BT-Drucksache 17/8826

Medienkompetenz in Deutschland

Vom 1. März 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8826
17. Wahlperiode 01. 03. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Kathrin Senger-Schäfer, Dr. Petra Sitte, Dr. Rosemarie Hein,
Raju Sharma und der Fraktion DIE LINKE.

Medienkompetenz in Deutschland

Die Stärkung und Entwicklung von Medienkompetenz gilt in allen medienpoli-
tischen Fachkreisen als Zauberwort politischer Rahmenbedingungen. Jeder ist
für Medienkompetenz, alle Institutionen streben ihre Verbesserung an. Medien-
kompetenz ist gleichsam Alltagskompetenz. Die Enquete-Kommission „Inter-
net und digitale Gesellschaft“ des Deutschen Bundestages hat sich aus netzpoli-
tischer Sicht in ihrer Arbeitsgruppe Medienkompetenz intensiv mit dem Thema
beschäftigt und in ihren Handlungsempfehlungen und Leitfragen auf folgende
Zielvorstellungen verständigt:

– Entwicklung technischer Fertigkeiten für das Verständnis der Medien,

– kritisches Hinterfragen von Medieninhalten,

– kompetenter Umgang mit Information und sinnvolle Nutzung der Mei-
nungsvielfalt,

– Risikobewusstsein,

– Kreativität beim Umgang mit und bei der Schaffung von Medieninhalten,

– Grundlagenkenntnis elementarer Kulturtechniken wie Lesen und Schreiben,

– Informationskompetenz in der Bewertung von Medieninhalten,

– Befähigung zur Erstellung eigener Medieninhalte (vgl. Zweiter Zwischenbe-
richt der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ Medien-
kompetenz, Bundestagsdrucksache 17/7286, S. 32).

Der Staatsminister für Kultur und Medien, Bernd Neumann, hat in seinen letzten
öffentlichen Äußerungen zu Medien in Deutschland „Projekte zur Förderung der
Medienkompetenz“ erneut auch als Leistungen der Bundespolitik betont (vgl.
Interview mit Bernd Neumann in pro media – Das medienpolitische Magazin
9/2011, S. 9). Allerdings rangiert diese Leistungsoption erst an einer nachgeord-
neten Stelle, deutlich hinter der Stärkung von Angebots- und Anbietervielfalt,
einem Höchstmaß an Medien- und Informationsfreiheit, Gesetzesinitiativen
zum Schutz der Pressefreiheit u. v. a. m.

Die umfassende Bedeutung, die der Medienkompetenz im netzpolitischen Kon-

text zu Recht zugeschrieben wird, betrifft nach Ansicht der Fragesteller weiter-
hin auch die traditionellen Medien (Presse, Film, Rundfunk), da deren Medien-
inhalte (wie Texte, Bilder, Videos) auch elementare Medienformen im Internet
darstellen. Das Verständnis von Netzinhalten und das Verständnis traditioneller
Medien gehören zusammen.

Drucksache 17/8826 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Ziel der Kleinen Anfrage ist es, herauszufinden, welchen Stellenwert die Bundes-
regierung der Medienkompetenz in Deutschland hinsichtlich der traditionellen
Medien beimisst und welche bundespolitischen Initiativen in Zukunft denkbar
sind, um Medienkompetenz in allen Medienformen als unbestrittene Sozialkom-
petenz gesamtstaatlich zu verankern.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie definiert die Bundesregierung in Bezug auf die traditionellen Medien
(Presse, Film, Rundfunk) den Begriff Medienkompetenz, und welche Kri-
terien sind für sie maßgeblich, damit alle Bürgerinnen und Bürger an den
Angeboten der Medienvielfalt kompetent teilhaben können?

2. Wie schätzt die Bundesregierung die Breiten- und Tiefenwirkung der
deutschlandweiten und länderspezifischen Medienkompetenzprojekte ein?

3. Inwiefern hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, in welcher Form, in
welchem zeitlichen Abstand und mit welchen Resultaten Evaluierungen zu
den Medienkompetenzprojekten vorgenommen werden?

4. Gibt es von Seiten der Bundesregierung Überlegungen zur Schaffung einer
Koordinationsstelle Medienkompetenz, die zwischen den zuständigen
Fachressorts auf Bundesebene und den Ländern Konsultationen durch-
führt, Fachdiskussionen organisiert und in Absprache mit den Ländern die
medienpolitische Zusammenarbeit fördert?

Wenn ja, wie sehen die Überlegungen im Einzelnen aus?

Wenn nein, warum gibt es derartige Planungen nicht?

5. Welche Initiativen hat der Staatsminister für Kultur und Medien seit 2005
ergriffen, um in Zusammenarbeit mit der Kultus- und Jugendministerkon-
ferenz Medienkompetenz zu einem Schwerpunkt der Medienbildung zu
machen?

6. Welche Initiativen hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung
seit 2005 ergriffen, um Medienkompetenz als Bildungsstandardaufgabe zu
entwickeln?

7. Wie bewertet die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Kritik
von Verbänden, wie z. B. der Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und
Jugendschutz e. V. (BAJ), dass es in der Schule bis heute bundesweit keine
verbindlichen Standards für Medienkompetenz gibt, auf die die Lehrer-
bildung in den Ländern systematisch zurückgreifen kann?

