BT-Drucksache 17/7921

Korrektur des Bundesverwaltungsgerichts zu Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug

Vom 24. November 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7921
17. Wahlperiode 24. 11. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Ulla Jelpke, Jens Petermann, Frank Tempel
und der Fraktion DIE LINKE.

Korrektur des Bundesverwaltungsgerichts zu Sprachanforderungen beim
Ehegattennachzug

Die Fraktion DIE LINKE. hat in der Vergangenheit in zahlreichen Anfragen die
Bundesregierung darauf hingewiesen, dass die Einschätzung des Bundesver-
waltungsgerichts (BVerwG), gegen die deutsche Regelung der Sprachanforde-
rungen beim Ehegattennachzug bestünden keinerlei europarechtliche Beden-
ken, offenkundig unhaltbar war.

Nunmehr hat sich das BVerwG mit Beschluss vom 28. Oktober 2011 selbst kor-
rigiert, denn „die Frage, ob das Erfordernis einfacher deutscher Sprachkennt-
nisse in § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG mit Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie ver-
einbar ist, [hätte] mit Rücksicht auf die inzwischen veränderte Auffassung der
Europäischen Kommission (vgl. Stellungnahme vom 4. Mai 2011 (Sj.g <2011>
540657 im Verfahren C-155/11 PPU Imran) dem Gerichtshof der Europäischen
Union zur Klärung … vorgelegt werden müssen“ (BVerwG 1 C 9.10, S. 3 f.) –
wenn nicht im strittigen Fall durch die Zusage des Auswärtigen Amts, ein
Visum zu erteilen, die geplante Vorlage beim Europäischen Gerichtshof
(EuGH) unmöglich geworden wäre (bereits im genannten Verfahren „Imran“
verhinderte die niederländische Regierung eine Grundsatzentscheidung des
EuGH durch die Erteilung einer Einreiseerlaubnis). Allerdings hat die Euro-
päische Kommission, anders als das BVerwG behauptet, ihre Auffassung gar
nicht geändert, wie bereits auf Bundestagsdrucksache 17/5732, S. 2 dargelegt
wurde.

Die Entscheidung des BVerwG bringt auch die Bundesregierung in Erklärungs-
nöte, denn auf die Schriftliche Frage, welche Konsequenzen sie aus der besag-
ten Stellungnahme der Europäischen Kommission ziehe, antwortete sie noch am
1. August 2011, dass der Begründung des Urteils des BVerwG vom 30. März
2010 nicht zu entnehmen sei, „dass die Auffassung der Kommission in dieser
Rechtsfrage ein tragender Grund für die Entscheidung des Bundesverwaltungs-
gerichts gewesen“ sei (vgl. Bundestagsdrucksache 17/6773, S. 5). Dass diese
Leseart des Urteils falsch war, wurde auf Bundestagsdrucksache 17/7012 in der
Vorbemerkung belegt und nun vom BVerwG bestätigt.
Hinfällig sind auch die Ausführungen der Bundesregierung auf Bundestags-
drucksache 17/7012: „Die Bundesregierung hat keine Veranlassung zur Kritik
an der Erkenntnis des [Bundesverwaltungs-] Gerichts, dass im oben genannten
Verfahren kein Anlass für ein Vorabentscheidungsersuchen an den Europäi-
schen Gerichtshof bestand. (…) Die Fragesteller teilen, wie der Bundesregie-
rung seit langem bekannt ist, deren Rechtsauffassung nicht und halten das oben
genannte Urteil des BVerwG für falsch. Dieser Dissens bietet keinen Anlass zur

Drucksache 17/7921 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

regelmäßigen Führung eines juristischen Fachdisputs im Rahmen der Beant-
wortung Kleiner Anfragen der Fragesteller. Es ist nicht Aufgabe der Bundes-
regierung, im Rahmen der Beantwortung solcher Anfragen Detailstellungnah-
men zu jeder einzelnen Äußerung oder jedem Argument juristischer Autoren
oder aus dem politischen Raum zu erarbeiten und abzugeben.“

