BT-Drucksache 17/7864

Die Ergebnisse öffentlicher Forschung für alle zugänglich machen - Open Access in der Wissenschaft unterstützen

Vom 22. November 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7864
17. Wahlperiode 22. 11. 2011

Antrag
der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Herbert Behrens, Agnes Alpers, Nicole Gohlke,
Dr. Rosemarie Hein, Dr. Lukrezia Jochimsen, Kathrin Senger-Schäfer und der
Fraktion DIE LINKE.

Die Ergebnisse öffentlicher Forschung für alle zugänglich machen – Open Access
in der Wissenschaft unterstützen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Strukturwandel im wissenschaftlichen Publizieren hin zu weitgehend digi-
talen Formen und Kanälen ermöglicht mit Open Access den finanziell, tech-
nisch und rechtlich unbeschränkten Zugang zu Forschungsdaten und Publika-
tionen. Eine digitale Publikation ohne Restriktionen unterstützt eine zeitnahe
und unmittelbare Sichtbarkeit der Forschungsergebnisse sowie den Wissens-
transfer in Gesellschaft, Verwaltung und Wirtschaft. Insbesondere der Aus-
tausch zwischen den Disziplinen sowie die internationale Nutzung des Wissens,
auch in ärmeren Regionen, werden durch Open Access erleichtert. Das Open-
Access-Prinzip bedeutet, dass die Ergebnisse öffentlich geförderter Forschung
und Wissenschaft frei zugänglich und im Interesse der Gesellschaft nutzbar
sein müssen. Open Access institutionalisiert den Gemeingutcharakter dieser
Forschungsergebnisse.

Open Access erfährt weltweit immer größere Unterstützung. Amerikanische
Universitäten wie Harvard und Princeton, aber auch renommierte Wissen-
schaftseinrichtungen in Deutschland wie etwa die Berlin-Brandenburgische
Akademie der Wissenschaften (BBAW) setzen auf offene Publikationswege.
90 Prozent der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit geben in
Umfragen eine Präferenz für Open Access an.

Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen wie auch die einzelnen Mitglieds-
organisationen haben sich bereits mehrfach für die weitere Umsetzung des
Open-Access-Gedankens ausgesprochen. Hochschulen und Forschungsinstitute
unternehmen vielfältige Aktivitäten, um die Akzeptanz von kostenfrei zugäng-
lichen Publikationen im Internet zu erhöhen und die entsprechenden Infrastruk-
turen zur Verfügung zu stellen. Je nach Disziplin werden international bereits
zwischen 5 und 30 Prozent der Veröffentlichungen unter Open-Access-Bedin-
gungen publiziert.

Diese Unterstützung speist sich nicht nur aus den gewachsenen technischen

Möglichkeiten, sondern auch aus den Entwicklungen der Märkte für wissen-
schaftliche Publikationen. Mit der zunehmenden Internationalisierung der Wis-
senschaft, einer anschwellenden Publikationstätigkeit und damit einhergehen-
den steigenden Anforderungen an die Koordinierung von Peer-Review-Verfah-
ren sowie der Entwicklung von Zitationshäufigkeiten in Journalen und Zeit-
schriften als Qualitätskriterium der Forschung gewannen große transnationale
Verlagsstrukturen an Bedeutung. Die beherrschende Stellung dieser führenden

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Unternehmen wurde sowohl auf der Seite der wissenschaftlichen Autorinnen
und Autoren als auch auf der Seite der Nutzenden in Wissenschaftseinrichtun-
gen, Bibliotheken und Unternehmen kritisiert.

Zum einen wurden die vertraglichen Bedingungen für die Autorinnen und
Autoren immer ungünstiger. So treten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-
ler in der Regel alle Rechte exklusiv an einen Verlag ab, müssen ein druckreifes
Manuskript abliefern und häufig zusätzlich Publikationsgebühren finanzieren.
Wenn sie ihr Werk anderweitig nutzen wollen, setzt der Verlag die Bedingun-
gen und verlangt zudem Lizenzgebühren. Zum anderen stiegen die Preise vieler
Publikationen, insbesondere im Markt für Zeitschriften und Journals, stark an –
um 5 bis 10 Prozent jährlich. Wissensplattformen wie Bibliotheken und Ar-
chive können auf Grund dieser Preisanstiege, aber auch auf Grund der urheber-
rechtlichen Restriktionen im Bereich der digitalen Zugänglichmachung von
Werken ihrer Aufgabe der Informationsversorgung in der Wissenschaft immer
schlechter nachkommen. In vielen Fällen kann sich die Verlagsbranche auf der
Grundlage von exklusiver Rechteabtretung und den durch öffentliche Einrich-
tungen subventionierten Produktionskostenzuschüssen und Subskriptionsge-
bühren ein nahezu risikofreies Geschäftsmodell aufbauen.

