BT-Drucksache 17/9220

Handwerkskammern demokratisieren und transparent gestalten

Vom 29. März 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9220
17. Wahlperiode 29. 03. 2012

Antrag
der Abgeordneten Johanna Voß, Dr. Barbara Höll, Eva Bulling-Schröter,
Dr. Diether Dehm, Ralph Lenkert, Sabine Stüber und der Fraktion DIE LINKE.

Handwerkskammern demokratisieren und transparent gestalten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Vorteile der Selbstverwaltung im Handwerk liegen auf der Hand: Die Be-
troffenen organisieren sich selbst, bringen Praxisbezug sowie Sach- und Fach-
kompetenz ein und tragen zu einer Vielfalt an Ideen und Problemlösungen bei.
So wird dem Subsidiaritätsprinzip Rechnung getragen.

In den Handwerkskammern besteht eine Pflichtmitgliedschaft. Neben der Auf-
gabe der Interessenvertretung und den Serviceangeboten nehmen die Handwerks-
kammern hoheitliche Aufgaben etwa im Bereich Ausbildung und Prüfungswesen
wahr. Deshalb müssen die Handwerkskammern in besonderem Maße demokra-
tischen Prinzipien genügen und transparent organisiert sein. Hierfür muss der
Staat sorgen, indem er die Gesetze entsprechend gestaltet und seiner Aufsichts-
pflicht nachkommt.

Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Die Handwerkskammern arbeiten
weder wirklich demokratisch noch transparent: Wahlhandlungen fallen regel-
mäßig aus, die Vollversammlungen werden von Arbeitgebern und Arbeitgebe-
rinnen der meisterpflichtigen Gewerke dominiert und es gibt kaum Veröffent-
lichungspflichten. Die Beitragsgestaltung sowie der Betätigungsumfang der
Kammern sind für viele Pflichtmitglieder nicht nachvollziehbar. Diese Defizite
stellen die demokratische Legitimation der Handwerkskammern in Frage.
Trotzdem äußern sich die Präsidentinnen und Präsidenten der Handwerkskam-
mern vielfach im Namen des Handwerks und vereinnahmen damit in unzulässi-
ger Weise alle Pflichtmitglieder für ihre eigene politische Meinung, während
die staatliche Aufsicht vielfach untätig bleibt.

Diesen Schwächen muss die Bundesregierung durch entsprechende Reformen
begegnen. Anstatt sich darauf zu verlassen, dass innerhalb der Kammern Ver-
besserungen angestoßen werden, muss der Staat im Sinne der Pflichtmitglieder
die Einhaltung demokratischer Grundsätze sicherstellen. Nur so kann der Grund-
rechtseingriff in die Vereinigungsfreiheit des Artikels 9 des Grundgesetzes (GG)
gerechtfertigt und die Akzeptanz der Handwerkskammern ausgebaut werden.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. zu überprüfen, ob und inwieweit in den Handwerkskammern Mängel bei der
Anwendung der geltenden Rechtslage bestehen und gegebenenfalls mithilfe
der zur Durchsetzung ihrer Aufsichtsfunktion in Artikel 84 Absatz 3 und 4
GG vorgesehenen Kompetenzen auf deren Behebung hinzuwirken;

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2. den gesetzlichen Missständen durch eine Änderung der Handwerksordnung
(HwO) zu begegnen, indem

a) unter Einbeziehung der Betroffenen erörtert wird, wie die Wahlordnung
am besten anzupassen ist, um demokratischen Ansprüchen und den Auf-
gaben der Handwerkskammern am besten zu genügen. In jedem Falle
gehört die Friedenswahl abgeschafft, Parität der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer eingeführt, das reine Mehrheitswahlrecht auf das demokra-
tischere Verhältniswahlrecht umgestellt, die Kandidatinnen und Kandida-
ten detailliert und für alle zugänglich vorgestellt, die ausreichende Berück-
sichtigung von Einmannbetrieben und Anlage-B-Gewerken der Hand-
werksordnung vorgeschrieben und dafür Sorge getragen, dass die Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer über die Wahlen informiert werden,

b) Veröffentlichungspflichten eingeführt werden, insbesondere für Gehälter
der Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer der Handwerkskammern,
Aufsichtsratsmandate, Aufwandsentschädigungen, Pensionsansprüche,
Bilanzen, Beteiligungen, Haushaltspläne, Kammerbeschlüsse und Wahl-
abläufe;

c) engere Vorgaben für die Beitragsfestsetzung gemacht werden zur Entlas-
tung der Klein- und Kleinstbetriebe und im Sinne einer Harmonisierung.
Dafür sollen unter anderem die Beiträge nach Leistungskraft der beitrags-
pflichtigen Kammerzugehörigen gestaffelt werden, die Beiträge progres-
siv festgesetzt und eine Befreiungsgrenze eingeführt werden;

d) jeder Aufgabenwahrnehmung jenseits der hoheitlichen Pflichtaufgaben
eine transparente, demokratische Beschlussfassung vorausgehen muss.

