BT-Drucksache 17/7798

Entwicklungszusammenarbeit mit Kolumbien in der Region La Macarena

Vom 22. November 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7798
17. Wahlperiode 22. 11. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Heike Hänsel, Sevim Dag˘delen, Annette Groth, Andrej Hunko,
Niema Movassat, Paul Schäfer (Köln), Alexander Ulrich, Kathrin Vogler
und der Fraktion DIE LINKE.

Entwicklungszusammenarbeit mit Kolumbien in der Region La Macarena

Der Plan zur integralen Konsolidierung der Region La Macarena (Plan de Con-
solidación Integral de La Macarena – PCIM) in Kolumbien ist ein Pilotpro-
gramm im Rahmen des nationalen „Programms der Territorialen Konsolidie-
rung“. Bei dem PCIM handelt es sich um eine Strategie zur Wiedergewinnung
des Territoriums und Schaffung fortdauernder Sicherheit durch staatliche
Sicherheitskräfte. Nach einer Direktive des kolumbianischen Präsidenten
Álvaro Uribe vom 20. März 2009 sollen mit dieser Strategie „die notwendigen
Bedingungen für eine nachhaltige Konsolidierung des Staates im Einverneh-
men mit den territorialen Besonderheiten gestärkt werden“.

Die Region La Macarena befindet sich im südwestlichen Departement Meta und
ist als Naturschutzgebiet ausgewiesen. Zudem wurde La Macarena von der
UNESCO (Organisation der Vereinten Nationen zur Förderung von Erziehung,
Wissenschaft und Kultur sowie Kommunikation und Information) zu einem
biologischen Reservat der Menschheit erklärt. Die Region mit einer Größe von
30 080 km2 und rund 100 000 Einwohnern besteht aus sechs Gemeinden: La
Macarena, Mesetas, Puerto Rico, San Juan de Arama, Uribe und Vista Hermosa.
Sie umfasst 35 Prozent der Gesamtfläche des Departements Meta. Die Region
gilt zugleich als ein Zentrum des Kokaanbaus. Nach Angaben des letzten UN-
Drogenberichtes dienten im Jahr 2009 4 295 Hektar dem Kokaanbau.

Der PCIM wird in der Region La Macarena mit dem Ziel umgesetzt, das Ge-
waltmonopol in dieser Region zurückzugewinnen. Zwar wurden Teilgebiete
von den kolumbianischen Streitkräften befriedet, doch werden andere Gebiete
in La Macarena weiterhin von illegalen bewaffneten Akteuren kontrolliert.
Demnach wird der PCIM in einer militärisch umkämpften Zone durchgeführt.

Von Seiten der kolumbianischen Zivilgesellschaft und Menschenrechtsorgani-
sationen wird die Strategie des PCIM stark kritisiert. Erstens, weil dieses Pro-
gramm ohne Berücksichtigung der Konfliktsituation, in der sich die Gemeinden
der Region La Macarena bis heute noch befinden, durchgeführt wird und zwei-
tens, weil der PCIM eine starke militärische Komponente enthält. Der Aufbau,

das Funktionieren und Agieren des staatlichen Apparates zur Durchführung des
PCIM obliegen dem Zentrum zur Koordinierung der integralen Aktion (CCAI).
Dieses Zentrum wurde im Jahr 2009 durch einen Präsidialerlass ausschließlich
für die Durchführung dieses Vorhabens gegründet und besteht aus dem Vertei-
digungsministerium, dem Oberbefehlshaber der Streitkräfte, dem Generaldirek-
tor der Polizei, dem Geheimdienstdirektor, dem Generalstaatsanwalt und dem

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Hochkommissar im Präsidialamt für Soziale und Internationale Zusammenar-
beit.

Die Implementierung des PCIM ermöglicht, dass der Militärapparat die Staats-
gewalt in zentralen Aufgaben ersetzt. „Für den Fortschritt der territorialen Kon-
solidierung wird dem militärischen Einfluss die größte Aufmerksamkeit und
Verantwortung beigemessen, so dass die sozialen Werte, die Demokratie und
die Menschenrechte der Anwohner beschränkt werden“. Dieser Auffassung ist
das kolumbianische sozialrechtliche Anwaltskollektiv Orlando Fals Borda, das
Beratungsstatus bei der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) besitzt.
Das Anwaltskollektiv ist zudem der Meinung, dass es bei diesem Vorhaben
„einzig und allein um die Etablierung sozialer, polizeilicher, militärischer und
geheimdienstlicher Kontrolle geht.“

