BT-Drucksache 17/9241

Stellung der Arzneimittel der besonderen Therapierichten im Fünften Buch Sozialgesetzbuch

Vom 30. März 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9241
17. Wahlperiode 30. 03. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Birgitt Bender, Dr. Harald Terpe, Maria Klein-Schmeink,
Elisabeth Scharfenberg, Katrin Göring-Eckardt, Sven-Christian Kindler,
Brigitte Pothmer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Stellung der Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen im Fünften
Buch Sozialgesetzbuch

Da die von der damaligen rot-grünen Bundesregierung vorgeschlagene Positiv-
liste im Rahmen der Verhandlungen zur Gesundheitsreform 2003 von CDU/
CSU und FDP abgelehnt wurde, sind ersatzweise nicht verschreibungspflichtige
Arzneimittel (sogenannte OTC-Präparate – OTC = over the counter, deutsch:
über die Ladentheke) grundsätzlich von der Kostenübernahme durch die ge-
setzliche Krankenversicherung ausgeschlossen worden. Ausnahmen gelten für
Kinder und Jugendliche bis 12 Jahren (18 Jahren bei Jugendlichen mit Ent-
wicklungsstörungen). Da es nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel gibt,
die zum Therapiestandard zählen, wurde der Gemeinsame Bundesausschuss
(G-BA) beauftragt, Ausnahmen für diese OTC-Präparate, die bei der Behand-
lung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten, festzulegen
(§ 34 Absatz 1 Satz 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch – SGB V).

Ebenfalls wurde gesetzlich verankert, dass „der therapeutischen Vielfalt Rech-
nung zu tragen“ ist (§ 34 Absatz 1 Satz 2 SGB V). Dabei ging der Deutsche
Bundestag davon aus, dass sich die besonderen Therapierichtungen (insbeson-
dere Anthroposophie, Homöopathie und Phytotherapie) von der sogenannten
Schulmedizin in methodischer Hinsicht unterscheiden, ohne dass einer Thera-
pierichtung per se ein höherer Stellenwert zukomme und forderte in der Be-
gründung, dass bei der Erstellung der Richtlinien Vertreter der besonderen The-
rapierichtungen beteiligt werden sollen (vgl. Bundestagsdrucksache 15/1525).

Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) beanstandete im Februar 2005
eine vom G-BA Ende 2004 verabschiedete Richtlinie. Dort wurde davon ausge-
gangen, dass Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen sowohl dem
Therapiestandard einschließlich Anwendungsvoraussetzungen eines allopathi-
schen Arzneimittels für eine schwerwiegende Erkrankung entsprechen müssten
als auch gleichzeitig Therapiestandard ihrer Therapierichtung sein müssen. Das
BMG kritisierte die vom G-BA vorgenommene enge Koppelung der Sätze 2
und 3 des § 34 Absatz 1 SGB V: Die Anwendungsbeschränkungen auf die
anthroposophischen und homöopathischen Arzneimittel zu übertragen, wider-
spreche den Regeln dieser besonderen Therapierichtungen, so dass der therapeu-

tischen Vielfalt nicht Rechnung getragen sei. Welche Anwendungsbeschränkun-
gen dem Therapiestandard entsprächen, sei nach den bereichsspezifischen
Regeln der jeweiligen Therapierichtung zu entscheiden (sogenannte Binnenaner-
kennung). Nach dem Selbstverständnis der anthroposophischen und der homöo-
pathischen Therapierichtungen dürfte (im konkreten Fall der Richtlinie) die Ver-
ordnung von Mistelpräparaten bei malignen Tumoren nicht auf palliative Thera-
pien beschränkt sein.

Drucksache 17/9241 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Der G-BA klagte gegen diese Entscheidung des BMG und erhielt vor dem Bun-
dessozialgericht (BSG) im Jahr 2011 (B 6 KA 25/10 R) Recht. Damit hat das
BSG dem in § 34 SGB V speziell für Arzneimittel verankerten Grundsatz, dass
der therapeutischen Vielfalt Rechnung zu tragen sei, eine nachrangige Bedeu-
tung beigemessen.

