BT-Drucksache 17/9254

Transport von knapp 300 000 Brennelementen vom Zwischenlager Jülich nach Ahaus

Vom 2. April 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9254
17. Wahlperiode 02. 04. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Oliver Krischer, Sylvia Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell,
Bärbel Höhn, Undine Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch, Britta Haßelmann,
Dr. Hermann E. Ott, Claudia Roth (Augsburg), Dorothea Steiner und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Transport von knapp 300 000 Brennelementen vom Zwischenlager Jülich nach
Ahaus

Auf dem Gelände des Forschungszentrums Jülich GmbH (FZJ) lagern etwa
300 000 radioaktive Brennelementekugeln aus dem im Jahr 1988 stillgelegten
Versuchsreaktor AVR (Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktor) Jülich. Die Ge-
nehmigung für die Zwischenlagerung dieser Brennelemente läuft am 30. Juni
2013 aus. Anstelle einer weiteren Zwischenlagerung in Jülich wollen Bundes-
regierung und Vorstand des FZJ den Transport der insgesamt 152 Castoren quer
durch Nordrhein-Westfalen (NRW) in das Brennelementezwischenlager Ahaus.
Dieser Transport soll per Lkw mit bis zu 152 Einzeltransporten über einen Zeit-
raum von etlichen Monaten stattfinden.

Eine derartige große Zahl von Atomtransporten über einen so langen Zeitraum
stellt eine enorme Gefährdung für die Bevölkerung und die Umwelt dar. Daher
fordert die Landesregierung NRW, aber auch viele Kommunen und Kreise in der
Region (z. B. der Kreistag Düren parteiübergreifend in einem fast einstimmigen
Beschluss), das Zwischenlager Jülich zu ertüchtigen und die Voraussetzungen
für eine verlängerte Zwischenlagerung zu schaffen, bis die hochradioaktiven
Brennelemente in ein genehmigtes Endlager transportiert werden können. Einen
entsprechenden Antrag des Landes NRW lehnte der Aufsichtsrat des FZJ am
30. November 2011 mit der dort repräsentierten 90-Prozent-Mehrheit des Bun-
des ab.

Noch am 5. März 2012 erklärten der Parlamentarische Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Bildung und Forschung, Thomas Rachel, und das FZJ-
Vorstandsmitglied Karsten Beneke, während einer Veranstaltung in Jülich, die
Lagerung der 152 Castoren über den 30. Juni 2013 hinaus sei völlig undenkbar
und beschworen gar ein Einschreiten der Staatsanwaltschaft, wenn Castoren
länger in Jülich gelagert würden. Man werde, so die Vertreter der Bundesregie-
rung und des FZJ, alle Castoren bis zum 30. Juni 2013 nach Ahaus transportiert
haben.
Entgegen dieser und aller anderen Äußerungen seit mindestens zwei Jahren
vollzog das FZJ dann eine 180-Grad-Kehrtwende und verkündet am 15. März
2012 auf seiner Homepage, dass der Vorstand dem Aufsichtsrat die Wiederauf-
nahme des zuvor am 16. Juli 2010 ruhend gestellten Verlängerungsantrags für
die Genehmigung des Zwischenlagers in Jülich empfiehlt. Danach sollen die
Castoren mit den Brennelementen mindestens bis zum 30. Juni 2016 – und
nicht wie bisher nur bis zum 30. Juni 2013 – in Jülich gelagert werden. Das FZJ

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ist damit im Grundsatz der Forderung der rot-grünen Landesregierung in NRW
und den kommunalpolitischen Beschlüssen nachgekommen, für einen Verbleib
der Brennelemente in Jülich zu sorgen.

Die plötzliche Kehrtwende des FZJ geschah einen Tag nach der Auflösung des
Landtags NRW und der Proklamation des Bundesministers für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit, Dr. Norbert Röttgen, zum Spitzenkandidaten der
CDU für die anstehende Landtagswahl.

Das FZJ begründet die Kehrtwende auf seiner Homepage damit, dass das „BfS
im Zuge des Genehmigungsverfahrens für die künftige Zwischenlagerung der
Brennelemente in Ahaus neue Anforderungen an den Betreiber des Lagers in
Ahaus, die Gesellschaft für Nuklearservice (GNS), gestellt“ habe. Dagegen
schreibt das BfS auf seiner Homepage zum Genehmigungsverfahren der Einla-
gerung in Ahaus: „Die Dauer des aktuellen Genehmigungsverfahrens ist in den
fehlenden Sicherheitsnachweisen des Antragstellers begründet. Eine Genehmi-
gung zur Einlagerung der AVR-Brennelemente in Ahaus kann nur dann erteilt
werden, wenn alle erforderlichen Nachweise über die Sicherheit erbracht wer-
den. Die Genehmigungsvoraussetzungen werden im Atomgesetz festgelegt und
sind allen Beteiligten bekannt. Davon unbenommen hat der Antragsteller aber
dafür Sorge zu tragen, dass seine Unterlagen dem sich weiterentwickelnden
Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen, der im technischen Regel-
werk festgehalten ist.“

Wir fragen daher die Bundesregierung:

1. Welche konkrete Position vertritt die Bundesregierung derzeit zum weiteren
Verbleib der im Zwischenlager Jülich lagernden 152 Castoren?

