BT-Drucksache 17/9064

Freiheit von Forschung und Lehre schützen - Transparenz in Kooperationen von Hochschulen und Forschungseinrichtungen mit Unternehmen bringen

Vom 21. März 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9064
17. Wahlperiode 21. 03. 2012

Antrag
der Abgeordneten Nicole Gohlke, Dr. Petra Sitte, Jan Korte, Agnes Alpers,
Dr. Rosemarie Hein, Ulla Jelpke, Dr. Lukrezia Jochimsen, Petra Pau,
Kathrin Senger-Schäfer, Raju Sharma und der Fraktion DIE LINKE.

Freiheit von Forschung und Lehre schützen – Transparenz in Kooperationen
von Hochschulen und Forschungseinrichtungen mit Unternehmen bringen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre wird durch das Grundge-
setz geschützt. Sie gründet sich auf die Berechtigung, nach eigenem Ermessen
und unter Wahrung anderer Grundrechte wahre Erkenntnisse und Wissen zu
suchen. Das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit institutionalisiert sich etwa in
öffentlichen Hochschulen, die in besonderem Maße zur Ausübung von For-
schung und Lehre legitimiert sind. Auch außeruniversitäre Forschungseinrich-
tungen können sich auf das Grundrecht der Forschungsfreiheit berufen.

Das Grundrecht sichert Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor allem
gegen unverhältnismäßige Einflussnahme in ihrer auf Wahrheitsfindung orien-
tierten Tätigkeit ab. Gemeinhin wird darunter die Einflussnahme staatlicher
Institutionen etwa der Wissenschaftsverwaltungen und -ministerien verstanden.
Mit dem stark ansteigenden Aufkommen privater Drittmittel und verstärkter
Kooperationen, aber auch mit der von der Politik forcierten Integration privater
Unternehmen und ihrer Verbände in die Aufsichtsgremien der Hochschulen und
Forschungseinrichtungen steigt die Gefahr einer inhaltlichen Einflussnahme
durch diese Unternehmen. Diese kann sich durch Entscheidungen in Gremien,
durch Einfluss auf die Besetzung von Stellen, insbesondere bei der Berufung auf
Lehrstühle, oder auch durch direkte inhaltliche Vorgaben darstellen.

Kooperationen und Austausch zwischen Wissenschaft und gewerblicher Wirt-
schaft können wie auch Kooperationen mit öffentlichen und frei gemeinnützigen
Akteuren zur Bereicherung und Anregung in Forschung und Lehre beitragen.
Zugleich ist auch die Durchführung von Forschungsleistungen durch öffentliche
Hochschulen und Forschungseinrichtungen für private Auftraggeber ein legiti-
mer Vorgang. Die Praxisorientierung durch Austausch mit Unternehmen, zivil-
gesellschaftlichen und gemeinnützigen Institutionen, aber auch mit Politik und
Verwaltung stärken die Verankerung und die Vernetzung der Wissenschaft in der

Gesellschaft. Sowohl das grundgesetzliche Recht auf eine freie Forschung und
Lehre als Quelle von Pluralismus und Innovation als auch die Legitimität von
Kooperation und Austausch müssen jedoch vor einem Ungleichgewicht der be-
teiligten Kooperationspartner geschützt werden.

Drucksache 17/9064 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Das Aufkommen von Drittmitteln an Hochschulen hat sich von 1995 bis 2008
verdoppelt, die Grundmittel wuchsen im selben Zeitraum lediglich um 6 Pro-
zent. Das Verhältnis von Grundmittel, die eine eigenmotivierte Forschung er-
möglichen, zu wettbewerblichen Drittmittel hat sich dramatisch verschoben.
Auf 1 Euro Drittmittel entfielen im Jahr 1995 knapp 2 Euro Grundmittel für die
Forschung, im Jahr 2008 nur noch 85 Cent. 22,9 Prozent der Forschungsdritt-
mittel stammen aus der Hand der gewerblichen Wirtschaft, weitere 6,5 Prozent
von Stiftungen (Statistisches Bundesamt 2009). Die Anteile privater Mittel an
den Forschungsausgaben variieren dabei sehr stark zwischen den einzelnen
Fachrichtungen.

