BT-Drucksache 17/8209

Einstellung der Ermittlungen der Bundesanwaltschaft gegen thüringische Rechtsterroristen im Jahr 1999

Vom 15. Dezember 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8209
17. Wahlperiode 15. 12. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Petra Pau, Nicole Gohlke, Dr. Rosemarie Hein, Ulla Jelpke, Jens
Petermann, Raju Sharma, Dr. Petra Sitte, Frank Tempel, Halina Wawzyniak und der
Fraktion DIE LINKE.

Einstellung der Ermittlungen der Bundesanwaltschaft gegen thüringische
Rechtsterroristen im Jahr 1999

„DER SPIEGEL“ vom 28. November 2011 stellte in dem Artikel „Tödliche
Fehleinschätzung“ fest, dass die Bundesanwaltschaft es im Jahr 1999 ablehnte,
die Ermittlungen gegen mutmaßliche Rechtsterroristen zu übernehmen.

Zu den Ermittlungspannen und besonders bezogen auf die Beurteilung des
rechtsextremen Trios Uwe Bönhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe durch
die Bundesanwaltschaft schreibt „DER SPIEGEL“: „Sichtbar wird aber auch,
dass die Justiz schwere Fehler machte: bei der Staatsanwaltschaft in Gera und
bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe. Beide Behörden hatten den Fall des
1998 abgetauchten Neonazi-Trios schon früh geprüft, konnten oder wollten
aber damals keinen Rechtsterrorismus erkennen – eine tödliche Fehleinschät-
zung.“

„DER SPIEGEL“ schreibt dann weiter: „Am 17. Februar 1998, drei Wochen
nachdem Mundlos, Bönhardt und Zschäpe abgetaucht waren, berichtete das
BKA, das Beamte nach Jena geschickt hatte, den Sachstand nach Karlsruhe. Dort
leitete man einen Prüfvorgang ein. Nach dem Untertauchen des Trios prüfte die
Bundesanwaltschaft, ob sie das Verfahren wie in anderen Fällen übernehmen
sollte. Doch alles was aus Thüringen kam, sprach dagegen. Am 4. März 1999
fasste das BKA in einem vierseitigen Vermerk den Stand des Verfahrens zusam-
men. Die Staatsanwaltschaft Gera sei zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich
nur um ‚ein loses Geflecht von Einzeltätern‘ handle, die ‚Straftaten weder für
noch im Namen bestimmter Gruppierungen oder gar einer eigens gegründeten
Gruppierung‘ begingen. Und weil im deutschen Rechtsstaat ein Terrorist nur der
sein kann, der einen wohlklingenden Organisationsnamen vorweist, mochte die
Staatsanwaltschaft Gera keine terroristische Vereinigung erkennen. Dem schloss
sich die Bundesanwaltschaft an und lehnte eine Übernahme ab – und das, ob-
wohl die Polizei Ende Januar 1998 in Jena 1,4 Kilogramm gewerblichen Spreng-
stoff und Hakenkreuz-Embleme gefunden hatte. Es hätten einfach die nötigen
Informationen gefehlt, heißt es heute in Karlsruhe“.
Wir fragen die Bundesregierung:

1. Auf welche genauen Kenntnisse stützte sich die Bundesanwaltschaft, als
sie es 1999 ablehnte, die Ermittlungen gegen das rechtsterroristische Trio
Uwe Bönhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe zu übernehmen?

2. Welche genauen Erkenntnisse oder Hinweise hatte die Bundesanwaltschaft
zu diesem Zeitpunkt über die rechtsextremen Aktivitäten des Trios und des-

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sen Umfeld von 1990 bis 1999 von welchen bundesdeutschen Sicherheitsbe-
hörden erhalten?

3. Welche genauen Informationen hatte die Bundesanwaltschaft zu diesem
Zeitpunkt über Waffenfunde bei Uwe Bönhardt, Uwe Mundlos und Beate
Zschäpe und in deren Umfeld?

4. Welche genauen Kenntnisse oder Hinweise hatte die Bundesanwaltschaft zu
diesem Zeitpunkt über Waffen-, Sprengstoff- und Bombenfunde sowie
Funde von Bombenattrappen im Raum Jena bei Rechtsextremisten und in
Einrichtungen von Rechtsextremisten in den Jahren 1996 bis 1999 (bitte ge-
nau nach Datum, Fundort, Anzahl der Verdächtigen, Zugehörigkeit zu einer
Vereinigung oder Gruppierung auflisten)?

a) Wie und mit welchem Ergebnis wurden diesbezüglich Ermittlungsverfah-
ren geführt und abgeschlossen?

b) Wie und mit welchem Ergebnis wurde diesbezüglich Strafverfahren ein-
geleitet bzw. durchgeführt?

