BT-Drucksache 17/7667

zu der Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung - Drucksache 17/7292 - Waldstrategie 2020 Nachhaltige Waldbewirtschaftung - eine gesellschaftliche Chance und Herausforderung

Vom 9. November 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7667
17. Wahlperiode 09. 11. 2011

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Cornelia Behm, Harald Ebner, Bärbel Höhn, Undine Kurth
(Quedlinburg), Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, Markus Tressel,
Hans-Josef Fell, Bettina Herlitzius, Dr. Anton Hofreiter, Sylvia Kotting-Uhl,
Oliver Krischer, Stephan Kühn, Ingrid Nestle, Dr. Hermann E. Ott,
Dorothea Steiner, Daniela Wagner, Dr. Valerie Wilms, Thilo Hoppe,
Sven-Christian Kindler und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
– Drucksache 17/7292 –

Waldstrategie 2020

Nachhaltige Waldbewirtschaftung – eine gesellschaftliche Chance
und Herausforderung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Trotz monatelanger Nacharbeit bleibt die Waldstrategie der Bundesregierung
sowohl aus holz- und forstwirtschaftlicher Sicht als auch aus dem Blickwinkel
des Naturschutzes dürftig. Die Bundesregierung hat nicht erkannt, dass die
politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen der Waldbewirtschaftung
endlich den zentralen Gemeinwohlleistungen der Wälder angepasst werden
müssen. Es darf kein Entweder/Oder zwischen Waldnaturschutz und Holzver-
sorgung geben. Wichtige Aspekte fehlen ganz, an etlichen Punkten werden die
falschen Ansätze verfolgt. Die vorhandenen positiven Inhalte werden nicht mit
konkreten Maßnahmen und Instrumenten untersetzt. So bleibt offen, wie die
Bundesregierung die Ziele ihrer Waldstrategie erreichen will.

Die Bundesregierung bekennt sich weiterhin nicht zu einer bundesweiten,
rechtlich verbindlichen „Guten fachlichen Praxis“ für die Forstwirtschaft. Da-
bei hat Deutschland laut Bundeswaldinventur II einen Anteil von 65 Prozent
Wälder mit nichtnaturnaher Baumartenzusammensetzung und damit einen gro-

ßen Nachholbedarf in Sachen naturnaher Bewirtschaftung. Zudem werden der
Nutzungsdruck und damit die Gefahr der Übernutzung der Wälder weiter stei-
gen. Ökologische Mindeststandards für die Waldbewirtschaftung sind also un-
abdingbar, um eine Übernutzung der Wälder verhindern zu können, wenn die
Holznachfrage über dem Holzangebot liegt. Sie sind auch nötig, um den Folgen
des Klimawandels zu begegnen.

Drucksache 17/7667 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Mit keinem Wort geht die Bundesregierung in ihrer Waldstrategie auf die be-
sondere Verantwortung Deutschlands für den Erhalt der Buchenwälder ein.
Alte, naturnahe Buchenwälder zählen heute zu den weltweit stark bedrohten
Lebensräumen. Deutschland beherbergt etwa ein Viertel des natürlichen Ver-
breitungsgebietes der Rotbuche. Zahlreiche Buchenwaldtypen gibt es nur hier.
Die UNESCO hat ihre Schutzwürdigkeit erkannt und im Juni dieses Jahres fünf
deutsche Buchenwälder zum Weltnaturerbe erklärt. Für die Waldstrategie der
Bundesregierung hat dies offensichtlich keine Bedeutung.

Unzureichend ist auch die Verknüpfung der Waldstrategie mit der Nationalen
Biodiversitätsstrategie. So wird das Ziel, 5 Prozent der deutschen Waldflächen
bzw. 10 Prozent des öffentlichen Waldes einer natürlichen Waldentwicklung zu
überlassen, weder explizit genannt noch werden Maßnahmen zur Umsetzung
aufgeführt.

Schuldig bleibt die Waldstrategie zudem eine Antwort auf die Frage, welche
politischen Konsequenzen die Bundesregierung aus dem prognostizierten Holz-
mangel ziehen will. Prognosen gehen davon aus, dass bis zum Jahr 2020 die
Holznachfrage in jedem Jahr bis zu 30 Mio. Kubikmeter über dem einhei-
mischen Angebot liegen wird. Eine klare Analyse der Entwicklung des Holzein-
schlags und des Holzpotenzials fehlt in der Waldstrategie jedoch völlig. Die ist
aber notwendig, bevor politische und betriebswirtschaftliche Entscheidungen
getroffen werden können.

