BT-Drucksache 17/7550

Aussteigerprogramm des Bundesamts für Verfassungsschutz für sogenannte Linksextremisten

Vom 27. Oktober 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7550
17. Wahlperiode 27. 10. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Andrej Hunko, Jens Petermann und der Fraktion
DIE LINKE.

Aussteigerprogramm des Bundesamts für Verfassungsschutz für sogenannte
Linksextremisten

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat ein Aussteigerprogramm für
sogenannte Linksextremisten gestartet. Als „linksextremistisch“ gelten in der
Praxis des Geheimdienstes zahlreiche linke Organisationen, die sich anti-
faschistisch oder antimilitaristisch engagieren und die kapitalistische Wirt-
schaftsordnung als unsozial und ungerecht ablehnen.

Weder in Medien noch Verlautbarungen der Bundesregierung gab es nach
Kenntnis der Fragesteller bislang Berichte, die auf einen Unterstützungsbedarf
für Personen hindeuten, die sich nicht mehr in der linken Szene engagieren
wollen. Nach Mediendarstellungen rechnet auch das BfV nicht mit einer gro-
ßen Nachfrage nach dem Programm.

Die BfV-Konzeption beschreibt das Programm als Teil „der umfassenden Aus-
einandersetzung mit allen Erscheinungsformen des Extremismus“ und entpuppt
sich damit als Ausdruck des Extremismusansatzes, der auf einer Gleichsetzung
von Neofaschismus und radikalen linken Politikansätzen beruht. Wissenschaft-
ler lehnen diesen Ansatz als unwissenschaftlich und Verharmlosung des Neo-
faschismus ab.

Das BfV will offenbar nicht nur „Ausstiegswillige“ beraten, sondern sie erst
zum Ausstieg anregen: „Das BfV motiviert mit dem Aussteigerprogamm Per-
sonen zu einem Ausstieg“, heißt es in der Konzeption. Die Fragesteller gehen
davon aus, dass der Verfassungsschutz vor allem daran interessiert ist, Spitzel
aus der linken Szene zu rekrutieren. Dies entspricht der Absicht der Bundes-
regierung, eine „verstärkte Aufklärung der gewaltbereiten Szene durch
menschliche Quellen“ vorzunehmen, was ausdrücklich „auch den Einsatz von
Vertrauensleuten“ einschließe (Antwort der Bundesregierung auf Bundestags-
drucksache 17/5136).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche finanziellen Mittel sind für das Aussteigerprogramm vorgesehen,
und aus welchen Haushaltstiteln stammen diese (bitte die wichtigsten Aus-
gabenposten aufgliedern)?
2. Durch wie viele Personen mit welchen Qualifikationen wird das Programm
betreut, und wie viele Personen sollen langfristig eingesetzt werden?

3. Werden E-Mails bzw. Anrufe von Personen, die linke Zusammenhänge ver-
lassen wollen, von den gleichen Personen bearbeitet wie E-Mails bzw. An-
rufe von Personen, die faschistischen oder islamistischen Gruppen angehö-
ren?

Drucksache 17/7550 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

4. Welche konkreten Hinweise hat die Bundesregierung darauf, dass Angehö-
rige von im Verfassungsschutzbericht als „linksextremistisch“ gelisteten
Organisationen bei deren Verlassen sozialen Schwierigkeiten gegenüber-
stehen, die über jene von Personen hinausgehen, die beispielsweise aus
einem Sportverein austreten wollen?

5. Welche konkreten Hinweise hat die Bundesregierung darauf, Personen, die
linke Zusammenhänge verlassen wollen, hätten einen besonderen Bedarf
an Schutz vor Angriffen und Verfolgung aus der linken Szene?

6. Welche und wie viele Fälle sind der Bundesregierung bekannt, in denen
Personen nach Verlassen linker Zusammenhänge Gewalt oder Gewalt-
androhungen durch ihre (ehemaligen) Genossinnen und Genossen ausge-
setzt waren?

7. Wenn der Bundesregierung keine solchen Hinweise im Sinne der vorange-
gangenen Fragen bekannt sind: Wie kommt sie dann zur Annahme, Perso-
nen könnten beim Verlassen linker Zusammenhänge staatlichen Schutz be-
nötigen?

Welche Maßnahmen hält die Bundesregierung hierbei für angemessen und
inwiefern gehören hierzu

a) die Erteilung einer neuen Identität,

b) die Zuweisung konspirativer Wohnungen,

c) die Finanzierung eines langfristigen Aufenthaltes im Ausland,

d) kosmetische Gesichtsoperationen,

und welche Hinweise hat die Bundesregierung, dass es für solche Maßnah-
men jeweils einen ernsthaften Bedarf geben könnte?

