BT-Drucksache 17/8968

Modellprojekte mit rechtsextremen Jugendlichen

Vom 9. März 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8968
17. Wahlperiode 09. 03. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Steffen Bockhahn, Dr. Rosemarie Hein, Dr. Lukrezia
Jochimsen, Petra Pau, Jens Petermann, Raju Sharma, Dr. Petra Sitte, Frank
Tempel, Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Modellprojekte mit rechtsextremen Jugendlichen

Im Rahmen des Bundesprogramms „TOLERANZ FÖRDERN – KOMPETENZ
STÄRKEN“ werden im Bereich der Modellprojekte auch solche Projekte geför-
dert, die die Arbeit mit rechtsextrem orientierten Jugendlichen ins Zentrum ihrer
Arbeit stellen (Cluster II). An einem Projekt aus diesem Themenzusammenhang
kam es zu massiver Kritik. Die multilateral academy ggmbh führt in Dortmund
ein Projekt mit dem Titel „Dortmund den Dortmundern“ durch. Im Rahmen
dieses Projekts sollen rechte und nicht rechte Jugendliche darüber diskutieren,
wie Dortmunds Zukunft aussehen, und wessen Stadt es sein soll. In der vom
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) geneh-
migten Projektskizze, die schließlich zu einer Fördersumme von 300 000 Euro
führte, wird die Teilnahme von Angehörigen der „Autonomen Nationalisten“
angestrebt, um eine direkte Konfrontation zwischen den unterschiedlichen
Jugendlichen zu ermöglichen. In den Medien kam es nach Bekanntwerden die-
ser Konzeption zu Kritik an dem Projekt, da so den gewaltbereiten Anhängern
der „Autonomen Nationalisten“ eine Bühne für ihre Ansichten geliefert würde.
Zudem sei es zweifelhaft, ob die Kader dieser Naziszene im Sinne des Projekts
erreicht werden könnten. Außerdem würden durch die Anlage des Projektes die
Ansichten der Nazis zu diskussionswürdigen Argumenten aufgewertet und
somit normalisiert (vgl. http://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2012/02/20/kristina-
schroders-kuschelworkshop-fur-militante-neonazis_8048).

Auch vonseiten der Stadt Dortmund gab es massive Kritik an dem Projekt. Trotz
dieser Kritik wurde die Stadt Dortmund weiterhin als Kooperationspartner vom
Träger benannt und erst nach einer öffentlichen Intervention der Stadt entfernt.
Inzwischen wurde das Handlungskonzept durch den Träger modifiziert und die
„Autonomen Nationalisten“ nicht mehr explizit als Zielgruppe benannt.

Über das regionale Projekt hinaus stellt sich damit die Frage nach dem zugrunde
liegenden Ansatz der akzeptierenden Jugendarbeit, der von der schwarz-gelben
Bundesregierung im Rahmen der Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus
gefördert wird. Dieser Ansatz lag den ebenfalls von den Koalitionsfraktionen
der CDU/CSU und FDP zwischen 1992 und 1996 geförderten Aktionsprogram-
men gegen Aggression und Gewalt (AgAG) der 90er-Jahre zugrunde und wurde

damals mit dem Stichwort der „Glatzenpflege“ massiv kritisiert, auch von wis-
senschaftlicher Seite. Die Genehmigungspraxis im Dortmunder Fall gibt Anlass
zur Sorge, dass die Bundesregierung aus der damaligen Kritik keine Schlussfol-
gerungen gezogen hat und die Gewichtung der Bundesprogramme nach und
nach von der Stärkung zivilgesellschaftlicher Positionen zur Arbeit mit rechten
Jugendlichen verlagert.

Drucksache 17/8968 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie beurteilt die Bundesregierung das von der multilateral academy ggmbh in
Dortmund durchgeführte Projekt mit dem Titel „Dortmund den Dortmundern“
vor dem Hintergrund der daran geäußerten Kritik (vgl. http://blog.zeit.de/
stoerungsmelder/2012/02/20/kristina-schroders-kuschelworkshop-fur-militante-
neonazis_8048)?

2. Hält die Bundesregierung die Einbindung von Angehörigen der militanten
„Autonomen Nationalisten“ in ein solches Projekt für sinnvoll, und wie be-
gründet sie ihre Auffassung?

3. Wie bewertet die Bundesregierung die Änderung des Handlungskonzeptes
durch den Träger multilateral academy ggmbh, nachdem es zu massiver Kritik
an der ursprünglichen Konzeption gekommen war, und welche Rolle spielte
diese Änderung für die Bewilligung der Mittel seitens des BMFSFJ?

4. Hat es vonseiten des BMFSFJ eine Aufforderung an den Träger zur Überar-
beitung des Konzeptes gegeben, wie sah diese Aufforderung gegebenenfalls
aus, und hätte die Bundesregierung auch bei Beibehaltung der ursprünglichen
Konzeption ihre Finanzierungszusage aufrechterhalten?

5. Wie bewertet die Bundesregierung die Kritik der Stadt Dortmund (Schreiben
vom 25. Januar 2012) an der ursprünglichen Konzeption der multilateral
academy ggmbh für das Projekt, ab wann war ihr diese Kritik bekannt, und
welche Rolle spielte diese Kritik für die Förderung des Projektes?

6. Welche Folgerungen hat die Bundesregierung aus der Kritik an den AgAG-
Programmen (Programm gegen Aggression und Gewalt 1992 bis 1996) ge-
zogen, und wie unterscheiden sich die Projekte im Rahmen des Clusters II der
Modellprojekte von dem damaligen Ansatz?

7. Welche Erwartungen verbindet die Bundesregierung mit der verstärkten Ar-
beit mit rechtsextremen Jugendlichen, auf welche wissenschaftlichen Exper-
tisen stützt sie sich dabei, und welche Risiken bzw. Grenzen dieser Arbeit
sieht die Bundesregierung?

8. Wie prüft die Bundesregierung die pädagogischen Voraussetzungen der Trä-
ger im Themencluster II der Modellprojekte, und welche Anforderungen
werden hier gestellt?

9. Welche weiteren Projekte im Themencluster II, Auseinandersetzung mit
rechtsextrem orientierten Jugendlichen werden durch die Bundesregierung
mit welchen jeweiligen Summen gefördert?

Berlin, den 9. März 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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