BT-Drucksache 17/7566

Zwischenbilanz zur laufenden Volkszählung

Vom 31. Oktober 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7566
17. Wahlperiode 31. 10. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Korte, Ulla Jelpke, Petra Pau, Jens Petermann,
Frank Tempel, Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Zwischenbilanz zur laufenden Volkszählung

Rund 100 Tage nach dem Zensusstichtag hat das Statistische Bundesamt eine
Zwischenbilanz zur laufenden Volkszählung gezogen. Die Zensusleiterin
Dr. Sabine Bechtold erklärte gegenüber dem „Handelsblatt“: „Es gibt keine Ver-
weigerungshaltung in der Bevölkerung und der Rücklauf ist sehr erfreulich“. So
sei nach Angaben des Statistischen Bundesamts die Haushaltebefragung bei
bundesweit 7,9 Millionen Bürgern weitgehend erfolgt (vgl. Handelsblatt vom
31. August 2011). Auch bei der rein postalisch durchgeführten Gebäude- und
Wohnraumzählung und bei den Onlinemeldungen läge die Rücklaufquote sehr
hoch.

Laut „Handelsblatt“ zögen Datenschützer jedoch eine weniger positive Zwi-
schenbilanz. Demnach gebe es „viele Rückmeldungen von Betroffenen, die von
Vielfachbefragungen und unnötigen Mahnungen berichten. Datenschutzaktivist
Werner Hülsmann vom Arbeitskreis Zensus warnte zudem vor „Trittbrettfah-
rern, die über telefonische Befragungen nach dem Zensusschema an persön-
liche Daten kommen wollen. Es gebe auch Hinweise darauf, dass Zensusdaten-
sätze an Unbefugte verkauft worden seien.“ (ebd.).“

In einer Pressemitteilung vom 18. Juli 2011 erklärten das Bundesministerium
für Wirtschaft und Technologie und das Bundesministerium für Arbeit und
Soziales zu dem Problem von „Trittbrettfahrern“, dass es „vereinzelt Vor-
kommnisse in der im Artikel beschriebenen Art, worüber die Öffentlichkeit von
den Statistischen Ämtern jeweils informiert worden war“ gegeben habe. Aller-
dings seien „den Statistischen Ämtern keine Hinweise bekannt, dass Zensus-
datensätze an Unbefugte verkauft worden seien. Ein solcher Vorgang wäre
strafrechtlich relevant, entsprechende Hinweise würden umgehend den Straf-
verfolgungsbehörden übergeben.“ (ebd.).“

Jan Schejbal berichtete bereits zu Beginn der Erfassung im Mai 2011 in seinem
Blog (https://janschejbal.wordpress.com/) von mehreren Sicherheitsproblemen
und Pannen. Danach seien den Befragten die Übertragung ihrer persönlichen
Zugangsdaten in einer unsicheren Art und Weise, nämlich per unverschlüsselter
Internetverbindung, zugemutet worden. Außerdem wies er darauf hin, dass sich
auf dem Fragebogen der Gebäude- und Wohnungszählung (GWZ) zwei 2D-Bar-

codes befinden, wovon der linke Barcode, der beim postalischen Zurücksenden
des Fragebogens im Adressfenster sichtbar ist, die vollständige Fragebogen-
nummer enthalte. So könne also jeder, der dieses Adressfeld zu Gesicht be-
kommt, die Nummer des im Brief enthaltenen Fragebogens erfassen, dem Miss-
brauch seien so Tür und Tor geöffnet (vgl. hierzu auch http://zensus11.de/2011/
07/spas-mit-barcodes/).

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Über das Problem von Vielfachbefragungen oder irrtümlich zugesendeten
Befragungsunterlagen existieren mittlerweile zahlreiche Medienberichte. Aus
unterschiedlichen Städten und Gemeinden wird hierbei von manchmal gera-
dezu skurrilen Fällen, bei denen z. T. hunderte Fragebögen an eine Familie oder
an schon lange Verstorbene versendet wurden, berichtet. Alle aber haben den
ernsten Hintergrund, dass es um sensible Daten bzw. deren Unsicherheit und
Kosten geht.

Einer persönlichen Aussage des Vorsitzenden der Zensuskommission, Prof. Dr.
Gert G. Wagner zufolge, werden sich die Gesamtkosten des Zensus 2011 voraus-
sichtlich auf mehr als 1 Mrd. Euro belaufen. Bei einer Kostenkalkulation aus
dem Jahr 2004 ging man zunächst von 336 Mio. Euro aus, die letzte Nachkalku-
lation erfolgte angeblich im Frühjahr 2009 und ergab die Summe von 710 Mio.
Euro.