8. Welche Hinweise hat die Bundesregierung, Personen, die linke Gruppie-
rungen verlassen, hätten im Vergleich zu anderen Wohnungssuchenden
einen erhöhten Unterstützungsbedarf „bei der Arbeitsplatz- und Woh-
nungssuche“ (Zitat aus der BfV-Konzeption)?

a) Wie viele (ehemalige) Linke sind nach Kenntnis der Bundesregierung
infolge ihres Ausstieges obdachlos geworden?

b) Wie viele (ehemalige) Linke sind nach Kenntnis der Bundesregierung
infolge ihres Ausstieges arbeitslos geworden?

c) Welchen kausalen Zusammenhang gibt es dabei jeweils zwischen
Wechsel der politischen Orientierung und Obdach- bzw. Arbeitslosig-
keit?

9. Welche Unterstützung kann das BfV bei der Arbeits- und Wohnungssuche
bieten, und inwiefern beinhaltet dies das Durchlesen von Wohnungsinsera-
ten, die Begleitung zu Wohnungsbesichtigungen und praktische Umzugs-
hilfe (Kistenschleppen)?

10. Welche Hinweise hat die Bundesregierung, Personen, die linke Zusammen-
hänge verlassen, hätten im Vergleich zu anderen Personen einen erhöhten
Bedarf an „Beratung und Knüpfen von Kontakten zu Justiz, Behörden und
Arbeitgebern“?

a) Worin besteht dieser Bedarf, und welche Unterstützung kann das BfV
hier konkret bieten?

b) Inwiefern gehört das Angebot von Strafnachlässen bzw. Verzicht auf
Strafverfolgung zu den möglichen Maßnahmen?
c) Inwiefern gehören Arbeitsverhältnisse oder Honorarverträge mit dem
BfV zu den möglichen Maßnahmen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7550

11. Welche Hinweise hat die Bundesregierung, dass (ehemalige) Linke im Ver-
gleich zu anderen Personen einen erhöhten Bedarf an der „Vermittlung
externer Hilfsangebote haben, z. B. bei Alkohol- und Drogenproblemen
oder Überschuldung“, worin besteht dieser Bedarf und welche Unterstüt-
zung kann das BfV konkret bieten?

12. Inwiefern gehören Formen materieller oder finanzieller Unterstützung zu
den möglichen Angeboten des BfV-Programms?

Welche Regelungen gibt es hierzu hinsichtlich Bedarfsprüfung, Entschei-
dungsbefugnisse, Umfang der materiellen Unterstützung und erwartete Ge-
genleistungen der betreffenden Personen?

13. Wie will das Bundesamt für Verfassungsschutz Personen zu einem Verlas-
sen der linken Szene erst motivieren (vgl. die Konzeption des BfV), welche
Methoden und Mittel sind hierfür angedacht?

14. Auf welche Weise wollen die Gesprächsführer des BfV die „Ernsthaftig-
keit“ der jeweiligen Personen prüfen, und welche Maßstäbe und Kriterien
werden für diese Prüfung angewandt?

15. Zählt die Bereitschaft, Namen oder Anschriften anderer Personen aus dem
jeweiligen linken Zusammenhang zu nennen oder Informationen über die
Tätigkeit der jeweiligen Gruppe zu liefern, als möglicher Nachweis des
Willens, linke Zusammenschlüsse zu verlassen?

16. Was ist darunter zu verstehen, dass diesen Personen „absolute Vertraulich-
keit“ zugesichert wird, und schließt dies ein,

a) dass Mitarbeiter des BfV, die durch Selbstbezichtigungen der betreffen-
den Personen Kenntnis von Straftaten erhalten, nicht die zuständigen
Justizorgane oder Polizeidienststellen informieren,

b) dass Mitarbeiter des BfV, die durch Äußerungen der betreffenden Perso-
nen Kenntnis von Straftaten Dritter erhalten, nicht die zuständigen
Justizorgane oder Polizeidienststellen informieren?

17. Ist vorgesehen, Kenntnisse aus den Aussagen (ehemaliger) Linker für die
weitere Arbeit des Verfassungsschutzes zu verwenden?

18. Inwiefern werden E-Mails an die „Programmadresse“ des BfV dokumen-
tiert bzw. der Verlauf von Gesprächen schriftlich zusammengefasst, und
inwiefern haben andere Mitarbeiter Zugriff auf diese Unterlagen bzw. wer-
den mündlich oder schriftlich entsprechend informiert?

19. Welchen möglichen Beratungsbedarf sieht das BfV „für Familienangehö-
rige und Freunde von Angehörigen der linksextremistischen Szene“ und in-
wiefern können Angaben, die im Rahmen solcher Beratungen erfolgen, in
die weitere Arbeit des BfV gegen „linksextremistische“ Strukturen einflie-
ßen?

Berlin, den 27. Oktober 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.