BT-Drucksache 17/8325

Stuttgart 21 - Richtlinienkonformität des Stresstests und fraglicher Rückbau von Bahn-Infrastruktur

Vom 11. Januar 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8325
17. Wahlperiode 11. 01. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Karin Binder, Thomas Lutze,
Ulrich Maurer, Michael Schlecht, Sabine Stüber, Dr. Kirsten Tackmann und der
Fraktion DIE LINKE.

Stuttgart 21 – Richtlinienkonformität des Stresstests und fraglicher Rückbau von
Bahn-Infrastruktur

Seit der ersten Vorstellung des Projekts Stuttgart 21 wird dieses damit begrün-
det, dass mit ihm die Kapazität des Hauptbahnhofs in Stuttgart erheblich gestei-
gert werde. Der Bahnchef Dr. Rüdiger Grube beispielsweise begründete in
einem Brief vom 10. Februar 2010 an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
der Deutschen Bahn AG (DB AG) Stuttgart 21 damit, dass damit ein „Nadelöhr
auf einer der wichtigsten Ost-West-Achsen Europa beseitigt“ werde. Als am
27. November 2011 die Bevölkerung von Baden-Württemberg über den Landes-
anteil an der Finanzierung von Stuttgart 21 abstimmte, ging der Großteil der
Wahlberechtigten von einer größeren Leistungsfähigkeit des Tiefbahnhofs im
Vergleich zum bestehenden Kopfbahnhof aus. Die zukunftssichere Leistungs-
fähigkeit des neuen Tiefbahnhofs schien insbesondere durch den sogenannten
Stresstest zu Stuttgart 21 belegt. Dieser wurde im Sommer 2011 von der DB AG
durchgeführt, durch das in Zürich ansässige Unternehmen SMA und Partner AG
begutachtet und mit seinen Ergebnissen am 29. Juli 2011 öffentlich im Stuttgar-
ter Rathaus vorgestellt und zur Diskussion gestellt.

Die auf dem Faktencheck-Portal WikiReal dokumentierten Analysen von
Dr. Christoph Engelhardt, der als Experte an der Präsentation der Stresstest-Er-
gebnisse am 29. Juli 2011 beteiligt war, belegen jedoch zahlreiche Verstöße gegen
die Richtlinie 405 „Fahrwegkapazität“ der DB AG, die diese als Grundlage der
Simulation angegeben hatte (www.wikireal.org/wiki/Stuttgart_21/Stresstest).
Dadurch bestehen reale Zweifel an der Gültigkeit des Nachweises, dass die dar-
gestellte Leistungsfähigkeit und damit der Nutzen des Projekts überhaupt oder in
der behaupteten Höhe realistisch erwartet werden kann.

Die unterstellten Fehler in der Durchführung des Stresstests hätten durchgehend
leistungssteigernde Wirkung und damit maßgeblichen Anteil daran, dass in der
Simulation die geforderte Leistungsfähigkeit von 49 Zügen in der Spitzenstunde
bei einer vermeintlich wirtschaftlich optimalen Betriebsqualität erreicht wurde.
Die Abschätzung der notwendigen Korrekturen für eine regelgerechte und reali-
tätsnahe Abbildung des Bahnverkehrs führen laut WikiReal zu einer Leistungs-

fähigkeit von lediglich 32 bis 38 Zügen in der Spitzenstunde, nahe an früheren
Plausibilitätsabschätzungen von 32 Zügen (siehe C. M. Engelhardt, „Stuttgart
21: Leistung von Durchgangs- und Kopfbahnhöfen“, Eisenbahn- Revue Inter-
national 6/2011, S. 306 bis 309). Zum Vergleich: Der mit ebenfalls acht Bahn-
steiggleisen für den Regional- und Fernverkehr geplante neue Wiener Haupt-
bahnhof ist auf lediglich rund 30 Züge in der Spitzenstunde ausgelegt.

