BT-Drucksache 17/904

Zur Entschädigungsklage südafrikanischer Apartheidopfer gegen die Daimler AG

Vom 2. März 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/904
17. Wahlperiode 02. 03. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Annette Groth, Jan van Aken, Heike Hänsel, Inge Höger,
Niema Movassat, Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Zur Entschädigungsklage südafrikanischer Apartheidopfer gegen die Daimler AG

Im Jahr 1995 gründeten Überlebende und Opfer der Apartheid sowie deren
Familien in Südafrika die Khulumani Support Group. Ziel dieser Gruppe ist es,
die Arbeit der Wahrheits- und Versöhnungskommission (Truth and Reconcilation
Commission) zu begleiten und den notwendigen Versöhnungs- und Aufarbei-
tungsprozess in Südafrika politisch zu stärken. Vor allem soll den Opfern dabei
geholfen werden, ihre Sprachlosigkeit zu überwinden und Gerechtigkeit und
Entschädigung einzufordern. Mit 54 000 Mitgliedern gehört Khulumani zu den
wichtigsten Organisationen, die die Interessen der Apartheidopfer und ihrer
Angehörigen in Südafrika wahrnehmen.

Im Abschlussbericht der Wahrheits- und Versöhnungskommission wurden für
die Opfer Entschädigungszahlungen in Aussicht gestellt. Jedoch ist seitdem
nichts geschehen. Khulumani zeigt seit vielen Jahren auf, dass angemessene
Entschädigungen an die Opfer eine der Grundvoraussetzungen für die Herstel-
lung von Gerechtigkeit sind. Khulumani fordert, dass die einstigen Täter heute
nicht mehr Vorteile haben dürfen als die Opfer.

In der Zeit der Apartheid haben auch ausländische Konzerne und Banken über
viele Jahre das Apartheidsystem unterstützt oder waren zumindest Nutznießer
dieses Systems. Durch die Lieferung von Rüstungsgütern, Computern, Fahrzeu-
gen und technischer Ausrüstung leisteten sie einen gewichtigen Beitrag zur Stüt-
zung des Apartheid-Systems. Khulumani hat deshalb internationale Konzerne,
die mit dem Apartheid-Regime Geschäfte gemacht hatten, auf Schadenersatz
verklagt. Die Klage beruft sich auf allgemein akzeptierte Normen des Interna-
tionalen Rechts und richtet sich gegen Unternehmen, welche direkt oder indirekt
die Sicherheitsapparate des Apartheidsystems und strategisch wichtige Staats-
unternehmen im Bereich Telekommunikation, Transport, Stahl und Energie un-
terstützt haben. Die Klagenden argumentieren, dass die betroffenen Banken und
Unternehmen genau wussten, dass sie durch ihre Verbindung mit dem Regime
eine direkte Unterstützung für die Sicherung des Apartheidsystems leisteten.

In den USA ist zurzeit eine Klage gegen die Daimler AG anhängig. In dieser
Klage wird der Vorwurf gegen die Daimler AG erhoben, sie habe Beihilfe durch
Kollaboration mit den südafrikanischen Sicherheitskräften geleistet. Durch die

Lieferung von Nutzfahrzeugen und Nutzfahrzeugkomponenten wäre die Arbeit
der repressiven Sicherheitsapparate unterstützt worden. Damit habe die Daimler
AG Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen, die durch das Apartheidregime in
Südafrika begangen wurden, geleistet.

Ziel der Klage ist eine angemessene Wiedergutmachung für das Leid der Opfer
in der Zeit der Apartheid. Die Opfer verlangen die gesellschaftliche Anerken-

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nung des begangenen Unrechts und umfangreiche soziale Programme für den
Wiederaufbau und die Entwicklung benachteiligter Gemeinschaften. Neben der
juristischen Aufarbeitung der Apartheidverbrechen könnten die Klagen ein
Präzedenzfall zur Durchsetzung von menschenrechtlichen Standards gegenüber
internationalen Unternehmen werden.