2. Welche Sicherheitsnachweise hat das FZJ dem BfS nicht zur Verfügung
gestellt (vergleiche Mitteilung des BfS unter www.bfs.de/de/transport/
zwischenlager/weitere_informationen/juelich_ahaus.html)?

3. Aus welchem Grund hat das FZJ diese Nachweise nicht beigebracht, obwohl
die Anforderungen hierfür nach Aussage des BfS (siehe obige Mitteilung im
Internet) aus den einschlägigen Rechtsgrundlagen hervorgehen?

4. Seit wann ist der Bundesregierung, dem FZJ und dem BfS bekannt, dass un-
ter diesen Umständen der Transport der 152 Castoren von Jülich nach Ahaus
bis zum 30. Juni 2013 nicht mehr abzuwickeln sein wird?

5. Weshalb hat das FZJ mit Schreiben vom 16. Juli 2010 beantragt, den Ver-
längerungsantrag für die Genehmigung des Zwischenlagers in Jülich ruhend
zu stellen, obwohl schon damals der ursprünglich von FZJ erarbeitete und
öffentlich kommunizierte Zeitplan für die Transporte nicht mehr einzuhalten
war?

6. Weshalb hat das FZJ ausgerechnet am 16. Juli 2010 schriftlich beantragt,
den Verlängerungsantrag für die Genehmigung des Zwischenlagers in Jülich
ruhend zu stellen, obwohl am 12. Juli 2010 SPD und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN zur Bildung einer Landesregierung in NRW und damit als Min-
derheitsgesellschafter des FZJ eine Koalitionsvereinbarung unterzeichnet
haben, die eine weitere Zwischenlagerung der Castoren in Jülich anstelle des
Transports fordert?

7. Weshalb behaupten der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Rachel und
der Vertreter des FZJ während einer Veranstaltung in Jülich am 5. März
2012, eine Verlängerung der Genehmigung für die Zwischenlagerung sei
nicht zu erreichen und brachten gar ein mögliches Einschreiten der Staatsan-
waltschaft ins Spiel, wenn der Vorstand des FZJ nur zehn Tage später genau

diese Verlängerung dem Aufsichtsrat vorschlägt?

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8. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass auch der Vorstand des FZJ
einen vorsorglichen Antrag auf Verlängerung der Genehmigung stellen
kann, oder kann nur der Aufsichtsrat einen (vorsorglichen) Antrag stellen
(bitte jeweils mit Begründung)?

9. Wenn die Verlängerung der Genehmigung des Zwischenlagers in Jülich
nunmehr zumindest bis 2016 möglich erscheint und beantragt werden soll,
warum wird dann kein Antrag auf Verlängerung der Zwischenlagergeneh-
migung, ggf. mit Ertüchtigung oder Neubau der Halle für den Zeitraum bis
zum Bereitstehen eines Endlagers, gestellt?

10. Welche konkreten Sicherheitsaspekte sprechen aus Sicht der Bundesregie-
rung für eine Zwischenlagerung in Ahaus einschließlich des Risikos bis zu
152 Einzeltransporten, im Vergleich zu einer Zwischenlagerung auf dem
Gelände des FZJ, angesichts der Aussage des Parlamentarischen Staats-
sekretärs Thomas Rachel, dass für den Bund die Kostenfrage bei diesem
Thema zweitrangig ist?

11. Welche Konsequenz hat die Tatsache, dass die am 17. Juni 1993 gemäß § 6
des Atomgesetzes erteilte Genehmigung für das AVR-Behälterlager Jülich
eine maximale Aufbewahrungsdauer von 20 Jahren in den Castorbehältern
vorsieht und demnach beginnend am 11. August 2013 (20 Jahre nach Be-
füllung des ersten Behälters) diese Genehmigungen sukzessive auslaufen?

12. Müssen die Behälter nach Auslaufen der Genehmigung ausgewechselt und
damit die Reaktorkugeln neu verpackt werden, oder ist eine Verlängerung
der Genehmigung möglich?

13. Falls letzteres zutrifft, welche Prüfungen der Sicherheit der einzelnen Be-
hälter müssen erfolgen?

14. Beantragt das FZJ auch eine Verlängerung der bis Ende 2013 befristeten
Genehmigung von Atommüllbehältern in den Abfallzellen, und wenn ja,
warum?

15. Wo wäre bei einer Verlagerung der Behälter nach Ahaus nach den bisheri-
gen Vorstellungen der Bundesregierung und des FZJ dieses ggf. notwen-
dige Be- und Entladen dann erfolgt?

16. Wann ist die Bundesregierung bereit – anders als von der Bundesministerin
für Bildung und Forschung, Dr. Annette Schavan, Presseberichten, z. B.
„SPIEGEL ONLINE“ vom 1. Februar 2012, zufolge mitgeteilt – ohne Vor-
bedingungen mit der Landesregierung von NRW über die Möglichkeit
einer Zwischenlagerung der Castoren auf dem Gelände des FZJ, Gespräche
zu führen?

Berlin, den 2. April 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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