BT-Drucksache 17/9244

Ausweitung von ATALANTA auf das somalische Landgebiet

Vom 2. April 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9244
17. Wahlperiode 02. 04. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan van Aken, Wolfgang Gehrcke, Christine Buchholz,
Sevim Dag˘delen, Andrej Hunko, Ulla Jelpke, Harald Koch, Stefan Liebich,
Niema Movassat, Petra Pau, Paul Schäfer (Köln), Frank Tempel, Kathrin Vogler
und der Fraktion DIE LINKE.

Ausweitung von ATALANTA auf das somalische Landgebiet

Am 23. März 2012 hat der Europäische Rat den Marineeinsatz ATALANTA bis
zum 12. Dezember 2014 verlängert und die Ausweitung des Einsatzgebietes auf
das somalische Küstengebiet und die inneren Gewässer beschlossen. In Zukunft
sollen demnach auch Stützpunkte und Materialdepots der Piraten angegriffen
und zerstört werden dürfen. Grundlage für die Ausweitung von ATALANTA
sind die Resolutionen des UN-Sicherheitsrates, insbesondere Resolution 1851
(2008), die auch militärische Operationen an Land autorisiert, sofern die
Zustimmung der somalischen Übergangsregierung (TFG) vorliegt.

Angesichts der Tatsache, dass das Regierungsmandat der TFG im August 2012
endet, stellt sich die Frage nach der Legitimität der Militäroperation für die Zeit
nach August 2012. Zudem lässt der Beschluss der Europäischen Union offen,
welche konkreten Grenzen dem Einsatz in den Küstengebieten und auf den in-
neren Gewässern gesetzt sind.

In jedem Fall sind mit der Ausweitung des Marineeinsatzes ATALANTA in So-
malia auf das Land und die inneren Gewässer erhebliche Risiken für die Zivil-
bevölkerung verbunden. Dazu zählen insbesondere die Gefahr, durch den Be-
schuss von Hubschraubern des ATALANTA-Verbandes getötet oder verletzt zu
werden; die Gefahr der Zerstörung von Gerätschaften und Booten der ansäs-
sigen Fischer; die massive Einschränkung der Bewegungsfreiheit und der un-
gehinderten wirtschaftlichen Aktivitäten in den betroffenen Regionen sowie die
Gefahr einer weitere Ausdehnung ins Landesinnere, sobald sich die Piraten an
die neuen militärischen Gegebenheiten angepasst und ihre Basen verlagert
haben.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie breit ist der Küstenstreifen, auf den das Einsatzgebiet ausgeweitet wird
(bitte unter Angabe der Kilometer von der Küstenlinie aus)?
2. Welche inneren Gewässer Somalias gehören in Zukunft zum ATALANTA-
Einsatzgebiet, und wie weit will ATALANTA höchstens in diese Gewässer
eindringen (bitte unter Angabe der Lage und Bezeichnung dieser Gewässer
und deren maximale Entfernung von der Wasserkante)?

3. Schließt die Ausweitung von ATALANTA auf die inneren Gewässer Soma-
lias auch die Ufergebiete dieser Gewässer mit ein, und wenn ja, wie weit
(bitte unter Angabe der Kilometer von der Wasserkante aus)?

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4. Gehören auch die Küstenstreifen und inneren Gewässer von Puntland und
Somaliland zum neuen Einsatzgebiet von ATALANTA, und wenn ja, wurde
mit den jeweiligen Autoritäten in diesen Regionen im Vorfeld darüber Ein-
vernehmen erzielt?

5. Welche Erwägungen waren für den Europäischen Rat ausschlaggebend,
dass der ATALANTA-Einsatz auch auf die inneren Gewässer ausgedehnt
werden soll?

6. Wie bewertet die Bundesregierung die Notwendigkeit einer Ausweitung
des Einsatzes auf die somalischen inneren Gewässer, und welche positiven
Effekte erhofft man sich dadurch?

7. Welche Fahrzeuge, welche Waffensysteme und andere Ausrüstungsgegen-
stände sollen in Zukunft im Rahmen von ATALANTA auf und über den
Küstengebieten und inneren Gewässer eingesetzt werden, und welchen Bei-
trag wird die Bundeswehr dazu leisten?

8. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die wirtschaftlichen Ak-
tivitäten in den somalischen Küstengebieten (an Land und auf See) und auf
bzw. entlang der inneren Gewässer, wie etwa Fischerei, Handelsschifffahrt,
Land- und Viehwirtschaft?

9. Wie will die Bundesregierung gewährleisten, dass die dortige zivile Schiff-
fahrt und die wirtschaftlichen Aktivitäten durch den Einsatz von
ATALANTA nicht behindert bzw. gefährdet werden?

10. Wie viele Menschen leben nach Kenntnis der Bundesregierung in den
somalischen Küstengebieten und im näheren Umfeld der inneren Gewässer
Somalias, wo genau leben sie und mit welcher Bevölkerungsdichte (bitte
unter Einbeziehung temporärer Nutzung dieser Gebiete durch nomadische
Bevölkerungsgruppen auflisten)?

11. Welche Küstengebiete und Regionen entlang der inneren Gewässer Soma-
lias stehen unter der Kontrolle der derzeitigen Übergangsregierung, und
welche werden von anderen Gruppierungen bzw. Autoritäten kontrolliert
(bitte unter Angabe der jeweiligen Region und der sie kontrollierenden
Gruppen)?

12. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die lokalen Strukturen in
den Küstengebieten und entlang der inneren Gewässer, und hat sie Kontakte
zu der dortigen Zivilbevölkerung bzw. den dortigen Autoritäten oder Ver-
tretern der Zivilgesellschaft?