Infolge der Kehrtwende des BVerwG kann sich die Bundesregierung nicht mehr
kritischen Fragen aus dem politischen Raum und juristischen Argumenten durch
bloßen Verweis auf das Urteil des BVerwG entziehen. Nach dem späten Einge-
ständnis einer europarechtlichen Klärungsbedürftigkeit durch das BVerwG ist
jetzt auch jedes Verwaltungsgericht dazu aufgerufen, anhängige Fälle dem
EuGH zur Entscheidung vorzulegen. Zwar ist mit dem Beschluss des BVerwG
vom 28. Oktober 2011 noch keine inhaltliche Entscheidung in der Sache verbun-
den – in Kenntnis des Chakroun-Urteils des EuGH (z. B. Rn. 43) und der Stel-
lungnahme der Europäischen Kommission vom Mai 2011 spricht jedoch nahezu
alles dafür, dass die strikte deutsche Regelung der Sprachanforderungen beim
Ehegattennachzug mit dem Recht der Europäischen Union unvereinbar ist.

Es kommt hinzu, dass auch die Frage der Vereinbarkeit der Sprachanforderun-
gen beim Ehegattennachzug mit dem EWG-Türkei-Assoziationsrecht neu beur-
teilt werden muss. Auch diesbezüglich liegt eine neue Stellungnahme der Euro-
päischen Kommission vom 29. Juli 2011 in der Rechtssache C-256/11 beim
EuGH vor, die die Bundesregierung nicht mehr lapidar mit dem Hinweis für
unbeachtlich erklären kann, „dass Meinungsverschiedenheiten zwischen Kom-
mission und Bundesregierung vor dem Gerichtshof der Europäischen Union
nichts Ungewöhnliches“ seien (vgl. Plenarprotokoll 17/129, S. 15193). Dies gilt
erst recht, nachdem der niederländische Verwaltungsgerichtshof Centrale Raad
van Beroep mit Urteil vom 16. August 2011 zu dem eindeutigen Ergebnis ge-
kommen ist, dass Integrations- und Sprachanforderungen im Aufenthaltsrecht
bei türkischen Staatsangehörigen gegen das assoziationsrechtliche Verschlech-
terungsverbot verstoßen (Original: http://zoeken.rechtspraak.nl/detailpage.
aspx?ljn=BR4959; inoffizielle Übersetzung: www.migrationsrecht.net/
component/option,com_joomdoc/Itemid,212/gid,1619/task,doc_download/).

Selbst Serkan Tören von der Fraktion der FDP äußerte jüngst im Plenum des
Deutschen Bundestages „starke rechtliche Bedenken“ an der „Rechtmäßigkeit
des Sprachnachweiserfordernisses beim Ehegattennachzug“ (Plenarprotokoll
17/139, S. 16653).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Mit welchen Argumenten kann die Bundesregierung dem Eindruck entge-
genwirken, dass im Verfahren BVerwG 1 C 9.10, vor allem oder unter ande-
rem die Klägerin deshalb durch Zusage einer Visumerteilung klaglos gestellt
wurde, um eine – der Bundesregierung womöglich nicht opportune – Grund-
satzentscheidung des EuGH zur Frage der Vereinbarkeit der deutschen
Regelung der Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug mit dem Recht
der Europäischen Union zu vermeiden?

a) Weshalb wurde den Betroffenen insbesondere nicht bereits in dem Beru-
fungsverfahren beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg ein
Vergleichsangebot unterbreitet, obwohl nach den Feststellungen des Ge-
richts bis auf die geforderten Kenntnisse in deutscher Sprache alle Voraus-
setzungen für den Nachzug vorlagen?

b) Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnisse darüber, dass die nieder-
ländische Regierung in dem Verfahren C-155/11 PPU „Imran“ eine Ein-
reise ohne Sprach- bzw. Eingliederungsnachweise ermöglicht hat, um

eine bevorstehende Grundsatzentscheidung des EuGH zu verhindern, und
inwieweit lässt dieses Vorgehen den Schluss zu, dass auch die niederlän-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7921

dische Regierung davon ausgeht, dass eine Entscheidung in dem Verfah-
ren C-155/11 zu ihren Ungunsten ausgefallen wäre?

