BT-Drucksache 17/8136

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zu den Ergebnissen des Europäischen Rates am 8./9. Dezember 2011 in Brüssel

Vom 13. Dezember 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8136
17. Wahlperiode 13. 12. 2011

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Dr. Diether Dehm, Andrej Hunko, Thomas Nord, Alexander
Ulrich, Wolfgang Gehrcke und der Fraktion DIE LINKE.

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin

zu den Ergebnissen des Europäischen Rates am 8./9. Dezember 2011 in Brüssel

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Erklärung der Staats- und Regierungschefs des Euro-Währungsgebiets
setzt – ganz im Sinne der von Dr. Angela Merkel und Nicolas Sarkozy in
ihrem Brief an den Präsidenten des Europäischen Rates, Herman van Rom-
puy, formulierten Leitlinien – nicht an den Ursachen der Eurokrise an, son-
dern gehen fälschlicherweise davon aus, dass es sich bei der Eurokrise um
eine Staatsschuldenkrise handelt. Dies wird die Krise weiter verschärfen:
Die massive Umverteilung von unten nach oben geht weiter. Es droht ein
Jahrzehnt der Rezession: Die Leistungsbilanzungleichgewichte bleiben
unangetastet; die Verursacher und Profiteure der Krise werden nicht zur
Krisenfinanzierung herangezogen, statt dessen wird die Staatsfinanzierung
weiter den Finanzjongleuren überlassen; die Finanzmärkte werden nicht
reguliert und das europäische Steuer-, Lohn- und Sozialdumping weiter
angeheizt.

2. Mit dem geplanten fiskalpolitischen Pakt soll die europaweite neoliberale
Kürzungs- und Austeritätspolitik weiter radikalisiert, in einem völkerrecht-
lichen Vertrag festgeschrieben und damit unumkehrbar gemacht werden.
Die Verpflichtung aller Mitgliedstaaten, eine Schuldenbremse nach deut-
schem Vorbild in ihren jeweiligen Verfassungen einzuführen, die weitere
Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspakts sowie die Durchgriffs-
rechte der Kommission auf die nationalen Haushalte und die Klagemöglich-
keiten vor dem Europäischen Gerichtshof zielen auf einen massiven So-
zialabbau in der gesamten EU und drohen die wirtschaftliche Rezession
weiter zu vertiefen.

3. Die angestrebte „Stabilitätsunion“ ist jedoch nicht nur sozial- und wirt-
schaftspolitisch fatal, sie ist auch ein massiver Anschlag auf die Demokratie

in allen beteiligten Staaten, da das demokratische Haushaltsrecht der natio-
nalen Parlamente ausgehebelt wird. Das kommt einem versuchten Staats-
streich gleich. Die demokratische Budgethoheit soll es künftig in den Staa-
ten der „Stabilitätsunion“ nur noch geben, wenn ein Land sich den weiter
verschärften Regeln der Währungsunion unterwirft, so die deutsche Bundes-
kanzlerin in ihrer Pressekonferenz nach dem Gipfel. Das Europäische Parla-
ment wird im Rahmen der neuen Regeln völlig marginalisiert.

Drucksache 17/8136 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
4. Das Herausbrechen wesentlicher Bereiche aus dem Recht des „Staatenver-
bunds“ Europäische Union und ihre Überführung in einen außerhalb des
EU-Rechts zu etablierenden „neuen fiskalpolitischen Pakt“ stellt einen bis-
her einmaligen Schritt europäischer Desintegration dar. Sie bedeutet zu-
gleich einen eklatanten Verstoß gegen das geltende EU-Recht, weil es zen-
trale Organe der Europäischen Union einer anderen Rechtsordnung als der
der EU-Verträge unterwerfen will. Damit wird die demokratische Legitima-
tion dieser Organe und die Rechtsstaatlichkeit der EU insgesamt in Frage
gestellt. Es ist zu erwarten, dass aus diesen Gründen der Europäische Ge-
richtshof erfolgreich angerufen wird.

5. Die geplante „Stabilitätsunion“ verstößt auch gegen den durch Artikel 79
Absatz 3 des Grundgesetzes geschützten unabänderlichen Kernbereich par-
lamentarischer Demokratie: Die Regelungen über die Schuldenbremse sind
zwar mit verfassungsändernder Mehrheit in das Grundgesetz eingefügt wor-
den. Durch den geplanten völkerrechtlichen Pakt sollen sie aber einer Auf-
hebung oder Änderung durch den deutschen Verfassungsgesetzgeber auf
Dauer entzogen werden. Ein solcher Verstoß würde von dem dagegen ange-
rufenen Bundesverfassungsgericht nach Maßgabe seiner Ausführungen im
Lissabon-Urteil vom Juni 2009 aufgehoben werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. keine Initiativen zur Erarbeitung des „fiskalpolitischen Paktes“ zu ergreifen
und im Rahmen der EU und der Eurozone einen solchen Pakt zukünftig ab-
zulehnen;

2. sich statt dessen in der EU dafür einzusetzen, die tatsächlichen Ursachen der
Krise anzugehen, und selbst dazu eigene Beiträge zu leisten: Die Verur-
sacher und Profiteure der Krise müssen durch eine EU-weite Vermögens-
abgabe zur Krisenfinanzierung herangezogen werden, die Privatbanken ver-
gesellschaftet werden, ein geordnetes Insolvenzverfahren für überschuldete
Staaten eingeführt werden, die Finanzmärkte streng reguliert und durch eine
Finanztransaktionssteuer entschleunigt werden; die Staatskredite durch die
Schaffung einer Bank für öffentliche Anleihen vom Diktat der Finanzmärkte
befreit werden und es müssen wirksame Maßnahmen zur Verhinderung der
Leistungsbilanzungleichgewichte getroffen werden;

3. sich dementsprechend für eine grundlegende Revision der EU-Verträge ein-
zusetzen, um auf diesem Wege einen Neustart für ein demokratisches, sozia-
les und friedliches Europa zu ermöglichen. Zu diesem Zweck soll ein Kon-
vent einberufen werden, der die Zusammensetzung sowohl des Europäi-
schen Parlaments als auch der nationalen Parlamente angemessen widerspie-
gelt. Über das Ergebnis des Konvents soll die Bevölkerung in einem
Referendum entscheiden.

Berlin, den 13. Dezember 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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