BT-Drucksache 17/8901

Zusammenarbeit von deutschen und tschechischen Rechtsextremen

Vom 6. März 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8901
17. Wahlperiode 06. 03. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. Lukrezia Jochimsen, Petra Pau, Jens
Petermann, Raju Sharma, Dr. Petra Sitte, Frank Tempel, Jörn Wunderlich
und der Fraktion DIE LINKE.

Zusammenarbeit von deutschen und tschechischen Rechtsextremen

Zwischen der rechtsextremen NPD und tschechischen Rechtsextremisten der
„Arbeiterpartei für soziale Gerechtigkeit“ (DSSS) findet seit einiger Zeit eine
engere Kooperation statt. Bereits am 3. Juli 2010 fand in der Gaststätte „Jäger-
wirt“ im bayerischen Buchhofen die Veranstaltung „Day of Friendship“ mit rund
120 Neonazis aus Deutschland und der Tschechischen Republik statt, zu der ein
„Deutsch-Böhmischer Freundeskreis“ (DBF) mobilisiert hatte, um die Bezie-
hungen zwischen tschechischen und deutschen Neonazis zu verfestigen und aus-
zubauen. So vereinbarten tschechische und deutsche Rechtsextremisten anläss-
lich der „Jahresfeier“ der Deutsche Stimme Verlags GmbH am 2. April 2011 in
Riesa im „Manifest z Riesy/Manifest von Riesa“ eine Zusammenarbeit von
NPD und DSSS. Bei einem rechtsextremen Aufmarsch am 1. Mai 2011 in Heil-
bronn trat ein Vertreter der DSSS als Redner auf, während in Brno zwei Funk-
tionäre der NPD sprachen. Am Wochenende des 28. und 29. Mai 2011 trafen
sich der damalige NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt, der damalige Berliner
Landesvorsitzende Uwe Meenen und der oberpfälzische Bezirksgeschäftsführer
Karsten Panzer sowie die Chemnitzer Stadträtin Katrin Köhler in Prag mit dem
DSSS-Vorsitzenden Tomas Vandás¬ und dessen Stellvertreter Jir¬í Sµte¬pánek. Er-
neut bekundeten die Parteivorsitzenden den Willen zur Zusammenarbeit ihrer
Parteien, etwa bei den tschechischen Bezirksratswahlen 2012. Die NPD verfüge
über „einen reichen Erfahrungsschatz“, aus dem die DSSS schöpfen möchte, so
Tomas Vandás¬. Wie die NPD es geschafft habe, „in Deutschland eine so starke
nationalistische Partei“ aufzubauen, sei für die DSSS „eine Inspiration dafür, das
Gleiche mit ähnlichen Methoden in der Tschechischen Republik zu erreichen.“
Ausgespart blieb auch auf diesem Treffen die Thematik der Benes¬-Dekrete.
Während die DSSS die Benes¬-Dekrete als abgeschlossene Angelegenheit und
Bestandteil der tschechischen Rechtsordnung versteht, fordert die NPD in ihrem
Parteiprogramm die Aufhebung dieser „Vertreibungs-Dekrete“ und eine Wieder-
gutmachung. Der DBF erklärt dagegen in einer „Grundlegende Vereinbarung
zwischen böhmisch/mährischen (tschechischen) und deutschen Kameraden-
gruppen“ die Benes¬- Dekrete für „als null und nichtig“.
Auf der Website des DBF rief die Chemnitzer NPD-Stadträtin Katrin Köhler
deutsche und tschechische Neonazis dazu auf, „das alte Kriegsbeil für immer
[zu] begraben und gemeinsam für eine freies Europa der Vaterländer zusammen
[zu] stehen“. Als verbindende Elemente einer deutsch-tschechischen Zusam-
menarbeit dienen ihr völkischer Rassismus und antisemitische Verschwörungs-
theorien gegen „die Erfüllungsgehilfen des USraelischen Hochfinanzkapitals im
EU-Parlament“.

Drucksache 17/8901 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Als sich im Sommer 2011 in mehreren tschechischen Kleinstädten bis zu tau-
send Menschen versammelten, um Wohnhäuser von Roma anzugreifen, riefen
Nazis wie das „Freie Netz Süd“ und der NPD-nahe „Deutsch-Böhmische Freun-
deskreis“ aus Bayern und Sachsen sowie das neonazistische „Thiazi“-Internet-
Forum zu diesen Protesten auf. In Varnsdorf, 500 Meter hinter der deutschen
Grenze, konnten Spezialeinheiten der tschechischen Polizei Anfang September
2011 in letzter Sekunde ein Pogrom verhindern. NPD-Funktionäre sowie
Mandatsträgerinnen und -träger beteiligten sich regelmäßig an Demonstrationen
der DSSS gegen ein Roma-Wohnheim in Varnsdorf. Auf diesen Demonstratio-
nen werden Parolen wie „Böhmen für die Tschechen“ und „Zigeuner zur Arbeit“
aber auch „Zigeuner ins Gas“ skandiert. Auf Einladung des stellvertretenden
DSSS-Landesvorsitzenden Petr Kotab nahmen so zuletzt am 29. Januar 2012 die
Zittauer NPD-Stadträtin Antje Hiekisch, der Görlitzer Kreisvorsitzende der
NPD und weitere NPD-Mitglieder an einer antiziganistischen Demonstration in
Varnsdorf teil. Auf der Rückfahrt wurde die deutsche Delegation an der Grenze
von der Bundespolizei kontrolliert.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Inwieweit ist der Bundesregierung eine Zusammenarbeit deutscher und
tschechischer Rechtsextremen bekannt?

a) Welcher Art ist die Zusammenarbeit jeweils?

b) Welche Bedeutung hat diese Zusammenarbeit jeweils für die beteiligten
Gruppierungen?

c) Welche strategischen inhaltlichen Absprachen zwischen deutschen und
tschechischen Rechtsextremen sind der Bundesregierung bekannt?

d) Welche gemeinsamen Veranstaltungen, Aufzüge oder Aktionen deutscher
und tschechischer Rechtsextremer sind der Bundesregierung bekannt,
(bitte Datum, veranstaltende Organisationen, Art der Veranstaltungen,
Teilnehmerzahl nennen)?

