BT-Drucksache 17/7510

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -17/6052, 17/7505 (neu) - Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallrechts

Vom 26. Oktober 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7510
17. Wahlperiode 26. 10. 2011

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Dorothea Steiner, Britta Haßelmann, Bärbel Höhn,
Undine Kurth (Quedlinburg), Hans-Josef Fell, Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer,
Nicole Maisch, Dr. Hermann E. Ott, Cornelia Behm, Harald Ebner,
Bettina Herlitzius, Dr. Anton Hofreiter, Stephan Kühn, Ingrid Nestle,
Friedrich Ostendorff, Markus Tressel, Daniela Wagner, Dr. Valerie Wilms
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 17/6052, 17/7505 (neu) –

Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallrechts

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Eine zukunftsfähige Abfallwirtschaft muss Ressourceneffizienz, Umweltver-
träglichkeit und Klimaschutz zum Ziel haben. Hierdurch kann die deutsche
Vorreiterrolle in den Abfalltechnologien langfristig erhalten und ein Innova-
tionsschub für die deutsche Wirtschaft erreicht werden.

Die Umsetzung der Richtlinie 2008/98/EG des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 19. November 2008 über Abfälle und zur Aufhebung bestimmter
Richtlinien (Abfallrichtlinie) bietet die Chance, die Abfallpolitik in Deutschland
an diesen Zielen auszurichten. Doch anstatt die Vorreiterrolle Deutschlands in
der Abfallwirtschaft und in Abfalltechnologien auszubauen, agieren die Bundes-
regierung und die sie tragenden Fraktionen auf niedrigstem Niveau und bleiben
hinter dem neuen Europarecht zurück.

Die Bundesregierung hat es versäumt, die Richtlinie 2008/98/EG fristgerecht in
deutsches Recht umzusetzen; dies führt zu einer erheblichen Planungs- und
Rechtsunsicherheit.

Die sich ergebenden Chancen für Klima-, Umwelt- und Ressourcenschutz blei-

ben ungenutzt. Der Gesetzentwurf verschiebt viele wichtige Regelungen und
Konkretisierungen auf später. So sollen diverse wichtige Entscheidungen, die
eigentlich ins Gesetz gehören, erst per Regierungsverordnungen nachgereicht
werden; so zum Beispiel die Festlegung der Zuständigkeit für die Wertstoff-
erfassung.

Drucksache 17/7510 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Unser derzeitiger Wohlstand gründet auf einem verschwenderischen, keines-
wegs nachhaltigen Ressourcenverbrauch. Kreislaufwirtschaft kann nicht aus-
schließlich bei Abfällen ansetzen, sondern muss die Rohstoffe und die Produkte
selbst mit einbeziehen. Diesem Anspruch wird der vorliegende Gesetzentwurf
nicht gerecht. Wichtige Aspekte sind in diesem Zusammenhang die abfallarme,
reparaturfähige und langlebige Produktgestaltung, die Verantwortung der Her-
steller für die Produkte, die Förderung von Mehrwegsystemen, Reparaturzentren,
Secondhandnetzwerken und das Ökodesign von Produkten.

Ressourceneffiziente Produktion, Abfallvermeidung und hochwertige stoffliche
Verwertung müssen oberste Priorität bekommen und im Gesetzentwurf deutlich
gestärkt werden. Dies gilt für alle Abfälle, also neben den Siedlungsabfällen
auch für Industrie-, Gewerbe-, Bau- und Produktionsabfälle.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ermöglicht die Bundesregierung eine ge-
werbliche Sammlung von Abfällen parallel zu bestehenden kommunalen Struk-
turen. Es darf nicht dazu kommen, dass Abfälle, die Wertstoffe enthalten, den
privaten Dienstleistern überlassen werden und die Kommunen oder von ihnen
beauftragte Dritte die unrentablen Teile des Abfalls zu entsorgen haben. Auch
die Entsorgungszuständigkeit der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger für
Gewerbe- und Geschäftsmüll muss beibehalten werden. Der Wegfall von Ver-
wertungserlösen würde zu steigenden Kosten für die Gebührenzahlerinnen und
Gebührenzahler führen.

Die Sammlung und Verwertung von Siedlungsabfällen ist ein wesentlicher Be-
standteil der Daseinsvorsorge und unterliegt der kommunalen Verantwortung.
Kommunen können jedoch selbst entscheiden, ob sie die Wertstofferfassung
einem privaten Dienstleister übertragen oder in kommunaler Eigenregie be-
treiben. Wichtig dabei ist, dass die politische Steuerungsfähigkeit, die demokra-
tische Kontrolle und Transparenz gewahrt werden.

