BT-Drucksache 17/9158

Sicherheit auf Kreuzfahrtschiffen verbessern

Vom 27. März 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9158
17. Wahlperiode 27. 03. 2012

Antrag
der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Hans-Joachim Hacker, Dr. Hans-Peter Bartels,
Sören Bartol, Edelgard Bulmahn, Martin Burkert, Garrelt Duin, Sebastian Edathy,
Petra Ernstberger, Karin Evers-Meyer, Iris Gleicke, Ulrike Gottschalck,
Michael Groß, Bettina Hagedorn, Hubertus Heil (Peine), Gustav Herzog,
Gabriele Hiller-Ohm, Johannes Kahrs, Lars Klingbeil, Ute Kumpf,
Gabriele Lösekrug-Möller, Kirsten Lühmann, Caren Marks, Thomas Oppermann,
Holger Ortel, Florian Pronold, Sönke Rix, Dr. Ernst Dieter Rossmann,
Silvia Schmidt (Eisleben), Dr. Carsten Sieling, Sonja Steffen, Kerstin Tack,
Franz Thönnes, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Sicherheit auf Kreuzfahrtschiffen verbessern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Nach der Havarie zweier Kreuzfahrtschiffe an der italienischen Küste und vor
den Seychellen hat eine verstärkte Diskussion um mehr Sicherheit und Risiko-
minimierung an Bord von Kreuzfahrtschiffen eingesetzt.

Der Kreuzfahrtmarkt gehört weltweit zu den am stärksten wachsenden Seg-
menten der Tourismuswirtschaft. Die Branche entwickelt sich überaus dyna-
misch und zeichnet sich durch einen hohen Wettbewerbsdruck aus. Galten
Kreuzfahrten angesichts hoher Preise in der Vergangenheit als Spezial- und
Nischensegment, drängen die Reedereien inzwischen verstärkt in den Massen-
markt.

Zunehmender Wettbewerb darf jedoch nicht zu Lasten von Sicherheit gehen.
Das gilt insbesondere für die Kreuzfahrtschifffahrt. Notwendig sind ein um-
fassend und ständig weiterentwickeltes System von Sicherheitsabläufen, eine
sorgfältige Auswahl und eine hohe Kompetenz sowohl der Schiffsführung als
auch der Besatzung sowie modernste technische Anlagen, die den Sicherheits-
vorschriften auf nationaler und internationaler Ebene entsprechen.

Bereits heute stellt die Kreuzfahrtschifffahrt einen stark regulierten Wirt-
schaftszweig dar. Alle Schiffe sind in Übereinstimmung mit den strikten Vorga-
ben des internationalen Rechts gebaut, die wiederum in enger Abstimmung mit
der Schifffahrtswirtschaft, den Verbänden, Klassifizierungsgesellschaften und
den nationalen Regierungen kontinuierlich angepasst und erweitert werden. Im

Bereich der Bau- und Ausrüstungsstandards sehen daher derzeit weder die In-
ternational Maritime Organization (IMO) noch die Europäische Kommission
akuten Anpassungsbedarf, da sich die Systeme grundsätzlich bewährt haben.
Allerdings hat die Europäische Kommission vor dem Hintergrund der jüngsten
Unglücksfälle bereits angekündigt, die geplante Überarbeitung der EU-Sicher-
heitsvorschriften zu beschleunigen. Vorgesehen sind unter anderem neue Auf-
lagen zur Registrierung und Evakuierung von Schiffsreisenden.

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Damit rücken die Sicherheit an Bord sowie das Krisenmanagement und die
Konfliktschulung der Schiffsbesatzungen in den Mittelpunkt. Die ständige Ein-
haltung der geltenden Vorschriften und die kontinuierliche Weiterentwicklung
der Sicherheitsabläufe an Bord der Schiffe stellen eine wesentliche Grundlage
für einen sicheren Schiffsverkehr dar.

