BT-Drucksache 17/9156

Für einen neuen Infrastrukturkonsens: Gemeinsam Zukunft planen - Infrastruktur bürgerfreundlich voranbringen

Vom 27. März 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9156
17. Wahlperiode 27. 03. 2012

Antrag
der Abgeordneten Sören Bartol, Florian Pronold, Hans-Joachim Hacker,
Kirsten Lühmann, Uwe Beckmeyer, Martin Burkert, Martin Dörmann, Garrelt Duin,
Petra Ernstberger, Iris Gleicke, Ulrike Gottschalk, Michael Groß, Michael
Hartmann (Wackernheim), Hubertus Heil (Peine), Rolf Hempelmann, Gustav
Herzog, Ulrich Kelber, Ute Kumpf, Dr. Matthias Miersch, Thomas Oppermann,
Andrea Wicklein, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Für einen neuen Infrastrukturkonsens: Gemeinsam Zukunft planen –
Infrastruktur bürgerfreundlich voranbringen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Deutschland braucht eine leistungsfähige Infrastruktur, um auch künftig als
moderner Industrie- und Dienstleistungsstandort wirtschaftlich erfolgreich zu
sein und eine hohe Lebensqualität zu sichern. Es muss deshalb in Modernisie-
rung und Ausbau der Energie- und Kommunikationsnetze und der Verkehrs-
wege investiert werden. Neue Vorhaben brauchen aber die Akzeptanz der Bür-
gerinnen und Bürger, sie müssen umwelt- und sozialverträglich sein, und sie
dürfen nicht über die Köpfe der Betroffenen hinweg durchgesetzt werden.

Dazu ist ein neuer gesellschaftlicher Konsens für eine moderne Infrastruktur
notwendig. Ein solcher Konsens wird nur erreicht, wenn die Bürgerinnen und
Bürger in die Planung von Infrastrukturvorhaben von Anfang an einbezogen
sind. Am Ende wird zwar auch weiterhin die zuständige Behörde eine rechts-
verbindliche Planungsentscheidung treffen müssen. Aber es müssen alle Bürge-
rinnen und Bürger, die dies wünschen, an diesem Entscheidungsprozess mit-
wirken können, und zwar nicht als Pro-forma-Beteiligung, sondern indem echte
Mitwirkungsmöglichkeiten geschaffen werden. Entscheidungen, die unter brei-
ter Beteiligung der Bevölkerung gefunden worden sind, müssen am Ende auch
von allen mitgetragen werden.

Bürgerbeteiligung steht nicht im Gegensatz zu, sondern ist Bestandteil einer
modernen Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik. Sie bietet nicht nur den Kriti-
kern, sondern auch den Befürwortern die Chance, für ein Infrastrukturprojekt
und seine Vorteile zu werben. Gleichzeitig erhalten Planungsträger die Mög-
lichkeit, ihre Pläne offensiv zu vertreten und frühzeitig Akzeptanz und Pla-
nungssicherheit zu erreichen.
Mehr Bürgerbeteiligung steht auch nicht im Widerspruch zum wirtschaftlichen
Interesse nach kurzen Planungs- und Bauzeiten; im Gegenteil: Nur eine breite
Akzeptanz der Bauvorhaben sichert deren rasche Umsetzung. Deshalb gehören
Planungsbeschleunigung und Bürgerbeteiligung zusammen. Eine verbesserte
Beteiligung der Bürger kann dazu beitragen, die Dauer von Planungsverfahren
insgesamt zu verkürzen. Und umgekehrt tragen kurze Planungszeiten zu mehr

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Akzeptanz bei, indem sie verhindern, dass sich die Kinder und Enkel mit der
Umsetzung der Planung ihrer Vorfahren konfrontiert sehen.