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Dies würde bedeuten, dass angesichts einer zuletzt offiziell bestätigten Kapazi-
tät des heutigen Stuttgarter Kopfbahnhofs von 50 Zügen pro Stunde (22. No-
vember 2011, Verkehrsministerium Baden-Württemberg/NVBW) der Stuttgart-
21-Neubau eine „mehr als geringfügige Verringerung der Kapazität“ des Bahn-
hofs mit sich bringen würde. Damit wäre dieser Rückbau der Bahninfrastruktur
nach § 11 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) vom Eisenbahn-Bundes-
amt (EBA) zu genehmigen und im Bundesanzeiger zu veröffentlichen. Der
Kopfbahnhof müsste vor einer Stilllegung Dritten zur Nutzung angeboten wer-
den. Ein Abriss wesentlicher Teile dieser Infrastruktur wäre erst möglich, wenn
kein Interesse der Weiternutzung besteht. Ein solches Interesse ist jedoch bereits
von der Stuttgarter Netz AG angemeldet worden. Die Vorwürfe von WikiReal
wurden teilweise am 17. November 2011 in der „Stuttgarter Zeitung“ und aus-
führlich in einer Pressekonferenz am 18. November 2011 veröffentlicht. Sie
sind auf WikiReal.org in großer Detailtiefe dokumentiert. Die DB AG sprach in
der Folge von einem „durchsichtigen und billigen Wahlkampfmanöver“, die
Kritik „entbehre jeder Grundlage“. Das Fernsehmagazin „Frontal 21“ berichtete
am 22. November 2011 über die Analyse von WikiReal (frontal21.zdf.de). Einer
der angesehensten deutschsprachigen Verkehrswissenschaftler, Prof. Hermann
Knoflacher aus Wien, bestätigte die Vorwürfe und sprach davon, dass offenbar
„getrickst“ wurde. Er urteilt: „Was man als Stresstest bezeichnet, war kein
Stresstest.“ Man dürfe Stuttgart 21 „auf keinen Fall bauen“, das Projekt sei
„höchstens suboptimal“ im Verhältnis zum bestehenden Kopfbahnhof. Der
Bahnchef Dr. Rüdiger Grube hingegen sah in den Vorwürfen eine „Verschwö-
rungstheorie“. In einer Stellungnahme gegenüber der „Stuttgarter Zeitung“ vom
17. November 2011 räumt die DB AG laut WikiReal in der Hälfte der Kritik-
punkte Richtlinienverstöße ein und vermag in den anderen Fällen, die Kritik
nicht zu entkräften.

Der Analyse von WikiReal folgend, hat der Auditor SMA und Partner AG
offenbar zahlreiche Fehler in der Stresstest-Simulation übersehen oder nicht
konsequent bewertet (u. a. wurde auch die mathematische Unmöglichkeit einer
Verteilung von Verspätungen mit einem Mittelwert von 5 Minuten und Maxi-
malwerten von 3 Minuten testiert). Das EBA erklärte sich für nicht zuständig:
„Die Anwendung der Richtlinie sei Sache der Bahn“ (Stuttgarter Zeitung,
21. November 2011), die den Stresstest in „eigener Verantwortung konzipierte
und durchführte“ (Antwort des EBA vom 28. November 2011 auf die Anfrage
von Heiko Frischmann).

Mehrfache Anfragen von WikiReal bei der DB AG, bei SMA und Partner AG
und bei dem Schlichter Dr. Heiner Geißler zu dem Thema blieben bislang unbe-
antwortet.

Am 9. Dezember 2011 reichte die Fraktion DIE LINKE. zwei Schriftliche Fra-
gen an die Bundesregierung ein (Frage 70 und 71 auf Bundestagsdrucksache
17/8206). Die Antwort des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadt-
entwicklung (BMVBS) vom 15. Dezember 2011 geht offenkundig nicht auf die
Schriftliche Frage 70, welche Stelle die von WikiReal erhobenen Vorwürfe über-
prüfen sollte, ein.

Auf die Schriftliche Frage 71, wie die Bundesregierung auf den begründeten
Verdacht reagiert, dass Stuttgart 21 einen genehmigungspflichtigen Rückbau
der Bahninfrastruktur bedeutet, hieß es, der Frage könne nach Fertigstellung
von Stuttgart 21 nachgegangen werden, bevor die Kopfbahnhofgleise ganz ab-
gerissen werden:

„Sollten sich im Zusammenhang mit dem Projekt „Stuttgart 21“ Sachverhalte
ergeben, die ein Verfahren nach § 11 AEG erfordern, ist es ausreichend, dieses
zeitnah zur Außerbetriebnahme des bisherigen Bahnhofes und seiner Zulauf-

strecken zu führen.“

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8325

Aus dieser Antwort, die im Übrigen im Wortlaut fast identisch ist mit der
Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE
LINKE. vom 19. Oktober 2010 zu den Fragen 5 und 6 auf Bundestagsdruck-
sache 17/3333, geht aber auch hervor, dass die Bundesregierung anscheinend
noch keine endgültige Position zu der Frage hat, ob sie ein solches Still-
legungsverfahren für nötig hält oder nicht.