2. Inwieweit waren welche Stellen innerhalb der Bundesregierung daran betei-
ligt, dass es in dem Verfahren BVerwG 1 C 6.10, bei dem das BVerwG über
die Rechtmäßigkeit der Regelung der Sprachanforderungen beim Ehegatten-
nachzug zu deutschen Staatsangehörigen hätte entscheiden müssen, zu
einem Vergleich bzw. zu einer Klaglosstellung kam, indem der Klägerin ein
Visum auch ohne vorherigen Sprachtest im Ausland zugesagt bzw. in Aus-
sicht gestellt wurde, welche Motive waren für dieses Verhalten maßgeblich,
und mit welchen Argumenten kann die Bundesregierung den Verdacht ent-
kräften, dass ein Visum vor allem oder unter anderem deshalb erteilt bzw. in
Aussicht gestellt wurde, um eine – der Bundesregierung womöglich nicht
opportune – Grundsatzentscheidung des BVerwG oder eine Vorlage beim
EuGH zu vermeiden?

3. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung inzwischen aus der Stel-
lungnahme der Europäischen Kommission vom 4. Mai 2011, die das
BVerwG, auf das sich die Bundesregierung bislang immer bezogen hat
(vgl. z. B. die Antwort auf die Schriftliche Frage der Abgeordneten Sevim
Dag˘delen auf Bundestagsdrucksache 17/6773, S. 5), zu einer Änderung sei-
ner vorherigen Auffassung veranlasste, die deutsche Regelung der Sprach-
anforderungen beim Ehegattennachzug sei angeblich ohne Zweifel mit dem
Recht der Europäischen Union vereinbar?

4. Welche Bedeutung misst die Bundesregierung der Stellungnahme der Euro-
päischen Kommission vom 4. Mai 2011 nunmehr bei, nachdem das BVerwG,
anders als die Bundesregierung bislang glaubte (siehe Vorbemerkung), sich
doch maßgeblich auf die Einschätzung der Europäischen Kommission
gestützt hatte bzw. stützt bei der Frage, inwieweit die deutsche Regelung der
Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug mit dem Recht der Euro-
päischen Union vereinbar ist?

5. Was entgegnet die Bundesregierung insbesondere den Argumenten der Euro-
päischen Kommission in besagter Stellungnahme, wonach

a) Integrationsanforderungen und Sprachtests dem Ziel einer erfolgreichen
Familienzusammenführung nicht entgegenstehen und auch nicht zu einer
Ablehnung der Familienzusammenführung führen dürfen und die Richt-
linie insbesondere verbiete, „dass ein Mitgliedstaat einem Familien-
mitglied … ausschließlich aus dem Grund die Einreise und den Aufent-
halt verweigert“, weil eine „vorgeschriebene Eingliederungsprüfung im
Ausland nicht bestanden“ wurde (Schlussfolgerung, Nummer 37);

b) nach dem klaren Wortlaut und der Systematik der Richtlinie zwar Inte-
grationsmaßnahmen zur Förderung der Familienzusammenführung er-
laubt seien, diese aber nicht als „Ausschlusskriterium“ oder „Einreise-
bedingung“ fungieren und nicht zur Ablehnung oder Einschränkung des
Familiennachzugs führen dürften (Nummer 29, 31) – wie es bei der deut-
schen Regelung der Fall ist;

c) es „dem Ausländer vom Mitgliedstaat auch effektiv ermöglicht werden“
muss, sich geforderte Fähigkeiten aneignen zu können, beispielsweise ein
Minimum an Sprachkenntnissen bzw. soziokulturellem Wissen (Num-
mer 29) – was dem französischen Modell entspräche, im Ausland kosten-
lose Sprachkurse anzubieten und die Einreiseerlaubnis nicht von einem
bestimmten Sprachniveau abhängig zu machen

(bitte begründet und differenziert nach den einzelnen Unterpunkten beant-
worten und nicht einfach auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom

März 2010 verweisen, weil das BVerwG mit Beschluss vom 28. Oktober
2011 selbst festgestellt hat, dass sein damaliges Urteil anders ausgefallen

vom 15. November 2011 neben Deutschland nur zwei weitere Länder in
der Europäischen Union (EU) den Ehegattennachzug vom Bestehen eines
Sprachtests im Ausland abhängig machen, wobei
Drucksache 17/7921 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

wäre, wenn ihm diese Positionierung und Argumente der Europäischen
Kommission bekannt gewesen wären)?

6. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
nunmehr insbesondere daraus, dass die o. g. Bewertungen der Europäischen
Kommission sich herleiten aus bzw. begründet werden mit der Rechtspre-
chung des EuGH, insbesondere im so genannten Chakroun-Urteil vom
4. März 2010, wonach eine Begünstigung der Familienzusammenführung
ein Ziel der Richtlinie darstellt, welches nicht nur das Handeln der Mitglied-
staaten im Rahmen gegebener Handlungsspielräume unwirksam gemacht
werden darf, – womit sich das BVerwG in seinem Grundsatzurteil vom
30. März 2010 jedenfalls ausweislich der schriftlichen Begründung aber mit
keinem einzigen Wort auseinandergesetzt hat?

7. Was entgegnet die Bundesregierung insbesondere dem Argument der Euro-
päischen Kommission (in der Stellungnahme vom 4. Mai 2011, Nummer 22),
wonach auch die anderen, insbesondere englischen und französischen
Sprachversionen des Artikels 7 Absatz 2 der Familienzusammenführungs-
richtlinie eine Unterscheidung des Begriffs der Integrationsmaßnahme bzw.
des Integrationskriteriums beinhalten – mit der Folge, dass die nach Artikel 7
Absatz 2 möglichen Integrationsmaßnahmen nicht als strikte Bedingung
verstanden werden und nicht zur Einschränkung der Familienzusammen-
führung führen dürfen?

8. Ist es zutreffend, dass sich Österreich, Deutschland und die Niederlande im
Entstehungsprozess der EU-Familienzusammenführungsrichtlinie nicht mit
ihrer Forderung, in Artikel 7 Absatz 2 den Begriff „Integrationsmaßnahme“
durch „Integrationsbedingung“ zu ersetzen- durchsetzen konnten (wenn ja,
aus welchen Gründen nicht, und wenn nein, was war der Fall; Wiederholung
der unbeantwortet gebliebenen Frage 14 auf Bundestagsdrucksache 17/
7012)?

9. Welche Schlussfolgerungen ergeben sich nach Ansicht der Bundesregie-
rung für die Auslegung von Artikel 7 Absatz 2 der Familienzusammenfüh-
rungsrichtlinie daraus, dass die Europäische Kommission auch in ihrem
Bericht über die Anwendung der Daueraufenthaltsrichtlinie vom 30. Sep-
tember 2011 in Punkt 3.7. auf Seite 9 eine klare Unterscheidung zwischen
„Integrationsmaßnahme“ bzw. „Integrationsanforderung“ trifft und einen
Verstoß gegen die Richtlinie darin sieht, wenn Integrationsmaßnahmen als
Integrationsanforderungen interpretiert werden (bitte ausführen)?

10. Welche Schlussfolgerungen ergeben sich nach Ansicht der Bundesregie-
rung für die Auslegung von Artikel 7 Absatz 2 der Familienzusammenfüh-
rungsrichtlinie daraus, dass die Europäische Kommission in ihrem Grün-
buch zur Familienzusammenführungsrichtlinie vom 15. November 2011 in
Punkt 2.1. erneut darauf hinweist, dass die Zulässigkeit von Integrations-
maßnahmen davon abhängt, ob sie dem Zweck der Erleichterung einer In-
tegration dienen und ob sie verhältnismäßig sind, d. h., ob entsprechende
Kurse erreichbar und bezahlbar sind und ob individuelle Umstände, wie
etwa Analphabetismus, angemessen berücksichtigt werden – da alle diese
Aspekte bei der deutschen Regelung gerade keine Rolle spielen (bitte aus-
führen)?

11. Welche Konsequenzen ergeben sich für die Bundesregierung daraus, dass
nach Punkt 2.1. des Grünbuchs zur Familienzusammenführungsrichtlinie

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/7921

a) die neue dänische Regierung diesbezüglich womöglich Änderungen
vornehmen wird,

b) die Niederlande auf Sprachtests bei türkischen Staatsangehörigen auf-
grund des Assoziationsrechts inzwischen verzichten,

c) die von Deutschland gestellten Anforderungen der Sprachtests EU-weit
am höchsten sind (schriftlich und mündlich auf dem Niveau A1),

vor dem Hintergrund, dass die Bundesregierung in der Vergangenheit zur
Rechtfertigung der Neuregelung auf andere Länder in der EU verwiesen
hatte – die aber in ihrer überwältigenden Mehrheit eine solche Einschrän-
kung des Ehegattennachzugs, wie sich gezeigt hat, gerade nicht vorsehen
(bitte ausführen)?