Die Umsetzung des Open-Access-Prinzips kann auf verschiedenen Wegen er-
folgen. Der „Goldene Weg“ sieht die qualitätsgeprüfte Erstveröffentlichung
nach Open-Access-Kriterien auf digitalem Weg vor. Die Kosten der Publika-
tion trägt die Wissenschaft selbst – entweder als Publikationsgebühr an einen
kommerziellen Verlag oder durch die Herausgabe entsprechender Formate und
Zeitschriften sowie die Finanzierung der notwendigen elektronischen Infra-
strukturen.

Der zweite, sogenannte Grüne Weg des Open Access ermöglicht Forscherinnen
und Forschern die Zweitveröffentlichung ihrer Publikationen, die bereits in
kommerziellen Formaten erschienen sind. Hierzu werden in der Regel digitale
Repositorien (Onlinearchive) genutzt, die von Fachgruppen, einzelnen Biblio-
theken oder Hochschulen betrieben und gepflegt werden. Viele kommerzielle
Verlage erlauben grundsätzlich eine Zweitveröffentlichung durch Autorinnen
und Autoren, gestalten jedoch die entsprechenden Verlagsverträge häufig nicht
umsetzungssicher aus und verhindern auf diese Weise eine praktikablere Um-
setzung des Grünen Wegs.

Die Debatte über die Umsetzung von Open Access ist in den vergangenen Jah-
ren um die Frage frei zugänglicher Forschungsdaten erweitert worden. Nicht
nur Forschungsergebnisse, auch für Forschungszwecke erhobene Primärdaten
zu den untersuchten Gegenständen und Arbeitsgebieten sollten, wenn keine
rechtlichen Gründe wie etwa Datenschutz entgegenstehen, dabei mit einer
unbefristeten Lizenzierung versehen offen, in standardisierten Formaten und im
nichtkommerziellen Rahmen kostenfrei zur Verfügung stehen. Auf diese Weise
kann die Qualität wissenschaftlicher Erkenntnisse ohne rechtliche oder tech-
nische Schranken nachgeprüft und so kann der Nutzen der kostenintensiven
Datenerhebung verbreitert werden.

II. Der Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

gemeinsam mit den Ländern eine konsistente Strategie zur Umsetzung des
Open-Access-Modells in der deutschen Wissenschaftslandschaft zu entwickeln.
Dazu wird die Bundesregierung aufgefordert,

a) im Rahmen einer Novellierung des Urheberrechts einen Gesetzentwurf vor-
zulegen, der ein unabdingbares Recht zur Zweitveröffentlichung regelt. Die-
ses gesetzliche Zweitveröffentlichungsrecht soll folgende Bedingungen er-
füllen:

● Das Recht erstreckt sich auf alle wissenschaftlichen Publikationen, die

überwiegend aus öffentlichen Mitteln finanziert worden sind,

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● eine Zweitveröffentlichung wird nicht nur in nichtkommerziellen, son-
dern auch in kommerziellen Publikationen ermöglicht,

● die Sperrfrist, nach der das Zweitverwertungsrecht in Anspruch genom-
men werden kann, beträgt höchstens sechs Monate,

● das Recht gilt auch für eine formatgleiche Zweitveröffentlichung, wobei
die ursprüngliche Erstveröffentlichung jedoch anzugeben ist,

