BT-Drucksache 17/8810

Debatte über den Einsatz so genannter Schultrojaner

Vom 29. Februar 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8810
17. Wahlperiode 29. 02. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann, Oliver Kaczmarek, Willi Brase,
Ulla Burchardt, Martin Dörmann, Siegmund Ehrmann, Petra Ernstberger,
Michael Gerdes, Iris Gleicke, Johannes Kahrs, Lars Klingbeil, Ute Kumpf,
Aydan Özog˘uz, Thomas Oppermann, Stefan Rebmann, Gerold Reichenbach, René
Röspel, Marianne Schieder (Schwandorf), Swen Schulz (Spandau), Kerstin Tack,
Brigitte Zypries, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Debatte über den Einsatz so genannter Schultrojaner

Anfang November 2011 wurde in mehreren Medien über die scharfe Kritik zahl-
reicher Lehrerinnen und Lehrer gegen Passagen des am 21. Dezember 2010 ge-
schlossenen „Gesamtvertrag zur Einräumung und Vergütung von Ansprüchen
nach § 53 UrhG“ zwischen den Bundesländern und den im Vertrag als Rechte-
inhaber bezeichneten Verwertungsgesellschaften und Verlagen berichtet. Haupt-
kritikpunkt war der im Vertrag für „frühestens jedoch im 2. Schulhalbjahr 2011/
2012“ angekündigte Einsatz einer „Plagiatssoftware“ auf Schulservern.

In den Medien wurde daraufhin von einem geplanten Einsatz von „Schultroja-
nern“ gesprochen. Im Vertragstext selbst ist hingegen von einer „Plagiatssoft-
ware“ die Rede. Beide Begriffe sind jedoch insofern unzutreffend, als es sich
um eine Software handeln soll, „mit welcher digitale Kopien von für den Unter-
richtsgebrauch an Schulen bestimmten Werken auf Speichersystemen identi-
fiziert werden können“ (§ 6 Absatz 4 des Gesamtvertrags zur Einräumung und
Vergütung von Ansprüchen nach § 53 UrhG) mit dem Ziel, Urheberrechtsver-
letzungen festzustellen.

Mit deutlichen Worten haben sich die Bundesministerin der Justiz, Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger und auch der Deutsche Philologenverband gegen
die Inhalte des Vertrages und die Vereinbarungen zur geplanten Nutzung der
Scansoftware ausgesprochen. Die Bundesministerin der Justiz hat hierbei ins-
besondere datenschutzrechtliche Bedenken hinsichtlich des Softwareeinsatzes
formuliert.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Hat die Bundesregierung gegenüber den Regierungen der Bundesländer
und/oder gegenüber den anderen Vertragsunterzeichnern ihre Einschätzung

der Pläne der Beteiligten kommuniziert, und wird sich die Bundesregierung
in die kommenden Gespräche in der Kultusministerkonferenz zu diesem
Thema – etwa mit einer schriftlichen Stellungnahme – einbringen, um insbe-
sondere die datenschutzrechtlichen Bedenken der Bundesministerin der Jus-
tiz deutlich zu machen, und falls nein, warum nicht?

Drucksache 17/8810 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

2. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass sich bei einem Einsatz der
infrage stehenden Software eine Reihe von beamten- und arbeitsrecht-
lichen Fragen stellen würden, und falls ja, wie bewertet die Bundesregie-
rung diese Fragen?

3. Wie bewertet die Bundesregierung unter verfassungsrechtlichen Aspekten
die mögliche Nutzung einer solchen Software?

4. Entsprechen die Äußerungen der Bundesministerin der Justiz zum Einsatz
der genannten Software (etwa, dass die Vereinbarung zwischen Bundeslän-
dern und Rechteinhabern aus Datenschutzgründen „unmöglich“ sei und
dass sie die Vereinbarung „auf die Palme“ bringe) der Haltung der Bundes-
regierung in dieser Frage (vgl. „Justizministerin will Schultrojaner stop-
pen“, Mittelbayerische Zeitung vom 6. November 2011)?

5. Ist die Bundesregierung weiterhin bestrebt, die Vereinbarung zwischen den
Bundesländern und den Rechteinhabern in diesem Punkt „zurückzudrehen“
(laut Mittelbayerischer Zeitung hatte die Bundesministerin der Justiz er-
klärt: „Und das muss natürlich wieder zurückgedreht werden.“ Dies sei
„klar“; vgl. „Justizministerin will Schultrojaner stoppen“, Mittelbayerische
Zeitung vom 6. November 2011), und welche Möglichkeiten sieht die Bun-
desregierung tatsächlich, um den zwischen den Bundesländern und den
Rechteinhabern vereinbarten Einsatz der Software wirksam zu verhindern?

6. Liegen der Bundesregierung Zahlen oder Daten vor, wie oft in Schulen in
den vergangenen Jahren gegen das Urheberrecht verstoßen wurde, und
welche Rechtsstreitigkeiten in den vergangenen vier Jahren sind diesbe-
züglich der Bundesregierung bekannt?

7. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass im Rahmen der Mediennut-
zung in Bildungseinrichtungen besonders häufig gegen Vorgaben des
Urheberrechts verstoßen wird oder teilt die Bundesregierung diese Auffas-
sung ausdrücklich nicht?

8. Wie bewertet die Bundesregierung rechtlich die Selbstverpflichtung der
Länder, „bei Bekanntwerden von Verstößen gegen die in diesem Gesamt-
vertrag festgelegten Vorgaben für das Vervielfältigen von urheberrechtlich
geschützten Werken gegen die betreffenden staatlichen Schulleiter und
Lehrkräfte disziplinarische Maßnahmen einzuleiten“?

9. Wie passt die Vorgabe zur Einleitung „disziplinarischer Maßnahmen“ zur
geplanten Anonymisierung der Daten im Rahmen der Nutzung der Soft-
ware?

10. Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass laut Vertrag die
Schulträger die von den Rechteinhabern in Auftrag gegebene Software nut-
zen sollen?

11. Ist es rechtlich zulässig, in dieser Form Beamte mit der Sicherung privat-
wirtschaftlicher Interessen zu beauftragen, und sind der Bundesregierung
andere Fälle bekannt, in denen Beamte oder Angestellte im öffentlichen
Dienst zum Einsatz einer Software zur Wahrung der Rechte privater Inter-
essen mittelbar verpflichtet wurden oder werden?

12. Wie kann nach Auffassung der Bundesregierung sichergestellt werden,
dass eine von privaten Einrichtungen in Auftrag gegebene Software keine
Funktionen enthält, die einen auf über die vertraglich vereinbarten Kondi-
tionen hinausreichenden und damit insbesondere datenschutzrechtlich pro-
blematischen Zugriff auf Daten/Inhalte ermöglicht?

13. Kann nach Auffassung der Bundesregierung beim Einsatz einer Scansoft-

ware nach den Vorgaben des Vertrages zwischen Bundesländern und
Rechteinhabern wirksam ausgeschlossen werden, dass aufgrund der unter-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8810

schiedlichen Netzwerkkonstellationen an Schulen und Bildungseinrichtun-
gen nicht auch datenschutzrechtlich sensible Bereiche der Server durch-
sucht werden, und wie kann diese Vorgabe bei jedem Scanvorgang gegebe-
nenfalls überprüft werden?

14. Welche schadensersatzrechtlichen Regelungen könnten durch die genannte
vertragliche Vereinbarung wirksam werden; etwa wenn die Bundesländer
durch die Scansoftware aufgedeckte Fälle von Urheberrechtsverletzungen
nicht melden oder weiterverfolgen oder wenn entgegen der vertraglichen
Vereinbarung an den ausgewählten Schulen kein Scanvorgang durchge-
führt wird?

15. Hält die Bundesregierung den geplanten Einsatz dieser Software für wir-
kungsvoll, wenn die privaten Arbeitsrechner der Lehrkräfte nicht überprüft
werden, obgleich sich die Mehrzahl der Arbeitsmaterialien von Lehrerin-
nen und Lehrern üblicherweise auf privaten Rechnern/Datenträgern befin-
det?

16. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Pressemit-
teilung der Kultusministerkonferenz vom 13. Dezember 2011 „Handlungs-
fähigkeit der Schulen, Datenschutz und Schutz des geistigen Eigentums
oberstes Gebot“, laut der die in der Pressemitteilung nun als „Scansoftware“
bezeichnete Software „bis auf Weiteres, jedenfalls nicht im Jahr 2012, zum
Einsatz kommen“ soll (ungeachtet der missverständlichen Formulierung)?

17. Ist der Bundesregierung bekannt, ab wann die Software einsatzbereit sein
wird, und rechnet die Bundesregierung trotz der Pressemitteilung der Kul-
tusministerkonferenz vom 13. Dezember 2011 mit dem – späteren – Ein-
satz der Software?

18. Unterfällt die Anwendung einer solchen Scansoftware dem Bundesdaten-
schutzgesetz, welche Stelle/Person ist für die Sicherstellung des Daten-
schutzes bei der Anwendung dieser Software zuständig, und in welchem
Verhältnis stehen diese zu den Datenschutzbeauftragten etwa der am Ver-
trag beteiligten Verlage oder Verwertungsgesellschaften?

19. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass die Debatte über den
„Gesamtvertrag zur Einräumung und Vergütung von Ansprüchen nach § 53
UrhG“ zeigt, dass in Deutschland im Rahmen des nächsten Korbes zur Re-
form des Urheberrechts Fragen von Bildung und Forschung prioritär disku-
tiert werden sollten, und falls nein, warum nicht?

20. Welche Kooperationen mit den Bundesländern erachtet die Bundesregierung
als wünschenswert und zielführend, um das Bewusstsein für die Grenzen der
Nutzung von urheberrechtlich geschütztem Material im Bildungssektor zu
stärken, und welche Maßnahmen hat die Bundesregierung diesbezüglich seit
2009 bereits auf den Weg gebracht?

Berlin, den 29. Februar 2012

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.