BT-Drucksache 17/8791

Entwurf eines Gesetzes über die Grundsätze zur Ablösung der Staatsleistungen an Religionsgesellschaften (Staatsleistungsablösegesetz - StAblG)

Vom 29. Februar 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8791
17. Wahlperiode 29. 02. 2012

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Raju Sharma, Jan Korte, Petra Pau, Jens Petermann,
Frank Tempel, Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Entwurf eines Gesetzes über die Grundsätze zur Ablösung der Staatsleistungen
an Religionsgesellschaften (Staatsleistungsablösegesetz – StAblG)

A. Problem

Nach Artikel 140 des Grundgesetzes (GG) in Verbindung mit Artikel 138 Ab-
satz 1 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) vom 11. August 1919 ist der Bund
verpflichtet, ein Grundsätzegesetz zu schaffen, nach dessen Vorgaben die Länder
ihrerseits Gesetze zur Ablösung der Staatsleistungen an die Religionsgesellschaf-
ten zu erlassen haben. Wörtlich heißt es dazu in Artikel 138 Absatz 1 WRV, der
durch einen entsprechenden Verweis in das Grundgesetz übernommen wurde:
„Die auf Gesetz, Vertrag oder auf besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleis-
tungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung
abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.“ Ungeachtet dieser klaren
und in der juristischen Fachwelt unbestritten geltenden Regelung wurde dieser
bereits mehr als 90 Jahre alte Verfassungsauftrag bis heute nicht umgesetzt.

Das Ablösungsgebot wurde 1919 in die Weimarer Reichsverfassung aufgenom-
men, um die rechtlichen Voraussetzungen für einen säkularen und bekenntnis-
neutralen Staat zu schaffen. Dafür wurde auch die Entflechtung der finanziellen
Beziehungen von Staat und Kirche als erforderlich angesehen. In diesem Sinne
umfasst der Begriff der Staatsleistungen des Artikels 138 WRV nicht alle geld-
werten Vorteile, die der Staat Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften
zuwendet (Staatsleistungen im weiten Sinne), sondern nur solche Zahlungen, die
zum Ausgleich für die weitreichende Enteignung von kirchlichem Eigentum im
Rahmen der Säkularisation (vor allem 1803 auf Grundlage des Reichsdeputa-
tionshauptschlusses) erbracht werden. Leistungen aufgrund eines öffentlichen
Interesses, wie beispielsweise Subventionen der Religionsgesellschaften zur Un-
terstützung ihrer Tätigkeit in den Bereichen Sozialarbeit, Kindergärten, Schule,
Jugendhilfe, Denkmalpflege u. Ä., werden von diesem Gesetz nicht tangiert.
Auch andere Zuwendungen, die nach 1919 zur Förderung von Kultus- und Seel-
sorge im Rahmen der Gewährung von Religionsfreiheit (Artikel 4 Absatz 1 GG)
erbracht wurden, wie beispielsweise die staatsvertraglich vereinbarten Landeszu-
schüsse an jüdische Gemeinden, fallen nicht unter diesen Staatsleistungsbegriff.

Die Staatsleistungen im engen Sinne (auch altrechtliche Staatsleistungen ge-
nannt) werden an die beiden großen Amtskirchen (die katholische Kirche und die
evangelischen Landeskirchen) in allen neuen und, mit Ausnahme von Hamburg
und Bremen, auch in allen alten Bundesländern gezahlt. Insgesamt liegen diese
Staatsleistungen im gesamten Bundesgebiet gegenwärtig bei rund 460 Mio. Euro
jährlich. Finanziert werden von diesen Geldern primär kirchliche Verwaltungs-
kosten sowie Ausbildung, Besoldung und Versorgung von Geistlichen.