Beteiligungsformen sollten so gestaltet sein, dass sie möglichst vielen Men-
schen die Teilnahme ermöglichen. Es gilt insbesondere, auch benachteiligte Be-
völkerungsgruppen zum Mitmachen zu motivieren. Diese sind von den Auswir-
kungen von Baumaßnahmen oftmals überproportional betroffen, etwa durch
Verkehrslärm, bei Beteiligungsverfahren bisher aber unterrepräsentiert.

Beteiligungsprozesse müssen ergebnisoffen sein. Dies bedeutet einen grund-
legenden Wechsel in der Planungskultur: Transparenz statt Diskussionen hinter
verschlossenen Türen, eine umfassende Öffnung der Planungsverfahren und
ein neues, auf Dialog ausgerichtetes Selbstverständnis von Politikern und Ver-
waltungen. Dazu gehört vor allen Dingen, frühzeitig darüber zu informieren,
welche Vorhaben geplant werden. Die Öffentlichkeit muss in jeder Planungs-
phase ausführlich über den Planungsstand sowie die Argumente von Verwal-
tung, Fachexperten und Politik informiert werden. Zugleich muss die Verständ-
lichkeit der Planungsprozesse und Planungsunterlagen verbessert werden.

Bürgerbeteiligung darf nicht zum Mittel degradiert werden, um nachträglich
Akzeptanz zu schaffen für vorher unter Ausschluss der Öffentlichkeit gefasste
Beschlüsse. Eine Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger erst im Rahmen des
Planfeststellungsverfahrens, wie sie heute praktiziert wird, setzt zu spät ein, um
Planungen entscheidend verändern zu können. Deshalb müssen die Bürgerin-
nen und Bürger künftig bereits bei der Frage einbezogen werden, ob ein Projekt
überhaupt gebaut wird. Auch müssen sie an den Vorplanungen beteiligt wer-
den, die dem Planfeststellungsverfahren zum Neubau von Verkehrswegen und
Leitungstrassen vorausgehen und in denen alternative Trassen und Ausfüh-
rungsvarianten geprüft und festgelegt werden. Dafür müssen klare rechtliche
Standards festgelegt werden. Welche Formen der Bürgerbeteiligung konkret
gewählt und wie sie ausgestaltet werden, sollte hingegen vor Ort entschieden
werden – in einem „lernenden Verfahren“, in dem Verwaltungen zusammen mit
den Bürgerinnen und Bürgern Elemente ausprobieren und weiterentwickeln.

Reformbedürftig sind auch das Planfeststellungsverfahren beim Aus- und Neu-
bau von Flughäfen sowie das Verfahren zur Festlegung der An- und Abflugrou-
ten. Nicht selten kommt es vor, dass beim Planfeststellungsverfahren noch
nicht feststeht, wer überhaupt von den Lärmauswirkungen eines neuen Flugha-
fens oder einer neuen Start- und Landebahn betroffen ist. Denn die Festlegung
der Flugrouten ist nicht Teil des Planfeststellungsverfahrens, sondern wird per
Rechtsverordnung des Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung erst kurz vor
Eröffnung eines Flughafens oder der Landebahn festgelegt. So kann es, wie im
Falle des Berliner Flughafens geschehen, vorkommen, dass bei der endgültigen
Festlegung der Flugrouten im Ergebnis plötzlich neue Bevölkerungsgruppen
von den Auswirkungen des geplanten Flugbetriebes betroffen sind, die am An-
fang davon nichts ahnen konnten. Dies gilt es, künftig zu verhindern. Daher
muss sichergestellt werden, dass die Bürgerinnen und Bürger frühzeitig bei der
Festlegung der Flugrouten beteiligt werden. Außerdem müssen sämtliche po-
tenziell betroffenen Gemeinden und ihre Bürgerinnen und Bürger beim Plan-
feststellungsverfahren einbezogen werden, unabhängig von der jeweils aktuel-
len Flugroutenplanung.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. im Bereich der Beschleunigungen von Planungen und ihrer gerichtlichen
Überprüfung

