BT-Drucksache 17/8106

Neuerliche Vernichtung von BND-Akten zur NS-Vergangenheit

Vom 8. Dezember 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8106
17. Wahlperiode 08. 12. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Korte, Agnes Alpers, Nicole Gohlke, Dr. Rosemarie Hein,
Ulla Jelpke, Jens Petermann, Raju Sharma, Frank Tempel, Halina Wawzyniak
und der Fraktion DIE LINKE.

Neuerliche Vernichtung von BND-Akten zur NS-Vergangenheit

Nach Angaben der Historikerkommission zur Erforschung der Entstehungs- und
Frühgeschichte des Bundesnachrichtendienstes (BND) sind im Jahr 2007 beim
BND zahlreiche historisch wertvolle Akten vernichtet worden. Der Sprecher des
Gremiums, der Dresdner Professor für Zeitgeschichte, Prof. Dr. Klaus-Dietmar
Henke erklärte, dass etwa 250 Personalakten, unter anderem von Mitarbeitern,
die während der NS-Zeit wichtigere Positionen bekleideten, betroffen seien. Der
BND bestätigte am 30. November 2011, dass Akten zerstört wurden und hob
hervor, dass „die vernichteten Personalakten im Umfang von circa zwei Prozent
des für das Geschichtsprojekt relevanten Bestandes“ seinerzeit als „nicht archiv-
würdig“ eingestuft worden seien. Laut „Süddeutscher Zeitung“ vom 30. Novem-
ber 2011 sei der Fall „im BND dokumentiert und seit September Gegenstand
‚umfangreicher Recherchen im Rahmen der Aufarbeitung der Archivbestände‘“.
Außerdem werde versucht, „den Informationsverlust zu den betreffenden Per-
sonen so weit wie möglich zu minimieren“ (ebd.). „DER SPIEGEL“ berichtete
am 5. Dezember 2011, dass ersten Ermittlungen zufolge „eine Archivmitarbei-
terin die Vernichtung mit Hinweis auf Platzmangel vorgeschlagen“ und ihre neu
im Amt befindliche Vorgesetzte „dem Vorschlag aus Unerfahrenheit zuge-
stimmt“ habe. Zu diesem Zeitpunkt waren allerdings bereits mehr als 1 400 Ar-
beitsplätze des Dienstes von Pullach nach Berlin verlegt worden. Laut Angaben
des „DER SPIEGEL“ hat der BND kürzlich, trotz des angeblichen Platzmangels
in Pullach, beschlossen, „seine historischen Akten nicht mehr ins Bundesarchiv
in Koblenz abzugeben“ und Wissenschaftlern und Journalisten künftig nur noch
in Pullach Akteneinsicht zu gewähren (ebd.).

Laut „Deutscher Presseagentur (dpa)“ vom 29. November 2011 forderten die
Forscher „von der Behörde die Aufklärung der Angelegenheit“ und erwarteten,
„dass sie künftig informiert werden, ehe potentiell bedeutende Dokumente ge-
schreddert werden.“

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Handelt es sich bei den von der Historikerkommission benannten Akten aus-

schließlich um Personalakten von hauptamtlichen BND-Mitarbeitern?

Wenn ja,

a) wie viele davon hatten während der NS-Zeit „signifikante geheimdienst-
liche Positionen“ bekleidet,

b) wie viele waren davon in der SS,

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c) wie viele waren davon in der Gestapo,

d) wie viele hatten sich wegen NS-Verbrechen vor Gericht verantworten
müssen,

e) wie viele davon bekleideten in der Organisation Gehlen und dem BND
höhere Posten, bzw. hatten leitende Funktionen inne?

Wenn nein, um welche Akten handelt es sich dann außerdem, und bei wie
vielen lag auch hier eine entsprechende NS-Vergangenheit vor?

2. Bei wie vielen Akten handelte es sich um Personalakten von Nachrichten-
dienstmitarbeitern, gegen die der BND in den 60er-Jahren selbst Ermitt-
lungen wegen schwerer NS-Belastung durchgeführt hatte?

3. Zum genauen Umfang der Aktenvernichtung:

a) Wie viele Akten wurden exakt zu welchem Zeitpunkt und mit welchem
Umfang (bitte entsprechende Seitenzahlen angeben) vernichtet?

b) Ist die Bundesregierung bereit, die Vernichtungsverhandlung unter
Schwärzung der Namen der an der Vernichtung beteiligten BND-Mit-
arbeiter offenzulegen, um den zeitlichen und inhaltlichen Umfang der
Vernichtung zweifelsfrei zu dokumentieren?

Wenn nein, warum nicht?