8. Welche Initiativen hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung
seit 2005 ergriffen, um in Zusammenarbeit mit der Hochschulrektoren-
konferenz an den Universitäten den Aufbau von Curricula und Forschungs-
zentren für Medienkompetenz zu fördern?

9. Welche forschungspolitischen Fördermaßnahmen hat das Bundesminis-
terium für Bildung und Forschung ergriffen, um in Zusammenarbeit mit
außeruniversitären Institutionen, die von der Fachwelt dringend angemahn-
ten wissenschaftlichen Untersuchungen zu Medienaneignung, Medien-
wirkung und Mediensozialisation strukturell und finanziell in die Wege zu
leiten?

10. Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, dass der Freistaat Thüringen
als Vorreiter in der Stärkung und Weiterentwicklung der Vermittlung von
Medienkompetenz im Rahmen der Kultus- und Jugendministerkonferenz
eine koordinierende Funktion übernehmen will, indem mit Blick auf Bil-
dungsstandards ein Staatsvertrag zur Medienbildung angeregt und mit er-

arbeitet wird (Thüringer Landtag, Drucksache 5/2991, S. 16)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8826

Welche Position nimmt die Bundesregierung zu diesem Vorschlag ein?

Gibt es innerhalb der Bundesregierung Überlegungen, die koordinierende
Funktion Thüringens handlungspolitisch zu unterstützen?

11. Welche Initiativen gibt es von Seiten der Bundesregierung, um in Zusam-
menarbeit mit den kultur- und bildungspolitischen Institutionen der Länder
mittelfristig ein obligatorisches Fach Medienkunde in die Rahmenpläne der
schulischen Grundversorgung aufzunehmen?

12. Welche Position vertritt die Bundesregierung gegenüber der Forderung der
Initiative „Keine Bildung ohne Medien!“, wonach besonders die Regel-
finanzierung medienpädagogischer Angebote und alltagsnaher Beratungs-
systeme signifikant zu verbessern ist?

13. Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, ob und in welchem Maße
medienpädagogische Projekte in die Sozialarbeit und die kulturelle Bil-
dungsarbeit mit sozial benachteiligten Gruppen (Haushalte mit geringem
Monatseinkommen, Migrantinnen und Migranten, Menschen mit Behinde-
rung) integriert worden sind?

Wenn ja, wie werden die Projekte von sozialen Trägern bewertet?

Wenn nein, warum nicht?

14. Wie bewertet die Bundesregierung, vor dem Hintergrund einer flächen-
deckenden Ausbreitung von Internet und Digitalisierung, das Phänomen
der Medienkonvergenz?

Welche Rückschlüsse müssen daraus nach Meinung der Bundesregierung
für die Medienkompetenz hinsichtlich der Veränderungen in der Wahrneh-
mung traditioneller Medien gezogen werden?

15. Welche konzeptionellen Überlegungen des Staatsministers für Kultur und
Medien sind zusätzlich zu den bereits bestehenden Maßnahmen der „Natio-
nalen Initiative Printmedien“ (wie Schülerwettbewerbe und Jahrestagun-
gen) im Bereich der Presse vorhanden?

Inwieweit verfolgt die Bundesregierung den Aufbau textkritischer Bil-
dungsmodule, um das selbstgesteckte Ziel der „Nationalen Initiative Print-
medien“ zu erreichen, auch inhaltlich ein Netzwerk für mehr Medienkom-
petenz zu sein?

16. Welche Maßnahmen müssen laut Bundesregierung hinsichtlich eines sinn-
vollen Ausgleichs von Medieninhalten und Medienformaten ergriffen wer-
den, um die nach dem Digitalisierungsbericht 2011 der Landesmedienan-
stalten gestiegene Bedeutung von Digitalradio, Onlinevideo und Hybrid-
TV für die Mediennutzung adäquat erfassbar zu machen?

17. Welche Maßnahmen müssen nach Ansicht der Bundesregierung ergriffen
werden, damit im Rahmen der anstehenden Digitalisierung des Filmerbes
Aspekte der Medienkompetenz in Bezug auf die Erhaltung der Fähigkeit
zur kontextuellen Einordnung der Filmwerke berücksichtigt werden kön-
nen?

18. In welcher Hinsicht nimmt die Bundesregierung auf die Zieldefinition der
Europäischen Kommission Bezug, die in ihrer Mitteilung „Ein europä-
isches Konzept für die Medienkompetenz im digitalen Umfeld“ (vgl. KOM
(2007) 0833 endg.) ausdrücklich den „souveränen Umgang mit allen vor-
handenen Medien, von der Zeitung bis zu virtuellen Gemeinschaften“ als
vorrangige Aufgabe benannt hat?

Drucksache 17/8826 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
19. In welchem Umfang hat die Bundesregierung seit Verabschiedung des
Kommissionsberichtes im Jahr 2007 die „entsprechenden Verhaltenskodi-
zes“ und „Koregulierungsrahmen“ auf nationaler Ebene aufgestellt und
umgesetzt?

Berlin, den 16. Februar 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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