Unternehmen treten mit Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen vielfältig
in Kooperation. Formen sind etwa die Auftragsforschung, die Stiftung von Lehr-
stühlen, gemeinsame Institute, An-Institute oder vertragsförmige Projektförde-
rungen. Auch Ausgründungen und Spin-Offs sind in die Kooperationsmodelle
zu zählen.

Die Auftragsforschung kann sich in ihrer Wahl der Forschungsfragen nicht auf
die Wissenschaftsfreiheit berufen, muss aber in ihrer Umsetzung trotzdem wis-
senschaftlichen Grundsätzen der Wahrheitsfindung dienen. In der Vergangenheit
wurden immer wieder Fälle bekannt, in denen Auftraggeber Einfluss auf die
Ausrichtung von Forschungsergebnissen genommen hatten.

Stiftungsprofessuren und gemeinsame Institute hingegen werden aus öffentlichen
und privaten Mitteln mischfinanziert. Immer wieder treten dabei Zielkonflikte
zwischen dem verfassungsmäßigen Auftrag einer Grundlagenforschung an die
Hochschulen und Forschungseinrichtungen und den Interessen der stiftenden
Unternehmen oder Verbände auf. Im Zentrum steht nicht nur Richtung und
Inhalt der Forschungstätigkeit, sondern auch eine Steuerung der Veröffent-
lichungspraxis durch die private Auftrag- bzw. Drittmittelgeber. Diese sichern
sich häufig das Recht, Publikationen zu begutachten oder im Fall der Auftrags-
forschung gar ganz zu unterbinden.

Derzeit laufen nach Angaben des Stifterverbandes etwa 660 Stiftungsprofessu-
ren, weitere 500 ehemalige Stiftungsprofessuren befinden sich in der Über-
nahme durch die entsprechenden Einrichtungen oder sind ausgelaufen. Drei
Viertel befinden sich an Universitäten, nur ein Viertel an Fachhochschulen.

Eine weitere indirekte Einschränkung der Freiheit von Forschung und Lehre
besteht in der Inanspruchnahme von grundfinanzierten Personal- oder Sachmit-
telressourcen von Hochschulen und Forschungseinrichtungen bei der Veraus-
gabung privater Drittmittel. Diese Ressourcen generieren zwar eine höhere Ge-
samtausstattung der entsprechenden Hochschule bzw. Forschungseinrichtung,
stehen jedoch einer freien Grundlagenforschung nicht mehr zur Verfügung.
Auch die Förderung bereits kanonisierter Forschungsfelder und Lehrmeinungen
kann die Bearbeitung neuer und unbequemer Fragestellungen behindern.

Bei den in der Vergangenheit öffentlich gemachten Fällen von Konflikten und
Problemen wurde deutlich, dass vielfach Unklarheit über die Rechtssituation,
die Kompetenzen der Verwaltung und der Hochschulen und Wissenschaftsein-
richtungen besteht. Dies betrifft auch den Umgang mit Forschungsergebnissen
aus extern finanzierten Projekten sowohl bei der Veröffentlichung wie auch bei
der Einflussnahme auf die Inhalte. Zudem wurde deutlich, dass Nebentätigkei-
ten von beamteten Professorinnen und Professoren nur unzureichend überwacht
und in ihren Auswirkungen auf die Wissenschaftsfreiheit begutachtet werden.
Spezifische Probleme entstehen bei Auslaufen der Projekte, wenn die Univer-
sitäten knappe Grundmittel zugunsten der ehemals privat finanzierten For-
schungstätigkeit umschichten müssen.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9064

Eine Bewertung und Lösung dieser Probleme in der Kooperation zwischen Wis-
senschaft und Wirtschaft wird durch die regelmäßig von privaten Geldgebern
verlangte Geheimhaltung von Forschungsaufträgen, Kooperations- oder Stif-
tungsverträgen sowie von Auftragsforschungen erschwert. Eine Offenlegung
dieser Verträge ermöglichte den Hochschulen und Forschungseinrichtungen so-
wie den Trägern dieser Einrichtungen hingegen ein transparentes Verfahren im
Umgang mit möglichen Einschränkungen wissenschaftlicher Autonomie und
der Zweckentfremdung öffentlicher Mittel. Dies betrifft schon die Entscheidung
für eine eventuelle Kooperation, aber auch die Steuerung und den Abschluss lau-
fender Zusammenarbeit.