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Eine solche Bevorzugung der Kirchen gegenüber anderen Bekenntnisgemein-
schaften und nichtreligiösen gesellschaftlichen Gruppen verstößt grundsätzlich
gegen das Prinzip der Trennung von Staat und Kirche und die Verpflichtung des
Staates zur Wahrung religiös-weltanschaulicher Neutralität. Auch im Hinblick
auf das Gleichbehandlungsgebot gegenüber unterschiedlichen Religionsge-
meinschaften aus Artikel 4 Absatz 1, Artikel 3 Absatz 3 GG (Paritätsgebot) ist
eine dauerhafte Fortsetzung der Zahlungen – buchstäblich bis in alle Ewigkeit –
nicht zu rechtfertigen. Erst die Erfüllung des Verfassungsauftrags des Bundes
versetzt die Länder in die Lage, ihren Verfassungsauftrag zur Ablösung der
Staatsleistungen zu erfüllen und somit zugleich die Voraussetzungen zu schaf-
fen, um auf einer klaren gesetzlichen Grundlage Verhandlungen mit den Kirchen
über die Modalitäten der Ablösung aufzunehmen.

Auch Papst Benedikt XVI. forderte bei seinem jüngsten Besuch in Deutschland
eine „Entweltlichung“ der Kirche und sprach von einer positiven Wirkung für
den christlichen Glauben durch die Streichung von kirchlichen Privilegien und
Staatsferne: „Die Geschichte kommt der Kirche in gewisser Weise durch die ver-
schiedenen Epochen der Säkularisierung zur Hilfe, die zu ihrer Läuterung und
inneren Reform wesentlich beigetragen haben. Die Säkularisierungen – sei es
die Enteignung von Kirchengütern, sei es die Streichung von Privilegien oder
Ähnliches – bedeuteten nämlich jedesmal eine tiefgreifende Entweltlichung der
Kirche, die sich dabei gleichsam ihres weltlichen Reichtums entblößt und wie-
der ganz ihre weltliche Armut annimmt. […] Die von materiellen und politi-
schen Lasten und Privilegien befreite Kirche kann sich besser und auf wahrhaft
christliche Weise der ganzen Welt zuwenden, wirklich weltoffen sein“ (Anspra-
che an engagierte Katholikinnen und Katholiken aus Kirche und Gesellschaft,
25. September 2011, Konzerthaus, Freiburg im Breisgau).

B. Lösung

Zur Erfüllung des Verfassungsauftrags aus Artikel 140 GG in Verbindung mit
Artikel 138 Absatz 1 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 und der
mit ihm bezweckten Trennung von Staat und Kirche sowie die Herstellung von
staatlicher Neutralität und Parität wird das Grundsätzegesetz zur Ablösung der
Staatsleistungen an Religionsgesellschaften erlassen. Zur Wahrung der Einheit-
lichkeit stellt es Grundsätze für die durch Landesgesetzgebung zu regelnde Ab-
lösung der Staatsleistungen an Religionsgesellschaften und deren Entschädi-
gung auf.

C. Alternativen

1. Der Bundestag beschließt kein Gesetz; der Verfassungsauftrag bleibt weiter-
hin unerfüllt.

2. Der Bundestag beschließt ein Gesetz mit einer höheren bzw. niedrigeren als
der hier vorgeschlagenen einmaligen Ablösesumme.

3. Der Bundestag beschließt ein Gesetz, in dem festgelegt wird, dass die Kir-
chen durch die bisher gezahlten Staatsleistungen bereits vollständig entschä-
digt worden sind.

D. Kosten

Bund, Länder und Gemeinden werden durch das Gesetz nicht mit Kosten belas-
tet. Im Gegenteil stellt das Gesetz sicher, dass die Länder nach spätestens 20 Jah-
ren keine Staatsleistungen mehr zahlen müssen. Kurzfristig eröffnet das Gesetz
den Ländern die Möglichkeit, im Rahmen eigener Gesetzgebung die Vorausset-

zungen für die Aufnahme von Vertragsverhandlungen mit den Kirchen deutlich
zu verbessern.

genden Jahres] Landesgesetze zur Ablösung der auf Gesetz,

Berlin, den 29. Februar 201

Dr. Gregor Gysi und Frak
Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Ansprüche
der Religionsgesellschaften auf Staatsleistungen im Sinne
des Artikels 140 des Grundgesetzes in Verbindung mit Arti-
kel 138 Absatz 1 der deutschen Verfassung vom 11. August
1919 nach den Grundsätzen des § 2 zu erlassen.

§ 2

Entschädigung

(1) Zur Ablösung der Ansprüche nach § 1 gewähren die
Länder den Religionsgesellschaften eine einmalige Entschä-
digungszahlung in Höhe des zehnfachen des zum Zeitpunkt
des Inkrafttretens dieses Gesetzes gezahlten Jahresbetrages.

