen Entscheidung, wie lang war die Verfahrens-
dauer im Jahr 2011 bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung (d. h. inklusive
eines Gerichtsverfahrens, bitte jeweils nach den zehn wichtigsten Herkunfts-

ländern differenzieren)?

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5. Wie viele Verfahren im Rahmen der Dublin-II-Verordnung (DublinV) wur-
den im ersten Quartal 2012 bzw. im vierten Quartal 2011 eingeleitet (bitte in
absoluten Zahlen und in Prozentzahlen die Relation zu allen Asylerstanträgen
sowie die Quote der auf EURODAC-Treffern basierenden Verfahren und die
Quote der Verfahren nach „illegalem“ Grenzübertritt ohne Asylgesuch an-
geben)?

a) Welches waren in den benannten Zeiträumen die zehn am stärksten betrof-
fenen Herkunftsländer und welches die zehn am stärksten angefragten
EU-Mitgliedstaaten (bitte in absoluten Werten und in Prozentzahlen ange-
ben sowie in jedem Fall die Zahlen zu Griechenland und Malta nennen)?

b) Wie viele Dublin-Entscheidungen mit welchem Ergebnis (Zuständigkeit
eines anderen EU-Mitgliedstaats bzw. der Bundesrepublik Deutschland,
Selbsteintritt nach Artikel 3 Absatz 2 DublinV, humanitäre Fälle nach Ar-
tikel 15 DublinV) gab es in den benannten Zeiträumen?

c) Wie viele Überstellungen nach der Dublin-II-Verordnung wurden in den
benannten Zeiträumen vollzogen (bitte in absoluten Werten und in Pro-
zentzahlen angeben und auch nach den zehn wichtigsten Herkunftsländern
und EU-Mitgliedstaaten – in jedem Fall auch Griechenland, Ungarn, Bul-
garien, Zypern und Malta – differenzieren), und wie viele dieser Personen
wurden unter Einschaltung des BAMF, aber ohne Durchführung eines
Asylverfahrens überstellt?

d) Wie hoch war der Anteil der in Zuständigkeit der Bundespolizei durchge-
führten Dublin-Verfahren bzw. Überstellungen?

e) Wie viele Asylanträge wurden in den genannten Zeiträumen mit der Be-
gründung einer Nichtzuständigkeit nach der DublinV abgelehnt oder ein-
gestellt oder als unbeachtlich betrachtet, ohne dass ein Asylverfahren mit
inhaltlicher Prüfung durchgeführt wurde (bitte in absoluten und relativen
Zahlen angeben)?

6. Wie viele Asylanträge wurden im ersten Quartal 2012 bzw. im vierten Quar-
tal 2011 nach § 14a Absatz 2 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) von
Amts wegen für hier geborene (oder eingereiste) Kinder von Asylsuchenden
gestellt, wie viele Asylanträge wurden in den genannten Zeiträumen von bzw.
für Kinder(n) unter 16 Jahren bzw. von Jugendlichen zwischen 16 und
18 Jahren bzw. von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen gestellt (bitte
jeweils in absoluten Zahlen und in Prozentzahlen in Relation zur Gesamtzahl
der Asylanträge sowie die Gesamtzahl der Anträge unter 18-Jähriger und sich
überschneidende Teilmengen angeben), und wie hoch war die Gesamtschutz-
quote bei unbegleiteten Minderjährigen bzw. bei unter 18-Jährigen?

7. Wie viele Asylanträge wurden im ersten Quartal 2012 bzw. im vierten Quar-
tal 2011 mit der Begründung des „Nichtbetreibens“ oder weil eine Mitteilung
des BAMF nicht zugestellt werden konnte (bitte differenzieren), eingestellt
oder abgelehnt oder als zurückgenommen bewertet, wie viele Asylanträge
wurden in den genannten Zeiträumen als „offensichtlich unbegründet“ abge-
lehnt und wie viele mit Verweis auf § 26a bzw. § 29a AsylVfG (bitte jeweils
in absoluten und relativen Zahlen angeben und bei den Ablehnungen als
offensichtlich unbegründet zudem genauere Angaben differenziert nach den
zehn wichtigsten Herkunftsländern machen)?

8. Wie viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge wurden im ersten Quartal
2012 bzw. im vierten Quartal 2011 an welchen Grenzen durch die Bundes-
polizei aufgegriffen, wie viele von ihnen wurden an die Jugendämter überge-
ben, und wie viele von ihnen wurden zurückgewiesen bzw. zurückgeschoben
(bitte nach den zehn wichtigsten Herkunftsländern differenzieren)?

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9. Wie viele so genannte Flughafenverfahren wurden im ersten Quartal 2012
bzw. im vierten Quartal 2011 an welchen Flughafenstandorten mit welchem
Ergebnis durchgeführt (bitte auch Angaben zu minderjährigen unbegleite-
ten Flüchtlingen und den zehn wichtigsten Herkunftsländern machen)?

10. Wie lautet die Statistik zu Rechtsmitteln und Gerichtsentscheidungen im
Bereich Asyl für das Jahr 2011 (bitte wie auf Bundestagsdrucksache 17/4627
zu Frage 7 darstellen), und welche Angaben zur Dauer des gerichtlichen
Verfahrens lassen sich machen?

11. Wie viele Asylanhörungen mittels Bild- und Tonübertragung wurden im
ersten Quartal 2012 bzw. im vierten Quartal 2011 unter Beteiligung welcher
Außenstellen anberaumt, wie viele wurden abgebrochen (bitte nach den
Staatsangehörigkeiten der Betroffenen differenzieren), und wie viele An-
hörungen gab es in den genannten Zeiträumen insgesamt?

a) Wie ist die Diskrepanz zwischen 32 798 Anhörungen und über 53 000
Asylanträgen (Erst- und Folgeanträge) im Jahr 2011 zu erklären?

b) Wovon ist es abhängig, wann und ob Videoasylanhörungen wieder auf-
genommen werden?

c) Wieso werden die internen Personalprobleme des BAMF nicht in einer
Weise gelöst, dass die rechtlich und politisch höchst umstrittene Video-
technik nicht zum Einsatz kommen muss, etwa durch Versetzungen,
durch die Schaffung von Außenstellen in räumlicher Nähe zu den Asyl-
suchenden oder dadurch, dass Asylsuchende mit öffentlichen Verkehrs-
mitteln zur Anhörung erscheinen?

d) Inwieweit und mit welcher Begründung ist nach Auffassung der Bundes-
regierung der Einsatz der Videotechnik bei der Asylanhörung mit der
Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom 14. Mai 1996
– BVerfGE 94, 166 (202) – vereinbar: „Ferner ist – soweit möglich –
alles zu vermeiden, was zu Irritationen und in deren Gefolge zu nicht
hinreichend zuverlässigem Vorbringen in der Anhörung beim Bundes-
amt führen kann“?

12. Wie waren die Schutzquoten und Zahlen der Schutzgesuche bei Asylsu-
chenden aus Tunesien, Ägypten, Marokko, Syrien, Jemen, Katar, Saudi
Arabien und Libyen im ersten Quartal 2012 bzw. im vierten Quartal 2011?

13. Haben sich die Entscheidungsvorgaben zu Asylsuchenden aus Syrien in der
letzten Zeit geändert, und wenn ja, wie?

Berlin, den 5. April 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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