BT-Drucksache 17/8603

Deutsches Engagement beim Einsatz von Polizistinnen und Polizisten in internationalen Friedensmissionen stärken und ausbauen

Vom 8. Februar 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8603
17. Wahlperiode 08. 02. 2012

Antrag
der Abgeordneten Edelgard Bulmahn, Klaus Brandner, Dr. h. c. Gernot Erler,
Petra Ernstberger, Dagmar Freitag, Iris Gleicke, Günter Gloser, Hans-Ulrich
Klose, Ute Kumpf, Dr. Rolf Mützenich, Thomas Oppermann, Johannes Pflug,
Stefan Rebmann, Franz Thönnes, Heidemarie Wieczorek-Zeul, Uta Zapf,
Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Deutsches Engagement beim Einsatz von Polizistinnen und Polizisten in
internationalen Friedensmissionen stärken und ausbauen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Internationale Polizeimissionen sind ein zentraler Bestandteil internationaler
Friedensmissionen. Wesentliche Aufgabe dieser Polizeimissionen ist es, die
Sicherheitsorganisationen in Krisenländern bei ihren Bemühungen zu unter-
stützen, den Staatszerfall aufzuhalten oder durch den Aufbau von Staatlich-
keit interne Stabilität herzustellen. Eine gut ausgebildete Polizei spielt für den
staatlichen und gesellschaftlichen Wiederaufbau nach einer Konfliktsituation
eine tragende Rolle. Erfolgreiche Aufbau- und Stabilisierungsmissionen sind
in der Regel ohne Polizeikräfte nicht möglich.

2. Aufgrund der genannten Erfahrungen haben der Einsatz und die Bedeutung
internationaler Polizeimissionen in den vergangenen Jahrzehnten stetig zu-
genommen. Während 1988 nur 35 Polizeikräfte in Missionen der Vereinten
Nationen tätig waren, stieg ihre Zahl bis zum März 2011 auf insgesamt
17 500 Polizistinnen und Polizisten. Mit dem quantitativen Aufwuchs ging
auch ein signifikanter Wandel in der Ausrichtung des Beitrages von Polizei-
kontingenten zu internationalen Friedensmissionen einher. Stand ursprüng-
lich das Monitoring der lokalen Polizei im Vordergrund der Einsätze, rückten
seitdem verstärkt Aspekte des Kapazitätsaufbaus und der Ausbildungsunter-
stützung in das Zentrum der Aufmerksamkeit. Dabei erfordern Polizei- wie
auch Rechtsstaatsmissionen immer stärker die Bereitschaft zu einem länger-
fristigen Engagement, das bereits bei der Missionsplanung berücksichtigt
werden kann. Eine ebenso große Bedeutung hat die Ausbildung sowie der
Organisationsaufbau der Polizeikräfte in den Konfliktregionen.

3. Derzeit sind 347 deutsche Polizeibeamte in internationalen Friedenseinsätzen

oder bilateralen Projekten eingesetzt; davon 18 im Rahmen von VN-Missio-
nen, 146 bei Einsätzen der EU und 184 im bilateralen Deutschen Polizei
Projekt Team (GPPT) in Afghanistan. Seit Beginn der Beteiligung an Frie-
denseinsätzen im Jahr 1989 hat Deutschland zwar über 5 000 Beamte in Frie-
denseinsätze entsandt, dennoch hat die Zahl der eingesetzten Polizistinnen
und Polizisten stetig abgenommen. An Einsätzen der OSZE sind deutsche
Polizistinnen und Polizisten derzeit überhaupt nicht mehr beteiligt. Trotz

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eines Wandels im Aufgabenzuschnitt internationaler Polizeieinsätze und des
zunehmenden Bewusstseins für deren Bedeutung nimmt die Bereitschaft ein-
zelner Staaten zur Entsendung von Polizeikräften ab. Das trifft leider auch für
Deutschland zu. Es hält seine personellen Zusagen für internationale Polizei-
missionen ebenso wie andere Länder vielfach nicht ein. Den heute 18 deut-
schen Polizisten in Missionen der Vereinten Nationen standen 2006 noch 181
und 2001 sogar 487 Beamte gegenüber. Im Vergleich zu Deutschland nehmen
gerade bei VN-Missionen Länder wie Bangladesch mit über 2 000 und Jor-
danien mit ebenfalls fast 2 000 Polizeikräften die vorderen Plätze ein.