Auf eine für die Fragestunde des Deutschen Bundestages am 30. November
2011 eingereichte Frage zu den Plänen der Stuttgarter Netz AG, nach der Aus-
schreibung der oberirdischen Bahnanlagen diese zu kaufen und dann an private
Bahnanbieter vermieten zu wollen, antwortete die Bundesregierung u. a.
(Plenarprotokoll 17/145, Anlage 47):

„Der Tiefbahnhof wird unter Weiterbetrieb des jetzigen, zu diesem Zweck
modifizierten Kopfbahnhofs gebaut. Somit wäre auch die Absicht der Stuttgar-
ter Netz AG, wenn sie diese denn tatsächlich realisieren kann, kein Hindernis
für den Betrieb des Tiefbahnhofs.“

Für das Projekt Stuttgart 21 ergab sich schon in 2010 lediglich ein „ausge-
glichener Kapitalwert für die DB AG“ (Bundestagsdrucksache 17/4008). Ein
Rückbau der Bahnhofskapazität im befürchteten Ausmaß reduziert den Nutzen
des Projekts erheblich, ein ggf. notwendiger Rückkauf oder die Anmietung von
Grundstücken für den Weiterbetrieb von Teilen der Kopfbahnhofinfrastruktur
würde die betriebswirtschaftliche Bilanz des Projekts erheblich belasten.

Angesichts des bislang nicht widerlegten Verdachts, dass mit dem Nadelöhr
Stuttgart 21 eine dauerhafte Kapazitätsreduzierung der Bahninfrastruktur ent-
steht, droht durch reduzierten Projektnutzen und mit Belastungen aus dem Wei-
terbetrieb von Teilen des Kopfbahnhofs nicht nur ein wirtschaftlicher Schaden
für die DB AG, sondern über den mangelnden Nutzen-Kosten-Vorteil auch für
die Volkswirtschaft.

Das Audit der Schweizer Firma SMA und Partner AG zum Stresstest ist aus
Sicht von WikiReal mangelhaft, das EBA erklärt sich bezüglich einer Überprü-
fung für nicht zuständig und die Bundesregierung beantwortete die Frage nach
einer unabhängigen Begutachtung der aufgedeckten Mängel im Leistungsnach-
weis durch den Stresstest zu Stuttgart 21 nicht inhaltlich. Damit besteht die Er-
wartung, dass die Bundesregierung selbst inhaltlich Stellung bezieht.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass Stuttgart 21 eine Kapazitäts-
verringerung im Sinne des § 11 AEG bewirken wird?

Wenn ja, warum?

2. Geht die Bundesregierung davon aus, dass die DB AG einen Antrag auf
Stilllegung der bisherigen Infrastruktur nach § 11 Absatz 1 AEG stellen
wird (bitte mit Begründung)?

3. Welches Verfahren ist für solche Fälle vorgesehen, in denen es zwischen
Eisenbahninfrastrukturunternehmen und Aufsichtsbehörde unterschiedliche
Auffassungen darüber gibt, ob ein Verfahren nach § 11 Absatz 1 AEG
durchzuführen ist?

4. Wie bewertet es die Bundesregierung, dass die Stuttgarter Netz AG das EBA
aufgefordert hat, gegen die von der DB AG angekündigte Stilllegung des
Kopfbahnhofes und seiner Zulaufstrecken, ohne das gesetzlich vorgeschrie-
bene Verfahren nach § 11 Absatz 1 AEG tätig zu werden, und für den Fall
eines ablehnenden Bescheids eine Klage zur Feststellung der Pflicht zur

Durchführung eines Stilllegungsverfahrens im Rahmen des § 11 Absatz 1
AEG angekündigt hat?

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5. Welche „Sachverhalte“ im Sinne ihrer Antwort auf die Schriftlichen Fragen
70 und 71 vom 15. Dezember 2011 auf Bundestagsdrucksache 17/8206
kommen aus Sicht der Bundesregierung in Frage, die ein Verfahren nach
§ 11 Absatz 1 AEG erfordern würden (bitte abschließend aufzählen)?