Doch genau diesem Anspruch wird der vorliegende Gesetzentwurf nicht ge-
recht. Der vorliegende Gesetzentwurf ermöglicht, dass private Dienstleister
Wertstoffe einsammeln können, ohne sich an Ausschreibungen zu beteiligen.
Damit wird den Kommunen die Grundlage für ihre Kalkulations- und Pla-
nungssicherheit entzogen. Mit dem Vertrag von Lissabon hat auch Europa ein
klares Bekenntnis zu den kommunalen Selbstverwaltungsrechten abgegeben.
Die Umsetzung der Richtlinie 2008/98/EG in deutsches Recht muss dem ge-
recht werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. den Schutz des Klimas in die Zielbestimmung des neuen Abfallrechts auf-
zunehmen. Die Abfallwirtschaft muss einen entscheidenden Beitrag zur Er-
reichung der Ziele bei der Minderung von Treibhausgasen leisten. Die not-
wendige Reduzierung von Emissionen macht weitere Anstrengungen der
Abfallwirtschaft unverzichtbar;

2. konkrete Anreize für die Reduzierung der anfallenden Abfallmengen sowie
Zielvorgaben für die Abfallvermeidung in den Gesetzentwurf aufzunehmen.
Es fehlen zudem Mindestanforderungen an Transparenz und Inhalt für die
Erstellung und Umsetzung der Abfallvermeidungspläne und -programme
von Bund und Ländern. Hier müssen verbindliche Mindestanforderungen
festgelegt werden;

3. als sofortige Maßnahmen zur Abfallvermeidung umgehend eine Umwelt-
abgabe auf Einwegplastiktragetaschen einzuführen;

4. die zahlreichen Ausnahmen von der Pfandpflicht auf Getränkeverpackungen

umgehend abzuschaffen, um zu einem einheitlichen und transparenten
Pfandsystem zu gelangen;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7510

5. zusätzliche Vorgaben für das Produktdesign, die zu langlebigen, reparatur-
fähigen und wiederverwendbaren Produkten führen, zeitnah zu entwickeln;

6. die EU-rechtlich vorgeschriebene strikte Einhaltung der fünfstufigen Ab-
fallhierarchie umzusetzen und diese zu kontrollieren. Dies bedeutet die
verpflichtende Anwendung der jeweils ökologischsten Verwertungsoption,
berechnet durch eine unabhängige Stelle im Auftrag der Bundesregierung.
Die Frage der Brennbarkeit (Heizwert) eines Abfalls ist kein geeignetes
Mittel zur Abgrenzung der besten Verwertungsoption einer Stoffgruppe,
sondern führt zur leichtfertigen Verbrennung von Abfallbestandteilen, die
eigentlich wieder genutzt werden könnten;

7. eine bundesweite einheitliche Bedarfs- und Kapazitätsplanung für Abfall-
verbrennungsanlagen einzuführen, da Überkapazitäten bei Abfallver-
brennungsanlagen hochwertigere Verwertungsformen verhindern, wenn
dadurch wirtschaftliche Verluste der Betreiber thermischer Anlagen dro-
hen. Nur durch eine bundesweite Bedarfs- und Kapazitätsplanung können
die Umwelt- und Ressourcenschutzziele einer modernen Kreislaufwirt-
schaft erreicht werden. Dabei müssen für die Mitverbrennung von Abfällen
in Kraftwerken dieselben Anforderungen gelten werden wie für Müll-
verbrennungsanlagen;

8. eine verpflichtende Verwertungsquote von mindestens 80 Prozent aller
Bau- und Siedlungsabfälle vorzuschreiben, getrennt nach einzelnen Stoff-
fraktionen im Abfall wie Bioabfälle, Metall oder Kunststoffe. Der Steige-
rung der stofflichen Verwertung der Abfälle muss dabei die wichtigste
Rolle zukommen;

9. zur gezielten Förderung von Verwertungsmaßnahmen über die allgemeine
Verwertungsquote hinaus auch spezifische Verwertungsquoten für be-
stimmte, besonders wichtige Stoffe als Zielvorgaben im Kreislaufwirt-
schafts- und Abfallgesetz festzulegen. Für den absehbar knapper werden-
den, für alle Lebewesen lebensnotwendigen Stoff Phosphor sollte z. B. eine
gesetzliche Quote für die Vorbereitung der Wiederverwendung und das
Recycling festgesetzt werden;

