BT-Drucksache 17/8701

Baumschutz und Zukunft des Berliner Landwehrkanals

Vom 15. Februar 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8701
17. Wahlperiode 15. 02. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Herbert Behrens, Heidrun Bluhm, Sabine Leidig,
Ralph Lenkert, Thomas Lutze, Kornelia Möller, Petra Pau, Ingrid Remmers,
Sabine Stüber, Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Baumschutz und Zukunft des Berliner Landwehrkanals

Der Landwehrkanal ist ein innerstädtischer Kanal in Berlin. Entlang seiner Ufer
wohnen 400 000 Menschen, das gesamte Einzugsgebiet umfasst rund 1,4 Mil-
lionen Menschen. Der Landwehrkanal wurde von dem Gartenarchitekten
Peter-Joseph Lenné geplant und 1850 eingeweiht, um die Spree als Transport-
weg zu entlasten. Er verbindet als Seitenkanal der Teilstrecke Berliner Spree der
Spree-Oder-Wasserstraße die Spree am Osthafen mit der Spree am Spreekreuz
in Charlottenburg und führt mit einer Länge von 10,73 Kilometern durch die
Stadtteile Kreuzberg, Treptow-Köpenick, Neukölln, Tiergarten und Charlotten-
burg.

In den Stadtbezirken Treptow-Köpenick, Neukölln und Friedrichshain-Kreuz-
berg steht die Nutzung als öffentlicher Raum für Freizeit und Erholung im Vor-
dergrund. In Mitte und Charlottenburg-Wilmersdorf dominieren die verkehr-
lichen Trassen entlang des Landwehrkanals, ausgenommen des Gebietes um die
Technische Universität Berlin, das auch überwiegend der Naherholung dient.
Zahlreiche kulturelle und gesellschaftspolitisch relevante Institutionen säumen
den Landwehrkanal und stehen in Wechselwirkung (Landschaftsbild, Infra-
struktur, Freizeit, Grünfläche u. a.) zueinander.

Der Landwehrkanal ist seit 1990 eine Bundeswasserstraße (Klasse I). Die Ver-
waltung obliegt dem Wasser- und Schifffahrtsamt (WSA) Berlin, innerhalb der
Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV), die im Geschäfts-
bereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
(BMVBS) liegt.

Seine besondere Bedeutung hat er sowohl als Grünzug mit zum Teil üppiger
Ufervegetation und zahlreichen alten und wertvollen Bäumen als auch als Ort
der Freizeitgestaltung und Erholung der Bevölkerung. Ebenso dient er der Ver-
besserung des Mikroklimas der Stadt durch seine Funktion als Kalt- und
Frischluftschneise.

Der Landwehrkanal hat historische, stadt-, wirtschafts- und verkehrsgeschicht-
liche Bedeutung und steht als Gesamtanlage unter Denkmalschutz.
In den letzten Jahren wurde der Landwehrkanal ganz überwiegend von Aus-
flugsdampfern und Motorsportbooten genutzt. Ihre Größe und Antriebe sowie
der Gegenverkehr bei enger Fahrtrasse haben in erheblichem Maße zur Zerstö-
rung und Unterspülung der Uferbefestigungen beigetragen.

Im April/Mai 2007 kam es zu einem Abbruch am Maybachufer. Eine Ankündi-
gung des WSA Berlin im April 2007, zunächst 200 Bäume zur Entlastung der

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Ufer sowie später für die vorgesehene Sanierung der Regelbauweise alle
Bäume im Bereich von 3 bis 4 Metern von der Uferkante am Landwehrkanal
fällen zu wollen, erregte 2007 breiten öffentlichen Protest und führte zur Grün-
dung der Bürgerinitiative (BI) „Bäume am Landwehrkanal“. Um eine konstruk-
tive Auseinandersetzung zwischen allen betroffenen Institutionen, Organisatio-
nen und Initiativen zu ermöglichen, findet seit Ende 2007 das bundesweit
größte Mediationsverfahren „Zukunft Landwehrkanal“ statt, an dem Vertrete-
rinnen und Vertreter von rund 25 Behörden, Institutionen und Verbänden sowie
Bürgerinnen und Bürger beteiligt sind.