12. Wie ist die nach deutschem Recht bzw. bisheriger Rechtsprechung mög-
liche Verweigerung eines Zuzugs, wegen ungenügender Sprachkenntnisse,
mit dem subjektiven Anspruch auf Einreise nach der EU-Familienzusam-
menführungsrichtlinie vereinbar, wenn die Voraussetzungen der Richtlinie
im Übrigen erfüllt sind, und zwar selbst in dem Fall, dass der nachzugswil-
ligen Person der Spracherwerb aus nicht zu vertretenden Gründen nur
schwer oder gar nicht möglich ist (bitte in Auseinandersetzung mit der
Chakroun-Entscheidung des EuGH beantworten)?

13. Inwieweit stimmt die Bundesregierung der Auffassung zu, dass die An-
nahme des BVerwG in seinem Urteil vom 30. März 2010, eine Vorlage an
den EuGH sei nicht erforderlich, weil von einem „acte claire“ auszugehen
sei, jedenfalls nicht mehr haltbar ist, nachdem die Europäische Kommission
mit ihrem Schreiben vom 4. Mai 2011 an den EuGH die Annahme des
BVerwG widerlegt hat, die Europäische Kommission sei der Auffassung,
dass Sprachtests im Ausland, die – wie die deutsche Regelung – als Ein-
reisebedingung fungieren, mit dem Recht der Europäischen Union verein-
bar seien, und dies im Widerspruch steht zu den Ausführungen des BVerwG
im Urteil vom 30. März 2010 über die angebliche Auffassung der Euro-
päischen Kommission, die für das BVerwG auch tragend für dessen Ent-
scheidung waren (Wiederholung der von der Bundesregierung falsch beant-
worteten Frage 11 auf Bundestagsdrucksache 17/7012)?

14. Wieso bieten auch die Ausführungen eines von einer Regierungsfraktion
benannten Sachverständigen (bzw. eines Vertreters eines Länder-Innenmi-
nisteriums), die die Kritik der fachöffentlichen Diskussion an der Regelung
der Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug aus exekutiver und prak-
tischer Sicht vollumfänglich bestätigen, der Bundesregierung „keine Ver-
anlassung“, ihre Position zu diesem Thema „zu überdenken“ (vgl. die nur
pauschal und insoweit auch ungenügend beantworteten Fragen 13a bis 13e
auf Bundestagsdrucksache 17/7012)?

15. Wie kann die Bundesregierung, nachdem sie anerkannt hat, dass auch na-
tionale Regelungen zum Familiennachzug vom Verschlechterungsverbot
nach Artikel 13 Assoziationsratsbeschluss (ARB) 1/80 erfasst sind (vgl.
Bundestagsdrucksache 17/7012, Antwort zu Frage 15), „nach heutigem
Stand“ der Auffassung sein, Sprachnachweise beim Ehegattennachzug
seien keine Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit im Sinne von
Artikel 13 ARB 1/80 (vgl. ebd., zu Frage 15a und 15b), wohl aber die jüngst
erfolgte Verlängerung der Mindestehebestandszeit zur Erlangung eines
eigenständigen Aufenthaltsrechts (vgl. Antwort zu Frage 1 auf Bundestags-
drucksache 17/4623)?

Drucksache 17/7921 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

16. Inwieweit und mit welcher Begründung hält die Bundesregierung an ihrer
Auffassung fest, die Einführung von Sprachnachweisen beim Ehegatten-
nachzug sei keine neue Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit im
Sinne von Artikel 13 ARB 1/80, nachdem der EuGH in der Rechtssache
C- 256/11 (Dereci u. a.) mit Urteil vom 15. November 2011 zum Ver-
schlechterungsverbot nach Artikel 41 des Zusatzprotokolls – das dieselbe
Funktion hat wie Artikel 13 ARB 1/80 (ebd., Rn. 81 und ständige Recht-
sprechung des EuGH) – entschieden hat (ebd., Rn. 96 bis 98), dass es eine
assoziationsrechtlich verbotene neue Beschränkung darstellt, wenn Ehe-
gatten türkischer Staatsangehörigkeit einen Antrag auf Aufenthaltsgewäh-
rung neuerdings außerhalb des Mitgliedstaats stellen und das Ergebnis dort
abwarten müssen (statt wie zuvor im Inland das Verfahren betreiben zu
können), was mit der Neuregelung der Sprachanforderungen beim Ehe-
gattennachzug vergleichbar ist, mit der die Anforderung des Spracherwerbs
ins Ausland verlagert wurde (bitte ausführlich ausführen)?

