BT-Drucksache 17/8376

Nach 40 Jahren - Berufsverbote aufheben und Opfer rehabilitieren

Vom 18. Januar 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8376
17. Wahlperiode 18. 01. 2012

Antrag
der Abgeordneten Jan Korte, Wolfgang Gehrcke, Agnes Alpers, Nicole Gohlke,
Ulla Jelpke, Dr. Lukrezia Jochimsen, Petra Pau, Jens Petermann, Raju Sharma,
Dr. Petra Sitte, Frank Tempel, Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Nach 40 Jahren – Berufsverbote aufheben und Opfer rehabilitieren

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Vor 40 Jahren, am 28. Januar 1972, beschlossen die Regierungschefs der Län-
der in einer Besprechung mit dem damaligen Bundeskanzler Willy Brandt auf
Vorschlag der Innenministerkonferenz den sog. Radikalenerlass.

Die Folgen dieses Erlasses haben der Demokratie Schaden zugefügt.

– 3,5 Millionen Bewerberinnen und Bewerber für den öffentlichen Dienst
wurden aufgrund der sogenannten Regelanfrage an den Verfassungsschutz
auf ihre politische Zuverlässigkeit überprüft.

– Dies führte zu 11 000 offiziellen Berufsverbotsverfahren, 2 200 Disziplinar-
verfahren, 1 256 Ablehnungen von Bewerbungen und 265 Entlassungen aus
dem öffentlichen Dienst.

– Politisch missliebige Organisationen und Personen wurden an den Rand der
Legalität gerückt, die Ausübung von Grundrechten, wie der Meinungs- und
Organisationsfreiheit, wurde bedroht. Duckmäusertum statt Zivilcourage
wurde gefördert.

Jahre später erst räumte Willy Brandt ein, sich schwerwiegend geirrt zu haben,
die Regelanfrage und die Erlasse auf Länderebene wurden weitestgehend ab-
geschafft. Seit 2006 gilt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das
eine Diskriminierung wegen politischer Überzeugungen verbietet.

Trotz der Verurteilung der Berufsverbotspraxis durch den Europäischen Ge-
richtshof wurde nie öffentlich eingestanden, dass der Radikalenerlass Unrecht
war, weder wurden die von der Praxis des Radikalenerlasses Betroffenen reha-
bilitiert noch wurde ihnen Schadenersatz für das erlittene Unrecht geleistet.

Der Radikalenerlass war auch Resultat des staatlich gepflegten und bürokra-
tisch verordneten Irrglaubens, kritische Bürgerinnen und Bürger mit dem Mittel
des Radikalismus- oder Extremismusverdachts gängeln und ausgrenzen zu

können, ohne die Demokratie zu schädigen. Berufsverbote – egal ob rechtlich
legitimiert oder ohne rechtliche Grundlage in der Praxis angewandt oder poli-
tisch motiviert – sind immer zu verurteilen und deren Opfer zu rehabilitieren.

Der Deutsche Bundestag bittet daher all jene Bürgerinnen und Bürger, denen
im Zeichen des so genannten Radikalenerlasses Unrecht geschehen ist, um Ent-
schuldigung.

Drucksache 17/8376 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. in Zusammenarbeit mit den Bundesländern

– alle erforderlichen Maßnahmen zur Rehabilitierung der Betroffenen ein-
zuleiten,

– dafür einzutreten, dass Verfassungsschutzakten, die auf dem Radikalen-
erlass beruhen, den Verfassungsschutzbehörden entzogen, vollständig im
Bundesarchiv erschlossen und den Betroffenen und der Wissenschaft zu-
gänglich gemacht werden und dass gesetzliche Regelungen zur materiel-
len Entschädigung der Betroffenen geschaffen werden;

2. die mit der Bewilligung von Mitteln aus den Programmen gegen Rechts-
extremismus verbundene Extremismusklausel ersatzlos zu streichen.

Berlin, den 18. Januar 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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