Das Mediationsverfahren ist in Abstimmung zwischen dem BMVBS und der
Wasser- und Schifffahrtsdirektion (WSD) Ost als Planfeststellungsbehörde ein-
geleitet worden, um gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern Lösungs-
ansätze zur Sanierung des Landwehrkanals zu entwickeln und um ein lang-
wieriges und kostspieliges Planfeststellungsverfahren möglichst zu vermeiden.
Dazu sollten alle wichtigen Verfahrensweisen, die einem solchen Verfahren nor-
malerweise zugeordnet sind, in der Mediation durchlaufen werden. Letztendlich
sollte dann in dem Mediationsprozess aufgrund der vorhandenen Ergebnisse
entschieden werden, ob eine Sanierung durch bloße Unterhaltung erfolgen kann
oder doch ein Planfeststellungsverfahren als notwendig erachtet wird.

Zum Erhalt des ökologisch relevanten Grüngürtels als Kalt- und Frischluft-
schneise, des einmaligen Gartenbaudenkmals des 19. Jahrhunderts und zur
nachhaltigen Sanierung der Uferbereiche haben sich im Mediationsverfahren
„Zukunft Landwehrkanal“ zahlreiche Interessensgruppen zusammengeschlos-
sen, die die Bedürfnisse und Belange unterschiedlichster Gruppierungen erfas-
sen und in ein Sanierungskonzept einfließen lassen.

Die Ufer des innerstädtischen Kanals befinden sich nach Aussagen der Wasser-
und Schifffahrtsverwaltung (WSV) im Entwurf der Soll-Zustandsbeschreibung
des Landwehrkanals zu großen Teilen (> 65 Prozent) in einem mangelhaften
Zustand, in vielen Bereichen ist deren Standsicherheit gefährdet, ein umfang-
reicher Sicherungs- und Instandsetzungsbedarf leitet sich ab. Bei der Sanierung
des Uferbauwerkes und gegebenenfalls weiterer Anlagen (Schleusen, Wehre
etc.) ist die WSV an die rechtlichen Vorschriften gebunden. Sie verantwortet,
dass die bundeseigenen Anlagen, hier Ufer und Anlagen des Landwehrkanals,
allen Anforderungen der Sicherheit und Ordnung genügen und bei der Instand-
setzung und Unterhaltung alle Bundes- und Landesgesetze beachtet werden.

Aktuell befindet sich die WSV durch ein Reformvorhaben der Bundesregie-
rung in einer Umstrukturierung. Dabei sollen auch alle Bundeswasserstraßen
kategorisiert und priorisiert werden, um die knappen Finanzmittel für Unterhalt
und Ausbaumaßnahmen stärker zu konzentrieren.

Der Landwehrkanal mit seinen Grünzügen und über 4 500 Uferbäumen ist ein
sehr wichtiges Naherholungsgebiet für über 400 000 Anwohnerinnen und An-
wohner. Dies und seine stadtökologische Bedeutung als Kalt- und Frischluft-
schneise für das Stadtklima sollten an erster Stelle bei der Landwehrkanalsanie-
rung und bei der Bundeswasserstraßenkategorisierung stehen. Zudem sind die
Grünzüge für den Fahrgastschifffahrtstourismus sehr wichtig, da eine touristi-
sche Attraktivität durch lauter Baumstümpfe, die die Ufer säumen würden, ne-
gativ beeinflusst würde.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. In welcher Form soll die Bundeswasserstraße Landwehrkanal künftig ge-
nutzt werden, und welche Funktionen soll sie erfüllen?

2. Wieso wird seitens der Bundesbehörden wiederholt von einem möglichen

Planfeststellungsverfahren zur Sanierung des Landwehrkanals gesprochen,
obwohl das Mediationsverfahren noch nicht abgeschlossen ist?

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3. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass ein Beschluss zur Durch-
führung eines Planfeststellungsverfahrens vor Abschluss des Mediations-
verfahrens dem Ergebnis des Mediationsverfahrens vorgreifen würde (Be-
gründung)?