Berlin, den 29. März 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Die Handwerkskammern unterstehen der Aufsicht der Länder (§ 115 Absatz 1
HwO). Diese beschränkt sich auf eine Rechtsaufsicht. Nur hinsichtlich der
Verfahren nach den §§ 7a, 7b, 8 und 9 HwO üben die Länder auch die Fach-
aufsicht aus (§ 124b Absatz 3 HwO), da alle Länder diese Zuständigkeiten auf
die Handwerkskammern übertragen haben. Es ist für die Legitimation der
Handwerkskammern und zum Schutze der Kammermitglieder unabdingbar,
dass die Länder ihrer Aufsichtspflicht nachkommen. Dies gilt zum Beispiel für
das Verbot politischer Äußerungen im Namen des Handwerks ohne entspre-
chendes Mandat. Hier gibt es ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes
(BVerwG 8 C 20/09), welches „abwägende und ausgleichende“ Interessenver-
tretung und „ein höchstmögliches Maß an Objektivität“ vorschreibt. Doch von
der Aufsicht weitgehend ungehindert übergehen viele Kammerfunktionäre die-
ses Gebot. Für betroffene Pflichtmitglieder ist diese Vereinnahmung in höchs-
tem Maße ärgerlich. Auch im Bereich der Erteilung von Ausübungsberechti-
gungen und Ausnahmebewilligungen (§§ 7a, 7b, 8 und 9 HwO) ist eine kriti-
schere Aufsicht dringend geboten, um im Rahmen des Zuständigkeitsbereichs
der Kammern einen objektiven und neutralen Gesetzesvollzug zu gewährleis-
ten und einer zu restriktiven Anwendungspraxis bei Ausnahmeregelungen ent-
gegenzutreten. So hat das Bundesverfassungsgericht etwa zur Meisterpflicht

konstatiert, dass „die geschilderten Bedenken gegen die Verhältnismäßigkeit

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des Eingriffs in die Freiheit der Berufswahl die Notwendigkeit [begründen], die
Ausnahmeregelung […] großzügig anzuwenden.“ (1 BvR 1730/02, Rn. 25).

Ein weiteres Problemfeld sind die Vollversammlungswahlen. Die nach § 20 der
Anlage C der Handwerksordnung mögliche Friedenswahl bewirkt regelmäßig,
dass Wahlen faktisch entfallen. Denn ist im Wahlbezirk nur ein Wahlvorschlag
zugelassen, so gelten die darauf bezeichneten Bewerberinnen und Bewerber
auch ohne Wahlhandlung als gewählt. Seit Inkrafttreten der Handwerksordnung
am 24. September 1953 fanden in 53 Handwerkskammern bis auf drei Ausnah-
men alle Wahlen als sog. Friedenswahl statt (vgl. Bundestagsdrucksache 17/6844,
Antwort der Bundesregierung zu Frage 7 der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE
LINKE.). Dies steht im Widerspruch zu den mit der Wahlordnung verfolgten
Zwecken: „Als Regelfall geht die für die Handwerkskammern in Anlage C zur
Handwerksordnung erlassene Wahlordnung aber von der Zulassung von mehre-
ren Wahlvorschlägen und der Durchführung einer Briefwahl aus.“ (Bundestags-
drucksache 17/6844, Antwort zu Frage 9). Auch der Vorsitzende des Instituts für
Kammerrecht e. V. (IFK), Prof. Dr. Winfried Kluth, empfiehlt in diesem Punkt
mittelfristig eine Umorientierung in den Handwerkskammern (vgl. „aktuelle
Stellungnahme 2/11“ des IFK). Er stellt fest: „Hier hat sich inzwischen ein hoher
Grad der Perfektion in der Argumentation entwickelt, die auf Absprachen be-
ruhenden Friedenswahlen als Akt demokratischer Legitimation erscheinen zu
lassen. (…) Wahlen ohne konkurrenziellen Kandidatur- und Wahlakt gibt es
unter dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes nicht.“ Aufgefangen wird dieses
Defizit teilweise durch „Vorwahlen“ innerhalb der verschiedenen Gewerkschaf-
ten bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und auf Arbeitgeberseite in
den Innungen, deren Ergebnisse jeweils auf einer Liste zusammengeführt wer-
den. Doch so haben es Nichtorganisierte schwer, auf eine Liste zu kommen, und
nicht alle Stimmen haben gleiches Gewicht.