Historisch gilt das Gebiet La Macarena als strategisch wichtiges Operationsge-
biet der Guerillaorganisation FARC. Zudem ist im gesamten Departement Meta
die paramilitärische Gruppe „Revolutionären Antiterroristischen Volksarmee
Kolumbiens (Ejército Revolucionario Popular Antiterrorista de Colombia –
ERPAC)“ präsent. Die ERPAC ist ein zentraler Akteur in der Herstellung und
dem Handel mit Kokain. In einer Selbstbeschreibung bezeichnet sich die
ERPAC als „kriminelle Bande im Dienste des Drogenhandels (bandas crimina-
les als servicio del narcotráfico – BACRIM)“. In einem Bericht der Diözese
vom Granada (Departement Meta) vom Juni 2011 wird von anhaltender Gewalt
durch die nichtstaatlichen bewaffneten Akteure berichtet. Dokumentiert wer-
den gewaltsame Todesfälle, Entführungen von lokalen Politikerinnen und Poli-
tikern, Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidigern, die
Verlegung von Anti-Personenminen, erzwungene Rekrutierungen von Minder-
jährigen, Landentzug und gewaltsam erzwungene Vertreibungen. In den sechs
Gemeinden der Region La Macarena wurden im Jahr 2010 1 897 Personen in-
tern vertrieben.

Zwischen April und Juli 2010 begann die damalige Deutsche Gesellschaft für
Technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbH (heute Deutsche Gesellschaft für In-
ternationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH) im Auftrag des Bundesministeri-
ums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) die „Prüfung
einer Unterstützung aus deutscher TZ zum Plan de Consolidación Integral de la
Macarena (PCIM) – Kolumbien“. Darauffolgend „hat die GTZ die Unterstüt-
zung der zuständigen staatlichen kolumbianischen Stellen bei der partizipativen
Erstellung eines Raum/Umweltordnungsplans für die Region Macarena emp-
fohlen“, wie in einem Dokument des BMZ vom 13. Oktober 2010 zu lesen ist.
Ergebnis dieser Prüfung ist die Maßnahme der technischen Zusammenarbeit
(TZ) „Förderung von vertrauensbildenden Maßnahmen zur partizipativen Um-
setzung der Umweltordnung (AMEM) in der Region Macarena – SerMacarena“,
deren Durchführung für den Zeitraum Juli 2011 bis Juni 2013 vorgesehen ist.

Wenngleich diese TZ-Maßnahme in der Region La Macarena nicht als direkte
Unterstützung des PCIM und seiner militärischen Komponente geplant und
umgesetzt wird, wird diese Maßnahme jedoch mit dem PCIM und den Maßnah-
men der anderen Geber in sogenannten strategischen Dialogen sowie in spezi-
fischen Arbeitsgruppen koordiniert und abgestimmt (Dokument des BMZ,
Referat 03, vom 3. Juni 2011). Mehrere Entwicklungsorganisationen, darunter
Caritas international des Deutschen Caritasverbands e. V. und das Bischöfliche
Hilfswerk MISEREOR e. V., hatten im Herbst 2010 dem BMZ dringend nahe-
gelegt, von der Unterstützung des PCIM abzusehen. Der Entwicklungsplan, so
die entwicklungspolitischen Organisationen, stehe unter einem sicherheitspoli-
tischen Primat und sei Teil der Aufstandsbekämpfung in der Region.

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Wir fragen die Bundesregierung:

1. Was versteht die Bundesregierung konkret unter „Förderung von vertrau-
ensbildenden Maßnahmen zur partizipativen Umsetzung der Umweltord-
nung (AMEM) in der Region Macarena“?

2. Welche Ziele verfolgt die Bundesregierung konkret mit dem Projekt „För-
derung von vertrauensbildenden Maßnahmen zur partizipativen Umset-
zung der Umweltordnung (AMEM) in der Region La Macarena“?

3. Was waren die grundsätzlichen Beweggründe für die Bundesregierung,
sich in der Region La Macarena zu engagieren?

4. Wer wird die Durchführung der TZ-Maßnahme in der Region La Macarena
evaluieren?

5. Weshalb koordiniert die Bundesregierung die Durchführung der TZ-Maß-
nahme in der Region La Macarena mit dem zivilmilitärischen Projekt
PCIM?