4. In welche Kategorie soll die Bundeswasserstraße Landwehrkanal im Rah-
men der neuen Priorisierung der Bundeswasserstraßen eingeordnet wer-
den?

Wird sie als zum Wassertourismusnetz zugehörig klassifiziert?

5. Soll der Landwehrkanal, vor dem Hintergrund der Bestrebungen, Teile des
bundesweiten Wassertourismusnetzes zu privatisieren, ebenfalls an einen
Dritten übertragen werden?

6. Wie viele Kilometer Uferlänge der Bundeswasserstraßen in Berlin sind sa-
nierungsbedürftig, und in welchem Zeitraum sollen die notwendigen Maß-
nahmen durchgeführt werden?

7. Ist der heutige Zustand des Landwehrkanals, auf eine mangelhafte Wartung
und Sanierung durch das WSA Berlin in den vergangenen Jahren zurück-
zuführen?

8. Wenn nein, worin liegen die Ursachen dann?

9. Wie ist der Wartungs- und Sanierungsverlauf verantwortbar, wenn sich
heute fast zwei Drittel des Landwehrkanals in einem mangelhaften Zustand
befinden?

10. In welchen Abschnitten soll die Sanierung des Landwehrkanals erfolgen,
und wann sollen die Sanierungsmaßnahmen abgeschlossen sein?

11. Wieso gehen das BMVBS, das WSA Berlin und die WSV so langsam bei
der Sanierung des maroden Landwehrkanals vor, der an einigen Stellen
einsturzgefährdet ist?

12. Welche Gesamtkosten werden für die aktuellen Sanierungsmaßnahmen des
Landwehrkanals veranschlagt, und wie werden diese auf welche Kosten-
träger verteilt und in welchem Zeitraum finanziert?

13. Bleiben die über 4 500 Uferbäume im Rahmen der Kanalsanierung erhal-
ten, so wie es laut Aussage diverser Ökologen möglich ist und wie es die
Anwohner seit 2007 mit 26 000 vorliegenden Unterschriften fordern?

14. Wenn nein, warum nicht?

15. Wie viele Bäume bleiben in welchen Abschnitten verbindlich erhalten?

16. Wie kann das BMVBS gewährleisten, dass die Berliner Senatsverwaltung
für Stadtentwicklung und Umwelt sich zukünftig intensiver an der ökolo-
gischen Sanierung des Landwehrkanals beteiligt?

17. Weshalb enthalten die Ausführungen der WSV zum sogenannten Soll-Kon-
zept der Landwehrkanalsanierung nur wenige der in den letzten vier Jahren
erarbeiteten Ergebnisse des Mediationsverfahrens, insbesondere aber keine
Lösungen, wie im Rahmen der Sanierung der „bestmögliche Baumschutz“
garantiert werden soll?

18. Welche Rolle spielen die WSV-Ökologie-Erlasse in der Beschreibung
der WSV des Soll-Zustands für die Konzeption der Haushaltsunter-
lage – Konzept zum Landwehrkanal?

19. Weshalb wurde die große Bedeutung des Landwehrkanals für das Stadt-
klima, als zu erstellender Biotopverbund sowie als wichtiger Lebensraum für
viele Tierarten (Artenschutz) im Soll-Konzept der WSV nicht entsprechend

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gewürdigt, vor dem Hintergrund, dass sich ein Großteil des Mediationsver-
fahrens und der Forderungen der Bürgerinitiative „Bäume am Landwehr-
kanal“ auf diese Aspekte beziehen?

20. Welche Rolle spielt die europäische Wasserrahmenrichtlinie im Hinblick
auf das Ziel des Erreichens eines guten ökologischen Zustands im Soll-
Papier der WSV, und welche ökologischen Maßnahmen im Rahmen der
Kanalsanierung werden dafür genannt?