Evakuierungen von Schiffen aufgrund von Katastrophenfällen stellen einen be-
sonderen Fall des Schiffsbetriebs dar. Der Untergang der Estonia im Jahr 1994
ist ein Beispiel dafür, welche dramatischen Folgen ein Schiffsunglück im
schlimmsten Fall haben kann. Hingegen zeigte sich bei der Havarie der
„Achille Lauro“ im gleichen Jahr, dass durch eine geordnete Evakuierung der
überwiegende Teil der Fahrgäste gerettet werden konnte.

Die Hauptverantwortung für die Umsetzung der sicherheitsrelevanten Stan-
dards und Abläufe an Bord des Schiffes obliegt dem Kapitän. Er muss in der
Lage sein, potenzielle Gefahrensituationen zu identifizieren und entsprechende
Maßnahmen einzuleiten, um den sicheren Schiffsbetrieb wiederherzustellen
bzw. im Katastrophenfall rasch zu reagieren, die erforderlichen Rettungsmaß-
nahmen zu ergreifen und notfalls für eine zügige und sichere Evakuierung des
Schiffes zu sorgen.

Vor diesem Hintergrund erscheint es umso notwendiger, dass Bund, Länder,
Sozialpartner und Unternehmen gemeinsam Sorge dafür tragen, dass bei der
Auswahl der Schiffsführung höchste Qualitätsmaßstäbe angesetzt werden.
Dazu können ein strukturiertes Auswahlverfahren sowie die regelmäßige Über-
prüfung und Schulung der Kapitäne, die sich an den Anforderungen der auszu-
füllenden Position orientieren, beitragen.

Die Studiengänge Nautik an den Fachhochschulen haben in den vergangenen
Jahren ihre Kapazitätsgrenzen überschritten, und an den Seefachschulen stellt
sich die Situation vergleichbar dar. Durch die stark gestiegene Bewerbersitua-
tion und den Mangel an Ausbildungskapazitäten steht nicht mehr genügend
nautisch geschultes Personal zur Verfügung, um die Nachfrage zu bedienen.
Um eine hochwertige Ausbildung der Kapitäne und Schiffsoffiziere in
Deutschland sicherzustellen, ist es erforderlich, für eine angemessene finan-
zielle und personelle Ausstattung der Ausbildungsstätten zu sorgen.

Eine wichtige Rolle kommt neben der Schiffsführung auch den Besatzungs-
mitgliedern zu, die entsprechend ihrer in der „Musterrolle“ festgeschriebenen
Verantwortung in die Sicherheitsabläufe an Bord einzubeziehen sind. Damit sie
die ihnen zugeordneten Aufgaben erfüllen können, sind neben einer umfassen-
den Sicherheitseinweisung aber auch weitere Kompetenzen wie eine gute fach-
liche Qualifikation, ausreichende Kenntnisse der Schiffssprache sowie Engage-
ment und Motivation eine wesentliche Voraussetzung. In dem Wettbewerbsum-
feld, in dem die Kreuzfahrtbranche derzeit agiert, wird die Konkurrenz um Pas-
sagiere zunehmend über den Preis entschieden; dies wird langfristig nicht ohne
Auswirkungen auf die sozialen Bedingungen der Seeleute bleiben. Derzeit
arbeiten nach Schätzungen der international tätigen Gewerkschaft Norwegian
Seafarers’ Union rund 250 000 Beschäftigte weltweit auf Kreuzfahrtschiffen.
Ein wichtiges Instrument zur Herstellung fairer, einheitlicher Wettbewerbsbe-
dingungen stellt das 2006 von der Internationalen Maritimen Arbeitskonferenz
der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) verabschiedete Seearbeitsüber-
einkommen dar, das weltweit geltende Mindeststandards vorschreibt.