Angesichts der drohenden Holzlücke drängt die Frage, ob der Ausbau der ener-
getischen Holznutzung tatsächlich wie geplant stattfinden sollte. Der mit den
Änderungen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes gefasste Beschluss, den Aus-
bau der Waldholzverstromung – auch in großen Kraftwerken – fortzusetzen, ist
Teil einer Entwicklung, die dazu führen wird, dass der Rohstoff der Holz-
industrie zu immer größeren Teilen direkt verfeuert wird. Das ist das Gegenteil
einer sinnvollen Kaskadennutzung, in der die stoffliche vor der energetischen
Nutzung steht. Es ist nicht zu erkennen, wie die Bundesregierung darauf reagie-
ren will. So lässt sie sehenden Auges zu, dass bedeutende Teile der Holz-
wirtschaft trotz Waldstrategie ins Aus geraten.

Weiterhin entwickelt die Bundesregierung keinerlei Strategie, wie holzwirt-
schaftlich auf den auch von ihr als notwendig angesehenen Waldumbau weg
von Fichten- und Kiefernmonokulturen hin zu Mischwäldern zu reagieren ist.
Nur wenn die Nutzungseigenschaften und die Akzeptanz von Laubholz in den
holzverarbeitenden Branchen verbessert werden, kann ein Anstieg der Nadel-
holzimporte verhindert werden. Dieses Problem darf nicht ausgeblendet wer-
den, wenn es um die regionale Wertschöpfung, um Arbeit und Einkommen in
Deutschland geht.

Ein weiterer blinder Fleck ist die Jagdpolitik. Die Bundesregierung hat nicht
erkannt, dass eine Regulierung der Schalenwildbestände nicht nur eine natür-
liche Verjüngung aller Hauptbaumarten ohne Zaun ermöglichen muss, sondern
die Verjüngung sämtlicher standortheimischer Baumarten. Ihr von der Jagd-
lobby verordneter jagdpolitischer Stillstand geht zu Lasten von Land- und
Forstwirten. Denn in den Regionen, in denen sich aufgrund überhöhter Wild-
dichten der Wald nicht natürlich verjüngen kann und Wildschäden überhand
nehmen, bleiben die Vitalität der Wälder und gewinnbringende Holzerträge auf
der Strecke.

Insgesamt macht die Waldstrategie 2020 deutlich, dass der Bundesregierung in
Fragen der Forst- und Holzwirtschaft, der Jagdpolitik und des Naturschutzes im
Wald die richtigen Konzepte und der Handlungswille fehlen.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7667

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

ein holz- und forstwirtschaftliches Programm vorzulegen,

● das die Gemeinwohlleistungen des Waldes nachhaltig sicherstellt und auf
die klimapolitischen Herausforderungen reagiert, indem es ökologische,
ökonomische und ressourcenpolitische Aspekte integriert.

Dazu sollen vorrangig folgende Maßnahmen umgesetzt werden:

– die Formulierung ökologischer Mindestanforderungen an die ordnungs-
gemäße und nachhaltige Forstwirtschaft im Bundeswaldgesetz;

– die Zertifizierung des Waldes in öffentlicher Hand nach Forest-Steward-
ship-Council- oder Naturlandkriterien auch als Vorbild für den Privat-
wald;

– die Einführung verpflichtender Nachhaltigkeitskriterien für den Handel
mit und die Verwertung von Holz und Holzprodukten auf nationaler, eu-
ropäischer und langfristig auch auf internationaler Ebene;

– die umweltorientierte Überarbeitung der Förderungsgrundsätze für forst-
wirtschaftliche Maßnahmen der Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und
Küstenschutz (GAK) und die Einführung von Wald-/Umwelt-Maß-
nahmen;

– die Erweiterung der Aufgaben der forstwirtschaftlichen Vereinigungen
um die Durchführung forstwirtschaftlicher Maßnahmen;

– die Überarbeitung des Jagdrechts unter tierschutz-, naturschutz- und wald-
baulichen Prämissen;

– der Schutz des Waldes vor schädlichen Umwelteinflüssen, indem insbe-
sondere die Einträge von Stickstoffverbindungen und anderen Schadstof-
fen weiter vermindert werden;

– der Schutz des Waldes vor den Folgen des Klimawandels, insbesondere
durch den Waldumbau hin zu naturnahen Wäldern;

– die Erhöhung des CO2-Bindevermögens durch eine Steigerung des Holz-
vorrates im Wald;

– die Übernahme von Verantwortung für den internationalen Waldschutz
durch aktive Unterstützung des FLEGT-Prozesses auf EU-Ebene sowie
auf internationaler Ebene der Einsatz für einen nachhaltigen REDD+-Pro-
zess unter Berücksichtigung sozialer und menschenrechtlicher Aspekte;

● das die biologische Vielfalt der Wälder schützt und fördert.