21. Wie soll das Mediationsverfahren „Zukunft Landwehrkanal“ bundesweit
Vorbildcharakter für andere Mediationsverfahren haben, wie es das BMVBS
mehrfach angekündigt hat, wenn wesentliche Inhalte, die im Mediationsver-
fahren erarbeitet wurden, am Ende nicht im entscheidenden Papier der WSV
zum Soll-Zustand für die Konzeption der Haushaltsunterlage mit der im
Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages Gelder für die Landwehr-
kanalsanierung beantragt werden sollen, vorkommen?

22. Bleiben der Einrichtungsverkehr für die Schifffahrt und die Geschwindig-
keitsbegrenzung von 6 km/h zum Schutz der Ufermauern des Landwehr-
kanals auch während der Sanierung bestehen, vor dem Hintergrund, dass
Schiffsmotoren für Verwirbelungen sorgen, die zu einer Unterspülung und
Schädigung der Ufermauern führen?

23. Wann werden diese Beschränkungen aufgehoben?

24. Was plant das BMVBS bezüglich der Forderung der Bürgerinitiative nach
einem ökologischeren, emissionsfreien Verkehrskonzept auf dem Land-
wehrkanal?

25. Wie und wann werden die für die Anwohnerinnen und Anwohner gesund-
heitsschädlichen Emissionen der Schiffsdieselmotoren reduziert?

26. Wann und in welcher Form soll das Mediationsverfahren „Zukunft Land-
wehrkanal“ enden?

27. Wie wird die Partizipation der Mitglieder der Bürgerinitiative „Bäume am
Landwehrkanal“ an der konkreten Gestaltung der Landwehrkanalsanierung
nach dem Ende des Mediationsverfahrens gesichert fortgeführt?

28. Trifft es zu, dass am Ende des Mediationsverfahrens lediglich eine Media-
tionsvereinbarung über den Vorentwurf einer Haushaltsunterlage abge-
schlossen werden soll, der üblicherweise nur 30 Prozent einer Bauplanung
ausmacht und außerhalb des Mediationsverfahrens noch erheblich modi-
fiziert werden kann?

29. Wenn ja, warum wird am Ende des Mediationsverfahrens nicht eine Media-
tionsvereinbarung über den abschließenden Entwurf einer Haushaltsunter-
lage abgeschlossen?

30. Wie bewerten das BMVBS, das WSA Berlin und die WSV den Vorschlag,
eine Klausel in die Mediationsvereinbarung aufzunehmen, die im Fall von
Abweichungen des Entwurfs von der vereinbarten Konzeption der Haus-
haltsunterlage, den Mediationsverfahrenskonsens wieder aufkündigt?

31. Ist es zutreffend, dass nach der Auflösung der AG Landwehrkanal des
WSA die Durchführung der Landwehrkanalsanierung in die Hände des
Wasserstraßen-Neubauamtes Berlin gelegt wird?

Wenn ja, warum?

32. Inwiefern ist die Mediationsverfahrensvereinbarung über die Sanierung des
Landwehrkanals, die am Ende des Verfahrens erstellt werden soll, für wel-
che Institutionen und Personen rechtsverbindlich?

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33. Wie wird den Bürgerinnen und Bürgern garantiert, dass ihr über vierjähriger
ehrenamtlicher sehr zeitaufwändiger Einsatz für ein Modellprojekt „Öko-
logische Sanierung Berliner Landwehrkanal“ (siehe auch Petition http://
baumschutz.files.wordpress.com/2009/07/bmvbs-schreiben230609.pdf mit
Antwort des BMVBS) wirklich seinen Niederschlag in einer letztlich öko-
logischen Landwehrkanalsanierung findet?

34. Kann die Bundesregierung die Auffassung von am Mediationsverfahren
Beteiligten nachvollziehen, dass dieses vermutlich größte und wohl auch
längste Mediationsverfahren Deutschlands, „Zukunft Landwehrkanal“, das
eines der teuersten derartigen Verfahren sein wird, im Wesentlichen große
Arbeitskapazitäten der Bürgerinitiativen bindet, ohne dass dort ein verbind-
licher Kompromiss erreicht werden kann (Begründung)?

Berlin, den 15. Februar 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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