BT-Drucksache 17/9269

Kostenbescheide der Bundespolizei an Asylsuchende, anerkannte Asylberechtigte und Flüchtlinge

Vom 5. April 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9269
17. Wahlperiode 05. 04. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Wolfgang Neskovic, Frank Tempel,
Halina Wawzyniak, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Kostenbescheide der Bundespolizei an Asylsuchende, anerkannte
Asylberechtigte und Flüchtlinge

Die Flüchtlingshilfsorganisation Förderverein PRO ASYL e. V. berichtete am
29. Februar 2012 in einer Pressemitteilung über Kostenbescheide an Asyl-
suchende, die bei ihrer Einreise nach Deutschland ein Flughafenverfahren
durchlaufen haben und dabei in der Transitunterkunft im Frankfurter Flughafen
untergebracht waren.

Von den Kostenbescheiden betroffen sind so genannte Dublin-Fälle, bei denen
Flüchtlinge von der Bundespolizei nach einem Asylgesuch an der auch frei-
willigen Weiterreise in einen zuständigen Mitgliedstaat wegen unerlaubter Ein-
reise gehindert werden.

Für den Zwangsaufenthalt am Flughafen während des laufenden Verfahrens zur
Prüfung der Zuständigkeit nach der Dublin-II-Verordnung von teilweise zwei
bis drei Monaten, teilweise mit Aufenthaltsanordnung durch den Haftrichter,
werden dann die Kosten der Unterbringung sowie die der zwangsweisen Rück-
führung in Rechnung gestellt. Die Kostenbescheide liegen in Größenordnungen
von mehreren Tausend Euro, Summen von 9 000 Euro bis 18 000 Euro im
Durchschnitt sind dabei keine Seltenheit.

Aber auch Flüchtlingen, die nach einer Zurückweisung erneut Asyl beantragten
und schließlich in Deutschland einen Aufenthaltstitel als anerkannte Flücht-
linge erhielten, wurden im Nachhinein Kostenbescheide in vergleichbarer Grö-
ßenordnung zugestellt. Davon sind auch minderjährige Flüchtlinge betroffen,
die nach erneuter Einreise als Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskon-
vention anerkannt wurden. Zugleich erhielten sie Bescheide über fünfstellige
Summen für die aus Haft und Begleitung durch Bundespolizeibeamte entstan-
denen Kosten ihrer schließlich rechtswidrigen Zurückschiebung in Zusammen-
hang mit ihrem ersten Einreiseversuch.

Ausländerinnen und Ausländer, gegen die Abschiebungs-, Zurückschiebungs-
oder Zurückweisungsmaßnahmen vollzogen werden, sind gegenüber den zu-
ständigen Behörden grundsätzlich kostenerstattungspflichtig. In den dargestell-
ten Fällen wurde aber entweder die Weiterreise in einen anderen EU-Staat oder

die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland zur Durchführung eines (letzt-
lich erfolgreichen) Asylverfahrens zugelassen. Daraus ergibt sich, dass die tat-
sächliche Durchführung einer Abschiebung oder Zurückweisung rechtswidrig
gewesen wäre, bzw. eine Zurückweisung im Dublin-Verfahren in den zuständi-
gen Asylstaat im Rahmen eines laufenden Asylverfahrens erfolgte.

Drucksache 17/9269 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Weder mit dem Rechtsstaatsprinzip noch mit dem Grundsatz eines einheit-
lichen europäischen Asylsystems „one chance only“ – ein einziger Asylantrag
in allen Mitgliedstaaten der Dublin-II-Verordnung – ist es aber vereinbar, Be-
troffenen ohne jegliche Einzelfall- oder Billigkeitsprüfung die hohen Kosten ei-
ner staatlich veranlassten Maßnahme aufzuerlegen, die sich im Ergebnis als un-
angemessen herausstellt. In Dublin-Fällen wurden damit Kosten produziert, die
bei Gewährung der freiwilligen Weiterreise im Schengen-Binnenland oder aber
Weiterleitung der Asylsuchenden bis zur Klärung der Zuständigkeit an eine
Erstaufnahmeeinrichtung weder für die Bundesrepublik Deutschland noch für
den Flüchtling entstanden wären.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie stellt sich die genaue Rechtslage für das in der Vorbemerkung der Fra-
gesteller ausgeführte Problem dar, und wie bewertet die Bundesregierung
die vom Förderverein PRO ASYL e. V. dargelegten Fälle?

2. In wie vielen Fällen hat die Bundespolizei in den Jahren 2002 bis 2011 Kos-
tenbescheide an Personen erlassen, die sich im Transitgewahrsam eines
deutschen Flughafens befunden haben (bitte nach Jahren, Staatsangehörig-
keit und Einreiseflughafen auflisten und die Kosten benennen)?