(2) Die Länder können die einmalige Entschädigungszah-
lung nach Absatz 1 in Raten zahlen, wobei die Dauer der Ra-
tenzahlung einen Gesamtzeitraum von 20 Jahren nicht über-
steigen darf und die Höhe der jährlichen Raten die Hälfte des
zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes gezahlten
Jahresbetrages nicht unterschreiten darf.

§ 3

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft.

2

tion
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8791

Entwurf eines Gesetzes über die Grundsätze zur Ablösung der Staatsleistungen
an Religionsgesellschaften (Staatsleistungsablösegesetz – StAblG)

Vom …

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

§ 1

Ablösung der Staatsleistungen

Die Länder sind verpflichtet, bis zum … [einsetzen: An-
gaben des Tages und Monats des Inkrafttretens dieses Geset-
zes sowie die Jahreszahl des ersten auf das Inkrafttreten fol-

engeren Sinne genannt. Ob darunter auch kommunale Leis-
trag ist nunmehr über 90 Jahre alt und immer noch nicht um-
tungen fallen, die in Form von Kirchenbaulasten eine nicht
unerhebliche Rolle spielen, ist in der juristischen Fachwelt
umstritten. Zum Teil wird angenommen, dass Leistungen

gesetzt. Dieses Gesetz dient der überfälligen Erfüllung des
Verfassungsauftrags. Es stellt die Grundsätze für Landesab-
lösungsgesetze auf.
Drucksache 17/8791 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Begründung

A. Allgemeines

Die Trennung von Kirche und Staat und die Verpflichtung
des Staates zur Wahrung religiös-weltanschaulicher Neutra-
lität ergeben sich aus dem Zusammenwirken der in Artikel 3
Absatz 3, 4, 33 Absatz 3 GG normierten Freiheits- und
Gleichheitsrechte und dem sogenannten Staatskirchenrecht
aus Artikel 137 WRV in Verbindung mit Artikel 140 GG. Der
Erfüllung dieses Grundsatzes dient das Gesetz über die
Grundsätze zur Ablösung der Staatsleistungen an Religions-
gesellschaften. Der Staat darf nicht bestimmte religiöse
Gruppen gegenüber anderen bevorzugen (Paritätsgebot) und
muss insgesamt religiöse und weltanschauliche Neutralität
wahren. Daher ist es ihm untersagt, bestimmte Religionsge-
sellschaften durch Geldzahlungen zu fördern und andere Be-
kenntnisgemeinschaften oder gesellschaftliche Gruppen von
einer solchen Unterstützung auszuschließen. Grundsätzlich
verstoßen daher alle Leistungen, die bestimmte Religionsge-
sellschaften privilegieren gegen die Verfassungsgrundsätze
der Trennung von Staat und Kirche sowie der Verpflichtung
des Staates zur Neutralität und Parität.

Die an die beiden Großkirchen gezahlten Staatsleistungen
haben allerdings einen besonderen Rechtsgrund. Sie finden
ihre historische Begründung und Rechtfertigung darin, dass
diese vom Staat gewährten Leistungen dem Ausgleich der
vergangenen Säkularisierung von Kircheneigentum dienen.
Diese setzte mit der Reformation ein, erstreckte sich über
den Westfälischen Frieden, die Reformen Kaiser Josephs II
bis zum Reichsdeputationshauptschluss von 1803. Im Rah-
men des Reichsdeputationshauptschlusses fand die umfang-
reichste Verstaatlichung kirchlichen Vermögens statt. Bei
dem Friedensschluss zwischen dem revolutionären Frank-
reich und dem Heiligen Römischen Reich trat das letztere die
linksrheinischen Gebiete an Frankreich ab (Friedensvertrag
von Lunéville im Jahre 1801). Deutsche Fürsten verloren da-
durch ihre Besitztümer in den linksrheinischen Gebieten. Als
Ersatz dafür wurde in dem Reichsdeputationshauptschluss
von 1803 – dem letzten bedeutenden Gesetz des Heiligen
Römischen Reiches – festgesetzt, dass die entreicherten
weltlichen Fürsten eine Abfindung erhalten. Dies geschah
nach der Auflösung der geistlichen Fürstentümer durch die
Säkularisation von Kircheneigentum und deren Übertragung
an die weltlichen Fürsten. Als Ausgleich für diesen Enteig-
nungsvorgang erhalten die betroffenen Kirchen vom Staat
Entschädigungsleistungen, die inzwischen bei einem jähr-
lichen Betrag von rund 460 Mio. Euro liegen. Finanziert
werden davon primär kirchliche Verwaltungskosten sowie
die Ausbildung, Besoldung und Versorgung von Geistlichen.