17. Wieso hält die Bundesregierung eine gesonderte Entscheidung des EuGH
zu der Frage, ob insbesondere Sprachnachweise beim Ehegattennachzug
eine Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit im Sinne von Artikel 13
ARB 1/80 darstellen, für erforderlich (vgl. Bundestagsdrucksache 17/7012
Antwort zu Frage 15a und 15b), obwohl

a) sie ebenda selbst ausführt, dass jede „Maßnahme, die bezweckt oder be-
wirkt, dass die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit … strengeren
Voraussetzungen unterworfen wird“, dem Verschlechterungserbot unter-
fällt;

b) der EuGH in seinem Abatay-Urteil vom 21. Oktober 2003 in den
Rn. 79 f. längst klargestellt hat, dass Artikel 13 ARB 1/80 nicht das
„Gebiet der Ausübung einer Beschäftigung“ zum Gegenstand hat, son-
dern den Mitgliedstaaten verbietet, „den Zugang türkischer Staatsange-
höriger zu einer Beschäftigung durch neue Maßnahmen einzuschrän-
ken“;

c) der EuGH in seinem Sahin-Urteil vom 17. September 2009 in Rn. 51
klargestellt hat, dass in den Anwendungsbereich des Verschlechterungs-
verbots nach Artikel 13 auch Maßnahmen in Bezug auf Familienange-
hörige fallen, „deren Aufnahme im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats
nicht von der Ausübung einer Beschäftigung abhängt“;

d) es offenkundig ist, dass Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug
auch einen verzögerten bzw. erschwerten Zugang zum Arbeitsmarkt mit
sich bringen;

e) auch der mitunter im Auftrag der Bundesregierung tätige Prof. Dr. Dr.
h. c. Kay Hailbronner in einem Aufsatz in der Zeitschrift für Ausländer-
recht und Ausländerpolitik (ZAR 2011, S. 322 ff.) schreibt, dass der
EuGH schon in seinem Urteil Tum und Dari „zu erkennen gegeben“
habe, „dass er die Stillhalte-Klauseln in einem umfassenden Sinne auf
alle einreise- und aufenthaltsrechtlichen Rahmenbedingungen anwen-
den wolle“;

f) auch der niederländische Verwaltungsgerichtshof Centrale Raad van
Beroep mit dem Urteil vom 16. August 2011 zu dem Ergebnis gekom-
men ist (vgl. Vorbemerkung), dass die Einführung von Integrations- und
Sprachanforderungen im Aufenthaltsrecht bei türkischen Staatsange-
hörigen so eindeutig gegen das assoziationsrechtliche Verschlechterungs-
verbot verstößt, dass nicht einmal eine Vorlage an den EuGH zur Klärung
dieser Frage erforderlich sei (Punkt 7.3. des Urteils)
(bitte zu jeder Unterfrage einzeln und begründet antworten und nicht pau-
schal auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. März 2010

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/7921

verweisen, das diese Fragen nicht beantwortet und das überdies aufgrund
nachfolgender Urteile des EuGH bzw. Stellungnahmen der Europäischen
Kommission seinerseits überprüfungsbedürftig ist, nicht nur in Bezug auf
die Familienzusammenführungsrichtlinie)?

18. Inwieweit ist das Grundsatzurteil des BVerwG vom 30. März 2010 hin-
sichtlich der Frage der Vereinbarkeit der Sprachanforderungen beim Ehe-
gattennachzug mit dem assoziationsrechtlichen Verschlechterungsverbot
überhaupt noch haltbar, nachdem der EuGH nach dieser Entscheidung des
BVerwG

a) im Toprak-Urteil vom 9. Dezember 2010 den Einwand der niederlän-
dischen Regierung ausdrücklich zurückgewiesen hat, die Standstill-
Klausel des Artikels 13 ARB 1/80 sei nicht anwendbar, weil die umstrit-
tene Regelung nicht die Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt
betreffe, sondern Rechte ausländischer Ehegatten in Bezug auf Familien-
zusammenführung (Rn. 37 ff. des Urteils), und zwar mit dem Argument,
dass auch Regelungen dem Verschlechterungsverbot unterfallen, die sich
„nicht unmittelbar auf ausländische Arbeitnehmer“ beziehen, sondern
z. B. auf deren Ehegatten (Rn. 40 f.) – und der EuGH damit die anders-
lautende Auffassung des BVerwG in seinem Urteil vom 30. März 2010
(dort Rn. 20) widerlegt hat;

