BT-Drucksache 17/9271

Umgang der Bundeswehr mit den gesundheitlichen Folgen der Verwendung von radioaktiver Leuchtfarbe

Vom 5. April 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9271
17. Wahlperiode 05. 04. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken,
Christine Buchholz, Andrej Hunko, Harald Koch, Stefan Liebich, Kathrin Vogler,
Harald Weinberg und der Fraktion DIE LINKE.

Umgang der Bundeswehr mit den gesundheitlichen Folgen der Verwendung
von radioaktiver Leuchtfarbe

Seit Jahrzehnten führen viele ehemalige Angehörige der Bundeswehr- und der
Nationalen Volksarmee (NVA) einen engagierten, aber erfolglosen Kampf um
Anerkennung und Entschädigung für ihre unwissentlich durch Radarstrahlen
erworbenen Krankheiten. Und das, obwohl im Jahr 2001 sowohl die vom Bun-
desministerium der Verteidigung (BMVg) eingesetzte „Arbeitsgruppe Radar“
als auch die 2003 auf Initiative des Verteidigungsausschusses des Deutschen
Bundestages eingesetzte „Radarkommission“ festgestellt haben, dass das Bun-
deswehr- und NVA-Personal in verschiedener Weise gesundheitlichen Risiken
aufgrund von radioaktiver Strahlung ausgesetzt war.

Trotz vieler Bekundungen der Bundesregierung, den Betroffenen zeitnahe und
umfassende Hilfe zuteil werden zu lassen, hat sich bis heute so gut wie nichts ge-
tan. Von den etwa 3 850 Antragstellern wurde nur ein Bruchteil als Geschädigte
anerkannt. Der Bund zur Unterstützung Radargeschädigter e. V. (BzUR) und die
Interessensvertretung NVA-Radar haben wiederholt darauf hingewiesen, wel-
che Hindernisse den Antragstellern seitens des BMVg in den Weg gelegt wer-
den, sei es bei der Beschaffung der technischen Unterlagen oder dadurch, dass
selbst bei positiven Gerichtsurteilen das BMVg in der Regel Widerspruch ein-
legt und damit das Verfahren in die Länge zieht. Auch die Einrichtung einer Stif-
tung zur Unterstützung der Radargeschädigten wurde vom BMVg wiederholt
abgelehnt. Erst nachdem der Deutsche Bundestag im November 2011 das
BMVg zur erneuten Prüfung aufgefordert hatte, scheint sich nun langsam etwas
zu bewegen. Allerdings wurde die Öffentlichkeit bislang nicht über den
Zuschnitt, die Arbeitsweise oder den Arbeitsbeginn der geplanten Stiftung in-
formiert.

Bislang wurden die strahlenbedingten Gefährdungspotentiale für Soldaten auf-
grund der Untersuchungsergebnisse der „Arbeitsgruppe Radar“ und der „Radar-
kommission“ festgelegt. Grundlage dafür bildeten die von der Bundeswehr be-
reit gestellten Unterlagen. Inzwischen gibt es jedoch neue Hinweise darauf, dass
auch andere Risikoquellen ähnliche gesundheitliche Schädigungen hervorrufen

können wie die Strahlung von Radargeräten. In der Schachtanlage Asse wurden
beispielsweise Fässer mit Armaturen aus Cockpits sowie Schalter gefunden, die
mit Leuchtfarbe Ra-226 bestrichen waren und eine hohe Strahlung aufwiesen.
Da Ra-226 in vielen Waffensystemen der Bundeswehr verwendet wurde, um die
Orientierung bei Dunkelheit zu erleichtern, wäre damit ein weitaus größerer Per-
sonenkreis als der der Radartechniker einer schädlichen Strahlung ausgesetzt
gewesen. Obwohl diese Farbe seit 1980 aufgrund der Strahlenschutzverordnung

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in der Bundeswehr verboten ist, wurde das Verbot anscheinend nicht vollständig
umgesetzt. Darüber hinaus hat Bernd Franke, ein Mitglied der „Radarkommis-
sion“, gegenüber dem Fernsehmagazin „FAKT“ (28. Februar 2012, www.
mdr.de/fakt/bundeswehr174.html), bezweifelt, dass der Kommission alle ver-
fügbaren Unterlagen zur Bewertung der Strahlung der Leuchtfarbe Ra-226 von
der Bundeswehr vorgelegt worden sind. Insbesondere der Allgemeine Umdruck
76, der alle radioaktiven Substanzen, einige Bauteile sowie deren Strahlungs-
werte enthält, soll nicht vorgelegen haben. Das wurde auch vom Bundesamt für
Strahlenschutz (BfS) bestätigt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. In und auf welchen Gegenständen wurde in der Bundeswehr Ra-226 ver-
wendet?

