BT-Drucksache 17/7868

Freiwillige Unterstützungsleistung für Opfer des Luftschlags nahe Kundus

Vom 22. November 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7868
17. Wahlperiode 22. 11. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Heike Hänsel, Jan van Aken, Christine Buchholz, Sevim
Dag˘delen, Annette Groth, Inge Höger, Andrej Hunko, Harald Koch, Niema
Movassat, Alexander Ulrich, Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Freiwillige Unterstützungsleistung für Opfer des Luftschlags nahe Kundus

Obwohl der deutsche Offizier der internationalen Afghanistantruppe ISAF,
Oberst Georg Klein, keine Gewissheit darüber hatte, ob sich unter den versam-
melten Menschen Zivilisten befanden, gab er in der Nacht vom 3. auf den
4. September 2009 den Befehl zum Angriff durch US-amerikanische Flug-
zeuge. Ziel des Bombardements war eine Menschenmenge, die sich auf einer
Sandbank nahe der Stadt Kundus im Norden Afghanistan aufhielt, um Treib-
stoff von zwei zuvor entführten Tanklastwagen abzuzapfen. Die Luftschläge
auf die zwei Tanklastwagen haben mindestens 142 Zivilisten getötet.

Am 26. April 2010 kommunizierte die Bundesregierung, dass über die Opfer-
zahl „derzeit nur spekuliert werden [kann]“ (Bundestagsdrucksache 17/1523,
Antwort der Bundesregierung zu Frage 13). Zwei Jahre nach dem Luftschlag
von Kundus besitzt diese Aussage immer noch Geltung. Da es zur Frage nach
der Opferanzahl unterschiedliche Angaben gibt, lässt sich die Anzahl der ver-
letzen und getöteten Personen nicht genau feststellen, so der Bericht des Unter-
suchungsausschusses zum Luftangriff bei Kundus (Bundestagsdrucksache 17/
7400, S. 206). Dem Bericht nach wurde jedoch Bundeskanzlerin Dr. Angela
Merkel am 9. Dezember 2009 ausdrücklich darüber aufgeklärt, dass „Opferlis-
ten ohne intensive eigene Ermittlungen nur schwer zu bestätigen seien“ (Bundes-
tagsdrucksache 17/7400, S. 296).

Die Bundesregierung weiß weder, wie viele Menschen beim Luftschlag von
Kundus insgesamt getötet wurden, noch wie viele davon Zivilisten waren, noch
wie viele Menschen verletzt wurden, geschweige denn wie die Überlebenden
des Luftschlags und deren Hinterbliebene entsprechend zu entschädigen sind.
Auch gab es keine offizielle Entschuldigung bisher von Seiten der Bundes-
kanzlerin Dr. Angela Merkel.

Gegenüber den Opfern ist seitens der Bundesregierung keine Wiedergut-
machung im Rechtssinne bis dato ernsthaft angestrebt worden. An dieser Stelle
ist es wichtig anzumerken, dass von „Entschädigungsleistung“ hierin nicht die
Rede sein darf; deren Gewährung würde unmittelbar bedeuten, dass die

Bundesregierung die rechtliche Verantwortung im Fall Kundus übernimmt. In
diesem Kontext und ohne Anerkennung ihrer Rechtspflicht hat die Bundes-
regierung den Opfern die einmalige Zahlung in Höhe von 5 000 US-Dollar an-
geboten. Mit Nachdruck spezifiziert die Bundesregierung, dass diese Zahlung
keine Entschädigung darstellt, sondern dass es sich vielmehr um eine „frei-
willige Unterstützungsleitung der Bundesregierung“ handelt, welche zugleich
als eine „humanitär begründete Hilfsmaßnahme“ deklariert wird (Bundestags-

Drucksache 17/7868 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

drucksache 17/3723). Die Zahlung in Höhe von 5 000 US-Dollar erfolgt pro
Familie, unabhängig davon, wie viele Opfer eine Familie zu beklagen hat.
Nicht zuletzt argumentiert die Bundesregierung hierfür, dass dieser Geldbetrag
landestypisch angemessen sei.

Für die Art und Weise der Wiedergutmachung ist ausschließlich die Bundes-
regierung verantwortlich. Dessen ungeachtet überließ sie der afghanischen
Menschenrechtskommission AIHRC die Entscheidung Bezug nehmend auf die
Höhe der finanziellen Unterstützungsleitung (Bundestagsdrucksache 17/3723,
Antwort der Bundesregierung zu Frage 6).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie begründet die Bundesregierung die Tatsache, dass sie bis heute, zwei
Jahre nach dem Luftschlag von Kundus, keine genaue Zahl der Opfer bzw.
keine genaue Zahl der getöteten und verletzen Menschen mit der notwendi-
gen Unterscheidung zwischen Zivilisten und Aufständischen bekanntgeben
kann?

2. Hat das Bundesministerium der Verteidigung eigene Ermittlungen durch-
geführt, um festzustellen, um wie viele Opfer es sich bei dem Luftschlag von
Kundus handelt, und wenn ja, bitte Angabe der Zahlen und ggf. die Namen?