6. Verlässt sich die Bundesregierung bei der Bewertung der in Frage 5 ge-
nannten „Sachverhalte“ ausschließlich auf die Angaben der DB AG?

7. Welche Bewertungen, Untersuchungen oder Ähnliches zur Klärung der in
Frage 5 genannten „Sachverhalte“ wird die Bundesregierung dafür entwe-
der selber durchführen oder in Auftrag geben?

8. Wird die Bundesregierung für die Bestimmung und Bewertung der in
Frage 5 genannten „Sachverhalte“ die Ergebnisse des sog. Stresstests zu
Stuttgart 21 berücksichtigen (bitte mit Begründung)?

9. Welchen Zeitraum vor der geplanten Außerbetriebnahme des Kopfbahnhofs
in Stuttgart betrachtet die Bundesregierung als „zeitnah“ im Sinne ihrer
Antwort auf die Schriftlichen Fragen 70 und 71 vom 15. Dezember 2011 auf
Bundestagsdrucksache 17/8206?

10. Wie lange dauert durchschnittlich ein Verfahren nach § 11 AEG oder, wenn
die Bundesregierung dies nicht angeben kann, wie lange dauerten jeweils
das schnellste und das langsamste Verfahren nach § 11 AEG?

11. Bis wann wird sich die Bundesregierung definitiv entscheiden, ob sie im
Rahmen von Stuttgart 21 die DB Netz AG dazu verpflichten wird, ein Ver-
fahren nach § 11 Absatz 1 AEG durchzuführen?

12. Sieht die Bundesregierung es vor dem Hintergrund ihrer Antwort vom
30. November 2011 (Plenarprotokoll 17/145, Anlage 47) als möglich an,
dass die Stuttgarter Netz AG mit ihrem Begehren, zumindest einen Teil des
Kopfbahnhofs und der Zulaufstrecken zu erhalten, Erfolg haben könnte
(bitte mit Begründung)?

13. Schließt die Bundesregierung, vor dem Hintergrund ihrer Antwort vom
30. November 2011 (Plenarprotokoll 17/145, Anlage 47), nicht aus, dass es
bei einem entsprechenden realen Bedarf auch nach Inbetriebnahme von
Stuttgart 21 einen (ggfs. modifizierten) oberirdischen Kopfbahnhof geben
kann?

14. Wie gedenkt die Bundesregierung angesichts des engen Zeitrahmens – die
DB AG kündigte an, ab Dreikönig 2012 (6. Januar 2012) mit weiteren ent-
scheidenden Baumaßnahmen für Stuttgart 21 zu beginnen – wirksam den
von WikiReal vorgebrachten Bedenken zu begegnen?

15. Hält die Bundesregierung eine Überprüfung der von WikiReal erhobenen
Vorwürfe zur Manipulation des Stresstests für geboten (bitte mit Begrün-
dung)?

16. Welche Stelle wird eine unabhängige Überprüfung der von WikiReal erho-
benen Vorwürfe vornehmen, die auch Zweifel an der Auditierung durch die
SMA und Partner AG beinhalten, und dies vor dem Hintergrund, dass sich
das EBA für nicht zuständig erklärte?

17. Wie wird die Bundesregierung als Vertreterin der Eigentümerin der DB AG
sicherstellen, dass die Verantwortlichen zu den erheblichen Vorwürfen sub-
stantiell Stellung beziehen, nachdem die erste Stellungnahme der DB AG
laut Dr. Christoph Engelhardt (Stuttgarter Zeitung, 24. November 2011)
nicht vermag, die Kritikpunkte auszuräumen, und seine Entgegnung vom
21. November 2011 bis heute nicht entkräftet wurde, bevor mit dem Abriss
von Bahnhofsteilen unwiederbringlicher Schaden angerichtet wird?

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18. Wie schätzt die Bundesregierung den möglichen Schaden für die demokra-
tische Kultur ein, wenn Beteiligte an dem ersten „Demokratie-Experi-
ment“ einer Faktenschlichtung mit dem Eindruck zurückgelassen werden,
in dem Prozess wäre die Öffentlichkeit getäuscht worden (siehe den Auf-
ruf von Teilnehmern und Experten von Faktenschlichtung und Stresstest-
Präsentation zur Aufklärung der Vorwürfe vom 14. Dezember 2011 auf
www.wikireal.org), wenn der Bau des Bahnhofs fortgesetzt wird, solange
der dringende Verdacht eines regelwidrigen Nutzennachweises besteht?

19. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass nicht durch einen geringeren als
den geplanten Nutzen wirtschaftlicher Schaden für die DB AG und für den
Steuerzahler entsteht, angesichts dessen, dass der geplante Leistungszu-
wachs wahrscheinlich nicht erreichbar ist und möglicherweise Grundstücke
für den Weiterbetrieb von Teilen der Kopfbahnhofinfrastruktur zurückge-
kauft oder gepachtet werden müssen, und sich für das Projekt schon im Jahr
2010 nur ein „ausgeglichener Kapitalwert für die DB AG“ ergab (Bundes-
tagsdrucksache 17/4008)?

20. Wie bewertet die Bundesregierung den Schaden für die Volkswirtschaft
und für die DB AG, der entsteht, wenn ausstehende Planfeststellungsver-
fahren für die Anbindung von Stuttgart 21 scheitern, da die Fehler im Nut-
zennachweis geltend gemacht werden, so dass die Planrechtfertigung ent-
fällt und ein Projektabbruch zu den je nach Projektfortschritt höheren Kos-
ten und mit unwiederbringlichen Schäden etwa am Stuttgarter Schlosspark
und dem denkmalgeschützten Bonatz-Bau die Folge wären?

21. Wie bewertet die Bundesregierung fachlich die Darstellung der DB AG in
der Abschlussdokumentation des Stresstests, dass für neue Infrastrukturen
eine „wirtschaftlich optimale“ Betriebsqualität angestrebt wird, für die bis
zu eine Minute Verspätungsaufbau zulässig sei?

22. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass ein Planungsziel, das bis zu
einer Minute Verspätungsaufbau zulässt, auf den gesamten Bahnverkehr
angewandt, einen reibungslosen und pünktlichen Bahnverkehr in Deutsch-
land unmöglich machen würde (bitte mit Begründung)?

23. Wie bewertet die Bundesregierung fachlich das – nach Auffassung von
WikiReal regelwidrige und über die tatsächlich mangelhafte Qualität einzel-
ner Strecken hinwegtäuschende – Vorgehen der DB AG in der öffentlichen
Darstellung der Stresstest-Ergebnisse, dass diese willkürlich einzelne
Strecken nur so weit auswertete, wie noch eine „optimale“ Betriebsqualität
erreicht wurde, hingegen die gleichen Strecken in der Gegenrichtung ganz
anders auswertete, so dass diese „Premium“ erreichten?

24. Wie bewertet die Bundesregierung fachlich die Abweichung von einer rea-
listischen Lastkurve im Stresstest – laut WikiReal fehlen 24 Züge im Vor-
und im Nachlauf der Spitzenstunde, was sich stark lastmindernd auswirkt,
da die Betriebsqualität entgegen der Aufgabenstellung im Schlichterspruch
statt zur Spitzenstunde im Mittel der Stunden von 6 bis 10 Uhr bestimmt
wird – angesichts der Forderung der Richtlinie nach realitätsnaher Simula-
tion und der Notwendigkeit, die Funktionsfähigkeit des zukünftigen Stutt-
garter Bahnknotens unter praxisnahen Bedingungen nachzuweisen?

25. Wie bewertet die Bundesregierung fachlich das Fehlen anderer über die
Verspätungsveränderung hinaus vorgeschriebener Kenngrößen, die von der
Richtlinie für jede Simulation verlangt werden und wesentlich für die Iden-
tifikation von Engpässen im Bahnknoten sind, in der Ergebnisdarstellung
des Stresstests?

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26. Wie bewertet die Bundesregierung den Vorwurf, dass die DB AG in die
Simulation eingegriffen habe, unter Verfälschung der offiziell genannten
und von der Richtlinie vorgeschriebenen Werte mittels eines versteckten
Parameters die Spitzenwerte der simulierten Verspätungen zu kappen, ohne
dies zu veröffentlichen, und so den Teil der Verspätungen zu unterschlagen,
der Stress und Störungen abbilden sollte?