4. Die deutsche Polizei genießt international eine hohe Anerkennung. Sie gilt
international als bestens vorbereitet und hervorragend ausgebildet. Sie ist
aufgrund ihres Selbstverständnisses und ihrer gesellschaftlichen Einbindung
in besonderer Weise in der Lage, positive Unterstützung für eine demokra-
tische Entwicklung in Krisengebieten zu geben. Vor diesem Hintergrund er-
geben sich konkrete Anforderungen an die Bundesrepublik Deutschland, die
nicht nur quantitativer, sondern vor allem qualitativer Art sind. So ist neben
einer zahlenmäßigen Aufstockung der für Auslandseinsätze zur Verfügung
stehenden Beamten auch eine vermehrte Entsendung verschiedenster Spe-
zialisten, z. B. Polizeiausbilder aber auch Forensiker und Spezialisten für
Datensicherheit oder organisierter Kriminalität, erforderlich.

5. Über die Mitwirkung an konkreten Friedensmissionen hinaus steigt zusätz-
lich auch der Bedarf nach aktiver deutscher Beteiligung bei der konzeptionel-
len Entwicklung von Regelwerken auf der Ebene der internationalen Organi-
sationen. Besonders der operative Einsatz von Polizeikräften in einer interna-
tionalen Mission erfordert die Definition und Beschreibung eines fachlich-
strategischen wie auch eines politisch-strategischen Rahmens. Bereits bei der
Planung einer Mission muss deshalb geklärt werden, warum ein Engagement
notwendig ist, welche Zielsetzungen verfolgt und welche Prioritäten gesetzt
werden sollen. Das ist auch deshalb wichtig, damit Polizeibeamte nicht als
Ersatz für Soldaten zum Einsatz kommen.

6. Analysen zeigen, dass in Deutschland eine ausreichende Zahl an Polizistin-
nen und Polizisten grundsätzlich bereit ist, an internationalen Friedensmis-
sionen mitzuwirken. Das Prinzip, dass sich deutsche Polizeibeamte freiwillig
für einen Einsatz im Ausland entscheiden, sollte beibehalten werden. Not-
wendig ist jedoch die Schaffung von geeigneten Anreiz- und vor allem Aner-
kennungsstrukturen. Sie fehlen bisher. Monetäre Anreize sind sicher wichtig,
in den Augen der Polizistinnen und Polizisten, die zu einem Auslandseinsatz
bereit sind, stehen sie aber nicht immer an erster Stelle. Eine bessere Verein-
barkeit von Familie und Beruf unter den besonderen Bedingungen eines Aus-
landseinsatzes, verlässliche Karriereperspektiven nach einer Rückkehr und
vor allem die fachliche und öffentliche Anerkennung der im Ausland geleis-
teten Arbeit sind wesentlich wichtigere Aspekte. Diese jedoch sind in
Deutschland noch immer nicht in ausreichendem Maße gegeben. Darüber
hinaus sollte geprüft werden, ob Auslandsdienstzeiten im Beamtenversor-
gungsrecht angemessen berücksichtigt werden. Hier müssen Bund und Län-
der zügig geeignete Verfahren und Maßnahmen entwickeln und umsetzen.

7. Gleichzeitig muss der Deutsche Bundestag selbstkritisch feststellen, dass
auch die parlamentarische Aufmerksamkeit und Verantwortung für deutsche
Polizeikräfte in internationalen Friedensmissionen noch nicht in der Art und
Weise wahrgenommen werden, wie sie der wichtigen Aufgabe entsprechen
würden. Bund und Länder sind aufgefordert, entsprechende Initiativen zu er-
greifen.

