BT-Drucksache 17/8714

Gesichtsscanner in Fußballstadien und Datenabgleich mit der Verbunddatei "Gewalttäter Sport"

Vom 21. Februar 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8714
17. Wahlperiode 21. 02. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Korte, Katrin Kunert, Agnes Alpers, Dr. Dietmar Bartsch,
Herbert Behrens, Steffen Bockhahn, Ulla Jelpke, Petra Pau, Jens Petermann,
Dr. Petra Sitte, Frank Tempel, Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Gesichtsscanner in Fußballstadien und Datenabgleich mit der Verbunddatei
„Gewalttäter Sport“

Anfang Februar 2012 berichteten Medien über Pläne des Ministers für Inneres
und Sport des Landes Mecklenburg-Vorpommern und Vorsitzenden der Innen-
ministerkonferenz (IMK) Lorenz Caffier, künftig Gesichtsscanner an den Ein-
gängen von Fußballstadien einzusetzen, um Gewalttätern den Einlass zu Stadien
zu versagen und um Stadionverbote durchzusetzen. Anhand der Geräte sei es
möglich ,Gesichter der Besucher mit Bildern aus der Datei „Gewalttäter Sport“
ab[zu]gleichen‘, sie würden „Alarm schlagen, wenn sich ein Problemfan in die
Arena schleichen will“. Das Ministerium für Inneres und Sport des Landes
Mecklenburg-Vorpommern habe eine Machbarkeitsstudie zum Einsatz von Ge-
sichtsscannern in Auftrag gegeben, später solle eine Erprobung in der DKB-
Arena Rostock folgen. Der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerk-
schaft (DPolG), Rainer Wendt, habe die Pläne als „sinnvolle Sache“ bezeichnet,
die beim Bundeskriminalamt (BKA) geführte Datei „Gewalttäter Sport“ biete
hierfür eine „hervorragende Grundlage“ (SPIEGEL ONLINE vom 1. Februar
2012). Zudem fordert der niedersächsische Verband der DPolG eine laut Mel-
dung der „Deutschen Presseagentur“ (dpa) vom 3. Februar 2012 die Einführung
von lebenslangen Stadionverboten. Die Verantwortung der Vereine ende „aus
Sicht der DPolG nicht an den Stadiontoren, sondern gilt auch für die An- und
Abreise“.

Der Präsident des Ligaverbandes Dr. Reinhard Rauball erklärte den Massenscan
als „weder zumutbar für die überwältigende Mehrheit der friedlichen Fußball-
Fans noch praktikabel für die Vereine“, der Chef der Gewerkschaft der Polizei,
Bernhard Witthaut, erklärte, das Vorhaben sei Irrsinn und ohne Rechtsgrund-
lage. Vor allem die Probleme im Rahmen von Spielen der unteren Ligen seien
damit nicht zu lösen.

Die Pläne des Vorsitzenden der Innenministerkonferenz werfen einige Fragen
auf, vor allem zu technischen Verwendungsmöglichkeiten von Verbunddateien
beim BKA, den Rechtsgrundlagen für Massenscans sowie dem Umgang mit
Personendaten und Stadionverboten.
Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Personen sind derzeit in der Verbunddatei „Gewalttäter Sport“ er-
fasst?

Drucksache 17/8714 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

2. Nach welchen Delikten bzw. unter welchen Umständen werden Personen in
die Datei „Gewalttäter Sport“ (DGS) aufgenommen?

3. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass Fußballfans, deren Perso-
nalien nach Ordnungswidrigkeiten, wie z. B. Verstößen gegen das Rauch-
verbot in Bahnhöfen, aufgenommen wurden, in der DGS erfasst werden?

4. Wie lange werden Daten und Informationen in der Verbunddatei „Gewalt-
täter Sport“ gespeichert?

5. Erfolgt nach Ablauf der Frist (siehe Frage 4) eine automatische Löschung,
wie erfolgt diese konkret, und auf welche Datenbanksysteme bzw. Träger-
medien wirkt sich diese aus?

6. Aus welchen Gründen werden Einträge und Informationen länger oder kür-
zer (als zu Frage 4) gespeichert, und unter welchen Umständen erfolgt eine
manuelle Löschung von Informationen oder Datensätzen?

7. Erfolgt eine Protokollierung der Einträge und der Löschungen, und wenn
nicht, wie wird sichergestellt, dass Daten nicht unnötig lange gespeichert
werden?