Der Bund ist in dieser Situation aufgefordert, Maßnahmen für den Schutz und
die Absicherung der grundgesetzlich garantierten Freiheit von Forschung und
Lehre zu ergreifen und die Verhandlungsposition der Hochschulen und Wissen-
schaftseinrichtungen in ihrer Interaktion mit der Wirtschaft zu unterstützen.
Zugunsten einer besseren Transparenz bei der Kooperation steuerfinanzierter
Einrichtungen sollten Verträge und Abmachungen grundsätzlich öffentlich ge-
macht werden.

II. Der Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– gemeinsam mit den Ländern rechtzeitig vor dem Auslaufen des Hochschul-
paktes 2020 und der Exzellenzinitiative ein Finanzierungsmodell für eine
auskömmliche Grundfinanzierung von Forschung und Lehre zu erarbeiten
und umzusetzen;

– gemeinsam mit den Ländern eine Initiative zur Zugänglichmachung und
Offenlegung von Kooperations- und Stiftungsverträgen mit Hochschulen zu
ergreifen und eine entsprechende Verpflichtung in den jeweiligen Gesetzen
zur Informationsfreiheit und zu Hochschulen zu verankern;

– den Wissenschaftsrat sowie die Allianz der Wissenschaftsorganisationen um
die Erstellung eines Katalogs zur guten Praxis bei der Kooperation von Wis-
senschaft und Wirtschaft zu ersuchen, der als verbindliche Richtschnur von
den Einrichtungen akzeptiert wird. Dazu gehören auch Leitlinien zum Um-
gang mit Selbstverwaltungsgremien, Praxis bei Berufungen, Stellenbeset-
zungen und Nebentätigkeiten sowie im Umgang mit Forschungsergebnissen
und Publikationen. Definiertes Ziel muss ein transparenter und geregelter
Umgang mit Kooperationen sein, der die wissenschaftliche Autonomie durch
mehr Selbstbestimmung der einzelnen Wissenschaftlerinnen und Wissen-
schaftler sowie eine starke Beteiligung der gewählten Selbstverwaltungsgre-
mien bewahrt;

– gemeinsam mit den Ländern Initiativen zu ergreifen, um das mit dem
Management dieser Kooperationen befasste Personal in Hochschulen und
Wissenschaftseinrichtungen auf der Grundlage dieses Katalogs zu schulen
und auszubilden;

– in der Eigenschaft als Träger der außeruniversitären Forschungseinrichtun-
gen sowie der Deutschen Forschungsgemeinschaft diese zur Transparenz und
Offenlegung ihrer vertraglichen Kooperationen mit der privaten Wirtschaft in
geeigneter Weise zu verpflichten;

– im angekündigten Gesetz zu den außeruniversitären Wissenschaftseinrich-
tungen („Wissenschaftsfreiheitsgesetz“) klare Regeln zum Schutz der Wis-
senschaftsfreiheit bei Kooperationen zu formulieren;

Drucksache 17/9064 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

– die Programme des Bundes zur Förderung von Wissenstransfer aus der öf-
fentlichen Wissenschaft in die private Wirtschaft zu überarbeiten. Dabei soll-
ten im Sinne des zu erstellenden Katalogs guter Praxis ein Transparenzgebot
für die Kooperationsverträge, Regeln zum Kooperationsmanagement sowie
Regeln zum Umgang mit Immaterialgüterrechten an den Forschungsergeb-
nissen in den Ausschreibungen verankert werden.

Berlin, den 21. März 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

In den vergangenen Jahren wurden diverse Fälle öffentlich, in denen die Koope-
ration von privaten Partnern mit öffentlichen Hochschulen und Wissenschaftsein-
richtungen Einschränkungen wissenschaftlicher Autonomie mit sich brachten.