Staatsleistungen im Sinne dieses Gesetzes sowie im Sinne
des Artikels 140 GG in Verbindung mit Artikel 138 Absatz 1
WRV sind allein diese Ausgleichszahlungen. Sie werden
auch altrechtliche Staatsleistungen oder Staatsleistungen im

zwischen Staat und Kommunen unterschieden und den
Kommunen noch keine mittelbare Staatsqualität als
Bestandteil öffentlicher Gewalt zugesprochen wurde
(BVerwGE 28, S. 179 (183), Urteil vom 3. November 1967,
Az: VII B 56.77; Renck in DÖV 2001, S. 103 (105)). Mehr-
heitlich wird allerdings unter Berufung auf den Zweck des
Artikel 138 WRV vertreten, dass auch diese Leistungen be-
grifflich zu den Staatsleistungen zählen (Germann in
BeckOK GG, Artikel 140 GG, Rn. 123; Korioth in Maunz/
Düring, GG-Kommentar, 57. Auflage, Artikel 138 WRV,
Rn. 8). Die Vorschrift bezwecke die Entflechtung aller Leis-
tungsbeziehungen, die aus dem Erbe des Staatskirchentums
stammen; insofern müssten heute die kommunalen Leistun-
gen ebenso unter den Staatsleistungsbegriff fallen, da die
kommunale Ebene im Verhältnis zum Bürger und den Reli-
gionsgemeinschaften inzwischen unbestritten der staatlichen
Sphäre zugerechnet werde. Diese Argumentation ist über-
zeugend, die kommunalen Leistungen können aber dem
Staatsleistungsbegriff im Sinne des Artikels 138 Absatz 1
WRV nur unterfallen, soweit es sich um Ausgleichsleistun-
gen aufgrund vorangegangener Säkularisierung von Kirchen-
eigentum handelt. Gleiches gilt für die sogenannten negati-
ven Staatsleistungen, namentlich Steuer- und Gebühren-
befreiungen: Auch sie werden vom engen Staatsleistungs-
begriff nur erfasst, wenn sie als Ausgleich für Rechts- und
Wertverluste gewährt werden. Dies dürfte, ebenso wie bei
kommunalen Leistungen, eher selten der Fall sein.

Unberührt von diesem Gesetz bleiben Zuwendungen, die der
Staat Religionsgesellschaften unter Beachtung des Gleichbe-
handlungsgebots für Zwecke der Kultus- und Seelsorge so-
wie zur Erreichung eines öffentlichen Interesses im Bereich
von sozialen und kulturellen Angeboten sowie Entwick-
lungshilfe und Bildungsmaßnahmen gewährt, wie beispiels-
weise Sozialarbeit, Kindergärten, Schule, Jugendhilfe,
Denkmalpflege u. Ä.

Zusammenfassend sind Staatsleistungen im Sinne dieses Ge-
setzes also alle staatlichen Zuwendungen, die bis zur Nor-
mierung des Ablösungsgebots 1919 in Artikel 138 Absatz 1
WRV aufgrund von Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechts-
titeln gewährt wurden und echte Ausgleichszahlungen für
vorangegangene Enteignungsvorgänge darstellen.

Beim grundsätzlichen Verfassungsumbruch im Jahre 1919,
der die endgültige Verabschiedung vom kirchlich geprägten
Staat hin zu einem modernen, religiös und weltanschaulich
neutralen Staat markierte, hat der Verfassungsgeber das Ab-
lösungsgebot in Artikel 138 Absatz 1 WRV normiert. Es
sollte der Trennung von Staat und Kirche, der Entflechtung
ihrer finanziellen Beziehungen dienen. Das Ablösungsgebot
aus der Weimarer Reichsverfassung wurde durch den Ver-
weis auf sie in Artikel 140 GG in die Verfassung der Bundes-
republik Deutschland inkorporiert. Dieser Verfassungsauf-
von Kommunen keine Staatsleistungen im Sinne des Arti-
kels 138 Absatz 1 WRV sind, da in der Weimarer Zeit streng