8. Schließt die Löschung eines Eintrags auch die Löschung der personenbezo-
genen Daten und Informationen von Sicherungsmedien ein, und wenn
nicht, sind gelöschte Einträge durch den Rückgriff auf Sicherungsmedien
wiederherstellbar?

9. Wie viele Personen wurden seit Januar 2005 in der DGS neu erfasst, wie
viele wurden aus der Datei entfernt (bitte nach Jahren, Zugängen, Abgängen
aufschlüsseln)?

10. Auf welchem technischen Weg ist der Zugriff von mobilen Endgeräten, wie
diese z. B. vor Stadien eingesetzt werden könnten, auf die beim BKA ge-
führten Verbunddateien möglich?

11. Auf welcher Rechtsgrundlage werden Informationen und Daten aus Ver-
bunddateien in landeseigene Datenbanken und -systeme übernommen, und
wie werden in diesen Fällen Zweckbindung sowie Löschfristen eingehalten
und kontrolliert?

12. Wenn Daten, Dateien oder Datenbanken von den Landesbehörden verviel-
fältigt werden dürfen, wie ist sichergestellt, dass auf dem BKA-Server ver-
jährte oder gelöschte personenbezogene Datensätze von den Ländern nicht
weiter verwendet werden?

13. Welche staatlichen und nichtstaatlichen Behörden und Einrichtungen haben
Zugriff auf die DGS?

14. Trifft es zu, dass der Deutsche Fußball-Bund (DFB) Kartenbestellungen für
Spiele der Nationalmannschaft der Bundesrepublik Deutschland mit dem
Hinweis auf einen Eintrag in der DGS zurückweist, und wenn ja, auf welche
Art und Weise erhält der DFB Zugang zu Informationen aus dem Daten-
bestand der DGS?

15. Welche staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen, Verbände oder Un-
ternehmen erbitten welche Behörden um Auskunft über Einträge zu Perso-
nen in Verbunddateien, wird diesen Anfragen Folge geleistet, und auf wel-
cher Rechtsgrundlage findet dies statt?

16. Wie viele Personen umfasst aktuell die Gesamtliste des DFB über diejeni-
gen Personen, gegen die ein bundesweites Stadionverbot verhängt wurde?

17. Wie stellt sich die Zusammenarbeit, die gegenseitige Information und die
Koordination von Maßnahmen des DFB und der Deutschen Fußball Liga
GmbH (DFL) mit dem BKA oder den Polizeien der Länder dar (bitte nach

Projektgruppen, Beginn und Dauer des Projekts, Maßnahmen und Beratun-
gen aufschlüsseln)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8714

18. Werden das BKA oder die Polizeien der Länder über Einträge, Zu- und Ab-
gänge in dieser Gesamtliste des DFB informiert?

19. Wie viele Personen, gegen die ein bundesweites Stadionverbot verhängt
wurde, sind in der DGS erfasst (bitte nach Bundesländern und Ligen auf-
schlüsseln)?

20. Ist den in der DGS erfassten Personen der Besuch von Fußballspielen
grundsätzlich untersagt?

21. Wenn nein, wie schätzt die Bundesregierung die Machbarkeit des Vor-
habens des Ministers für Inneres und Sport des Landes Mecklenburg-Vor-
pommern, über Dateiabgleiche Stadionverbote durchsetzen zu können, ein?

22. Werden in der DGS erfasste Personen über ihre Erfassung informiert?

23. Welche Einspruchsmöglichkeiten haben Betroffene gegen ihre Erfassung in
der DGS?

24. Wie oft wurde seit 2005 von Betroffenen Einspruch gegen die Erfassung in
der DGS eingelegt, wie viele Gerichtsverfahren gab es in diesem Zusam-
menhang, und wie oft wurde Einsprüchen stattgegeben (bitte nach Jahren,
erfolgreiche/nicht erfolgreiche Widersprüche aufschlüsseln)?

25. Zieht ein gerichtlicher Freispruch in der Sache, wegen der eine Person in die
DGS aufgenommen wurde, eine automatische Löschung der Daten und
Informationen zu dieser Person aus der DGS nach sich, und wenn nein,
warum nicht?

26. Zieht eine Nichtaufnahme eines Verfahrens oder eine Einstellung eines Ver-
fahrens in der Sache, wegen der eine Person in die DGS aufgenommen
wurde, eine automatische Löschung der Daten und Informationen dieser
Person aus der DGS nach sich, und wenn nein, warum nicht?