2. Welche verfassungsschutzrelevanten Erkenntnisse liegen der Bundesregie-
rung zum DBF und seinen Mitgliedern vor?

3. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die DSSS in der tschechi-
schen Republik (Vorläuferorganisationen, Mitgliederstärke, Wahlergebnisse,
Verbotsverfahren, Ideologie)?

4. Welche weiteren rechtsextremen Organisationen und Parteien neben der
DSSS existieren nach Kenntnis der Bundesregierung in der Tschechischen
Republik, und in welchem Verhältnis stehen diese zu deutschen Rechtsextre-
men?

5. Auf welchen Aufzügen oder Veranstaltungen in der Tschechischen Republik
innerhalb der letzten fünf Jahre waren Neonazis oder sonstige Rechtsextreme
aus Deutschland organisiert beteiligt (bitte nach Datum und Ort, Art und
Thema der Veranstaltung bzw. des Aufzuges, Name der Organisation und
Anzahl der deutschen Teilnehmerinnen und Teilnehmer auflisten)?

6. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über eine Teilnahme deutscher
Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten an antiziganistischen Demons-
trationen in der Tschechischen Republik (bitte Zeitpunkt, Ort, Anzahl der
Teilnehmenden aus Deutschland und gegebenenfalls die Namen teilnehmen-
der Funktionärinnen und Funktionäre oder Mandatsträgerinnen und Man-
datsträger rechtsextremer Parteien bzw. Organisationen benennen)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8901

7. Inwieweit wurden bei der Kontrolle deutscher Rechtsextremer, die sich an
antiziganistischen Demonstrationen in der Tschechischen Republik betei-
ligt haben, von der Bundespolizei Waffen oder Propagandamaterialien ge-
funden?

8. Welche deutschen rechtsextremen Gruppierungen oder bekannte rechtsex-
treme Einzelpersonen haben im Einzelnen zu einer Beteiligung an antiziga-
nistischen Demonstrationen in der Tschechischen Republik aufgerufen?

9. Welche Auftritte rechtsextremer Musikgruppen aus Deutschland in der
Tschechischen Republik bzw. aus der Tschechischen Republik in Deutsch-
land sind der Bundesregierung bekannt, und inwieweit kam es dabei zu
Straftaten?

10. Inwieweit sind der Bundesregierung gemeinsame Kampf- bzw. Wehrsport-
übungen deutscher und tschechischer Rechtsextremer bekannt (bitte Ort,
Zeitpunkt, Teilnehmerzahl und teilnehmende Organisationen nennen)?

11. In welchen und in wie vielen Fällen wurden deutsche Rechtsextreme wegen
des Verdachts auf einschlägige Straftaten in der Tschechischen Republik
festgenommen oder Strafanzeige gegen sie erstattet (bitte Datum, Ort und
Grund der Festnahme oder Anzeige, mögliche Anklageerhebung und Ver-
urteilung angeben)?

12. In welchen und in wie vielen Fällen wurden tschechische Rechtsextreme
wegen des Verdachts auf einschlägige Straftaten in der Bundesrepublik
Deutschland festgenommen oder Strafanzeige gegen sie erstattet (bitte
Datum, Ort und den Grund der Festnahme oder der Anzeige, mögliche
Anklageerhebung und Verurteilung angeben)?

13. Sind der Bundesregierung Amtshilfeersuchen tschechischer Behörden bei
deutschen Behörden bezüglich der Aktivitäten deutscher Rechtsextremer in
der tschechischen Republik aus den letzten fünf Jahren bekannt, und wenn
ja, welche, und wie wurden diese von welcher Stelle beschieden?

14. Auf welchen Aufzügen oder Veranstaltungen in Deutschland innerhalb der
letzten fünf Jahre waren Neonazis oder sonstige Rechtsextreme aus der
Tschechischen Republik organisiert beteiligt (bitte nach Datum und Ort, Art
und Thema der Veranstaltung bzw. des Aufzuges, Name der Organisation
und Anzahl der tschechischen Teilnehmerinnen und Teilnehmer auflisten)?

15. Inwieweit gab es bislang Einreiseverbote gegen tschechische Rechtsex-
treme nach Deutschland oder deutsche Rechtsextreme in die Tschechische
Republik (bitte Personen, Anzahl, Datum und Anlass nennen)?

16. Inwiefern steht die Bundesregierung in Gesprächen mit den Freistaaten
Sachsen und Bayern und den tschechischen Behörden, um ein gemeinsames
Vorgehen gegen Rechtsextreme zu koordinieren und den Informationsaus-
tausch zu stärken?

17. Inwieweit ist die Bekämpfung grenzüberschreitender rechtsextremistischer
Betätigung Gegenstand des „Gemeinsamen Zentrums der deutsch-tschechi-
schen Polizei- und Zollzusammenarbeit“ in Schwandorf?

18. Welche weiteren Konsequenzen sind aus Sicht der Bundesregierung aus der
Zusammenarbeit deutscher und tschechischer Rechtsextremer zu ziehen?

Berlin, den 6. März 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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