● vertragliche Vereinbarungen, die das Zweitveröffentlichungsrecht ein-
schränken, sind unwirksam;

b) im Rahmen einer Novellierung des Urheberrechts darauf zu achten, dass
digitale Zugänglichmachung und Langzeitarchivierung von Forschungs-
daten und publizierten Forschungsergebnissen gesichert und gefördert wer-
den. Dies gilt grundsätzlich für die wissenschaftliche Nutzung und insbeson-
dere bei überwiegend aus öffentlichen Mitteln finanzierter Forschung. Für
deren Ergebnisse ist eine umfassende Zugänglichmachung zu gewährleisten
und zu fördern. Eine solche Zugänglichmachung und Langzeitarchivierung
behindernde Passagen im Urhebergesetz wie in den §§ 52a, 52b und 53a
sollen bei einer Novellierung entfallen. Sie sind durch eine allgemeine
Wissenschaftsschranke, die, wie mit dem Antrag auf Bundestagsdrucksache
17/6341 gefordert, die Nutzung und Verbreitung von wissenschaftlichen Er-
kenntnissen in der Breite ermöglicht, zu ersetzen;

c) künftig dafür Sorge zu tragen, dass bei überwiegend aus Bundesmitteln
finanzierter Forschung eine Erstveröffentlichung der Ergebnisse als Open-
Access-Publikation in der Regel verpflichtend wird. Spätestens sechs
Monate nach einer unfreien Erstveröffentlichung sind solche überwiegend
öffentlich finanzierten Forschungsergebnisse analog zum in Buchstabe a ge-
forderten Zweitveröffentlichungsrecht verpflichtend in frei zugänglichen
Repositorien und Datenbanken zu veröffentlichen. Auch bestimmte Gattun-
gen der sogenannten Grauen Literatur wie Programmhefte, Tagungsberichte,
Institutsschriften, Preprints, Kataloge, Berichte, Gelegenheitsschriften und
Websites sollen entsprechend frei zugänglich sein. All dies gilt insbesondere
auch für die Ressortforschungseinrichtungen des Bundes. Die grundsätzliche
Freiheit der Wissenschaft, überhaupt zu publizieren oder eine Publikation zu
unterlassen, wird dabei nicht berührt. Sollten für diese Open-Access-Publi-
kationen Publikationskostenzuschüsse nötig sein, sind diese wie bisher durch
die Fördereinrichtungen zu begrenzen. Bisherige Obergrenzen sollten dabei
auf ihre Angemessenheit überprüft und gegebenenfalls gesenkt werden. Ein
Vorstrecken dieser Zuschüsse aus privaten Mitteln der Forscherinnen und
Forscher sollte dabei künftig vermieden werden, insbesondere um mehr Be-
schäftigten im Mittelbau das Publizieren unter Open-Access-Bedingungen
zu ermöglichen;

d) gemeinsam mit den Ländern dafür einzutreten, dass die in Buchstabe c ge-
nannten Verpflichtungen für die Forschung aller öffentlichen Hochschulen
und Forschungseinrichtungen zur Regel werden;

e) den Aufbau, den Ausbau und die Vernetzung eigener Datenbanken, Reposi-
torien und Open-Access-Zeitschriften der Forschungseinrichtungen und ins-
besondere der öffentlichen Hochschulen im Rahmen eines eigenen Pro-
gramms zu fördern. In einem solchen Programm sind auch der Aufbau und
die Vernetzung von Forschungsdatenrepositorien der öffentlichen Hochschu-
len und Forschungseinrichtungen zu unterstützen, die nach Open-Access-
Kriterien und im Rahmen standardisierter Langzeitarchivierung für die
Nachnutzung bereitgestellt werden;

f) sich gemeinsam mit den Ländern und den Wissenschaftseinrichtungen dafür

einzusetzen, dass auch bei Open-Access-Publikationen zu Publikationsart

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und Fachkultur passende, wirksame Qualitätssicherungsmechanismen ver-
einbart werden. So sollte beispielsweise klar zwischen sogenannten Pre- und
Post-print-Versionen zu unterscheiden sein oder das angewandte Begutach-
tungsverfahren beispielsweise durch entsprechende Metadateneinträge nach-
vollziehbar sein. Gleichzeitig sollen Regelungen geschaffen werden, die für
eine besondere Würdigung von Open-Access-Publikationen bei Antragsver-
fahren sorgen und eine Benachteiligung bei Berufungs- und Besetzungsver-
fahren ausschließen;

g) sich zusammen mit den Ländern dafür einzusetzen, dass für unter Open-
Access-Bedingungen publizierte Primärdaten Forschungsdaten und Text-
publikationen möglichst freie und möglichst einheitliche Lizenzen (etwa die
Creative-Commons-Lizenz cc-by) vergeben werden. Jegliche Nutzungs-
einschränkung läuft dem Open-Access-Prinzip zuwider; eine Vielzahl an
verschiedenen Lizenzversionen erschwert die Zusammenführung und Wei-
ternutzung der Forschungsdaten und -publikationen. Einzelfalllösungen für
sensible Forschungsdaten sind dabei zu ermöglichen;