Da die Landesgesetzgeber, wie auch die überwiegende Auf-
fassung in der Fachliteratur (Germann in BeckOK GG, Arti-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/8791

kel 140 GG, Rn. 124; Korioth in Maunz/Düring, GG Kom-
mentar, Artikel 138 WRV, Rn. 8), von einer „Sperrwirkung“
hinsichtlich eines Erlasses von Landesablösungsgesetzen
ohne den Erlass eines Grundsatzgesetzes auf Bundesebene
ausgehen, sind sie bisher nicht in diese Richtung tätig gewor-
den. Diese Sperrwirkung leitet sich aus Artikel 138 Absatz 1
Satz 2 WRV, demzufolge das Reich die Grundsätze für die
Landesablösungsgesetze aufstellt, ab. Der in das Grundge-
setz korporierte Artikel 138 WRV stellt für die Zuständigkeit
des Bundes einen Kompetenztatbestand eigener Art dar. Es
handelt sich um die Kompetenz des Bundes zur Grundsatz-
gesetzgebung, von der nun mit diesem Gesetz Gebrauch ge-
macht wird.

Ablösung im Sinne der WRV bzw. des GG wird überwie-
gend als Aufhebung der wiederkehrenden Zahlungspflicht
gegen eine einmalige Entschädigung verstanden (Wolff in
ZRP 2003, S. 12 (13); Germann in BeckOK GG, Artikel 140
GG, Rn. 123). Problematisch ist allerdings die Bestimmung
der Höhe dieser Entschädigungszahlung. Der Wert der vor
über 200 Jahren enteigneten Kircheneigentümer ist nicht
mehr ermittelbar, es fehlt eine bundesweite Bestandsauf-
nahme. Es ist aber nicht der volle Wertersatz zu leisten, son-
dern vielmehr eine angemessene Entschädigung (Preuß in
AK-GG, Artikel 140 GG, Rn. 61; Ehlers in Sachs GG Kom-
mentar, 5. Auflage 2009, Artikel 138 WRV Rn. 4). Ein Teil
der Fachliteratur geht davon aus, dass der Staat die Kirchen
mit den seit nunmehr über 200 Jahre lang geleisteten Zahlun-
gen bereits vollständig für die verstaatlichten Güter entschä-
digt hat (Czermak in DÖV 2004, S. 110 (110); Sailer in ZRP
2001, S. 80 (81)). Andere wiederum sehen eine weitere Zah-
lungsverpflichtung als gegeben an (Germann in BeckOK
GG, Artikel 140 GG, Rn. 124; Hammer in ZRP 2003, S. 298
(298)). Zum Teil wird zur Ermittlung der Entschädigungs-
summe vorgeschlagen, die Jahresleistung mit dem Faktor 25,
als Kehrwert eines Zinssatzes von 4 Prozent, zu kapitalisie-
ren (Germann in BeckOK GG, Artikel 140 GG, Rn. 123).
Weitgehend Einigkeit besteht jedenfalls darüber, dass die
Gewährung einer „Ewigkeitsrente“ dem in der WRV und
dem GG normierten Ablösungsgebot und der damit be-
zweckten Trennung von Staat und Kirche sowie der Herstel-
lung von staatlicher Neutralität und Parität zuwiderlaufen
würde (Morlok in Dreier, GG Kommentar, 2. Auflage, Arti-
kel 138 WRV, Rn. 21; Sailer in ZRP 2001, S.80 (87)).

Als Kompromisslösung unter Abwägung des Allgemeininte-
resses an einer Schonung des Haushalts und den Vermögens-
wahrungsinteressen der betroffenen Kirchen setzt dieses Ge-
setz daher eine Ablösungssumme in Höhe des zehnfachen
Jahresbetrags der bei Inkrafttreten dieses Gesetzes gezahlten
Summe fest.