So wird derzeit an der Universität Bremen eine Veränderung bzw. Abschaffung
der so genannten Zivilklausel der Satzung diskutiert. In dieser hat sich die Uni-
versität selbstverpflichtet, nur für friedliche Zwecke zu forschen. Die Debatte
wurde durch das Angebot des Raumfahrtkonzerns OHB System AG für die Ein-
richtung einer Stiftungsprofessur angestoßen. Das Unternehmen hatte das Ange-
bot jedoch an die Änderung der Zivilklausel geknüpft, da die OHB System AG
auch Rüstungsgüter entwickelt. Zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissen-
schaftlern sowie Studierende haben sich gegen eine Änderung der Klausel aus-
gesprochen, da diese dem Gründungskonsens der Universität entspricht und in
freier Entscheidung der Hochschulangehörigen beschlossen wurde.

Im vergangenen Jahr wurde zudem ein Kooperationsvertrag der Technischen
und der Humboldt-Universität mit der Deutschen Bank AG öffentlich. Dieser
sah die Finanzierung eines Institutes mit zwei Stiftungsprofessuren durch die
Bank vor, die sich dafür weitgehende Mitspracherechte bei der Besetzung der
Professuren sowie bei der Veröffentlichung von Forschungsergebnissen vor-
behielt. Die Kooperation wurde von einem paritätisch besetzten Lenkungs-
ausschuss gesteuert, in dem in Pattsituationen die Stimme eines Bankvertreters
entschied. Die Universitäten sicherten ihre Unterstützung bei der Personalrekru-
tierung der Bank zu. Der Vertrag und damit die Finanzierung durch die Deutsche
Bank AG liefen 2010 aus. Beide Lehrstuhlinhaber werden auf Planstellen der
Universitäten weiter beschäftigt. Die ungewöhnlichen Vertragsbedingungen
dieser Kooperation veranlassten den Stifterverband für die deutsche Wissen-
schaft im Jahr 2011 einen Code of conduct für die Einrichtung von Stiftungspro-
fessuren zu verabschieden, der Empfehlungen für den transparenteren und klarer
geregelten Umgang der Vertragspartner miteinander gibt.

Bereits seit 2008 existiert eine Kooperation des Chemie- und Pharmakonzerns
Bayer AG, Leverkusen, mit der Universität Köln. Wie viel Geld an die Hoch-
schule fließt und wie die Zusammenarbeit im Einzelnen geregelt wird, wird
geheim gehalten. Versuche, über die Gremien der Universität eine Offenlegung
des Vertragswerkes zu erreichen, scheiterten. Derzeit klagt eine Initiative auf
Offenlegung auf der Grundlage des nordrhein-westfälischen Informationsfrei-
heitsgesetzes. Im Pharmabereich fließen große Summen der Industrie an die
Hochschulen, da die Hersteller auf Ressourcen und Know-how der Universitäts-
klinika angewiesen sind.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/9064

Ein besonderer Fall wissenschaftlichen Fehlverhaltens wurde im vergangenen
Jahr an der Humboldt-Universität zu Berlin öffentlich. Ein Professor sollte im
Auftrag des Deutschen Atomforums e. V. eine Studie anfertigen. Die Abrech-
nung dieses Auftrages sollte über dessen Ehefrau erfolgen, die Ergebnisse
jedoch den Namen der Universität tragen. Eine komplette Aufklärung und Be-
wertung dieses Falles steht nach Medienberichten noch aus.

Diese Beispiele zeigen, dass die Situation bezüglich der Transparenz und des
Schutzes der Freiheit von Forschung und Lehre auf Bundes- und Landesebene
derzeit nicht zufriedenstellend geregelt ist. Zudem bestehen Unterschiede zwi-
schen den Bundesländern – etwa in der Ausweitung des Geltungsbereichs der
Informationsfreiheitsgesetzgebung auf die Hochschulen und Wissenschaftsein-
richtungen.

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