h) Projekte voranzutreiben, die verbindliche Standards für Zugänglichmachung
und Erhalt der digitalen Datenbestände aus öffentlicher Forschung ent-
wickeln. Dazu gehören Fragen der Qualitätssicherung, des Umgangs mit
Metadaten, der Barrierefreiheit und der technischen Voraussetzungen. Die
Auswahl der erhaltenswerten Datenbestände soll den Fachdisziplinen oblie-
gen;

i) Anreize zu schaffen und Selbstverpflichtungen zu fördern, die dazu geeignet
sind, Open-Access-Publikationen auch im Rahmen von privat finanzierter
Forschung voranzubringen;

j) umgehend einen Bericht vorzulegen, in dem über den aktuellen Stand von
Open Access an deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen im
Vergleich zu internationalen Entwicklungen informiert wird und auf dessen
Grundlage die oben genannten Ziele konkretisiert werden können. Weiter
soll die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag in regelmäßigen Ab-
ständen berichten, welche Maßnahmen sie zur Förderung von Open Access
getroffen hat und wie sich Open Access in der Hochschul- und Forschungs-
landschaft entwickelt.

Berlin, den 22. November 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Open-Access-Prinzipien finden eine zunehmende Verbreitung in der Wissen-
schaftslandschaft. Die deutschen Wissenschaftsorganisationen haben bereits
2003 mit der „Berliner Erklärung für den offenen Zugang zu wissenschaftlichem
Wissen“ ihre Unterstützung deutlich gemacht. Seit 2008 koordinieren sie ihre
Aktivitäten in der Schwerpunktinitiative „Digitale Information“. Die Deutsche
Forschungsgemeinschaft (DFG), die ihr Open-Access-Engagement ausdrück-
lich auf die Publikation von wissenschaftlichen Erkenntnissen und Primärdaten
bezieht, fordert bei den Verwendungsrichtlinien ihrer Förderprogramme grund-
sätzlich Open-Access-Publikationen und hat ein eigenständiges Open-Access-
Programm für Publikationskostenzuschüsse aufgelegt. Die Fraunhofer-Gesell-

schaft zur Förderung der angewandten Forschung e. V. hat einen Open-Access-
Volltextserver und eine Publikationsdatenbank eingerichtet und wie immer mehr

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deutsche Hochschulen eine eigene Open-Access-Policy verabschiedet. Die
Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren e. V., die einen beson-
deren Schwerpunkt auf die Veröffentlichung von Forschungsdaten legt, unter-
stützt durch zentrales Projektmanagement ihre einzelnen Zentren bei der Um-
setzung von Open Access, bietet eigene Repositorien und ist in internationalen
Projekten aktiv, die freie Erstveröffentlichungen fördern. Auch die Max-Planck-
Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V. betreibt eigene Reposi-
torien, hat eine Vielzahl von Projekten, die unter Open-Access-Bedingungen
publizieren, und fördert die eigenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
durch einen Open-Access-Publikationsfonds. Diese exemplarischen Aktivitäten
werden durch weitere unzählige Initiativen auf Bundes-, Landes- und Hoch-
schulebene ergänzt.