Die Länder haben – wie die Mehrheit der Fachliteratur und
Rechtsprechung – aus der Vorschrift des Artikel 138 Ab-
satz 1 WRV eine Bestandsgarantie für die Staatsleistungen
bis zum Erlass eines Ablösungsgesetzes abgeleitet (BVerwG,
Urteil vom 15. November 1990, NVwZ 1991, S. 774 (778),
Az: 7 C 9/89; Germann in BeckOK GG, Artikel 140 GG,
Rn. 122). Artikel 138 Absatz 2 WRV, auf den das Grundge-
setz ebenso verweist, lautet: „Das Eigentum und andere
Rechte der Religionsgesellschaften und religiösen Vereine an
ihren für Kultus-, Unterrichts- und Wohlfahrtszwecke be-

chengutsgarantie als Spezialregelung zur Eigentumsgarantie
des Artikels 14 Absatz 1 GG hergeleitet (BeckOK GG, Arti-
kel 140 GG, Rn. 122; Hammer in ZRP 2003, S. 298 (298)).

Die Landesregierungen haben daher in einer Fülle von unter-
schiedlichen Vereinbarungen mit den Kirchen diesen gegen-
über Zahlungsversprechungen abgegeben. Soweit sie diesem
Grundsätzegesetz widersprechen, müssen sie angepasst wer-
den. Die Anpassung ist im Hinblick auf die durch dieses Ge-
setz eintretende Änderung der Vertragsgrundlage rechtlich
ohne Weiteres möglich.

Soweit in den Landesverfassungen Bestimmungen enthalten
sind, die entgegen dem grundgesetzlichen Ablösungsgebot
die Aufrechterhaltung von Staatsleistungen garantieren oder
ihre Ablösung unter den Vorbehalt eines Einvernehmens mit
den betroffenen Religionsgesellschaften stellen, werden sie
von dem neu erlassenen Grundsätzegesetzes des Bundes mit
dessen Inkrafttreten gemäß Artikel 31 GG („Bundesrecht
bricht Landesrecht“) verdrängt (vgl. BVerfG, Beschluss vom
15. November 1997, NJW 1998, S. 1296 (1299)).

Bei der Erarbeitung von Landesablösungsgesetzen sollte in
den Ländern geprüft werden, auf welcher Grundlage sie die
Leistungen bisher gewährt haben. Das Ablösungsgebot und
die in diesem Gesetz normierte Pflicht zur Entschädigungs-
zahlung betreffen nur tatsächlich bestehende Zahlungs-
verpflichtungen. Eine bloß tatsächliche Üblichkeit der
Leistungserbringung ist kein hinreichender Rechtsgrund. Es
muss sich zudem um Zahlungsverpflichtungen handeln, die
bereits vor Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung am
11. August 1919 bestanden haben und dem Ausgleich der
Säkularisierung von Kircheneigentum dienen.

Dass ein in Artikel 18 Reichskonkordat gefordertes Einver-
nehmen mit dem Heiligen Stuhl vor der Regelung eines
Grundsätzegesetzes zur Ablösung von Staatsleistungen an
die katholische Kirche bisher nicht hergestellt wurde, ist un-
schädlich. Unabhängig davon, dass die rechtliche Einord-
nung des Konkordats als völkerrechtlicher Vertrag, Staats-
vertrag oder schlichter öffentlich-rechtlicher Vertrag und
seine Gültigkeit im gesamtdeutschen Gebiet umstritten sind
(Renck in LKV 2005, S. 146 (150)), kann es innerstaatlich
allenfalls den Rang von einfachem Bundesrecht einnehmen,
so dass der Bund an das paktierte „Einvernehmen“ wegen
Höherrangigkeit des verfassungsrechtlichen Ablösungsge-
bots nicht gebunden ist. Anderenfalls liefe man Gefahr, bei
nicht gelingen der Herstellung eines Einvernehmens, den
eindeutigen Verfassungsauftrag zu unterlaufen. Zudem hat
der Heilige Stuhl Papst Benedikt XVI. durch seine jüngste
Forderung nach „Entweltlichung“ der Kirche selbst ein posi-
tives Signal im Sinne einer Abschaffung bestimmter Privile-
gien wie beispielsweise der Staatsleistungen gesendet.

Eine völlige Neubegründung von Staatsleistungen im Sinne
der WRV bzw. des GG ist wegen des normierten Ablösungs-
gebots seit 1919 praktisch nicht mehr möglich.

