BT-Drucksache 17/8398

Unterstützung des Simon-Wiesenthal-Zentrums bei der Operation Last Chance II

Vom 19. Januar 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8398
17. Wahlperiode 19. 01. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Dr. Lukrezia Jochimsen,
Jens Petermann, Frank Tempel, Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Unterstützung des Simon-Wiesenthal-Zentrums bei der Operation Last Chance II

Auf einer Pressekonferenz in Berlin stellte der Direktor des Jerusalemer Simon-
Wiesenthal-Zentrums, Efraim Zuroff, am 14. Dezember 2011 die Operation
Last Chance II vor. Es handelt sich dabei um den wahrscheinlich letzten Ver-
such, noch lebender Naziverbrecher habhaft zu werden.

Den Anlass dafür bietet das Urteil des Münchner Landgerichts im Prozess
gegen den ukrainischen „Hilfswilligen“ John Demjanjuk, der im Mai 2011 zu
fünf Jahren Haft verurteilt wurde. Er hatte unter anderem als Aufseher im
KZ Sobibór gedient. Das Gericht befand ihn der Beihilfe zum Mord an
28 060 Menschen für schuldig. Das Urteil basierte nicht auf einem „Einzel-
nachweis“, welche KZ-Häftlinge mit Demjanjuks konkreter Beihilfe ermordet
worden waren, sondern stellte auf dessen Zugehörigkeit zur Wachmannschaft
ab. „Jeder Angehörige des Personals war an dem routinemäßigen Vernichtungs-
vorgang beteiligt“, heißt es in der Urteilsbegründung (DER SPIEGEL, 12. Mai
2011).

Durch diese Entscheidung habe sich die juristische Situation völlig verändert,
so Efraim Zuroff auf der Pressekonferenz. Nun seien Verurteilungen all jener
Personen möglich, die in Wachmannschaften von Vernichtungslagern Dienst
getan hätten. Zeugenaussagen oder andere Beweismittel seien nicht mehr
unverzichtbar. Das gleiche gelte für die Angehörigen der Einsatzgruppen, die in
den besetzten Gebieten die jüdische Bevölkerung zu Hunderttausenden um-
brachten. Efraim Zuroff bezifferte die Zahl der fraglichen Mannschaftsangehö-
rigen auf rund 4 000 (junge Welt, 16. Dezember 2011). Der Leiter der Lud-
wigsburger Zentralstelle, Kurt Schrimm, kündigte unter Hinweis auf das Dem-
janjuk-Urteil in einem undatierten Interview (www.vice.com/de/read/genozid-
verjahrt-nie-0000061-v7n12) an, „die Vernichtungslager nochmals durchzuse-
hen“.

Das größte verbleibende Hindernis für eine Strafverfolgung ist nun, zu ermit-
teln, welche Personen in diesen Mordkommandos gedient haben, welche davon
noch leben und wo sich die Überlebenden aufhalten.

Für diese Fragen kann eine Durchsicht der Versorgungsfälle nach dem Bundes-
versorgungsgesetz (BVG) hilfreich sein. Es liegt auf der Hand, dass das Simon-

Wiesenthal-Zentrum mit seinem wenigen Personal diese Aufgabe nicht bewäl-
tigen kann. Nach Auffassung der Fragesteller sind Bund und Länder gefordert,
die Operation Last Chance II zu unterstützen. Dies sollte unbeschadet der von
John Demjanjuk eingelegten Revision geschehen, da nicht abzusehen ist, bis
wann diese entschieden sein wird, und die zur Verfügung stehende Zeit für eine
Strafverfolgung angesichts des hohen Alters der Betroffenen knapp bemessen
ist.

Drucksache 17/8398 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Wir fragen die Bundesregierung:

1. Was unternimmt die Bundesregierung, um die Operation Last Chance II zu
unterstützen, und welche konkreten Anstrengungen hat sie bereits eingelei-
tet bzw. beabsichtigt sie einzuleiten?

2. Inwiefern steht sie diesbezüglich in Kontakt mit den Ländern, und beabsich-
tigt sie, mit diesen Regelungen über eine gemeinsame Unterstützung der
Operation Last Chance II zu vereinbaren (bitte ggf. präzisieren)?

3. Ist die Zahl von rund 4 000 Personen, die in den Wachmannschaften von
Vernichtungslagern sowie Einsatzgruppen gedient haben, nach Kenntnis der
Bundesregierung plausibel (bitte ggf. anderen Wert angeben)?

4. Enthalten die im Rahmen des BVG angelegten Versorgungsakten Hinweise
auf Zugehörigkeit zu Wachmannschaften bzw. Einsatzgruppen, und wenn ja,
welchen zeitlichen Aufwand würde es nach Einschätzung der Bundesregie-
rung erfordern, aus dem Aktenbestand all jene Personen herauszufiltern, die
diesen Mordkommandos angehört haben?

5. Aus welchen weiteren Aktenbeständen können sich Hinweise auf eine
Tätigkeit in Einsatzgruppen und Wachmannschaften von Vernichtungs-
lagern ergeben, sowohl von Personen mit deutscher Staatsbürgerschaft als
auch ausländischen „Hilfswilligen“?

6. Ist die Bundesregierung bereit, die relevanten Akten daraufhin untersuchen
zu lassen, welche Personen in Einsatzgruppen sowie Vernichtungslagern ge-
dient haben, und etwaige Unterlagen (Namenslisten, Dienststellen usw.) den
zuständigen Staatsanwaltschaften zur weiteren Ermittlung zu überlassen,
und wenn nein, warum nicht?

a) Hat die Bundesregierung gegenüber den Ländern signalisiert, dass sie
eine solche Untersuchung für unbedingt sinnvoll hält, weil sich Naziver-
brecher nicht ihrer Bestrafung entziehen können sollen, und wie haben
die Länder ggf. darauf reagiert?

b) Falls die Bundesregierung eine solche Untersuchung nicht selbst durch-
führen will: Ist sie bereit, eine solche Untersuchung durch Dritte zu
finanzieren, und wenn nein, warum nicht?

c) Ist die Bundesregierung ggf. bereit, der Ludwigsburger Zentralen Stelle
der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer
Verbrechen durch Aufstockung ihrer Finanzmittel und Dienststellen eine
solche Untersuchung zu ermöglichen bzw. gemeinsam mit den Ländern
nach einer solchen Möglichkeit zu suchen, und wenn nein, warum nicht?

d) Welche Schritte zu den vorangestellten Unterfragen sind ggf. bereits ein-
geleitet worden?

7. Ist die Bundesregierung, hinsichtlich der Operation Last Chance II, an das
Simon-Wiesenthal-Zentrum herangetreten, um dort den Bedarf an etwaiger
Unterstützung zu eruieren oder konkrete Unterstützungsangebote zu machen,
und wenn nein, warum nicht?

Ist das Simon-Wiesenthal-Zentrum seinerseits mit der Bitte um Unterstüt-
zung an die Bundesregierung herangetreten, und wenn ja, welcher Unterstüt-
zungsbedarf wurde dabei zur Kenntnis gebracht, und inwieweit will die
Bundesregierung diesem entsprechen?

Berlin, den 19. Januar 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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