Die Richterin am Bezirksgericht in New York erklärte die Klage, unter Berufung
auf den Alien Tort Claims Act (ATCA), im April 2009 für zulässig. Diese Ent-
scheidung stellt eine wichtige Entwicklung in der internationalen Rechtspre-
chung dar, da der Vorwurf der südafrikanischen Regierung, die Klage vor einem
US-amerikanischen Gericht verletze ihre Souveränität, vom Gericht zurück-
gewiesen wurde.

Der deutsche Konsul in Washington D. C., K. B., kritisierte in einer an die zu-
ständige Richterin gerichteten Stellungnahme im Namen der Bundesregierung,
die Klage verletze die Souveränität Deutschlands und insbesondere die primäre
Zuständigkeit deutscher Gerichte in solchen Fällen und drückte die Befürchtung
der Bundesregierung aus, die Anwendung des ATCA führe zu Rechtsunsicher-
heit für internationale Konzerne. Damit stärkt die Bundesregierung den Rechts-
standpunkt von Wirtschaftslobby-Gruppen wie dem National Foreign Trade
Council (NFTC), die sich dafür einsetzen, den ATCA abzuschaffen oder einzu-
grenzen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie bewertet die Bundesregierung die Klage gegen die Daimler AG?

2. Wie beurteilt die Bundesregierung die Position, die durch K. B., Legal
Adviser und Consul General, vorgetragen wurde?

3. Wurde zur Positionierung der Bundesregierung durch K. B. eine Abstim-
mung zwischen dem Bundesministerium der Justiz und dem Auswärtigen
Amt vorgenommen?

Wenn ja, gab es in beiden Ministerien eine übereinstimmende politische Ein-
schätzung zur Klage gegen die Daimler AG?

4. Inwieweit wurden der Deutsche Bundestag und die betroffenen Ausschüsse
über diese Positionierung der Bundesregierung informiert?

Wenn nein, warum nicht?

5. Wurde die Position der EU-Kommission, die sich ebenfalls gegen eine
Durchführung der Apartheid-Verfahren in den USA ausgesprochen hat
(Quelle: Brief von Daimler an die Abgeordneten des Ausschusses für Men-
schenrechte), in den Gremien der EU besprochen und zwischen den euro-
päischen Nationalstaaten abgestimmt?

6. Hat die Bundesregierung vor ihrer Positionsfindung mit den Beteiligten (Klä-
gern und Beklagten) gesprochen und ihre Argumente gehört?

Wenn nein, warum nicht?

7. Fanden zwischen der Bundesregierung und der südafrikanischen Regierung
in dieser Frage Konsultationen statt, und wenn ja, mit welchem Ergebnis?

Wenn nein, warum nicht?

8. Inwiefern erkennt die Bundesregierung in den Klagen einen wichtigen Prä-
zedenzfall für die Ahndung von durch multinationale Konzerne zu verant-
wortenden Menschenrechtsverletzungen bzw. von ihnen geleisteter Beihilfe
zu Menschenrechtsverletzungen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/904

9. Inwiefern unterstützt die Bundesregierung die von ihrem Konsul K. B. in
ihrem Namen vorgetragene grundsätzliche Kritik an der Anwendung des
ATCA auf Klagen gegen multinationale Unternehmen?

10. Auf welcher Rechtsgrundlage könnten die Apartheid-Opfer nach Ansicht
der Bundesregierung in Deutschland gegen deutsche Konzerne auf ange-
messene Entschädigung wegen Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen
prozessieren?

11. Hat die Bundesregierung auch zu dem derzeit in Argentinien anhängigen
Verfahren gegen die Daimler AG wegen Menschenrechtsverletzungen eine
Stellungnahme abgegeben?

a) Wenn ja, wie bewertet die Bundesregierung diese Klage?

b) Wenn nein, warum wurde in diesem Fall von einer Stellungnahme abge-
sehen, während im Fall der Klage der südafrikanischen Apartheid-Opfer
eine Stellungnahme abgeben wurde?

Berlin, den 2. März 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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