Wir fragen die Bundesregierung:

I. Fragen zur Datensicherheit

1. Stimmt es, dass die gemäß dem Zensusgesetz 2011 (ZensG 2011) zusammen-
getragenen Informationen zentral an einer Stelle gespeichert werden, und
wenn ja, wo und durch wen geschieht dies, und wer ist für die Sicherheit zu-
ständig?

2. Ist es richtig, dass die mit dem Zensus 2011 erfassten Daten als Bestandteil
der Strukturen des Rechenzentrums des Statistischen Bundesamts im Zu-
sammenhang mit der „Konsolidierung der IT-Systeme des Bundesinnen-
ministeriums“ im nächsten Jahr mit den Rechenzentren anderer dem Bun-
desministerium des Innern (BMI) unterstellten Behörden zusammengefasst
werden?

3. Welche Bundesbehörden sind von der Zusammenziehung von IT-Strukturen
und Behördendaten zu welchem genauen Zeitpunkt im Rahmen dieser
„Konsolidierung“ betroffen, und auf welcher Beschluss- und Rechtsgrund-
lage geschieht dies?

a) Gehört die Bundespolizei zu diesen Behörden?

b) Gehört das Bundesamt für Verfassungsschutz zu diesen Behörden?

c) Gehört das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu diesen Behörden?

d) Gehört das Bundeskriminalamt zu diesen Behörden?

e) Gehört der Bundesnachrichtendienst zu diesen Behörden?

f) Fällt das Gemeinsame Terrorabwehrzentrum (GTAZ) unter diese Rege-
lung?

4. Inwieweit wurden die Landesdatenschutzbeauftragten und der Bundesbeauf-
tragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit im Vorfeld dieser
Maßnahme beratend und begleitend hinzugezogen?

5. Haben die amtlichen Datenschutzbeauftragten und -behörden hierzu Stel-
lungnahmen abgegeben, und wenn ja, welche waren dies mit welchem
Inhalt?

6. Falls das zur Sicherung gegen Reidentifizierung anonymisierter Daten einge-
setzte SAFE-Verfahren (aus dem Jahr 2003) schon 2009 „im Einsatz“ war,
wie konnte es dann zu dem Reidentifizierungsvorfall mit dem Deutschen In-
stitut für Wirtschaftsforschung e. V. (DIW Berlin), wie in http://zensus11.de/
2010/12/besteht-die-gefahr-von-re-identifikationen/ beschrieben, kommen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7566

7. Um welche Art anonymisierter Daten handelt es sich bei den laut § 22
ZensG 2011 nur in anonymisierter Form herausgegebenen Daten und
Datentabellen an die Statistikstellen der Gemeinden und Gemeindever-
bände?

a) Um die durch das SAFE-Verfahren veränderten Daten?

b) Um die davon unveränderten Informationen?

c) Werden in diesem Zusammenhang Einzelfallabfragen zugelassen?

8. Sind nach Kenntnis der Bundesregierung die bislang im Rahmen des
ZensG 2011 und des Zensusvorbereitungsgesetzes 2011 (ZensVorbG 2011)
zentral zusammengetragenen Daten zu keinem Zeitpunkt in anderer Form
behandelt, vervielfältigt oder weitergegeben worden, als es diese Gesetze in
ihren Bestimmungen vorsehen?

a) Wenn ja, wie kann sie dies garantieren?

b) Wenn nein, weshalb nicht, und was hat die Bundesregierung diesbezüg-
lich unternommen bzw. wird sie noch unternehmen?

9. Haben Geheimdienste oder Polizeibehörden oder deren Angehörige Zu-
griff auf die eben erwähnten Daten erhalten, und wenn ja, zu welchem
Zweck, und auf welcher Rechtsgrundlage geschah dies?

10. Gibt es in der Bundesregierung aus geschichtlichen und aus verfassungs-
rechtlichen Bedenken, Überlegungen, hinsichtlich der in § 8 ZensG 2011
festgeschrieben hundertprozentigen, zunächst nichtanonymen, Erfassung
aller am 9. Mai 2011 in Deutschland in psychiatrischen Anstalten, Gefäng-
nissen, Flüchtlingslagern, Asylantenheimen, Frauenhäusern, Klöstern, Be-
hinderten- und Obdachlosenwohnheimen lebenden bzw. gemeldeten Men-
schen, bei zukünftigen Volkszählungen von „Sonderbereichserfassungen“
Abstand zu nehmen (bitte begründen)?