10. daran festzuhalten, dass Wirtschaftsdünger im Sinne des Düngegesetzes
zur Verwendung in Biogasanlagen sowie Gärreste sowohl aus Wirtschafts-
düngern als auch aus nachwachsenden Rohstoffen kein Abfall im Sinne des
Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes sind, um eine Ungleichbehand-
lung von Dünger aus Biogasanlagen gegenüber direkt ausgebrachten Wirt-
schaftsdüngern zu verhindern;

11. das Recycling, und damit verbunden auch die Sammelquoten, für beson-
ders bedeutende Produkte signifikant zu erhöhen. Die Produktverantwor-
tung muss hierfür ausgeweitet bzw. durch finanzielle Anreize gestärkt wer-
den. Das duale System, der Grüne Punkt, ist unüberschaubar und muss auf
den Prüfstand gestellt werden;

12. die Einführung zusätzlicher verpflichtender Rückgabesysteme im Handel
zum Beispiel durch eine Pfandpflicht für einzelne Produktgruppen wie
Mobiltelefone und Computer zu prüfen;

13. deutlich bürgerfreundlichere Systeme für die Rückgabe und Getrennt-
sammlung von Wertstoffen zu entwickeln und einzuführen, insbesondere
auch für Elektronikschrott, der viele wertvolle Rohstoffe enthält;

14. die Abfallberatung wieder als verpflichtende Aufgabe für Städte und Kom-
munen in das Abfallrecht aufzunehmen, um durch verlässliche und neutrale
Abfallberatung die Bürgerinnen und Bürger zu stärkerer Abfallvermeidung,

zu besserer Mülltrennung und zu einem bewussteren Umgang mit Abfällen
anzuspornen;

Drucksache 17/7510 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
15. die längst fertig ausgearbeiteten Pläne zur klaren Kennzeichnung von Ein-
weg- und Mehrwegverpackungen endlich umzusetzen;

16. sicherzustellen, dass Papier-, Metall-, Kunststoff- und Glasabfälle nur dann
mit anderen Abfällen gemeinsam gesammelt werden können, wenn sie
einer Vorbehandlungsanlage zugeführt werden und gewährleistet ist, dass
sie dort in weitgehend gleicher Menge und stofflicher Reinheit wieder aus-
sortiert und einem Recycling zugeführt werden;

17. den Anreiz zu einer Steigerung der stofflichen Verwertung von Gewerbe-
und Produktionsabfällen, die bisher überwiegend verbrannt werden, deut-
lich zu erhöhen. Die Verwertungswege müssen deutlich transparenter
werden; ebenso müssen alle relevanten Daten offengelegt werden. Hier
fehlen zurzeit noch viel zu häufig Informationen über den Verbleib der oft-
mals privat gesammelten Abfälle;

18. den Ländern nicht nur über das Mittel des Abfallwirtschaftsplans, sondern
unmittelbar die Entscheidungskompetenz per Landesgesetz einzuräumen,
um die Verbringung von zur Beseitigung bestimmten Abfällen zu Ver-
wertungs- oder Beseitigungsanlagen in andere Länder zu begrenzen oder
für die mit weitreichenden Risiken verbundene stoffliche Verwertung von
Klärschlämmen weitergehende Anforderungen zu setzen;

19. die Zuständigkeit und Ausgestaltung einer erhöhten Wertstofferfassung,
zum Beispiel durch die Einführung der Wertstofftonne, verbindlich im
Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz zu regeln. Die Bundesregierung ist
in der Pflicht, zügig ein schlüssiges, verbraucherorientiertes, bundesweites
Konzept zu erarbeiten und umzusetzen, das die kommunale Verantwortung
für die Wertstoffe sicherstellt;

20. in Übereinstimmung mit der geltenden Rechtsprechung des Bundesverwal-
tungsgerichts die Verantwortung für den privaten Hausmüll auch weiterhin
bei den Kommunen zu belassen;

21. von der Einführung einer neutralen Stelle zur Vergabe der Wertstofferfas-
sung abzusehen und damit der kommunalen Selbstverwaltung Rechnung
zu tragen.

Berlin, den 25. Oktober 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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