– sicherzustellen, dass Planfeststellungsverfahren nach den Regeln moder-

nen Projektmanagements gemanagt und der Erörterungstermin durch Vor-
gaben für seine Strukturierung effizienter gestaltet werden. Dazu sollten

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den Genehmigungs- und Anhörungsbehörden von der Bundesregierung
entsprechende Leitfäden an die Hand gegeben werden;

– für eine ausreichende Personalausstattung der Genehmigungsbehörden,
soweit es sich um Bundesbehörden handelt, zu sorgen. Die Personalent-
wicklungskonzepte im nachgeordneten Bereich der Bundesministerien für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung sowie für Wirtschaft und Technologie
sind daraufhin kritisch zu überprüfen;

– im Zuge der anstehenden Evaluation der erstinstanzlichen Zuständigkeit
des Bundesverwaltungsgerichts für gesetzlich festgelegte Infrastruktur-
projekte zu prüfen, ob diese beibehalten werden soll. Dies darf allerdings
nicht zur Überlastung des Bundesverwaltungsgerichts führen;

– zusammen mit den Ländern gemeinsam weitere Beschleunigungsmög-
lichkeiten bei der Planung von Infrastrukturvorhaben zu prüfen, insbeson-
dere eine mögliche Integration des Raumordnungs- in das Planfeststel-
lungsverfahren;

– einen Gesetzentwurf vorzulegen, der sicherstellt, dass

• Planfeststellungsverfahren beschleunigt werden, indem mögliche
Alternativplanungen unter Beteiligung der Öffentlichkeit schon in der
Vorphase vor Eröffnung des Verfahrens geprüft werden;

• zeitraubende Doppelungen bei der Umweltverträglichkeitsprüfung
vermieden werden. Hat bereits im Rahmen des Raumordnungsverfah-
rens eine Umweltverträglichkeitsprüfung stattgefunden, so sollte sich
im nachfolgenden Zulassungsverfahren die Prüfung der Umweltver-
träglichkeit auf die noch nicht untersuchten Umweltauswirkungen des
Vorhabens beschränken;

• für jene Vorhaben, bei denen die Notwendigkeit einer Umweltverträg-
lichkeitsprüfung im Einzelfall geprüft werden muss (§ 3c Satz 1 des
Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung), Bagatellschwel-
lenwerte für die einzelnen Vorhabensmerkmale (Anhang 2 Nummer 1)
definiert und die vorhandenen Kriterien für die Erforderlichkeit präzi-
siert werden, um langwierige Detailprüfungen zu vermeiden;

• die Spielräume der Genehmigungsbehörden zur Festsetzung von Aus-
gleichsmaßnahmen für Beeinträchtigungen der Anwohnerinnen und
Anwohner, z. B. durch Verkehrslärm oder siedlungsnahe Energie-
trassen, erweitert werden. Dazu sollte auch für Verkehrsprojekte die
Möglichkeit eigener – von den Naturschutzausgleichsmitteln unabhän-
giger – Ausgleichsfonds geprüft werden, mit denen über gesetzliche
Standards hinausgehende Maßnahmen bezahlt und Betroffene für
Belastungen entschädigt werden. Darüber hinaus ist zu prüfen, wie den
Planungsbehörden mehr Spielraum zum frühzeitigen Aushandeln in-
dividueller Ausgleichslösungen gegeben werden kann;

• bei Enteignungsverfahren im Zuge von Planungen soziale Härten ver-
mieden werden. Selbstbewohntes Wohneigentum sollte künftig nicht
mehr nach dem Verkehrswert entschädigt, sondern es sollte funktiona-
ler Ersatz für das verlorene Heim zur Verfügung gestellt werden. Ent-
schädigungszahlungen für den Bau von Energieleitungen sollten nicht
nur, wie bisher, an Gemeinden, sondern auch direkt an betroffene An-
wohnerinnen und Anwohner gezahlt werden können. Darüber hinaus
sollten für Stromfreileitungen der Höchstspannungsebene verbindliche
Mindestabstände von Wohngebäuden festgesetzt werden, bei deren
Nichteinhaltung die Eigentümer auf der Grundlage von Ersatzbeschaf-

fung/Totalverlust entschädigt werden müssen;