Open Access unterstützt die Internationalisierung der Wissenschaft und ist ein
wichtiges Mittel im Kampf gegen Informationsarmut. Unfreie Veröffentlichun-
gen, die nicht in den großen internationalen Organen publiziert werden, sind
bisher praktisch schwer international zu verbreiten. Zeitschriften mit national
beschränkter Verbreitung werden selten in den Wissenschaftseinrichtungen im
Ausland abonniert. Als Reaktion auf diese Probleme haben Wissenschaftsein-
richtungen, Fachgesellschaften und Fachministerien aus vielen Ländern bereits
2002 die „Budapest Open Access Initiative“ vereinbart. Nicht nur bei den knap-
pen Budgets der deutschen Wissenschaftseinrichtungen, sondern gerade in Ent-
wicklungs- und Schwellenländern sind umfassende Abonnements von Spezial-
literatur selbst dann nicht zu finanzieren, wenn klassische Wissenschaftsinfra-
struktur vorhanden sein sollte. Bei einer Umstellung auf Open Access und
damit einer Abkehr von für die Nutzer teuren Subskriptionsmodellen ist der
Zugang für ärmere Länder zum globalen Wissensfluss leichter und bei geringe-
rem infrastrukturellem Aufwand leistbar. Durch die Standardisierung und Inter-
operabilität der Metadaten sind Open-Access-Beiträge leicht zu finden und zu
rezipieren. Open Access kann so nicht nur für Wissenschaft und Forschung,
sondern auch im Bildungsbereich dazu beitragen, globale Ungleichheiten abzu-
bauen. Durch den freien Zugang zu Forschungsergebnissen und Primärdaten
lassen sich vor Ort regionale und lokale Herausforderungen beispielsweise im
gesundheits- oder Ernährungsbereich leichter und eigenverantwortlicher ange-
hen. Studien der jüngeren Vergangenheit belegen zudem, dass der Wissens-
transfer durch Open Access in beide Richtungen gestärkt wird. Die Sichtbarkeit
wissenschaftlicher Publikationen aus Entwicklungs- und Schwellenländern ist
im Open-Access-Bereich signifikant höher als bei unfreien Veröffentlichungen.

Kritiker sehen jedoch hohe Kosten für die öffentliche Hand, eine Zerstörung
der wissenschaftlichen Verlagslandschaft und eine Einschränkung der Wissen-
schaftsfreiheit als zentrale Argumente gegen Open Access. Befürworter hinge-
gen gehen vom Grundsatz aus, dass öffentlich finanziertes Wissen auch allen
unter Nutzung der modernen technischen Möglichkeiten zur Verfügung stehen
muss.

Volkswirtschaftlich gesehen bringt Open Access deutliche Vorteile gegenüber
dem derzeit verbreiteten Publikationssystem, das sich über Verlagssubskriptio-
nen finanziert (Toll Access). Nicht nur der „Rückkauf“ von Informationen, son-
dern auch Ineffizienzen bei der Verbreitung und Nutzung des Wissens machen
dieses Modell zu einer für das Gemeinwesen teuren Variante der Informations-
aufbereitung. Für das Verlagswesen ist Open Access eine Herausforderung des
Strukturwandels, der sie sich durch die Schaffung neuer Geschäftsmodelle stel-
len müssen. In den elektronischen Bereichen des wissenschaftlichen Publizie-
rens sind weite Teile des Publikationsprozesses wie Lektorat, Satz und Layout
ganz oder zu großen Teilen auf die Urheberinnen und Urheber übertragen wor-
den. Auch die wissenschaftliche Begutachtung wird in den meisten Disziplinen

durch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbst geleistet. Das Aufga-
benspektrum der Verlage hat sich vor allem in die Bereiche Handhabbarkeit

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und Metadaten, Marketing und formale Qualitätssicherung verlagert. Mit dem
Aufbau von Open-Access-Datenbanken und Repositorien sowie deren dauer-
hafter Verfügbarmachung hingegen ergeben sich neue Wertschöpfungs- und
Beschäftigungsmöglichkeiten auch im privatwirtschaftlichen Sektor, beispiels-
weise im Bereich des IT-Supports, der Softwareentwicklung und im Bereich
der Entwicklung offener Standards, der Zusammenstellung, Verknüpfbarkeit
und Durchsuchbarkeit der Open-Access-Publikationen.

Die Wissenschaftsfreiheit wird nach der Rechtsprechung durch Open Access
nur dann berührt, wenn es um die in der Wissenschaftslandschaft diskutierte
Frage einer Anbietungspflicht der Erstveröffentlichung von beamteten Profes-
sorinnen und Professoren gegenüber den Forschungseinrichtungen und Hoch-
schulen geht. Sowohl eine Zweitveröffentlichung nach Open-Access-Kriterien
als auch die vertraglichen Vereinbarungen von wissenschaftlichen Einrichtun-
gen und Drittmittelförderern mit nicht beamteten Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern zu Gunsten von Open-Access-Publikationen sind nach der-
zeitiger Rechtslage nicht zu beanstanden. Der Gesetzgeber hat zudem auch bei
der Frage der Patentierung im Arbeitnehmererfindungsgesetz Wissenschafts-
einrichtungen und Hochschulen eine aktive Rolle im Umgang mit wissen-
schaftlichen Erkenntnissen zugesprochen.