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8. Damit Deutschland den internationalen Verpflichtungen zur Entsendung von
Polizeikräften gerecht werden kann, gilt es vor allem, die strukturellen
Hürden zu beseitigen. Angesichts zurückgehender Personalzahlen bei der
Landes- wie auch der Bundespolizei ist eine breite Unterstützung für die Be-
teiligung deutscher Polizistinnen und Polizisten an internationalen Friedens-
missionen nicht mehr selbstverständlich. Dies ist insbesondere auch deshalb
der Fall, weil im Bund wie in den Ländern keine konkreten Dienstposten für
Auslandseinsätze in substantiellem Umfang vorgesehen sind. Einzige Aus-
nahme wäre hier nur die im Rahmen der Reform der Bundespolizei vorgese-
hene Schaffung zweier Internationaler Einsatzeinheiten (IEE) gewesen, bei
deren Einrichtung die Bundesregierung jedoch vollständig versagt hat. So
sollte laut Bundesregierung mindestens eine dieser beiden Einheiten bis Ende
2010 aufgestellt werden. Bis Ende Januar 2011 konnten jedoch lediglich 58
der vorgesehenen 119 Stellen besetzt werden. Die Einrichtung einer zweiten
Einheit ist ebenso verschoben worden wie die qualitative Erarbeitung eines
tragfähigen Einsatzkonzeptes. Die Bundesregierung ist aufgefordert, dem
Deutschen Bundestag ein derartiges Konzept zügig vorzulegen.

9. Solange für Auslandsverwendungen weiterhin keine eigenständigen Res-
sourcen in ausreichendem Umfang zusätzlich bereitgestellt werden, stellen
sie eine Zusatzbelastung dar, die nicht beliebig ausgeweitet werden kann.
Hier ist vor allem die Bundesregierung gefordert, auf die Bundesländer zuzu-
gehen und geeignete finanzielle wie organisatorische Strukturen zur Siche-
rung eines ausreichenden Personalpools für internationale Polizeieinsätze zu
schaffen. Beispiele aus skandinavischen Ländern, in denen ein fester Pro-
zentsatz des Polizeibudgets grundsätzlich für Auslandseinsätze bereitgestellt
wird, könnten ein Modell darstellen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. durch eine umfassende Bund-/Länder-Vereinbarung die rechtlichen, organi-
satorischen und finanziellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die
Bundesrepublik Deutschland ihren internationalen Verpflichtungen sowie
den an sie gestellten Erwartungen beim Einsatz von Polizistinnen und Poli-
zisten in internationalen Friedensmissionen gerecht werden kann. Wesent-
liche Bestandteile einer solchen Bund-/Länder-Vereinbarung müssen sein:

a) die Bereitstellung ausreichender finanzieller Mittel durch den Bund in sei-
ner Verantwortung für die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik
Deutschland;

b) die Schaffung von virtuellen Planstellen bzw. einem Personalpool auf
Bundesebene, der nicht an konkrete Personen gebunden ist und somit
einen personellen Ersatz für Polizeikräfte in einer Auslandsverwendung
im Inland absichert;

c) die Schaffung von geeigneten Anreiz- und Anerkennungsstrukturen, die
über monetäre Anreize hinausgehen und die Lebenswirklichkeit der Poli-
zistinnen und Polizisten stärker berücksichtigen sowie verlässliche An-
schlussverwendungen und Karriereperspektiven ermöglichen;

d) die Absicherung der finanziellen Zusatzbelastungen der Polizeikräfte in
einer Auslandsverwendung sowie die Etablierung wirkungsvoller Hilfe-
und Unterstützungsinstrumente bei auslandsbedingten Dienstunfällen und
langwierigen physischen wie psychischen Gesundheitsbelastungen;