Für die Listenaufstellung sieht § 93 Absatz 2 HwO die Berücksichtigung der
„wirtschaftlichen Besonderheiten und wirtschaftlicher Bedeutung“ vor. In den
Kammersatzungen wird dies umgesetzt, indem abhängig von Umsatz, Zahl der
Beschäftigten und Zahl der Betriebe festgelegt wird, wie viele Kandidatinnen
und Kandidaten aus welcher der sieben Gewerbegruppen zu sein haben. Ein
Interessensausgleich, der aufgrund unterschiedlicher Betriebsgrößen, meister-
pflichtigem oder meisterfreiem Gewerk oder anderer politischer Überzeugung
notwendig wäre, findet keinen Niederschlag in den Satzungsvorgaben zur Zu-
sammensetzung der Vollversammlung. So besteht die Gefahr, dass meisterfreie
Handwerkerinnen und Handwerker sowie Kleinstbetriebe dominiert werden.
Beispielsweise sieht die Satzung der Handwerkskammer Leipzig 31 Plätze in
der Vollversammlung für das zulassungspflichtige Gewerbe der Anlage A vor
und für Gewerbe der Anlage B nur fünf. Weiterhin besteht ein Ungleichgewicht
zugunsten der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber: Ursprünglich sollte im Sinne
einer drittelparitätischen Verteilung der Sitze in den Kammerorganen auch zwi-
schen Einmannbetrieben und den übrigen Handwerksbetrieben unterschieden
werden. Der Arbeitskreis „Zukunft Handwerk“ der Arbeitnehmervizepräsiden-
tinnen und -präsidenten schreibt in seinem Positionspapier vom 17. Oktober
2009: „Im Laufe der Zeit hat sich eine Verteilung 1/3 Gesellen und 2/3 Arbeit-
geber entwickelt. Durch das hierbei entstehende Ungleichgewicht kann die Ar-
beitgeber-Bank die Kammerpolitik komplett dominieren. Hierdurch kommt es
in vielen Fällen zu einer einseitigen Willensbildung in den Kammergremien.
(…) Die paritätische Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist
unverzichtbar.“

Darüber hinaus fehlen Veröffentlichungspflichten über die Höhe der Geschäfts-
führergehälter, über die Aufwandsentschädigungen, über Pensionsansprüche,
über Aufsichtsratsmandate, über den Haushaltsplan, über die Bilanzen sowie die

Wahlergebnisse (vgl. Bundestagsdrucksache 17/6844, Antwort der Bundes-
regierung zu den Fragen 13 bis 16). Die Wahlergebnisse müssen zwar gegenüber

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den obersten Landesbehörden gemeldet werden. Den obersten Landesbehörden
liegt ebenfalls der Haushaltsplan vor, der ihrer Genehmigung bedarf. Doch die
Pflichtmitglieder und die Allgemeinheit haben kaum Einblick in die Entschei-
dungen der Vollversammlung. Bei den gesetzlichen Krankenkassen als Körper-
schaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung hingegen müssen die
Vergütungen der einzelnen Vorstandsmitglieder veröffentlicht werden. Auch
Angaben zu Einnahmen und Ausgaben, zur Liquidität sowie der Mitgliederent-
wicklung sollen nach Wunsch der Bundesregierung veröffentlicht werden. Ziel
ist es, ein „effizientes und wirtschaftliches Verhalten der Kassen zu fördern“.
Dieses Prinzip muss auch bei den Handwerkskammern gelten.

Außerdem gibt es zur Gestaltung der Beitragsordnung zu wenige Vorgaben.
Bestimmt wird nur, dass die Beiträge nach der Leistungskraft der beitrags-
pflichtigen Kammerzugehörigen gestaffelt werden können und dass es für
erstmalig angemeldete Gewerbe bestimmte Beitragsbefreiungen gibt. Geringe
Gewinne bzw. Verluste führen nur zu einer Beitragsbefreiung für „Personen,
die nach § 90 Abs. 3 Mitglied der Handwerkskammer sind und deren Gewerbe-
ertrag […] 5.200 Euro nicht übersteigt“ (§ 113 Absatz 2 HwO) und nur wenn
diese ihre gewerbliche Tätigkeit „erstmalig nach dem 30. Dezember 2003 an-
melden“ (§ 90 Absatz 4 HwO). Folge ist, dass je nach Kammerzuständigkeit
die Beitragsbelastung sehr unterschiedlich ausfällt und Klein- sowie Kleinstbe-
triebe unverhältnismäßig stark belastet werden. Die Handwerkskammer Dres-
den etwa staffelte 2011 den vom Gewinn abhängigen Zusatzbeitrag progressiv,
während die Handwerkskammer für München und Oberbayern ihn degressiv
staffelte und die Handwerkskammer Berlin ihn überhaupt nicht staffelte. Der
Freibetrag für den Zusatzbeitrag betrug 2011 bei der Handwerkskammer Berlin
5 112,92 Euro, in der Handwerkskammer Düsseldorf 24 500 Euro. Dem muss
durch engere gesetzliche Vorgaben begegnet werden.

Auch ist eine klare Begrenzung der Aufgaben bzw. eine transparent vollzogene
Beschlussfassung notwendig, um den Tätigkeitsbereich der Kammern auf das
Nötige zu begrenzen. Dies würde zusätzlich unnötig hohe Beiträge verhindern.

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