2. In welchem Zeitraum wurden radioaktive Leuchtfarben in der Bundeswehr
verwendet?

3. Ist durch die Bundeswehr zum Ausbessern abgenutzter Leuchtfarbe auf
Gegenständen (z. B. Zifferblätter, Bedienelementen) Leuchtfarbe

a) aus Beständen von ausländischen Verbündeten übernommen worden,
und wenn ja, von welchen in welcher Menge,

b) von Unternehmen beschafft worden, und wenn ja, in welcher Menge?

4. Wann wurde mit der Aussortierung und Einlagerung der Ra-226-Leucht-
farben begonnen, und welcher Zeitraum wurde für die komplette Ausson-
derung der Leuchtfarbe festgelegt?

5. Wie viel radioaktives Material mit Ra-226-Leuchtfarbe wurde bis heute
ausgesondert (bitte aufgeschlüsselt nach Menge pro Jahr)?

6. Welche Dienststelle war für die Umsetzung des Verbots radioaktiver
Leuchtfarbe in der Bundeswehr verantwortlich, und wie und durch wen
wurde die Umsetzung kontrolliert?

7. War die Weiterverwendung von radioaktiver Leuchtfarbe durch die Bun-
deswehr nach dem deutschlandweiten Verbot 1980 unrechtmäßig, und
wenn ja, wie wurden die Verstöße gegen das Verbot geahndet?

8. Wie und wo wurden die ausgesonderten Gegenstände entsorgt?

9. Wie viele Fässer mit radioaktivem Material aus Bundeswehrbeständen
wurden in der Schachtanlage Asse eingelagert, und wie viele dieser Fässer
enthalten mit Ra-226 verstrahltes Material (bitte jeweils mit Angabe über
den konkreten Inhalt der mit Ra-226 verstrahlten Fässer)?

10. Trifft es zu, dass alle mit Ra-226 belasteten Fässer an der Außenseite im-
mer denselben Dosiswert von 50µSv/h aufweisen?

11. Wenn ja, wie erklärt sich die Bundesregierung diesen Umstand, da in die-
sem Fall immer ein gleiches Material mit der gleichen Aktivität in den Fäs-
sern vorhanden sein müsste?

12. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die tatsächliche Dosis im Inneren
des Fasses unter Wegfall der vorgeschriebenen Abschirmung?

13. Wo befinden sich die nach der Strahlenschutzverordnung vorgeschriebenen
Messprotokolle für das eingelagerte Material?

14. War eine Lagerung von verstrahlten Bundeswehrabfällen in dieser Form
außerhalb des Zuständigkeitsbereiches der Bundeswehr nach welcher da-
maligen Vorschriftenlage erlaubt, und wenn nicht, wer hat damals die

Anordnung für die Lagerung in Asse gegeben?

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15. Gab es Ausnahmeregelungen für die Weiterverwendung von radioaktiver
Leuchtfarbe, insbesondere von Ra-226, und wenn ja, welche?

16. Wurde das Personal der Bundeswehr über die Gesundheitsrisiken infor-
miert (und wenn ja, wie und in welchem Umfang)?

17. Befindet sich Ra-226-Leuchtfarbe auch heute noch auf im Gebrauch be-
findlichen Gegenständen der Bundeswehr?

Wenn ja, auf welchen und in welcher Menge?

18. Trifft es zu, dass radioaktive Leuchtfarbe auch heute noch auf Teilen nach-
zuweisen ist, die eigentlich auf nichtstrahlende Leuchtfarbe umgerüstet
worden sein sollen, und wenn ja, welche Erklärung gibt es dafür, und wer
ist dafür verantwortlich?

19. Welchen Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung, auch diese Rest-
bestände auszusondern, und welche Anstrengungen werden bis wann dies-
bezüglich unternommen?

20. Hat das BMVg der „Radarkommission“ den Allgemeinen Umdruck 76
(AU 76) zur Verfügung gestellt, und wenn ja, wann, und auf wessen Initia-
tive?

Wenn nicht, warum nicht?

21. Kann die Bundesregierung die Aussage eines Vertreters des Bundesamtes
für Strahlenschutz und die eines Angehörigen der „Radarkommission“ ge-
genüber „FAKT“ bestätigen (www.mdr.de/fakt/strahlen100.html), dass das
Dokument AU 76 nicht der „Radarkommission“ zur Verfügung gestellt
worden ist?

22. Wie wurde und wird das Bundeswehrpersonal über die möglichen gesund-
heitlichen Gefahren im Umgang mit radioaktiver Leuchtfarbe informiert?