Große Bedeutung kommt aber auch einer realitätsnahen Evakuierungsanalyse,
etwa in Bezug auf Fluchtwege und Bewegungsmuster der Passagiere, und einer
konsequenten Evakuierungsplanung zu. Aufgrund der geltenden Vorschriften
im Rahmen der IMO-Regelungen und deren Anwendung auf Fahrgastschiffe
sind die bestehenden Sicherheitsstandards bereits sehr hoch, wenngleich bis vor
wenigen Jahren noch Praxistests für die Evakuierung von Kreuzfahrtschiffen

fehlten. So stehen inzwischen Softwaretools zur Verfügung, die Evakuierungs-
analysen nach den IMO-Richtlinien zur Umsetzung der sog. Advanced Method

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(Guidelines for Evacuation Analysis for New and Existing Passenger Ships) er-
möglichen.

Die Anwendung neuer Methoden kann dazu beitragen, die Sicherheitsstandards
weiter zu erhöhen, um eine größtmögliche Überlebenschance für Passagiere
und Besatzung sicherzustellen. Entscheidend wird es dabei künftig sein, die zu-
nehmende Größe moderner Kreuzfahrtschiffe sowie die wachsende Zahl von
Passagieren und Besatzung an Bord zu berücksichtigen.

Entscheidend ist hierbei auch, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um
den Schutz und die Sicherheit für Passagiere mit Behinderungen in Gefahren-
situationen zu gewährleisten, wozu Deutschland und die anderen Vertrags-
staaten nach Artikel 11 des Übereinkommens über die Rechte von Menschen
mit Behinderungen verpflichtet sind.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
● die geltenden Sicherheitsbestimmungen ständig auf ihre Aktualität hin zu

überprüfen;
● alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um den Schutz und die Sicher-

heit für Passagiere mit Behinderungen in Gefahrensituationen zu gewährleis-
ten und bestehende Lücken zwischen Gesetzeslage und Praxis zu schließen;

● zu prüfen, ob die Informationen der Reisenden über sicherheitsrelevante As-
pekte und den Ablauf von Evakuierungsmaßnahmen vor Reiseantritt und an
Bord in Bezug auf Vollständigkeit, Verständlichkeit und Zeitpunkt weiter zu
optimieren sind;

● gemeinsam mit den Sozialpartnern Handlungsempfehlungen für die Reede-
reien zu formulieren, um einheitliche Standards bei der Personalauswahl für
die maritimen Führungspositionen zu schaffen und dafür Sorge zu tragen,
dass diese sorgfältig, transparent und an objektiven Kriterien ausgerichtet
sind und den rechtlichen Anforderungen der zu besetzenden Position entspre-
chen;

● sich gegenüber den Schifffahrtsunternehmen dafür einzusetzen, dass eine regel-
mäßige Überprüfung der Befähigung des Kapitäns eines Schiffes und seiner
Stellvertreter gemäß dem Internationalen Übereinkommen über die Normen
für die Ausbildung, die Erteilung von Befähigungszeugnissen und den Wach-
dienst von Seeleuten (STCW-Übereinkommen) erfolgt, um sicherzustellen,
dass diese auch tatsächlich über die erforderlichen Fähigkeiten und Fertigkei-
ten zur Organisation eines sicheren Schiffsbetriebs verfügen; diese Prüfung
sollte neben den allgemeinen Befähigungsnormen auch die sicherheitsrele-
vanten Fähigkeiten und Fertigkeiten und die soziale Kompetenz umfassen;

● die in § 25 der Schiffsoffizier-Ausbildungsverordnung formulierte Bestim-
mung, nach der ein Auffrischungslehrgang zum Nachweis des Fortbestandes
der Befähigung in Bezug auf die dem Kapitän zugewiesenen Aufgaben je-
weils nach fünf Jahren erfolgen soll, zu überprüfen; dies gilt insbesondere
für die Bereiche der Ausbildung in der Führung von Menschenmengen, der
Ausbildung in Fahrgastsicherheit sowie der Ausbildung in Krisenbewälti-
gung und menschlichem Verhalten;

● sich gegenüber den Schifffahrtsunternehmen dafür einzusetzen, dass diese
ein konsequentes Kompetenzmanagement einführen und das Modell des
Life-Long Learning und des Team Building als wesentlichen Teil der Perso-
nalführung aufnehmen;