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• das Klagerecht der Umweltverbände entsprechend den Vorgaben des
Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 12. Mai 2011 zum Kohlekraft-
werk Lünen) auf alle Umweltvorschriften ausgeweitet wird, unab-
hängig davon, ob sie dem Schutz der Rechtsgüter Einzelner dienen
oder im Interesse der Allgemeinheit stehen;

• die gerichtliche Überprüfung von Planungsergebnissen sich künftig
darauf konzentriert, ob die vorgeschriebenen Bewertungs-, Abwä-
gungs-, Beteiligungs- und Entscheidungsverfahren eingehalten worden
sind;

• bei Umweltverbandsklagen jede Partei ihre außergerichtlichen Kosten
– wie heute schon bei arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen der
Fall – selbst trägt;

2. im Bereich der Netz- und Bedarfsplanung für Bundesverkehrswege und
Energieleitungen

– den Bedarf für Infrastrukturprojekte transparent und unter Mitwirkung der
Öffentlichkeit zu ermitteln;

– der Öffentlichkeit über Internet alle Planungs- und Berechnungsgrund-
lagen der Bundesverkehrswegeplanung und Bundesnetzplanung für Ener-
gienetze zugänglich zu machen;

– die methodischen Grundlagen und Detailannahmen der Bedarfsermittlung
(z. B. Szenarienrahmen) offenzulegen und nachvollziehbar zu erläutern.
Zu diesem Zweck ist bei der Auftragsvergabe von Prognosen und Nutzen-
Kosten-Analysen dafür Sorge zu tragen, dass die verwendete Methodik
ins Eigentum der öffentlichen Hand übergeht und damit offengelegt wer-
den kann;

– die Mitwirkungsmöglichkeiten der Öffentlichkeit bei der Netzplanung
und Bedarfsfestlegung deutlich zu verbessern;

– nur noch solche Projekte in die Netzplanung für Bundesverkehrswege auf-
zunehmen, deren Akzeptanz der jeweilige Anmelder in den vom Projekt
betroffenen Gebietskörperschaften (z. B. durch Bürgerbefragung, An-
hörung oder andere Beteiligungsverfahren) geprüft hat und im Anmelde-
bogen nachvollziehbar dokumentiert. Die Anmelder sollten verpflichtet
werden, die Projekte vor der Anmeldung zu veröffentlichen und der
Öffentlichkeit die Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben;

– bei der Ermittlung des Bedarfs an Bundesverkehrswegen in allen Phasen
– beginnend mit der Zieldiskussion und Szenarienentwicklung – eine qua-
lifizierte Verbändebeteiligung sicherzustellen. Hierzu sollte ein per-
manentes Beratungsgremium aus Verbands- und Wissenschaftsvertretern
eingesetzt werden, das bei allen Entscheidungen frühzeitig einbezogen
wird und das breite Spektrum der gesellschaftlichen Interessen von Öko-
nomie bis Ökologie abbildet;

– der Öffentlichkeit die Möglichkeit zur Stellungnahme zur Bundes-
verkehrsnetzplanung und dem zugehörigen Umweltbericht zu geben, be-
vor diese von der Bundesregierung beschlossen werden. Die Öffentlich-
keitsbeteiligung darf sich nicht allein auf die Umweltverträglichkeitsprü-
fung beziehen, sondern muss alle Aspekte der Netzplanung, insbesondere
deren Ziele, Prioritäten und mögliche Netzalternativen, sowie ökono-
mische Fragen umfassen. Die Beteiligung der Länder und Behörden muss
parallel zur Öffentlichkeitsbeteiligung stattfinden, und alle Stellungnah-
men sollten im Internet veröffentlicht werden;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/9156