Diese Sichtweise führt dazu, dass der auch in § 2 SGB V verankerte Grundsatz
der therapeutischen Vielfalt faktisch weitgehend leerläuft, da Standardthera-
peutika der besonderen Therapierichtungen in aller Regel nicht gleichzeitig
auch den Therapiestandard einschließlich der Anwendungsvoraussetzungen der
sogenannten Schulmedizin erfüllen. Im Ergebnis ist damit die Verordnungsfä-
higkeit der Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen zulasten der ge-
setzlichen Krankenversicherung erheblich eingeschränkt. Dies widerspricht der
damaligen Intention des Gesetzgebers.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. a) Wie bewertet die Bundesregierung, dass durch die oben genannte Koppe-
lung für gesetzlich Krankenversicherte bei schwerwiegenden Erkrankun-
gen automatisch die Kostenübernahme mit Arzneimitteln der besonderen
Therapierichtungen ausgeschlossen ist, sobald aus der Schulmedizin kein
nicht verschreibungspflichtiges Standardtherapeutikum vorliegt?

b) Wie bewertet die Bundesregierung, dass durch die Unterstellung eines
allopathischen bisher nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittels unter
die Verschreibungspflicht (wie bei Hypericum geschehen) für gesetzlich
Versicherte automatisch die Kostenübernahme von Arzneimitteln der
besonderen Therapierichtungen (im konkreten Fall bei mittelschweren
Depressionen) entfallen?

2. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass die oben genannte Ent-
scheidung des BSG der ursprünglichen Intention des Gesetzgebers wider-
spricht?

3. Plant die Bundesregierung in Reaktion auf das Urteil des BSG die in § 34
Satz 3 SGB V festgelegte Vorgabe, dass der therapeutischen Vielfalt bei der
Aufstellung der sogenannten OTC-Arzneimittelliste Rechnung zu tragen sei,
zu stärken?

4. Plant die Bundesregierung gesetzlich zu regeln, dass in diesem Zusammen-
hang bei schwerwiegenden Erkrankungen der Therapiestandard nicht ver-
schreibungspflichtiger Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen un-
abhängig vom Therapiestandard der allopathischen Arzneimittel beurteilt
wird?

5. a) Plant die Bundesregierung sicherzustellen, dass der G-BA eine eigenstän-
dige Bewertung der Qualität, Wirksamkeit und des Nutzens der Arznei-
mittel der besonderen Therapierichtungen bei schwerwiegenden Erkran-
kungen vornimmt?

b) Wie bewertet die Bundesregierung den Vorschlag, die bei der Zulassung
von Arzneimitteln (§ 22 Absatz 3 Satz 2 des Arzneimittelgesetzes – AMG)
bewährte Regelung der Berücksichtigung der medizinischen Erfahrungen
der jeweiligen Therapierichtungen (Kommissionen C – Anthroposophie
und D – Homöopathie beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizin-
produkte), auf den G-BA zu übertragen und so eine obligatorische Einbe-
ziehung von Sachverständigen der besonderen Therapierichtungen bereits
im Zuge der Erarbeitung der entsprechenden Arzneimittel-Richtlinie vor-
zusehen, um den G-BA fachlich in die Lage zu versetzen, Arzneimittel der

besonderen Therapierichtungen zu bewerten (z. B. Änderung § 92 SGB V)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9241

6. Unterstützt die Bundesregierung den Vorschlag, bei der Erstellung der OTC-
Arzneimittelliste ein Stellungnahmerecht von Sachverständigen der beson-
deren Therapierichtungen (wieder) einzuführen?

Falls nein, warum nicht?

7. Plant die Bundesregierung – um der therapeutischen Vielfalt bei Arzneimit-
teln besser Rechnung zu tragen – den Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und
FDP vorzuschlagen, im Rahmen der Beratungen der sogenannten 16. AMG-
Novelle entsprechende Änderungsanträge einzubringen?

Berlin, den 30. März 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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