II. Fragen zum bisherigen Verlauf

11. Wie ist der aktuelle Stand beim Rücklauf der Haushaltebefragungen, bei
der Gebäude- und Wohnraumzählung und bei den Onlinemeldungen?

12. Wie erklärt die Bundesregierung die geschilderte Panne, wonach den Be-
fragten die Übertragung ihrer persönlichen Zugangsdaten in einer unsiche-
ren Art und Weise, nämlich per unverschlüsselter Internetverbindung, zu-
gemutet wurde?

13. Wie kann die Bundesregierung die Auslagerung der Sammlung und Aus-
wertung von Teilen der Haushaltebefragung an private Drittfirmen mit dem
Anspruch vereinbaren, dass sich sämtliche Zensusdaten stets in den siche-
ren Händen der Bundes- und Landesstatistikämter befinden müssten?

14. Wie konnte es dazu kommen, dass Teile der auf dem Postweg versendeten
Befragungsbögen derart ausgeführt waren, dass durch das Sichtfenster
nicht nur der 2D-Barcode mit der darin enthaltenen Fragebogennummer,
sondern ebenfalls die Freischalt-Codes der Befragten einsehbar waren?

15. Wie lassen sich die zahlreichen Vorfälle erklären, in denen einzelne Perso-
nen vielfache Fragebögen unter dem gleichen Namen zugesendet bekom-
men haben, in einem Fall sogar 224 Fragebögen für eine einzelne Familie?

16. Sind der Bundesregierung Pannen bei der Zusendung von Fragebögen be-
züglich einer mehrfachen Zusendung von Fragebögen mit gleicher Identifi-
kationsnummer, jedoch unterschiedlichen Zugangscodes bekannt?

Wie wird in solchen Fällen mit eventuellen Mahnbescheiden umgegangen?
Wie oft sind derartige Fälle bisher aufgetaucht?

Drucksache 17/7566 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
17. Wie viele Beschwerden von Betroffenen, die von Vielfachbefragungen und
unnötigen Mahnungen berichten, hat es nach Kenntnis der Bundesregie-
rung gegeben?

18. An welcher Stelle wurden diese gesammelt und ausgewertet?

19. Wie viele Problemfälle wurden von wem verzeichnet, und welcher Art
waren sie im Detail?

20. Sind der Bundesregierung Fälle bekannt, in denen sich Behörden oder Be-
fragungsbeauftragte unseriös oder falsch gegenüber Befragten verhielten?

Wenn ja, welche Konsequenzen hatte das jeweils?

21. Wie viele Fälle sind der Bundesregierung bekannt, in denen Mahnbe-
scheide fälschlich versandt wurden, und welche Bundesländer waren am
stärksten betroffen, und welche Ursachen sieht die Bundesregierung für
diese Fehler?

22. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Verletzungen der Privat-
sphäre und weiteren Rechten der Befragten durch „Interviewer“, und wie
werden derartige Vorgänge geahndet?

23. Wie geht die Bundesregierung mit einer eventuellen Verfälschung der Sta-
tistik durch absichtliche oder unabsichtliche falsche Angaben der Befrag-
ten um?

Wie versucht sie diese zu vermeiden?

24. Wie versucht die Bundesregierung zu verhindern, dass „Interviewer“ die
erfassten Daten für eigene berufliche Zwecke nutzen, wenn sie beispiels-
weise als Versicherungsvertreter oder Makler arbeiten?

25. Wie viele Fälle von „Trittbrettfahrern“, d. h. von Personen, die missbräuch-
lich an persönliche Daten kommen wollen, sind der Bundesregierung
inzwischen bekannt, und welche Schritte wurden diesbezüglich von den
zuständigen Stellen unternommen?

III. Fragen zu den Kosten

26. Warum wurden angesichts offensichtlich völlig aus dem Ruder laufender
Kosten nach 2009 keine weiteren Nachkalkulationen angestellt, wie das
Statistische Bundesamt behauptet?

27. Wie hoch belaufen sich die Gesamtkosten des Zensus 2011 nach aktu-
ellsten Schätzungen?

28. Wie teuer war die Produktion des Werbespots für den Zensus 2011?

29. Wie hoch sind die Kosten für den Einsatz dieses Spots und aller seiner
Variationen im Kino und im Fernsehen?

Berlin, den 31. Oktober 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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