– das Ergebnis der Öffentlichkeitsbeteiligung zur Bundesverkehrsnetz-
planung in einem Bericht an den Deutschen Bundestag zusammenzufas-
sen, in dem die vorgeschlagene Netzplanung nicht nur hinsichtlich ihrer
Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit, sondern – als Ergebnis der
Öffentlichkeitsbeteiligung – auch hinsichtlich ihrer Akzeptanz bewertet
wird;

– bereits in der Bundesverkehrswegeplanung die Voraussetzungen für eine
wirkliche Bürgerbeteiligung vor Ort zu schaffen. Die Bundesverkehrs-
wegeplanung muss künftig hinreichende Planungsspielräume eröffnen,
damit in späteren Verfahrensschritten noch über grundsätzliche Gestal-
tungsvarianten (z. B. Neubau einer Bundesautobahn oder Ausbau einer
bestehenden Bundesstraße) sowie über die Dimensionierung eines Projek-
tes entschieden werden kann;

– die Öffentlichkeit auch bei der Erarbeitung sowie der Überprüfung der Be-
darfspläne für Bundesverkehrswege zu beteiligen. Auch diese Beteiligung
darf sich nicht allein auf die strategische Umweltprüfung beziehen, son-
dern muss alle Aspekte der Bedarfsplanung umfassen, insbesondere die
Frage von Planungsprioritäten und Planungsalternativen. Das Ergebnis
der Öffentlichkeitsbeteiligung ist in einem Bericht an den Deutschen Bun-
destag zu dokumentieren;

– regelmäßig einen Verkehrsinfrastrukturbericht vorzulegen, der die Öffent-
lichkeit detailliert über den Unterhaltungszustand aller Verkehrswege in-
formiert und den Unterhaltungsbedarf transparent macht;

– bei der Erarbeitung des Szenarienrahmens für die Netzentwicklungspla-
nung für Energieleitungen eine qualifizierte Verbändebeteiligung sowie
die Transparenz des Verfahrens und die Nachvollziehbarkeit der Ergeb-
nisse sicherzustellen;

– einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem auch auf Bundesebene Volks-
initiativen, Volksbegehren und Volksentscheide zu Gesetzesvorhaben des
Bundes ermöglicht werden. Dabei sollen auch finanzwirksame Volksent-
scheide zulässig sein, soweit sie finanzverfassungsrechtlich geprüfte
Kostendeckungsvorschläge enthalten und nicht das Haushaltsgesetz als
solches betreffen;

– darauf hinzuwirken, dass die Regulierungsbehörde

• die Öffentlichkeitsbeteiligung im Rahmen der Bestätigung des Netz-
entwicklungsplans (§ 12c Absatz 3 des Energiewirtschaftsgesetzes) für
Energienetze nicht auf Fragen der Umweltverträglichkeit beschränkt,
sondern alle Fragen der Netzplanung, einschließlich z. B. der Be-
darfsermittlung, umfasst;

• die Öffentlichkeit auch bei der Erarbeitung des Bundesbedarfsplans für
Energienetze beteiligt, sofern er sich materiell vom Netzentwicklungs-
plan unterscheidet;

3. im Bereich des Fachplanungsrechts

einen Gesetzentwurf vorzulegen, der sicherstellt, dass

– Genehmigungsbehörden bzw. öffentliche Planungsträger einen Bürger-
anwalt mit entsprechendem Etat einsetzen, der die Bürgerinnen und Bürger
in allen Fragen der Beteiligung berät und auf die Einhaltung der Beteili-
gungsrechte im Verfahren achtet;

– verbindliche Qualitätsstandards für die Bürgerbeteiligung festgelegt wer-
den, so dass die Bürgerbeteiligung nicht in das Belieben von Behörden

oder Vorhabenträgern gestellt ist. Die Öffentlichkeit – also alle interessier-
ten Bürgerinnen und Bürger sowie Verbände, Initiativen und sonstige