3. Aus welchen Positionen setzen sich die Kosten in den Bescheiden zusam-
men, und wie hoch sind insbesondere die enthaltenen Kosten für die Unter-
kunft im Transitgewahrsam und die Personalkosten der Bundespolizei (bitte
pro Tag angeben, für alle Flughäfen mit Transitgewahrsam auflisten)?

4. In wie vielen Fällen wurde in den Jahren 2002 bis 2011 gegen Kostenbe-
scheide der Bundespolizei im Zusammenhang des Aufenthalts im Transitge-
wahrsam eines Flughafens oder mit aufenthaltsbeendenden Maßnahmen
Klage erhoben, und wie ist der derzeitige Verfahrensstand bzw. das Ergebnis
dieser Klagen?

5. Wie viele Kostenbescheide wurden in den Jahren 2002 bis 2011 durch die
Bundespolizei tatsächlich vollstreckt?

Wie viele gerichtliche Mahnverfahren wurden eingeleitet, mit welchem Er-
gebnis, wie häufig wurden Ersatzfreiheitsstrafen verhängt und vollzogen?

6. In wie vielen Fällen wurde in den Jahren 2002 bis 2011 die Erteilung eines
Visums bzw. die Einreise aufgrund einer nicht beglichenen Forderung deut-
scher Behörden mit aufenthaltsrechtlichem Bezug (Rückführungskosten,
Bußgelder etc.) abgelehnt bzw. verweigert?

7. Wird bei Kostenbescheiden gegenüber Drittstaatsangehörigen, die nach ih-
rer Einreise als asylberechtigt oder als Flüchtlinge anerkannt wurden oder
Abschiebeschutz erhalten haben, die Vollstreckung durch die Bundespolizei
(oder durch beauftragte Behörden) auch tatsächlich betrieben?

Falls nein, wieso wird der Kostenbescheid dann nicht aufgehoben?

8. Welche Mechanismen bestehen bei der Bundespolizei, um die Rechtmäßig-
keit eines Bescheides über die Kosten für die Abschiebung, Zurückschie-
bung oder Zurückweisung oder Unterbringung im Transitgewahrsam regel-
mäßig zumindest in solchen Fällen zu überprüfen, in denen die vermeint-
lichen Kostenschuldner zur Durchführung eines Asylverfahrens einreisen
durften, also die Kostenschuld u. U. durch die Erteilung eines Aufenthalts-
titels hinfällig wird?

9. Welche aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen knüpfen sich an das Bestehen
eines Bescheides über Kosten aus dem Flughafenasylverfahren, insbeson-

dere im Hinblick auf die Aufenthaltsverfestigung und den Zugang zu Härte-
fall- und Altfallregelungen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9269

10. Wie ist im Dublin-Verfahren die Praxis der Zurückweisung und strafrecht-
lichen Verfolgung eines illegalen Aufenthalts bis hin zur Verhängung von
Abschiebehaft allein aufgrund des Asylgesuchs mit den europarechtlichen
Vorgaben eines einheitlichen Asylverfahrens vereinbar, wenn lediglich die
Zuständigkeit zu klären ist?

11. Erhalten auch Asylsuchende, die in Deutschland die Klärung der Zustän-
digkeit für das Asylverfahren abwarten, bei Feststellung der Zuständigkeit
eines anderen Dublin-II-Staates, Bescheide über die Kosten der Unterkunft
und die Kosten für den Transport in den zuständigen Staat?

Falls nein, wie erklärt sich diese Ungleichbehandlung von eingereisten
Asylsuchenden in einer Erstaufnahmeeinrichtung und Asylsuchenden, die
an der Ein- oder Weiterreise gehindert werden?

12. Werden parallel zur Geltendmachung der Kosten gemäß § 67 des Aufent-
haltsgesetzes auch Kosten gegenüber den Beförderungsunternehmen gel-
tend gemacht, mit denen betroffene Asylsuchende innerhalb der Dublin-
Staaten weitergereist sind, und wenn nein, warum werden diese zahlungs-
fähigen Kostenschuldner von einem Kostenersatz verschont?

13. Welcher Änderungsbedarf im deutschen Recht bzw. in der Praxis ergibt
sich nach Ansicht der Bundesregierung aus dem Urteil des Europäischen
Gerichtshofs „Achughbabian“ (C-329/11 vom 6. Dezember 2011) zur
Frage des Umfangs zulässiger strafrechtlicher Sanktionen bei illegalem
Aufenthalt, und was hat die Bundesregierung diesbezüglich bereits unter-
nommen bzw. in die Wege geleitet?

Berlin, den 5. April 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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