6. Wie begründet die Bundesregierung die Koordinierungsarbeit der TZ-
Maßnahme in der Region La Macarena mit dem Zentrum zur Koordinie-
rung der integralen Aktion (CCAI), welches direkt dem kolumbianischen
Verteidigungsministerium untersteht und in enger Koordinierung mit dem
militärischen US-Südkommando arbeitet?

7. Weshalb wird die Koordinierung mit dem Zentrum zur Koordinierung der
integralen Aktion in keinem Dokument der Bundesregierung erwähnt?

8. Ist der Bundesregierung bekannt, dass der Hauptsitz des PCIM in der Mili-
tärbasis der Gemeinde Vista Hermosa liegt (siehe: CCAI-Colombia), und
welche Konsequenzen zieht sie daraus für die Durchführung der TZ-Maß-
nahme in der Region La Macarena (siehe: http://ccai-colombia.org/2011/
10/07/en-la-macarena-un-programa-con-piloto-automtico/)?

9. Wie kann die Bundesregierung sicherstellen, dass „die TZ-Maßnahme
nicht als direkte Unterstützung des Plans der integralen Konsolidierung der
Macarena (PCIM) geplant und umgesetzt [wird].“ (Dokument des BMZ,
Referat 03, vom 3. Juni 2011)?

10. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass die TZ-Maßnahme in der Re-
gion La Macarena ausschließlich die zivilen Teile des PCIM fördert?

11. Für welche konkreten Maßnahmen werden die für die TZ-Maßnahme in
der Region La Macarena zur Verfügung stehenden 500 000 Euro verwen-
det?

12. Wie bewertet die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Aussage
des US-Botschafters William R. Brownfields, der das PCIM in einem
Kabelbericht vom 26. Januar 2010 explizit als ein Modell der Aufstands-
bekämpfung lobt (Reference ID 10Bogota264)?

13. Welche Erfahrungen werden aus der bisher erfolgten zivilmilitärischen Zu-
sammenarbeit im Rahmen der Colombia Strategic Development Initiative
(CSDI) für die Umsetzung der TZ-Maßnahme in der Region La Macarena
(siehe USAID/OTI’S INITIAL GOVERNANCE RESPONSE PROGRAM
IN COLOMBIA, a final evaluation, Seite i, APRIL 2011) genutzt?

14. Mit welchen konkreten Maßnahmen unterstützt die Bundesregierung das
Vorhaben zur partizipativen Umsetzung der Umweltordnung in der Region
La Macarena?

15. Wie begründet die Bundesregierung die Entscheidung, in Kolumbien mit

einem Projekt (PCIM) zu kooperieren, dessen aktuelle Phase rein militäri-
scher Natur ist?

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16. Wie stellt sich die Bundesregierung konkret das Engagement in der Region
La Macarena vor, angesichts der Tatsache, dass auch in diesem Gebiet
nichtstaatliche bewaffnete Akteure in der Absicht, das Territorium weiter-
hin für den Drogenhandel zu behalten, Gewaltakte verüben?

17. Inwieweit kann diese Kooperation zu einer wirklichen Verringerung des
Drogenhandels in der Region La Macarena beitragen?

18. Wie begründet die Bundesregierung ihre Aussage „Die Bundesregierung
ist davon überzeugt, durch die Beratung bei der Erstellung eines Raum-/
Umweltordnungsplans zur Verbesserung der Rechtssituation der Landbe-
völkerung in der Macarena und damit nachhaltig zur Befriedung und Ent-
wicklung der Region beizutragen“ (Bundestagsdrucksache 17/4327, Ant-
wort der Bundesregierung zu Frage 4)?

19. Was plant die Bundesregierung konkret im Rahmen der TZ-Maßnahme,
um zur Verbesserung der Rechtssituation der Kleinbauern in der Region La
Macarena beizutragen?

20. Was plant die Bundesregierung konkret im Rahmen der TZ-Maßnahme,
um nachhaltig zur friedlichen Entwicklung in der Region beizutragen?

21. Wie wird die Bundesregierung das von ihr formulierte Ziel, „zur Lösung
der Landproblematik und damit zur Schaffung der notwendigen Vorausset-
zungen für die angestrebte Landtitelvergabe beizutragen“ (Bundestags-
drucksache 17/4327, Antwort der Bundesregierung zu Frage 4), in einer
von Gewalt durchdrungenen Region wie La Macarena umsetzen können?