Dazu sollen vorrangig folgende Maßnahmen umgesetzt werden:

– die Umsetzung der Nationalen Biodiversitätsstrategie im Wald mit dem
Ziel, die Erhaltung der gesamten Vielfalt an Arten und Biotoptypen der
Wälder abzusichern und dazu u. a. für mehr Totholz in den Wäldern zu
sorgen;

– die Etablierung des Vertragsnaturschutzes als Instrument des Waldnatur-
schutzes;

– die zielgerichtete und mit einem naturschutzfachlichen Konzept unter-
setzte schnelle Umsetzung des 5-Prozentziels der Nationalen Biodiversi-
tätsstrategie für Wälder mit natürlicher Entwicklungsdynamik als Ein-
stieg in ein umfassendes Urwaldprogramm;

– der grundsätzliche Verzicht auf den Verkauf von Wäldern aus Bundes-
besitz an Betriebe des Privatwaldes (mit Ausnahme von Splitterflächen);

Drucksache 17/7667 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

– die Einrichtung einer bundesweiten Dachorganisation „Deutsches Natur-
walderbe“, in die Institutionen und Organisationen, die Eigentümer von
ungenutzten Naturwäldern und Naturwaldentwicklungsgebieten sind,
ihre Flächen ohne Verzicht auf ihr Eigentum einbringen können;

● das dafür sorgt, dass der knappe Rohstoff Holz nachhaltig und naturverträg-
lich bereitgestellt wird und die nachhaltige und naturnahe Bewirtschaftung
der Wälder absichert.

Dazu sollen vorrangig folgende Maßnahmen umgesetzt werden:

– effektive Maßnahmen für einen effizienteren und sparsameren Holzein-
satz sowohl im Bereich der stofflichen als auch der energetischen Holz-
nutzung, die dafür sorgen, dass aus weniger Holz mehr Wohlstand ge-
schöpft wird, insbesondere durch die verstärkte Förderung von Holzinno-
vationen und Holzforschung;

– eine Initiative „Holzbau“ u. a. mit der Änderung von Vorschriften, die
den Holzbau hemmen, dem Bau repräsentativer, holzbetonter öffentlicher
Bauten als Vorbild, mit der Markteinführung von Holzbauprodukten
durch die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe, und der Schaffung und
dem Ausbau von unabhängigen Beratungseinrichtungen und von Holz-
kompetenzzentren;

– ein Forschungs- und Investitionsprogramm zur besseren Verwertung von
Laubholz und zur Förderung von Holzprodukten mit langer Nutzungs-
dauer;

– die Orientierung der Holzenergieförderung an einem für die Wälder und
die übrige Holzwirtschaft verträglichen Rahmen und die Konzentration
der Holzenergienutzung auf den Wärmemarkt, die Verstromung in effi-
zienten Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen und auf die Versorgung mit
Regelenergie;

– eine Initiative „Effiziente Holzenergienutzung“ u. a. mit Maßnahmen zur
Beschleunigung der Altbausanierung, der Heizungsmodernisierung und
des Ausbaus der Kraft-Wärme-Kopplung, im Marktanreizprogramm für
erneuerbare Energien, im Immissionsschutzrecht, im Erneuerbare-Ener-
gien-Gesetz und im Treibhausgashandel;

– ein Abbau der steuerlichen Förderung von Brennstoffen auf Basis von
Holz im Umsatzsteuerrecht und eine Energiebesteuerung dieser Stoffe
nach dem Prinzip der Internalisierung von Kosten durch Umwelt- und
Klimaschäden;

– die bessere Erfassung und hochwertige Verwertung von Papier- und
Holzabfällen sowie die Erhöhung der Recyclingquote;

– wirksame Maßnahmen zur Mobilisierung der Potenziale im Kleinprivat-
wald und zur Stärkung forstwirtschaftlicher Vereinigungen und Waldge-
nossenschaften;

– Maßnahmen zur langfristigen Verbesserung der Holzversorgung z. B.
durch an die frühzeitige Naturverjüngung der Wälder angepasste Scha-
lenwildbestände, durch eine Verminderung der Waldschäden und durch
eine Ausweitung der Waldfläche;

– die effektivere Förderung des Aufbaus und der Verwaltung forstwirt-
schaftlicher Vereinigungen mit Mitteln der GAK;

– die Förderung von Modellen zur Aktivierung passiver Kleinprivatwald-
besitzer nach dem Thüringer Modell;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/7667

● das durch Bürgernähe und soziale Verantwortung die gesellschaftliche Ak-
zeptanz für eine gemeinwohlorientierte Waldbewirtschaftung fördert.

Dazu sollen vorrangig folgende Maßnahmen umgesetzt werden:

– die Einführung eines Mindestlohns in der Forstbranche;

– die Anpassung von Qualifikation, Aufgaben, Erkenn- und Erreichbarkeit
der Forstverwaltung an die steigende Freizeitnutzung des Waldes;

– die Stärkung der Waldpädagogik innerhalb und außerhalb der Kinder-
tagesstätten und Schulen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene.

Berlin, den 9. November 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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