Wenn nein, warum nicht?

3. Haben im Auftrag des Auswärtigen Amts oder des Bundesministeriums der
Verteidigung deutsche Politiker (bitte jeweilige Namen angeben) oder
Bundestagsabgeordnete (bitte jeweilige Namen angeben) in der Sache ver-
mittelt, um eine Liste der Opfer vorzubereiten?

Wenn nein, warum nicht?

4. Was ist juristisch unter dem Begriff „freiwillige Ex-gratia-Unterstützungs-
leistung“ zu verstehen?

5. Welche juristischen Aspekte hindern die Bundesregierung daran, die 5 000
US-Dollar, die je Familie nach Empfehlung der afghanischen Menschen-
rechtsorganisation – AIHRC angesetzt werden, als eine Entschädigung im
Rechtssinne zu deklarieren (siehe Bundestagsdrucksache 17/3723, Antwort
der Bundesregierung zu Frage 6)?

6. Auf welche Erkenntnis führt die Entscheidung der Bundesregierung zurück,
den Opfern und Hinterbliebenen des Luftschlags von Kundus aus „humani-
tären Gründen“ helfen zu wollen, angesichts der Tatsache, dass es sich dabei
um den Verlust menschlichen Lebens durch einen verheerenden Luftschlag
handelt (siehe Bundestagsdrucksache 17/3723, Vorbemerkung der Bundes-
regierung)?

7. Inwieweit entspricht den gegenwärtigen moralischen Prinzipien der Bundes-
regierung der Aussage, „[die] Bundesregierung bedauert jedes Opfer und hat
dies bereits in geeigneter Weise zum Ausdruck gebracht“ mit einer ein-
maligen Zahlung von 5 000 US-Dollar pro Familie, gerecht zu werden
(siehe Bundestagsdrucksache 17/3723, Antwort der Bundesregierung zu
Frage 16)?

8. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass der Verlust
menschlichen Lebens mit einer finanziellen Unterstützungsleistung in Höhe
von 5 000 US-Dollar im Missverhältnis steht, angesichts der Tatsache,
dass für vergleichbare Fälle bereits zwischen 20 000 und 33 000 US-Dollar
Entschädigung bezahlt worden sind (siehe Protokoll Nr. 49, Untersuchungs-
ausschuss)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7868

9. Weshalb wich die Bundesregierung jener Entscheidung aus, wodurch die
Höhe der finanziellen Unterstützungsleistung für die Opfer und Hinterbliebe-
nen des Luftschlags von Kundus festgelegt worden wäre, und überließ statt-
dessen diese sensible Entscheidung der externen afghanischen Menschen-
rechtsorganisation AIHRC (siehe Bundestagsdrucksache 17/3723, Antwort
der Bundesregierung zu Frage 6)?

10. Wie viele Familien haben 5 000 US-Dollar durch die Kabul Bank (bitte
jeweils den Namen des Empfängers angeben) erhalten?

Welche konkreten Nachweise hat die Bundesregierung dafür, dass die
namentlich genannten Personen das Geld erhalten haben?

11. Wie viele Witwen, die dem Familienoberhaupt die Ansprüche des verstorbe-
nen Sohnes nicht übertragen haben, haben direkt 5 000 US-Dollar durch die
Kabul Bank (bitte jeweils den Namen der Empfängerin angeben) erhalten?

Welche konkreten Nachweise hat die Bundesregierung dafür?

12. Wie geht die Bundesregierung mit jener Kritik um, angesichts der Tatsache,
dass viele Frauen und Kinder den Ernährer verloren haben, bringe die
Zahlung von 5 000 US-Dollar pro Familie den unwürdigen Umgang der
deutschen Regierung mit den Opfern von Kundus deutlich zum Ausdruck?

13. Nach welcher Liste und Recherche sind die Familien ausgewählt worden?

14. Auf welche Weise sorgt welche Stelle der Bundesregierung in Kundus
dafür, dass sowohl die überlebenden Opfer als auch die Hinterbliebenen
die sogenannten finanziellen Unterstützungsleistungen bekommen?

a) Wenn keine Stelle der Bundesregierung dafür vor Ort sorgt, warum
nicht?

b) Welche konkreten Nachweise hat die Bundesregierung dafür, dass die
finanziellen Unterstützungsleistungen auch bei den betroffenen Fami-
lien ankommen und nicht in falsche Hände geraten?

15. Auf welche Weise sorgt die Bundesregierung dafür, dass die Familien, die
den Ernährer verloren haben, in einem Land ohne leistungsfähiges Sozial-
system ihre Existenz in der Zukunft bestreiten können?

16. Hat die Bundesregierung einen Fonds für die weitere Heilbehandlung der
zum Teil Schwerverletzten gebildet?

Wenn ja, wie funktioniert dieser Fonds?

Wenn nein, warum nicht?

17. Würde sich die Bundesregierung gegebenenfalls dafür einsetzen, dass die-
jenigen Angehörigen der Opfer von Kundus, die Interesse haben, sich in
Deutschland eine Existenz aufbauen können?

Wenn nein, weshalb nicht?

Berlin, den 21. November 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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