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Institutionen – muss bei Infrastrukturneubaumaßnahmen in jedem Fall be-
teiligt werden und bei Ausbau- und Unterhaltungsmaßnahmen immer
dann, wenn deutliche Auswirkungen auf Menschen (z. B. Lärm) oder auf
Natur und Landschaft zu erwarten sind (z. B. bei Unterhaltungsmaßnah-
men an Bundeswasserstraßen);

– die Öffentlichkeit schon im Vorfeld der Planfeststellung umfassend infor-
miert und in alle wichtigen Entscheidungsprozesse, insbesondere die
Alternativenprüfung, einbezogen wird. Diese Öffentlichkeitsbeteiligung
kann, muss aber nicht im Rahmen eines Raumordnungsverfahrens er-
folgen;

– im Vorfeld der Planfeststellung allen interessierten Bürgerinnen und Bür-
gern die Möglichkeit zur Mitwirkung gegeben wird, also nicht nur den in
ihren Rechten unmittelbar Betroffenen. Im Planfeststellungsverfahren
selbst kann die Beteiligung weiterhin auf unmittelbar Betroffene und die
Umweltverbände begrenzt bleiben;

– der Vorhabenträger verpflichtet wird, das Ergebnis des Vorverfahrens öf-
fentlich zu dokumentieren. Das Ergebnis muss bei der Linienbestimmung
(bei Bundesfernstraßen) sowie beim Planfeststellungsantrag berücksich-
tigt werden;

– die Beteiligung bei Planungsverfahren nicht auf Fragen der Umweltver-
träglichkeit beschränkt bleibt, sondern sie alle Aspekte der Planung
umfasst, also z. B. auch wirtschaftliche, soziale und verkehrliche Frage-
stellungen. Die Öffentlichkeit muss insbesondere bei der Festlegung der
Planungsziele, möglicher Planungsalternativen und des Untersuchungs-
umfangs am Anfang des Verfahrens beteiligt werden. Sie ist zudem immer
dann zu informieren und ggf. aktiv einzubinden, wenn im Verlauf des Pla-
nungsprozesses strategische Zielentscheidungen getroffen werden (z. B.
zur Dimensionierung oder Auswahl von Planungsalternativen zur Trassie-
rung);

– ergänzend zur schriftlichen Beteiligung zumindest ein Vorerörterungs-
termin in Form einer Bürgerversammlung verbindlich vorzusehen ist, der
einer von der Genehmigungsbehörde unabhängigen Stelle übertragen
werden kann;

– Genehmigungsbehörden die Möglichkeit erhalten, externe Moderatoren
(nicht zwangsläufig aus einer Behörde) mit dem Verfahrensmanagement
der Öffentlichkeitsbeteiligung zu beauftragen;

– Mediationsverfahren rechtlich geregelt werden, indem vorgeschrieben
wird, dass

• diese unter unabhängiger, externer Moderation stattfinden,

• ihr Ergebnis von der Genehmigungsbehörde bei der endgültigen Pla-
nungsentscheidung berücksichtigt wird und Abweichungen davon zu
begründen sind;

– die Genehmigungsbehörde bzw. (in der Vorplanungsphase) der Vorhaben-
träger verpflichtet werden, Vorschläge für Alternativplanungen (z. B.
alternative Trassen, andere Dimensionierung) prüfen zu lassen, soweit
diese nicht offenkundig unrealisierbar sind oder sich von bereits geprüften
Alternativen nur unwesentlich unterscheiden;

– die Genehmigungsbehörde bzw. der Vorhabenträger gegenüber der Öf-
fentlichkeit schriftlich dokumentieren müssen, dass und in welcher Weise
sie sich mit den Vorschlägen der Bürgerinnen und Bürgern auseinander-

gesetzt haben;