● zu prüfen, ob die in § 2 der Schiffssicherheitsverordnung vorgeschriebene
Selbstkontrolle der Reedereien zur Gefahrenvermeidung und - verminderung
optimiert werden kann und gegebenenfalls im Rahmen der maritimen Si-

cherheitspartnerschaft gemäß § 3 weitere Absprachen in Bezug auf Verfah-

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ren und Kontrollen zur Verbesserung der Schiffssicherheit unter Berücksich-
tigung der Best Management Practices zu treffen sind;

● dafür Sorge zu tragen, dass die Schifffahrtsunternehmen die im Betrieb ge-
wonnenen Erkenntnisse im Rahmen ihrer Sicherheitsvorsorge gemäß der
Schiffssicherheitsverordnung regelmäßig in einem Abstand von drei Jahren
auswerten, um das Krisenmanagement und die Konfliktschulung der
Schiffsbesatzungen zu optimieren;

● gemeinsam mit den Vertretern der Reedereien zu prüfen, ob eine verpflich-
tende Anwendung von anerkannten Simulationsprogrammen zur Evakuie-
rung und Identifizierung von möglichen Schwachstellen bei Neubauten
möglich ist, die eine praxisnahe Analyse und Bewertung von Evakuierungs-
prozessen, insbesondere mit Blick auf die Evakuierungsdauer von Fahrgast-
schiffen und die besondere Rolle der Besatzung, ermöglichen;

● Standards für den Einsatz entsprechender Simulationsprogramme im Be-
reich der Kreuzfahrtschifffahrt zu etablieren, insbesondere im Hinblick auf
etwaige Leistungskriterien, die durch eine Evakuierungsanalyse nachzuwei-
sen sind;

● die Entwicklung und Anwendung von Evakuierungssimulationen im mari-
timen Bereich weiter zu fördern und dafür Sorge zu tragen, dass anerkannte
ingenieurwissenschaftliche Methoden einbezogen werden;

● die Ausbildungsplatzförderung des Bundes im Rahmen des Maritimen
Bündnisses konsequent und auf dem bisherigen Niveau fortzusetzen;

● dafür Sorge zu tragen, dass die zugesagten Ausbildungskapazitäten und die
finanziellen Beiträge zur Ausbildung insbesondere im Bereich der Nautik
durch die Küstenländer und die Schifffahrtsunternehmen zur Verfügung ge-
stellt werden;

● sich dafür einzusetzen, dass die Seeverkehrswirtschaft ihrer Verantwortung
durch eigenes Engagement auch in Zukunft gerecht wird und die Anzahl der
auszubildenden Schifffahrtsunternehmen wieder zunimmt;

● gemeinsam mit den Küstenländern die Entwicklung der Absolventenzahlen
an seefahrtbezogenen Fach- und Fachhochschulen zu dokumentieren, um
auf dieser Basis gemeinsam mit den Partnern des Maritimen Bündnisses den
künftigen Bedarf zu errechnen und ein entsprechendes Angebot vorhalten
bzw. entwickeln zu können;

● dafür Sorge zu tragen, dass die Berufe der Seeschifffahrt in der Öffentlich-
keit stärker präsentiert werden, um das Image der Branche zu verbessern
und ggf. einen Informationsmangel auszugleichen;

● endlich den bereits für 2011 angekündigten Entwurf eines neuen Seearbeits-
gesetzes vorzulegen, um das internationale Seearbeitsübereinkommen zur
Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Seeleuten noch in diesem Jahr in
deutsches Recht umzusetzen;

● geeignete Maßnahmen zu prüfen, die es künftig ermöglichen, dass eine ver-
stärkte Rückflaggung von Kreuzfahrtschiffen unter deutsche Flagge erfolgt;

● das Maritime Bündnis auch weiterhin aktiv zu unterstützen und weiterzuent-
wickeln und mit einer konsequenten Förderung der Schifffahrtsbranche dazu
beizutragen, dass diese auch künftig im internationalen Wettbewerb besteht.

Berlin, den 27. März 2012

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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