5. Welche genauen Informationen oder Hinweise hatte die Bundesanwaltschaft
zu diesem Zeitpunkt über die Verschickung von Briefbombenattrappen in
den Jahren 1996 bis 1999 im Raum Jena?

a) Wie und mit welchem Ergebnis wurden diesbezüglich Ermittlungsverfah-
ren geführt und abgeschlossen?

b) Wie und mit welchem Ergebnis wurde diesbezüglich Strafverfahren ein-
geleitet bzw. durchgeführt?

6. Welche Kenntnisse oder Hinweise hatte die Bundesanwaltschaft zu diesem
Zeitpunkt über den Fund eines Sprengsatzes in einem Haus in Stadtrode bei
Jena, das zu dieser Zeit von portugiesischen Arbeitern bewohnt war, und ge-
gen wen richteten sich damals die Ermittlungen?

a) Wie und mit welchem Ergebnis wurden diesbezüglich Ermittlungsverfah-
ren geführt und abgeschlossen?

b) Wie und mit welchem Ergebnis wurde diesbezüglich Strafverfahren ein-
geleitet bzw. durchgeführt?

7. Welche Erkenntnisse hatte die Bundesanwaltschaft zu diesem Zeitpunkt über
den Fund eines riesigen Waffenlagers in einer Gaststätte in Heilsberg, dem
regelmäßigen Treffpunkt des „Thüringer Heimatschutzes“?

a) Wie und mit welchem Ergebnis wurden diesbezüglich Ermittlungsverfah-
ren geführt und abgeschlossen?

b) Wie und mit welchem Ergebnis wurden diesbezüglich Strafverfahren ein-
geleitet bzw. durchgeführt?

8. Welche genauen Informationen hatte die Bundesanwaltschaft zu diesem Zeit-
punkt über die Verbindungen des Trios und sein Umfeld zu gewaltbereiten,
extrem rechten Organisationen in Thüringen, Sachsen und weiteren Bundes-
ländern sowie im Ausland?

a) Wie und mit welchem Ergebnis wurden diesbezüglich Ermittlungsverfah-
ren geführt und abgeschlossen?

b) Wie und mit welchem Ergebnis wurden diesbezüglich Strafverfahren ein-
geleitet bzw. durchgeführt?

9. Welche genauen Erkenntnisse oder Hinweise hatte die Bundesanwaltschaft
zum Zeitpunkt der Ablehnung der Übernahme der Ermittlungen über das Ab-
tauchen von Uwe Bönhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe, und wie wurde

dies durch die Bundesanwaltschaft und das Bundeskriminalamt bewertet?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8209

10. Welche genauen Informationen oder Hinweise hatte die Bundesanwalt-
schaft zu diesem Zeitpunkt über Versuche von Sicherheitsbehörden des
Bundes und der Länder, das Trio zu einer Rückkehr aus dem Untergrund zu
bewegen, wie wurde dieses Scheitern beurteilt, und bei welcher Stelle wur-
den diese Vorgänge dokumentiert?

11. Wann genau hatte es die Bundesanwaltschaft abgelehnt, das Verfahren ge-
gen das Trio zu übernehmen, und was waren die Gründe dafür?

a) Welche Rolle spielte bei den Gründen die Einschätzung der Staatsanwalt-
schaft Gera, die in dem Trio und dessen Umfeld ein „loses Geflecht von
Einzeltätern“ sah?

b) Welche Aktenbestände welcher Behörden wurden der Abwägung der Ent-
scheidung zugrunde gelegt?

12. Wie beurteilt dies die Bundesanwaltschaft heute?

13. Wie viele Personen aus dem rechtsextremen Spektrum, die bei bundesdeut-
schen Sicherheitsbehörden im Verdacht standen, zum gewaltbereiten und
mit Waffen ausgestatteten Spektrum zu gehören, sind seit 1990 nach Kennt-
nis der Bundesregierung in den Untergrund gegangen?

a) Hat man auch hier jeweils tatenlos abgewartet und in den Verfassungs-
schutzberichten des Bundes und der Länder verkündet, dass es keine
rechtsterroristische Gefahr gibt?

b) Wie wurden jeweils die anderen Sicherheitsbehörden des Bundes und der
Länder von der zuständigen Sicherheitsbehörde hierüber unterrichtet?

c) Wie viele dieser Personen wurden per Haftbefehl gesucht?

d) Wie wurden jeweils die zuständigen Ministerien und die Parlamente über
diese beunruhigenden und bedrohlichen Vorkommnisse informiert?

Berlin, den 15. Dezember 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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