b) im Urteil C-92/07 vom 29. April 2010 klarstellte, dass Artikel 13 ARB 1/
80 „der Einführung neuer Beschränkungen der Ausübung der Arbeitneh-
merfreizügigkeit … einschließlich solcher entgegensteht, die die mate-
riell- und/oder verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die erstmalige
Aufnahme türkischer Staatsangehöriger … betreffen, die dort von dieser
Freiheit Gebrauch machen wollen“ (vgl. Rn. 49 f.) – und der EuGH damit
die anderslautende Auffassung des BVerwG in seinem Urteil vom
30. März 2010 (dort Rn. 20) widerlegt hat;

c) in seinem Urteil C-186/10 vom 21. Juli 2011 (Rn. 28 f.) noch einmal die
Wirkungsweise der Stillhalteklauseln, die nämlich keine materiell-recht-
liche Vorschrift als solche schaffen (also auch keine im Bereich der
Familienzusammenführung), sondern „eine gleichsam verfahrensrecht-
liche Vorschrift“ darstellen, „die in zeitlicher Hinsicht festlegt, nach
welchen Bestimmungen der Regelung eines Mitgliedstaats die Situation
eines türkischen Staatsangehörigen zu beurteilen ist“, also auch im Be-
reich der Familienzusammenführung – und der EuGH damit die anders-
lautende Auffassung des BVerwG in seinem Urteil vom 30. März 2010
(dort Rn. 20) widerlegt hat

(bitte begründet und differenziert nach Unterfragen beantworten; Wieder-
holung der nach Ansicht der Fragestellerin nicht ausreichend beantworteten
Fragen 17a bis 17c auf Bundestagsdrucksache 17/7012: zum einen bietet
eine pauschale Verweisung auf eine längere Vorbemerkung keine konkrete
Antwort auf konkrete Fragen, zum anderen wird in den Fragen unter Be-
nennung von Randnummern dargelegt, warum das Urteil des BVerwG vom
30. März 2010 mit der nachfolgenden Rechtsprechung des EuGH unverein-
bar ist, so dass eine pauschale Verweisung auf eben dieses Urteil keine aus-
reichende Beantwortung darstellen kann)?

19. Aufgrund welcher Annahmen geht die Bundesregierung davon aus, dass
Ehegatten nach ihrer Einreise nach Deutschland nach einem verpflichten-
den 600 bis 1 200 stündigen Sprachkursbesuch in Deutschland, der vom
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge beaufsichtigt wird, der mit
Zwangsmitteln und Bußgeldern durchgesetzt bzw. dessen Nicht-Besuch
sozial- und aufenthaltsrechtlich sanktioniert werden kann, nicht einmal das

Sprachniveau A1 erreichen (dieses Niveau wird im Abschlusstest nicht ge-

Drucksache 17/7921 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

prüft, aber 88 Prozent schaffen derzeit mindestens das anspruchsvollere
Niveau A2 bzw. B1), so dass der allgemeine Eingriff in das Grundrecht auf
Familienleben durch die Anforderung von Sprachnachweisen auf dem
Niveau A1 bereits im Ausland mit diesem Argument gerechtfertigt werden
können soll?

20. Inwieweit hält die Bundesregierung an der Behauptung fest, die Sprachan-
forderungen im Ausland könnten ein geeignetes Mittel gegen Zwangsver-
heiratungen sein, das zudem einen allgemeinen Eingriff in das Grundrecht
auf Familienleben rechtfertigen kann, vor dem Hintergrund der Ergebnisse
der von ihr geförderten und von der Bundesministerin für Familie, Senio-
ren, Frauen und Jugend, Dr. Kristina Schröder, vorgestellten Studie
„Zwangsverheiratungen in Deutschland“ (Ausschussdrucksache 17(4)383),
nach der 78,5 Prozent der von Zwangsverheiratungen Bedrohten oder Be-
troffenen die deutsche Staatsangehörigkeit oder einen unbefristeten Auf-
enthaltstitel aufwiesen (S. 78; nach der Kurzfassung – S. 41 – waren nur
16 Prozent aller Bedrohten bzw. Betroffenen für eine Ehe nach Deutsch-
land gekommen, nur 7 Prozent der Beratenen lebten erst bis zu drei Jahre
hier) – d. h. dass die große Mehrheit der Betroffenen von der Maßnahme
der Sprachanforderungen im Ausland gar nicht erreicht wird –, während
die Sprachkenntnisse der erst weniger als zwei Jahre in Deutschland leben-
den Betroffenen zu 85 Prozent als „eher schlecht“ eingestuft wurden
(Langfassung, S.75) – was die Frage aufwirft, welche wirksamen Erfolge
die seit 2007 vorgeschriebenen Sprachtests im Ausland überhaupt erbracht
haben sollen?