13. Hat es Gespräche von Seiten der EU oder einzelner Mitgliedstaaten mit den
jeweiligen lokalen Autoritäten über die geplante Ausweitung von ATA-
LANTA gegeben, welchen Inhalt hatten diese Gespräche, und welche Hal-
tung haben die lokalen Autoritäten zur geplanten Ausweitung eingenom-
men?

14. Ist die Zivilbevölkerung über die bevorstehende Ausweitung des Militär-
einsatzes informiert worden und hat deren Akzeptanz signalisiert, und wenn
nein, wie will die Bundesregierung gewährleisten, dass die Zivilbevölke-
rung die Ausweitung militärischer Operationen auf das Land nicht als An-
griff gegen sie und/oder als Eingriff in den Bürgerkrieg interpretiert?

15. Zu welchen militärischen Reaktionen sind die ATALANTA-Kräfte berech-
tigt, für den Fall, dass die im Küstengebiet eingesetzten Hubschrauber von
Land aus beschossen werden?

16. Zu welchem Zeitpunkt wurden der TFG in welcher Ausführlichkeit die
Pläne zur Ausweitung des ATALANTA-Mandats vorgelegt, wann hat die

TFG der Ausweitung auf das somalische Küstengebiet und die inneren

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Gewässer gegenüber den Vereinten Nationen zugestimmt, und welche Be-
dingungen wurden seitens der TFG für die Durchführung der geplanten
Operationen gemacht (bitte diesbezügliche Dokumente beifügen)?

17. Wie wird die TFG über die Einsätze an und über Land sowie auf den inneren
Gewässern durch ATALANTA informiert, und ist eine vorherige Zustim-
mung der TFG bzw. lokaler Autoritäten zu einzelnen Operationen bzw.
Maßnahmen vorgesehen, und wenn nicht, warum nicht?

18. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Zustimmung der TFG zu
dem ATALANTA-Einsatz auf somalischem Territorium eine rechtlich wie
politisch ausreichende Legitimität für den Einsatz darstellt, vor dem Hinter-
grund, dass die TFG nicht demokratisch gewählt ist, kaum Unterstützung in
der Bevölkerung hat und zudem kaum über die Hauptstadt Mogadischu
hinaus die Regierungskontrolle innehat, und wenn ja, wie begründet sie
diese Auffassung?

19. Wie erklärt die Bundesregierung die Verlängerung und Ausweitung des
ATALANTA-Mandats bis zum 12. Dezember 2014, deren Grundlage die
Zustimmung der Übergangsregierung ist, vor dem Hintergrund, dass das
Mandat der derzeitigen Übergangsregierung im August dieses Jahres endet?

20. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Zustimmung der derzei-
tigen somalischen Übergangsregierung zu einem Militäreinsatz auf soma-
lischem Territorium auch über deren Regierungszeit hinaus Gültigkeit hat,
und wenn ja, wie begründet sie diese Auffassung rechtlich?

Werden die mit internationaler Unterstützung und unter internationalem
Einfluss geführten Gespräche über die Bildung einer neuen somalischen Re-
gierung auch mit der Zustimmung zu einer Fortsetzung der internationalen
Militäreinsätze, zu denen neben der EU-geführten Operation ATALANTA
auch die NATO-Operation Ocean Shield gehört, verknüpft?

21. In welcher Weise soll der Einsatz im somalischen Küstengebiet und den in-
neren Gewässern im Rahmen der EU-geführten Operation ATALANTA mit
dem Einsatz der Soldaten der Mission der Afrikanischen Union in Somalia
(AMISOM) abgestimmt werden?

22. Welche Form der Unterstützung von AMISOM durch ATALANTA (insbe-
sondere in Mogadischu und anderen Häfen) hält die Bundesregierung nach
dem neuen Mandat für möglich, welche ist konkret vorgesehen?

23. Wie bewertet die Bundesregierung die Vorschläge des ehemaligen Un-
terseebootkommandanten der Bundeswehr und jetzigen Mitarbeiters der
Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsche Institut für Internationale
Politik und Sicherheit, Sascha Albrecht, wonach ein neues Mandat „das
Kommando Spezialkräfte (KSK) oder die Kampfschwimmer der Marine“
ermächtigen solle „unentdeckt an Land zu gelangen und punktuell
verdeckt aufzuklären sowie bei Bedarf weitere Aufträge auszuführen“
(www.swp-berlin.org/de/publikationen/kurz-gesagt/pirateriebekaempfung-
an-land-maritime-optionen-deutschlands.html)?

24. Wie bewertet die Bundesregierung die in demselben Text geäußerten Vor-
schläge, den „Einsatz von Spezialkräften … in Verbindung mit dem Einsatz
von U-Booten“ zuzulassen?

25. Welche Informationen wurden im Rahmen von ATALANTA bislang über
die Fischereiaktivitäten im Einsatzgebiet gewonnen, wem wurden diese
Informationen bislang zur Verfügung gestellt, und welche Erkenntnisse und
Konsequenzen wurden aus der Auswertung der Informationen gezogen?
26. Wie viele Fischereifahrzeuge wurden seit Beginn der Operation
ATALANTA in somalischen Gewässern (200-Seemeilen-Zone) bis heute

Drucksache 17/9244 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
beobachtet (bitte unter Angabe von Name und Flagge sowie Datum, Uhr-
zeit, Position, Kurs und Fahrt)?

27. Welche Ressourcen und Kapazitäten sollen in Zukunft im Rahmen von
ATALANTA zur Überwachung der internationalen Fischereiaktivitäten be-
reitgestellt werden?

28. Werden in Zukunft auch Kontrollen von ausländischen Fischfangschiffen
durchgeführt, und wenn nicht, warum nicht?

Berlin, den 2. April 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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