23. Welche Untersuchungen und Gutachten über die gesundheitlichen Gefah-
ren im Umgang mit radioaktiver Leuchtfarbe wurden von der Bundeswehr
in Auftrag gegeben und jeweils mit welchem Ergebnis?

24. Von welchem Strahlungsdurchschnittswert für mit radioaktiver Leucht-
farbe bedeckten Schaltern, Instrumenten und anderen Bauteilen ging die
Bundesregierung 2001 und heute jeweils aus?

25. Welches in dem AU 76 aufgeführte Bauteil weist den höchsten Strahlen-
wert auf, und von welchen gesundheitlichen Gefahren durch ein solches
Bauteil geht die Bundesregierung aus?

26. Plant die Bundesregierung, auf Grundlage neuer Erkenntnisse aus dem
AU 76, die Dosisberechnungen der radioaktiven Leuchtfarben durch Mit-
glieder der „Radarkommission“ oder anderen Experten außerhalb der Bun-
deswehr neu zu berechnen?

27. Trifft es zu, dass in den Anerkennungsverfahren überwiegend Messergeb-
nisse von der Bundeswehr angeführt werden, die auf Messungen aus der
neueren Zeit beruhen, die mit den realen Arbeitsbedingungen der vor über
30 Jahren verstrahlten Angehörigen der NVA und Bundeswehr nichts zu
tun haben?

28. Ist eine Fortschreibung des Radarberichtes nach neuesten wissenschaft-
lichen Erkenntnissen bzw. eine Wiedereinsetzung der „Radarkommission“
geplant, und wenn nicht, warum nicht?

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29. Ist die Einrichtung eines unabhängigen Expertengremiums geplant, wel-
ches sich nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen damit beschäf-
tigt, welche Krankheitsbilder auf Strahlenexposition mittels radioaktiver
Leuchtfarbe zurückgehen können und bei Entschädigungsfragen oder
Streitfällen beratend unterstützt, und wenn nicht, warum nicht?

30. Plant die Bundesregierung bzw. das BMVg, die abgelehnten Anträge auf-
grund neuer Erkenntnisse bzw. neuer Berechnungswerte einer neuen Be-
wertung zu unterziehen, und wenn nicht, warum nicht?

31. Wie viele Anträge auf Entschädigung von ehemaligen Soldaten aufgrund
von gesundheitlichen Folgen durch den Kontakt mit radioaktiver Leucht-
farbe wurden bislang gestellt, und wie viele davon wurden anerkannt?

32. Wie viele solcher Fälle sind noch anhängig?

33. Wie viele Anträge wurden zurückgezogen, und aus welchen Gründen?

34. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die rechtlichen Hürden
bei den Anerkennungsverfahren in der Strahlenproblematik für ehemalige
Angehörige der NVA aus Gründen der Gleichbehandlung mit Bundeswehr-
angehörigen zu vermindern?

35. Wie soll sichergestellt werden, dass radargeschädigte ehemalige Angehö-
rige der Bundeswehr und der NVA in Entschädigungsfragen gleich behan-
delt werden?

36. Welchen Stand haben die Überlegungen und Planungen der Bundesregie-
rung zur Einrichtung einer Stiftung zu Gunsten der Radaropfer?

37. Bis wann ist mit einer Entscheidung der Bundesregierung zu rechnen?

38. Mit wie viel Kapital soll die Stiftung ausgestattet werden, und wie viel
Geld würde dann pro Jahr für die Entschädigung von Strahlenopfern aus
der Bundeswehr zur Verfügung stehen?

39. Wie und in welchem finanziellen Umfang werden sich die Gerätehersteller
finanziell am Kapital der Stiftung beteiligen?

40. Soll die Stiftung auch für Entschädigungsforderungen der gesundheitlich
geschädigten Kinder von verstrahlten Soldaten zuständig sein?

41. Soll die Stiftung auch für andere geschädigte Personengruppen, wie z. B.
an Posttraumatischer Belastungsstörung erkrankten Soldatinnen und Sol-
daten, zuständig sein?

42. Wie viel Stiftungspersonal wird notwendig sein, um eine schnelle Bearbei-
tung der Entschädigungsforderungen zu gewährleisten?

43. Welche Maßnahmen hat das BMVg in den letzten fünf Jahren veranlasst,
um den Betroffenen einen leichteren Zugang zu den für ihr Verfahren not-
wendigen Unterlagen zu gewähren?

44. In wie vielen Fällen hat das BMVg darauf verzichtet, Widerspruch gegen
ein Gerichtsurteil zugunsten der strahlengeschädigten Soldatinnen und Sol-
daten und ihrer Angehörigen einzulegen?

Berlin, den 5. April 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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