Der „Goldene Weg“ des Open Access entwickelt sich derzeit dynamischer als
der Grüne. Auch Verlage haben vor diesem Hintergrund neue Geschäftsmodelle
entwickelt. Die Finanzierung der Publikationskosten für Open-Access-Erstver-
öffentlichung durch die öffentliche Hand macht einen Zuschlag für das Einge-
hen des unternehmerischen Risikos überflüssig. Die Investitionskosten einer
Publikation müssen beim Goldenen Weg nicht durch den Verkauf von Werk-
trägern und Nutzungslizenzen gegenfinanziert werden. Wissenschaftliche Ein-
richtungen können im Rahmen des „Goldenen Weges“ entscheiden, ob sie das
Know-how und die technischen Grundlagen der Veröffentlichung selbst auf-
bauen und finanzieren oder hier auf die Angebote der kommerziellen Verlage
zurückgreifen.

Der Grüne Weg ergänzt die derzeit noch überwiegende unfreie Verlagsveröf-
fentlichung. Der Vorteil dieses Modells liegt darin, keinen vollständigen Para-
digmenwechsel in den Finanzierungsmodi der Veröffentlichungen vollziehen
zu müssen. Aus wirtschaftlicher Sicht kann der Grüne Weg mit einem hohen
Kosten-/Nutzenfaktor für die öffentliche Hand aufwarten. Problematisch er-
scheint jedoch, dass vielfach vertragliche Regelungen eine breite Anwendung
dieses Instruments kompliziert oder unmöglich machen. Insbesondere die häu-
fig fehlende Formatgleichheit, aber auch die Embargofristen mindern häufig
den wissenschaftlichen Wert zweitveröffentlichter Publikationen. Ein gesetz-
liches Zweitveröffentlichungsrecht könnte dem Grünen Weg entscheidende Im-
pulse verleihen. Ausgehend vom Grundsatz, dass öffentlich geförderte For-
schung auch öffentlich zugänglich sein soll, gibt es keine Begründung, warum
ein Zweitveröffentlichungsrecht oder die Verpflichtung zur freien Erstveröf-
fentlichung auf Aufsätze und Sammelbandbeiträge beschränkt sein soll. Auch
Monographien wie Qualifikationsschriften oder umfassendere Abhandlungen
zu einem bestimmten Thema (gerade in den Gesellschaftswissenschaften) wer-
den oft im Rahmen von öffentlich geförderten Drittmittelprojekten erstellt.

Goldener und Grüner Weg des Open Access ergänzen sich und können je nach
Fachkultur sowie gesetzlichen und finanziellen Rahmenbedingungen unter-
schiedlich stark an Einfluss gewinnen.

Für eine flächendeckende Durchsetzung des Open-Access-Prinzips sind tech-
nische und organisatorische Infrastrukturen in den Bibliotheken und Wissen-
schaftseinrichtungen notwendig. Da der Aufbau dieser Infrastrukturen unter

den derzeitigen föderalen Rahmenbedingungen nicht von den Ländern allein
geleistet werden kann, sollte der Bund mit einem Sonderprogramm unterstüt-

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zend eingreifen. Eine Open-Access-Offensive durch die Bundesregierung kann
zudem zu einer Akzeptanzsteigerung innerhalb der wissenschaftlichen Gemein-
schaft führen. Zudem würden eine verbesserte Koordinierung und Vernetzung
der öffentlichen Datenbanken, Zeitschriften und Repositorien durch ein solches
Engagement gesichert und eine Abrechenbarkeit gemeinsamer Ziele von Bund
und Ländern wäre gegeben. Ein solches Programm sollte allerdings nicht auf
kurze Sicht befristet werden, sondern für eine dauerhafte und flächendeckende
Umsetzung von Open Access angelegt sein.

Freier Zugang und gesicherte, standardisierte Langzeitarchivierung von For-
schungsdaten fördern offenen Wettbewerb um Forschungsergebnisse und setzen
Erkenntnisgewinn und Transparenz in den Mittelpunkt der Datenverarbeitung
und -speicherung. Auf diese Weise verfügbares Forschungsmaterial reduziert
redundanten Mehrfachaufwand bei der Erhebung und erleichtert Folgeforschun-
gen. Darüber hinaus dienen sie der Überprüfbarkeit der publizierten Ergebnisse.

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