BT-Drucksache 17/8745

Rechtsextreme Subkultur im Strafvollzug

Vom 27. Februar 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8745
17. Wahlperiode 27. 02. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jens Petermann, Frank Tempel, Jörn Wunderlich
und der Fraktion DIE LINKE.

Rechtsextreme Subkultur im Strafvollzug

In vielen ostdeutschen Justizvollzugsanstalten dominieren nach Aussagen von
Ex-Gefangenen Neonazis den Gefängnisalltag. Sie tragen T-Shirts aus einschlä-
gigen rechtsextremen Versandhäusern, bilden Cliquen, verbreiten politische Pro-
paganda und schüchtern andere Gefangene ein. Neue Häftlinge werden von den
Neonazis gezielt angesprochen und für rechtsextreme Strukturen rekrutiert. Der
Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg Dr. Erardo Cristoforo Rautenberg
beklagte es 2011 gegenüber dem Deutschlandfunk als ein „Problem, das man
nicht totschweigen darf, dass in den Anstalten auch eine rechtsextreme Subkultur
vorhanden ist“.

Ehemalige Gefangene berichten von einer stillschweigenden Akzeptanz rechts-
extremer Agitation durch Vollzugsbeamte – bis hin zur offenen Sympathie.
Neonazis würden sogar Hilfsaufgaben für das Wachpersonal wahrnehmen und
dafür im Gegenzug ungestört ihrer politischen Betätigung nachgehen können
(www.dradio.de/download/139928/).

Im September 2011 wurde die neonazistische „Hilfsorganisation für nationale
politische Gefangene und deren Angehörige e. V.“ (HNG), die inhaftierte
Rechtsextremisten betreute, vom Bundesinnenministerium verboten.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Fragesteller, dass trotz der
Länderzuständigkeit für den Strafvollzug die Problematik rechtsextremer
Aktivitäten in JVAs (JVA = Justizvollzugsanstalt) auch eine Angelegenheit
des Bundes ist?

2. Wie viele Rechtsextremisten bzw. aufgrund von rechtsextremen Straftaten
Verurteilte sind derzeit nach Kenntnis der Bundesregierung inhaftiert, und
wie hat sich die Zahl der inhaftierten Rechtsextremisten seit dem Jahr 2000
bis heute entwickelt (bitte nach Zahl der Inhaftierten und Bundesländern
bzw. JVAs aufgliedern)?

3. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Zahl der JVA-Insassen mit rechts-

extremer Einstellung?

4. Inwieweit befinden sich in ostdeutschen JVAs nach Kenntnis der Bundes-
regierung mehr Gefangene mit rechtsextremer Einstellung als im Bundes-
schnitt?

5. Inwieweit ist der Bundesregierung die Existenz einer rechtsextremen Sub-
kultur im Strafvollzug bekannt?

Drucksache 17/8745 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

6. Sind der Bundesregierung Berichte oder Klagen von JVA-Leitungen oder
Landesjustizbehörden über Probleme mit Rechtsextremen im Strafvollzug
bekannt, und wenn ja, welche?

7. Welche Versuche von Neonazis, sich innerhalb von JVAs zu organisieren,
sind der Bundesregierung bekannt (bitte jeweilige JVA benennen)?

a) Inwieweit liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, dass
organisierte rechtsextreme Inhaftierte in den Haftanstalten neue Mitglie-
der oder Sympathisanten gewinnen oder werben?

b) Inwieweit existieren nach Kenntnis der Bundesregierung noch rechts-
extreme „Knastkameradschaften“ (bitte jeweilige JVA nennen)?

8. Inwieweit liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, dass in-
haftierte Rechtsextreme aus den Haftanstalten heraus Propaganda betrei-
ben, für rechtsextremistische Zeitungen/Zeitschriften schreiben oder Orga-
nisationsaufgaben übernehmen (bitte die Zeitungen/Zeitschriften nennen)?

9. Inwieweit sind der Bundesregierung rechtsextremistische Straftaten im
Strafvollzug bekannt?

10. Inwieweit sind der Bundesregierung verbale und/oder körperliche Über-
griffe von inhaftierten Rechtsextremisten auf ausländische Gefangene seit
dem Jahr 2000 bis heute bekannt geworden?

11. Welche Beschlagnahmungen oder Sicherstellungen von NS-Symbolen,
NS-Devotionalien, Fahnen oder Kleidungsstücken mit rechtsextremer
Symbolik bei Inhaftierten sind der Bundesregierung seit dem Jahr 2000 bis
heute bekannt geworden?

12. Welche und wie viele Aufzüge Rechtsextremer mit dem Themenschwer-
punkt der Solidarität mit rechtsextremen Gefangenen seit dem Jahr 2000
bis heute sind der Bundesregierung bekannt?

13. Inwieweit werden JVA-Bedienstete gesondert mit der Problematik von
Rechtsextremismus generell, dem Umgang mit Rechtsextremen im Straf-
vollzug sowie dem Erkennen rechtsextremer Symbolik vertraut gemacht?

14. Inwieweit sind der Bundesregierung Disziplinarmaßnahmen aufgrund von
rechtsextremen Betätigungen von JVA-Bediensteten bekannt?

15. Welche Angebote für Aussteiger aus der rechtsextremen Szene im Straf-
vollzug sind der Bundesregierung bekannt, und wie werden diese genutzt?

16. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung außer der verbotenen HNG
weitere Organisationen oder Unterstützerkreise im In- und Ausland, die
rechtsextreme Gefangene in deutschen JVAs betreuen?

a) Welche Organisationen sind dies, und wo haben sie ihren Sitz?

b) Wie gestaltet sich konkret die Betreuung bzw. Unterstützung der rechts-
extremen Inhaftierten durch diese Organisationen (bitte für jede Organi-
sation einzeln aufschlüsseln)?

c) Wie viele rechtsextreme Inhaftierte wurden durch diese Organisationen
seit dem Jahr 2000 betreut (bitte einzeln für jede dieser Organisationen
angeben)?

d) Inwieweit besteht zwischen diesen Organisationen nach Kenntnis der
Bundesregierung eine Zusammenarbeit?

e) Inwieweit sieht die Bundesregierung eine Festigung der rechtsextremen
Weltanschauung bei den Inhaftierten durch eine Betreuung einer sol-
chen Organisation?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8745

17. Wie reagierte die rechtsextreme Szene nach Kenntnis der Bundesregierung
auf das Verbot der HNG?

18. Sind der Bundesregierung Bemühungen der Neonazi-Szene bekannt, eine
Ersatz- oder Nachfolgeorganisation für die HNG zu schaffen?

Berlin, den 27. Februar 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.