27. Trifft es zu, dass ein Polizist aus Gelsenkirchen in die DGS aufgenommen
wurde (vgl. DIE WELT vom 7. Oktober 2011), aus welchem Grund ist er in
die Datei aufgenommen worden, und wird er immer noch in der DGS ge-
führt?

28. Wenn nein, warum nicht, und wer hat die Löschung der Daten verfügt?

29. Welche Daten und Informationen werden in einem Personeneintrag in der
DGS erfasst?

30. Werden digitalisierte Fotos in der Datei erfasst, und werden diese automa-
tisch biometrisch aufgearbeitet?
Wenn nein, ist eine Erweiterung der Erfassungs- und Abfragemöglichkeiten
in diesem Sinn geplant?

31. Wie viele Einträge in der DGS sind mit digitalem Bildmaterial zu den
erfassten Personen verknüpft?

32. Welche Werkzeuge hat das BKA zur Erfassung und Auswertung bio-
metrischer Daten in Verbunddateien?

33. Wie lange dauert ein Gesichtsscan inklusive Datenbankabfrage durch-
schnittlich, wie er z. B. an Grenzkontrollen eingesetzt wird?

34. Gibt es im Rahmen der IMK Überlegungen oder Projekte, die mit dem Vor-
haben des Ministers für Inneres und Sport des Landes Mecklenburg-Vor-
pommern, Laurenz Caffier, an Stadien zur Kontrolle Gesichtsscanner ein-
zusetzen, zusammenhängen?
Wenn ja, welche, und in welcher Kommission oder Arbeitsgruppe werden
sie federführend bearbeitet?

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35. Sind Bundesbehörden an der Mecklenburg-Vorpommerschen Machbar-
keitsstudie aktiv oder finanziell beteiligt, oder haben sie diesbezüglich An-
fragen bekommen, und wenn ja,
a) welche Behörden, und
b) wie gestaltet sich die Beteiligung bzw. was wurde angefragt?

36. Wird sich die Bundespolizei an der geplanten Erprobung von Gesichtsscan-
nern in der DKB-Arena beteiligen, und wenn ja, in welcher Form?

37. Welche Rechtsgrundlagen für mit Datenbankabfragen verbundene massen-
hafte Gesichtsscans kommen nach Ansicht der Bundesregierung in Frage,
und was hat die vom Abteilungsleiter Sport im Bundesministerium des
Innern auf der Anhörung des Sportausschusses des Deutschen Bundestages
am 8. Februar 2012 angekündigte Prüfung dieses Sachverhalts durch die
Bundesregierung ergeben?

38. Existieren Pläne, Studien oder Forschungsvorhaben seitens der Bundesre-
gierung zur Verwendung von Gesichtsscannern, und wenn ja, in welchem
Bereich, auf welcher Rechtsgrundlage, und mit welchen Kooperationspart-
nern, wie Behörden, Institute, Unternehmen etc. (bitte auflisten)?

39. Erhofft sich die Bundesregierung von dem Vorhaben des Vorsitzenden der
Innenministerkonferenz, Lorenz Caffier, die Rechtsgrundlagen sowie die
technische Machbarkeit der Verwendung von Gesichtsscannern an Stadion-
eingängen prüfen zu lassen, Erkenntnisse für einen vergleichbaren Einsatz
auf Bundesebene oder in Zuständigkeit von Bundesbehörden, und sind der
Bundesregierung ähnliche Techniken oder Projekte in den Mitgliedstaaten
der EU bekannt?

40. Welche soziologischen oder sicherheitspolitischen Studien und Forschun-
gen mit Bezug auf Gewalt im Umfeld von Sportereignissen hat die Bundes-
regierung seit 2005 in Auftrag gegeben (bitte nach Jahren, Auftragnehmer,
Auftragsvolumen und Forschungszweck aufschlüsseln)?

41. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der DPolG, die Verantwortung
der Fußballvereine ende „nicht an den Stadiontoren, sondern [gelte] auch
für die An- und Abreise“?

42. Wenn ja, hält die Bundesregierung den Einsatz von privatem Sicherheits-
personal der Fußballvereine in der Umgebung von Fußballstadien, in Innen-
städten, auf Autobahnraststätten, an Bahnhöfen oder in Zügen in Bezug auf
die Sicherheit im öffentlichen Raum und das staatliche Gewaltmonopol für
unproblematisch?

43. Mit welchen konkreten Maßnahmen unterstützt die Bundesregierung die
Fußballvereine beim Umgang mit gesellschaftlich verantworteten Proble-
men, wie Rassismus, Homophobie und Gewalt (bitte auflisten)?

Berlin, den 16. Februar 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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