27. Wie bewertet die Bundesregierung fachlich die Annahme von Pünktlich-
keitsgraden von rund 95 Prozent im Fernverkehr und bei S-Bahnen in der
Simulation angesichts dessen, dass die zuletzt von der DB AG und des Ver-
bands Region Stuttgart – Körperschaft des öffentlichen Rechts Stuttgart
veröffentlichten entsprechenden Werte nur etwa bei 84 Prozent liegen, und
sieht die Bundesregierung diese Annahmen als eine realitätsnahe Abbil-
dung des Verkehrs an?

28. Wie bewertet die Bundesregierung fachlich die Stellungnahme der DB AG,
eine Vergleichssimulation des Kopfbahnhofs (eine Selbstverständlichkeit
im wissenschaftlichen Einsatz von Simulationen wegen der Gefahr syste-
matischer Fehler) wäre nicht notwendig, da sie nicht beauftragt worden
war, obwohl das Regelwerk die Simulation von Varianten unabhängig vom
Auftrag vorschreibt?

29. Wie bewertet die Bundesregierung fachlich die Annahme in der Stresstest-
Simulation, dass die sogenannten Fahrzeitüberschüsse zu 100 Prozent zum
Verspätungsabbau genutzt werden können, wobei anzumerken ist, dass die
Richtlinie nur die Berücksichtigung „eines Teils“ erlaubt, beim sogenann-
ten Bauzuschlag nur 50 Prozent und den von der DB AG angeführten soge-
nannten Regelzuschlag gar nicht zum Verspätungsabbau vorsieht?

30. Wie nimmt die Bundesregierung ihre Aufsichtspflicht als Vertreterin der
Eigentümerin der DB AG wahr und stellt sicher, dass nicht später der Vor-
wurf erhoben werden könnte, absehbarer Schaden vom Gemeinwesen und
am Staatsvermögen wäre nicht abgewendet worden?

31. Wie beurteilt die Bundesregierung fachlich den wiederholten Einsatz der so-
genannten Sensitivitäten (auch im „finalen Simulationslauf“), d. h. von
stichprobenartigen Tests, mit lediglich ein bis drei Simulationsläufen, die
nach der Richtlinie nicht zulässig sind, bei denen lediglich die Reaktion des
Systems darauf getestet wird, dass ein einzelner Parameter realistischer ein-
gestellt wird, wogegen die Richtlinie vorschreibt, 100 Simulationsläufe
durchzuführen, unter Berücksichtigung sämtlicher Parameter mit Werten,
deren Realitätsnähe einzeln geprüft ist und die der Aufgabenstellung ent-
sprechen?

32. Wie bewertet die Bundesregierung den Vorwurf, dass im Gegensatz zur
Aussage der DB AG sich schon in den Stresstest-Daten zeigte, dass die für
Stuttgart 21 neugebaute Infrastruktur einen deutlichen Aufbau von Ver-
spätungen bewirkt (allein die Einfahrten in den neuen Hauptbahnhof
bauen mehr Verspätungen auf, als für den gesamten Untersuchungsraum
ermittelt wird), so dass der neue Bahnhof als Nadelöhr des Bahnverkehrs
erscheine?

33. In welcher Form wird die Bundesregierung – etwa als Grundlage einer kor-
rigierten Kosten-Nutzen-Bewertung – einen regelkonformen Nutzennach-
weis hinsichtlich der Leistungsfähigkeit sicherstellen?

34. Wie würde die Bundesregierung den Korrekturbedarf an der Leistungs-
fähigkeit von Stuttgart 21 gegenüber dem Stresstest-Ziel abschätzen (um
wie viel Prozent bzw. wie viele Züge müsste eine realistische Leistungs-
schätzung gegenüber den 49 Zügen des Stresstests nach unten korrigiert

werden)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/8325

35. Wie bewertet die Bundesregierung im Blick auf die notwendige Korrektur
der Kapazitätsaussage für Stuttgart 21 die Zukunftsfähigkeit des Projekts,
angesichts der Wachstumsprognosen etwa des EU-Weißbuchs von +35 Pro-
zent bis +100 Prozent im Bahnverkehr bis 2050, also angesichts von An-
forderungen, die allenfalls der heutige Kopfbahnhof mit einer für den ak-
tuellen Zustand offiziell festgestellten Kapazität von 50 Zügen pro Stunde
erreicht, die laut der VIEREGG-RÖSSLER GmbH zu einem Bruchteil der
Stuttgart 21-Kosten auch auf 72 Züge ausbaufähig sind?

Berlin, den 11. Januar 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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