B. Einzelbegründung

Zu § 1

Durch diese Vorschrift wird der Verfassungsauftrag aus Ar-
tikel 140 GG in Verbindung mit Artikel 138 Absatz 1 WRV
stimmten Anstalten, Stiftungen und sonstigen Vermögen wer-
den gewährleistet.“ Aus dieser Bestimmung wird eine Kir-

erfüllt. Sie bezweckt die Ablösung der Staatsleistungen im
engeren Sinne. Die Landesgesetzgeber werden zum Erlass

Drucksache 17/8791 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

von Landesablösungsgesetzen verpflichtet. Der dafür vorge-
sehene Zeitraum von einem Jahr bietet ausreichend Zeit für
das Gesetzgebungsverfahren und die erforderliche Prüfung
der Ansprüche der Religionsgesellschaften. Hinsichtlich der
Modalitäten der Ablösung wird auf § 2 verwiesen.

Zu § 2

Zu Absatz 1

Dieser Absatz bestimmt die Höhe der einmaligen Entschädi-
gungszahlung. Sie ist unter angemessener Berücksichtigung
der widerstreitenden Interessen der betroffenen Religionsge-
sellschaften sowie der Allgemeininteressen festgesetzt wor-
den. Die Höhe der Entschädigungssumme ist entsprechend
dem Rechtsgedanken des Artikels 14 Absatz 3 Satz 3 GG, der
bei Enteignungen die Festsetzung der Entschädigung unter
gerechter Abwägung fordert, bestimmt worden. Die Gewäh-
rung des zehnfachen des zum Zeitpunkt des Inkrafttretens
des Gesetzes gezahlten Jahresbetrages stellt eine nicht uner-
hebliche Entschädigungssumme dar, die den betroffenen
Kirchen ausreichend Zeit bietet, sich auf den Wegfall der
jährlichen Zahlungen einzustellen. Eine abrupte Zahlungs-
beendigung wird verhindert. Die von diesem Gesetz betrof-
fenen Kirchen werden auch nicht unverhältnismäßig hart ge-
troffen, da die Staatsleistungen im Sinne des Artikels 138
WRV mit rund drei Prozent nur einen sehr geringen Teil der
Gesamteinnahmen der Kirchen ausmachen, die sich ansons-
ten ganz überwiegend aus Kirchensteuermitteln finanzieren.
Dieses Vorgehen entspricht damit auch den Grundsätzen des
Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit. Anderer-
seits berücksichtigt die Regelung auch das Allgemeininte-
resse an der Schonung des Haushalts, indem sie sichert, dass

die Zahlungen nicht – entgegen dem eindeutigen Verfas-
sungsauftrag und der damit bezweckten Verwirklichung von
Verfassungsgrundsätzen – bis in alle Ewigkeit weiterlaufen.

Zu Absatz 2

Da die Haushaltsgesetzgeber der Länder voraussichtlich
nicht in der Lage sein werden, den gesamten Entschädi-
gungsbetrag auf einmal zur Verfügung zu stellen, sieht § 2
Absatz 2 des Gesetzes die Möglichkeit der Ratenzahlung
vor. Um dadurch bedingte übermäßige Härten zu vermeiden,
wird hier festgeschrieben, dass die betroffenen Kirchen pro
Jahr mindestens die Hälfte des bisherigen Jahresbeitrages
erhalten. Da aber die Ablösung in absehbarer Zeit abge-
schlossen sein soll, wird der Gesamtzeitraum der Ablösung
durch Ratenzahlung auf 20 Jahre begrenzt. Durch die grobe
Festlegung von Unter- und Obergrenzen wird einerseits die
gewünschte Einheitlichkeit der Landesablösungsgesetze ge-
währleistet. Andererseits erhalten die Landesgesetzgeber ge-
nügend Handlungsspielräume, um eigene, an den jeweiligen
Haushaltserfordernissen und anderen Interessen orientierte
Ablösungsregelungen zu treffen, die sie gegebenenfalls auch
mit den betroffenen Kirchen abstimmen und aushandeln
können. Auch die Regelung zur Ratenzahlung bringt somit
das Interesse der Allgemeinheit an der baldigen Erfüllung
des Verfassungsauftrags zur Ablösung der Staatsleistungen
und damit Schonung der Landeshaushalte und andererseits
das Vermögensinteresse der Kirchen zu einem angemesse-
nen Ausgleich.

Zu § 3

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.

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