21. Wie erklärt und bewertet die Bundesregierung den überdurchschnittlichen
und erheblichen Rückgang der zum Ehegattennachzug erteilten Visa nach
Einführung der Sprachnachweise im Ausland (Vergleich der erteilten Visa
der Jahre 2006 und 2010) in

a) Kasachstan (Rückgang um 73 Prozent)

b) Kirgistan (Rückgang um 65 Prozent)

c) Kuba (Rückgang um 60 Prozent)

d) Mazedonien (Rückgang um 58 Prozent)

e) Serbien (Rückgang um 54 Prozent)

f) den Philippinen (Rückgang um 49 Prozent)

g) Usbekistan (Rückgang um 47 Prozent)

h) Nigeria (Rückgang um 46 Prozent)

i) Bosnien (Rückgang um 45 Prozent)

j) Ägypten (Rückgang um 42 Prozent)

und welchen Anteil an dieser Entwicklung könnten dabei die neuen
Sprachanforderungen nach Ansicht der Bundesregierung haben (bitte nach
Ländern differenziert antworten)?

(Wiederholung der Fragen 5a bis 5j auf Bundestagsdrucksache 17/7012,
weil diese insoweit unbeantwortet geblieben sind, dass lediglich eine pau-
schale Antwort ohne jede Länderdifferenzierung erfolgte, die aber gerade
nicht den überdurchschnittlichen – mehr als doppelt bis dreimal so hohen –
Rückgang in den genannten Ländern im Vergleich zum allgemeinen Rück-
gang von 2006 bis 2010 um 20 Prozent erklären kann).

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9 – Drucksache 17/7921

22. Wie erklärt und bewertet die Bundesregierung die auffallend niedrigen Be-
stehensquoten bei Sprachtests im Ausland bezüglich der Länder

a) Ghana (38 Prozent)

b) Äthiopien (49 Prozent)

c) Sri Lanka (51 Prozent)

d Irak (51 Prozent)

e) Mazedonien (52 Prozent)

f) Jordanien (53 Prozent)

g) Pakistan (54 Prozent)

h) Algerien (54 Prozent)

i) Libanon (56 Prozent) sowie der

j) serbischen Provinz Kosovo (51 Prozent)

und mit welcher Begründung sieht die Bundesregierung auch bezüglich
dieser Länder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Sprachanforde-
rungen beim Ehegattennachzug als gewahrt an?

(Wiederholung der Fragen 6a bis 6j auf Bundestagsdrucksache 17/7012,
weil die Bundesregierung in Bezug auf sechs Länder gar keine Erklärung
für die dortigen niedrigen Bestehensquoten gibt, sondern lediglich auf
einen angeblich „zum Teil deutlichen Anstieg“ der Quoten dort verweist,
was aber weder erkennen lässt, welche Länder damit konkret gemeint sind,
noch eine Erklärung für die dennoch sehr niedrigen Quoten – z. B. in
Ghana mit 38 Prozent – ist, während die Bundesregierung in Bezug auf
vier Länder lediglich pauschal auf einen angeblich „besonders hohen An-
teil von externen Prüfungsteilnehmern“ dort verweist, was aber ausweis-
lich der Anlage 4 der genannten Bundestagsdrucksache in Bezug auf drei
der vier genannten Länder (Äthiopien, Jordanien und Pakistan) schlicht
falsch ist, da der Externenanteil dort mit 1, 65 bzw. 74 Prozent unterhalb
des weltweiten Durchschnittswertes externer Prüfungsteilnehmenden in
Höhe von 77 Prozent liegt.)

Berlin, den 22. November 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.