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– verbindliche Transparenzstandards bei Genehmigungsverfahren einge-
führt werden, um die Verständlichkeit der Planungsprozesse und Pla-
nungsunterlagen zu verbessern;

– sämtliche der Genehmigungsbehörde vorliegenden Unterlagen jeweils
unverzüglich und für die gesamte Verfahrensdauer der Öffentlichkeit so-
wohl per Internet zugänglich gemacht als auch an einem öffentlichen,
leicht zugänglichen Ort ausgelegt werden (Ausnahmen bei personenbezo-
genen Daten, Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen und Gefahren für die
öffentliche Sicherheit);

– den Planungsunterlagen eine Zusammenfassung des Projekts beigefügt
wird, die in verständlicher Sprache den Inhalt der Planung, mögliche Pla-
nungsalternativen, Kosten sowie mögliche Projektauswirkungen darlegt
und darüber informiert, welche Möglichkeiten der Beteiligung und Ein-
flussnahme bestehen;

– für größere Projekte eine Visualisierung von Planungsalternativen und
ihrer Auswirkungen (Computersimulation) vorgeschrieben wird;

– alle Anhörungs-, Erörterungs- und Scopingtermine grundsätzlich
öffentlich sind;

– zu Beginn jedes Planungsverfahrens die Planung (einschließlich mög-
licher Planungsalternativen, Kosten sowie möglicher Projektauswirkun-
gen) sowie die Einflussmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger in einer
öffentlichen Veranstaltung erläutert werden;

– von Enteignungen betroffene Bürgerinnen und Bürger bei Planfeststellun-
gen künftig, versehen mit einer verständlichen Rechtsbehelfsbelehrung,
schriftlich benachrichtigt werden, damit sie ihr Recht frühzeitig wahr-
nehmen können;

– digitale Stellungnahmen und Einwendungen bei Planungsverfahren er-
möglicht werden;

– die Kosten für die Bürgerbeteiligung von vornherein in die Planungs-
kosten eingepreist werden.

Darüber hinaus fordern wir die Bundesregierung auf, die Einrichtung einer
Bürgerstiftung zu prüfen, die Bürgerinnen und Bürger bei komplexen Ver-
fahren unterstützt, z. B. durch Finanzierung von Gutachten oder eines juris-
tischen Fachbeistands.

4. im Bereich der Flughafen- und Flugroutenplanungen

die rechtlichen Grundlagen dafür zu schaffen, dass

– bei der Planfeststellung von Flughäfen und neuen Landebahnen länder-
übergreifend alle von den An- und Abflugrouten betroffenen Gemeinden
und deren Bürgerinnen und Bürger frühzeitig beteiligt werden;

– den Planungsunterlagen künftig eine Zusammenfassung vorangestellt
wird, in der eindeutig und unmissverständlich darauf hingewiesen wird,
dass die Flugroutenfestlegungen sich ändern können, und in der die Aus-
wirkungen möglicher Flugroutenänderungen erläutert werden. Ungeach-
tet dessen muss das Ziel sein, dem Planfeststellungsverfahren ein mög-
lichst realistisches An- und Abflugroutenkonzept zugrunde zu legen;

– bei der Festlegung der An- und Abflugrouten an Flughäfen künftig die
Öffentlichkeit bereits bei der Vorplanung für Streckenführungen durch die
DFS Deutsche Flugsicherung GmbH beteiligt wird. Die Fluglärmkom-
mission, in der u. a. betroffene Kommunen und Verbände vertreten sind,

sollte als beratendes Gremium bestehen bleiben;

Drucksache 17/9156 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
– beim Neu- und Ausbau von Flughäfen Nachbarschaftsräte als begleiten-
des Gremium der Öffentlichkeitsbeteiligung eingesetzt werden, in denen
die vom Vorhaben berührten Kommunen, Bürgerinitiativen und Verbände
sowie der Flughafenbetreiber und die Flughafennutzer vertreten sind.

Berlin, den 27. März 2012

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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