4. War unter den vernichteten Akten auch die Akte zu dem ehemaligen Luft-
waffenpiloten Hans-Ulrich Rudel?

5. War unter den vernichtenden Akten auch die Personalakte des ehemaligen
SS-Arztes im Konzentrationslager Mauthausen, Dr. Aribert Heim?

6. Waren die jetzt festgestellten Aktenvernichtungen die einzigen ihrer Art,
und wenn ja, woher weiß dies die Bundesregierung?

Wenn nein, welche weiteren Aktenvernichtungen hat es außerdem gegeben
(bitte nach Datum, Art und Umfang der Akten, Gründen für die Ver-
nichtung und verantwortlicher Stelle aufführen)?

7. Kann die Bundesregierung zukünftige Enthüllungen über weitere Akten-
vernichtungen ausschließen?

Wenn ja, wieso?

8. Wurde bereits abschließend ermittelt, wer für die Aktenvernichtung ver-
antwortlich war und wer diese durchführte, und kann die Bundesregierung
die entsprechende Meldung des „DER SPIEGEL“ vom 5. Dezember 2011
bestätigen?

Wenn ja, für wie glaubhaft hält die Bundesregierung dies?

Wenn nein, warum nicht, und wann ist mit einem Ergebnis der Unter-
suchung zu rechnen?

9. Hatte die Aktenvernichtung bereits irgendwelche arbeits- oder strafrecht-
lichen Konsequenzen, und wenn ja, welche?

Wenn nein, welche wären nach derzeitigem Sachstand aus Sicht der Bun-
desregierung denkbar?

10. Auf welcher Grundlage kamen die für die Aktenvernichtung verantwort-
lichen BND-Mitarbeiter zu der Einschätzung, dass es sich bei den ent-
sprechenden Akten um nicht archivwürdige Unterlagen handele?

11. Wurde dieses Urteil noch einmal überprüft, und wenn ja, wann und mit wel-
chem Ergebnis, und von wem?
Wenn nein, warum nicht?

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12. Wie bewertet die Bundesregierung die vom „DER SPIEGEL“ berichtete
Erklärung des BND, wonach die Aktenvernichtung aus Platzmangel vorge-
nommen wurde, vor dem Hintergrund, dass seit 2003 mehr als 1 000 BND-
Mitarbeiter von Pullach zum Dienstsitz in Berlin versetzt worden sind?

13. Wurden jeweils sämtliche Akten und Dokumente vernichtet oder existieren
z. T. noch Unterlagen, z. B. auf Mikrofilm?

Wenn noch Unterlagen existieren, in welchem Umfang?

14. Wie versuchen die Historikerkommission und die interne Forschungs- und
Arbeitsgruppe „Geschichte des BND“ den Informationsverlust zu mini-
mieren?

15. Greift die Historikerkommission bei ihrer Arbeit auch auf die mittlerweile
freigegebenen Aktenbestände von CIC und CIA zurück, und stehen ihr da-
rüber hinaus noch weitere, z. B. noch nicht deklassifizierte, ausländische
Aktenbestände zur Verfügung?

Wenn ja, in welchem Umfang geschieht dies, stehen dafür gesonderte
Mittel zur Verfügung, und um welche weiteren Aktenbestände handelt es
sich?

16. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Historikerkommission,
wonach es „bedenklich ist, dass Akten dieser Qualität noch 2007 vernichtet
wurden“?

Wenn ja, welche Konsequenzen zieht sie daraus?

Wenn nein, warum nicht?

17. Wird der BND den Forderungen der Forscher nach einer vollständigen
Aufklärung der Aktenvernichtung und einer Verpflichtung zur automa-
tischen Information, bevor zukünftig „potentiell bedeutende Dokumente
geschreddert werden“, nachkommen?

Wenn nein, warum nicht?

18. Kann die Bundesregierung die Meldung des „DER SPIEGEL“ bestätigen,
wonach der BND kürzlich beschlossen habe, seine historischen Akten
nicht mehr ins Bundesarchiv in Koblenz abzugeben und Wissenschaftlern
und Journalisten künftig nur noch in Pullach Akteneinsicht zu gewähren?

Wenn ja, wann und aus welchen Gründen erfolgte dieser Beschluss, und ab
welchem Zeitpunkt erhielt oder erhält er Gültigkeit?

19. Wie bewertet die Bundesregierung den Beschluss, und hält sie ihn mit dem
vom BND bei seiner Geschichtsaufarbeitung propagierten Verpflichtung,
nach dem „Grundsatz maximaler Transparenz“ zu handeln, vereinbar?

Wenn ja, warum?

Berlin, den 8. Dezember 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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