22. Auf welcher konkreten Analyse basiert die folgende Aussage Bezug neh-
mend auf die TZ-Maßnahme in der Region La Macarena: „Die Bundes-
regierung ist davon überzeugt, dass das Risiko für Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter, ebenso wie für Partnerinnen und Partner vor Ort sowie die Ziel-
gruppe der Maßnahme unter Berücksichtigung der im Prüfbereich der GTZ
enthaltenen Maßnahmen minimiert werden kann“ (Bundestagsdrucksache
17/4327, Antwort der Bundesregierung zu Frage 11a)?

Wie stellt die Bundesregierung diese Risikominimierung sicher?

23. Wie werden konkret die deutschen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vorbe-
reitet, um kompetent die TZ-Maßnahme in La Macarena durchzuführen,
wenn die Bundesregierung bereits darauf hinweist, „dass in Kolumbien
wegen des Binnenkonfliktes für Kooperanten grundsätzlich ein Risiko be-
steht, Ziel von Aktionen illegaler Gewaltgruppen zu werden“ (Bundestags-
drucksache 17/4327, Antwort der Bundesregierung zu Frage 11d)?

24. Werden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der GIZ oder des BMZ, wenn sie
in die Region La Macarena reisen, von der kolumbianischen Armee oder
Polizei aus Sicherheitsgründen begleitet?

Wenn nicht, warum nicht?

25. Was führt die Bundesregierung zu der Aussage, dass die Erfahrungen aus
der Maßnahme des PCIM als „Lessons learnt“ in die Arbeit der deutschen
Entwicklungszusammenarbeit in problematischen Sicherheitssituationen
und der dortigen Schaffung von Governancestrukturen einfließen könnten
(Dokument des BMZ, Referat 224, vom 13. Oktober 2010)?

26. Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, dass in den sechs Gemein-
den, in denen die TZ-Maßnahme implementiert wird, das Phänomen der
Vertreibung immer noch präsent ist und allein im Jahr 2010 in Vista Her-
mosa 760, in Uribe 177, in Mesetas 210, in San Juan de Arama 175, in La
Macarena 225 und in Puerto Rico 350 Menschen forciert vertrieben wor-
den sind?
Welche Konsequenzen zieht sie daraus für die Projektimplementierung in
der Region La Macarena?

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27. Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang das Land-
rückgabegesetz der kolumbianischen Regierung vom 10. Juni 2011, wel-
ches die Landrückgabe an die vertriebene Bevölkerung des Landes zum
Ziel hat?

28. Wie begründet die Bundesregierung ihre Aussage, dass die TZ-Maßnahme
in der Region La Macarena ein wichtiger Beitrag zur Lösung der Landpro-
blematik in Kolumbien sei (Bundestagsdrucksache 17/4327, Antwort der
Bundesregierung zu Frage 3)?

29. Durch welche konkreten Handlungen kann die TZ-Maßnahme in der Re-
gion La Macarena einen wichtigen Beitrag zur Lösung der Landproblema-
tik in Kolumbien leisten?

30. Welche Aspekte der praktischen Projektausführung und Zusammenarbeit
können aus dem Engagement in der Region La Macarena von besonderer
Bedeutung für die neue Kooperation zwischen der Deutschen Gesellschaft
für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH und dem Bundesministe-
rium der Verteidigung sein?

31. Inwieweit rechnet die Bundesregierung damit, dass die Durchführung der
TZ-Maßnahme in der Region La Macarena ins Leere laufen kann, ange-
sichts der Tatsache, dass die aktuelle Phase des Konsolidierungspro-
gramms einer reinen militärischen Aktion entspricht und die GIZ mit Pro-
jekten zivilmilitärischen Charakters in lateinamerikanischen Konfliktre-
gionen wenig Erfahrung hat?

32. Zog die Bundesregierung die Möglichkeit in Erwägung, Kolumbien im Be-
reich der humanitären Hilfe zu unterstützen, um beispielsweise zur Lösung
der menschenunwürdigen Situation, in der sich die vertriebene Bevölke-
rung derzeitig befindet, beizutragen?

Wenn nein, warum nicht?

33. Zog die Bundesregierung die Möglichkeit in Erwägung, Kolumbien im Si-
cherheitsbereich Hilfe zu leisten, um zum Kampf gegen den Drogenhandel
und das organisierte Verbrechen beizutragen?

Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 16. November 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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