Drucksache 17/8603 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

e) eine konkrete Aufgabenverteilung und eine damit einhergehende Perso-
nalentwicklungsplanung hinsichtlich der Bundespolizei, des Bundeskri-
minalamts und der Länderpolizeien für den Einsatz deutscher Polizei-
kräfte in internationalen Friedensmissionen, die insbesondere auch die
Entsendung von Spezialisten aus unterschiedlichen Bereichen der Polizei-
arbeit ermöglicht;

f) die Entwicklung von Ausbildungsformaten und -inhalten, um Aspekte der
Auslandsverwendung bereits von Beginn an in die Ausbildung von Poli-
zistinnen und Polizisten auf allen Ebenen zu integrieren; hierzu zählt z. B.
die Sprachausbildung;

g) die Sicherstellung einer geeigneten und auf die jeweiligen Anforderungen
der Auslandseinsätze abgestimmten Ausrüstung der eingesetzten Polizei-
kräfte, wobei der Bund hier eine besondere finanzielle Verantwortung
übernehmen muss;

2. Vorschläge für die Weiterentwicklung der rechtlichen Rahmenbedingungen
zum Einsatz deutscher Polizeikräfte im Ausland zu entwickeln, damit diese
den sich verändernden Anforderungen an solche Einsätze besser gerecht wer-
den;

3. Vorschläge für eine Weiterentwicklung des Dienstrechtes zu entwickeln, das
in Auslandseinsätzen gesammelte Erfahrungen auf allen Ebenen des Polizei-
dienstes Rechnung trägt und z. B. einen Einsatz im Ausland bei Beförderun-
gen in besonderer Weise berücksichtigt;

4. gemeinsam mit den Bundesländern zusätzliche Anreize zu schaffen, um
Fachkräfte auch aus anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes (Justiz,
Verwaltung etc.) zu bestärken, für begrenzte Zeit an internationalen Friedens-
missionen im Ausland teilzunehmen;

5. in Abstimmung mit den Bundesländern ein nationales Führungszentrum für
deutsche Polizeikräfte in internationalen Friedensmissionen einzurichten, das
vor allem für die Koordinierung und Betreuung von Beamten in Auslandsein-
sätzen sowie die grundsätzliche Personalplanung zuständig ist;

6. zeitnah eine Strategie zur verbesserten Umsetzung der im Rahmen der
Reform der Bundespolizei geplanten Einrichtung von zwei Internationalen
Einsatzeinheiten (IEE) zu erarbeiten und damit verbunden ein Einsatzkon-
zept vorzulegen, das den Anforderungen an den Einsatz von Polizeikräften in
internationalen Friedensmissionen gerecht wird;

7. in Abstimmung mit dem Deutschen Bundestag eine umfassende Grundlage
zur besseren Einbindung des Parlamentes bei der Entsendung von deutschen
Polizistinnen und Polizisten in internationale Friedensmissionen zu erarbei-
ten, die vor allem eine zeitnahe und umfassende Unterrichtung gewährleistet;

8. durch eine konsequente und kohärente Personalpolitik in internationalen Or-
ganisationen dazu beizutragen, dass deutsche Experten bereits frühzeitig in
Planung und Durchführung internationaler Polizeimissionen eingebunden
sind;

9. geeignete Konzepte zu entwickeln, um das deutsche Engagement in interna-
tionalen Polizeimissionen in der Öffentlichkeit wahrnehmbarer zu machen,
und die gesellschaftliche Anerkennung zu stärken;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/8603

10. sich im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen, der Euro-
päischen Union, der OSZE u. a. internationaler Organisationen dafür einzu-
setzen, dass sich Mandate für internationale Polizeimissionen auf konkrete
sowie erreichbare Zielvorgaben und Aufgabenbereiche konzentrieren und
Transparenz mit Blick auf Aufgaben und Zielsetzungen ermöglichen, die
vom Grundsatz her langfristig bestehen bleiben sollten.

Berlin, den 8. Februar 2012

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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