BT-Drucksache 17/7406

Türkische Rechtsextreme in der Bundesrepublik Deutschland

Vom 19. Oktober 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7406
17. Wahlperiode 19. 10. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jens Petermann, Frank Tempel und
der Fraktion DIE LINKE.

Türkische Rechtsextreme in der Bundesrepublik Deutschland

Als „Graue Wölfe“ (türkisch: Bozkurtlar) werden die Anhänger der im türki-
schen Parlament vertretenen rechtsextremen „Partei der Nationalistischen Bewe-
gung“ (MHP) sowie darüber hinaus auch andere türkische Ultranationalisten
bezeichnet. Die „Grauen Wölfe“ vertreten einen ausgeprägten Rassismus
gegenüber nicht türkisch-sunnitischen Bevölkerungsgruppen in der Türkei. Zu
ihren Feindbildern gehören so Kurden und Aleviten, Armenier, Griechen und
Juden. In der Türkei waren paramilitärische Gliederungen der „Grauen Wölfe“
bis zum Militärputsch von 1980 für Tausende Morde an politischen Gegnern
verantwortlich. Auch in den letzten Jahren kam es mehrfach zu pogromähn-
lichen Übergriffen und Lynchversuchen von „Grauen Wölfen“ gegen kurdische
Arbeitsmigranten und Studierende in der Westtürkei aber auch Roma und Linke.
In Deutschland sind die „Grauen Wölfe“ in sogenannten Idealistenvereinen
(Ülkücü Vereinen) der Deutschen Türkischen Föderation (ATF) organisiert, die
Teil des europaweiten Dachverbandes „Föderation der türkisch-demokratischen
Idealistenvereine in Europa e. V.“ (ADÜTDF) ist. Daneben existieren Vereine
der 1987 von der ADÜTDF abgespaltenen „Türkisch-Islamischen Union in
Europa“ (ATIB), die eine stärkere Orientierung auf den Islam als konstitutives
Element des Türkentums propagiert. Als Auslandsabteilung der von der MHP
abgespaltenen, stärker islamisch ausgerichteten Großen Einheitspartei (BBP)
der Türkei existieren in der Bundesrepublik Deutschland zudem Vereine der
„Föderation der Weltordnung in Europa“.

Aus dem Milieu der „Grauen Wölfe“ kam es in Deutschland mehrfach zu Ge-
walttaten. So wurde 1980 der türkische Gewerkschafter und Lehrer Celalettin
Kesim in Berlin und 1995 ein 21-jähriger Kurde in Neumünster von türkischen
Rechtsextremen ermordet. Parallel zu einer nationalistischen Protestwelle in der
Türkei kam es Ende Oktober 2007 in Berlin und weiteren deutschen Städten zu
gewalttätigen Übergriffen von hunderten türkischen Nationalisten auf kurdische
Vereine. Viele der Angreifer zeigten dabei den Gruß der „Grauen Wölfe“. Seit-
dem kam es mehrfach zu Auseinandersetzungen zwischen türkischen Nationa-
listen und kurdischen Jugendlichen in Deutschland. Parallel zu antikurdischen
Protesten in der Türkei fanden im Juli 2011 im niedersächsischen Peine und in
Hannover Anschläge mutmaßlicher türkischer Rechtsextremisten auf einen

kurdischen und einen linksgerichteten türkischen Jugendverein statt. Zudem
demonstrierten am 30. Juli 2011 in Mannheim mehrere Hundert Anhänger der
„Grauen Wölfe“ und anderer nationalistischer türkischer Vereinigungen gegen
angeblichen kurdischen Terror.

Nach Medienangaben häufen sich Fälle, in denen Ausländerbeiräte und eta-
blierte Parteien von türkischen Rechtsextremen unterwandert werden. Der his-

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torische Führer der „Grauen Wölfe“ Alparslan Türkes hatte seine Anhänger in
Deutschland bereits 1995 zur aktiven Mitarbeit in den Unionsparteien aufgeru-
fen. In den letzten Jahren wurden insbesondere in Nordrhein-Westfalen mehrere
Fälle bekannt, in denen Anhänger der „Grauen Wölfe“ in der CDU aktiv
wurden. „Und in Teilen des Deutsch-Türkischen Forums der CDU (DTF) ist die
Zusammenarbeit mit Grauen Wölfen gleichfalls Praxis“, heißt es in der Tages-
zeitung „DIE WELT“. Eine von einem DTF-Mitglied verfasste Studie der
CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung empfiehlt Unionspolitikern laut der
Tageszeitung „DIE WELT“ „aus politstrategischen Gesichtspunkten“ im
Einzelfall abzuwägen, „inwieweit eine zielgerichtete Zusammenarbeit“ mit tür-
kischen Rechten möglich sei (www.welt.de/politik/deutschland/article7211099/
Tuerkische- Rechtsextreme-schleichen-sich-in-CDU.html).

Auch bei anderen Parteien wurden Fälle einer Unterwanderung durch „Graue
Wölfe“ bekannt. So zog in Wetzlar zu Jahresbeginn 2011 ein Kandidat seine
Kandidatur auf der SPD-Kommunalwahlliste zurück, nachdem seine Nähe zu
den „Grauen Wölfen“ öffentlich wurde (www.welt.de/print/welt_kompakt/
vermischtes/article12100907/Die-mit-den-Woelfen-heulen.html).

Zwischen der rechtsextremen NPD und der MHP war es nach den Brandanschlä-
gen von Neonazis auf von türkischen Migranten bewohnte Häuser zum Bruch
gekommen. Doch 2009 sprach sich der hessische Landesvorsitzende der NPD,
Jörg Krebs, für eine Kooperation der NPD mit der MHP im Rahmen einer
„nationalistischen Internationale“ aus (http://endstation-rechts.de/index.php?
option=com_k2&view=item&id=880:j%C3%B6rg-krebs-npd-fordert-deutsch-
t%C3%BCrkische-querfront&Itemid=387).

Und am 5. Februar 2011 referierte laut Veranstaltungsbericht auf der Website der
NPD Jena/Saale-Holzland-Kreis ein Vertreter der „Grauen Wölfe“ vor dem
NPD-Kreisverband Jena.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche rechtsextremen oder rechtsextrem durchsetzten türkischen Organisa-
tionen in der Bundesrepublik Deutschland sind der Bundesregierung bekannt?

a) Wie viele Mitglieder haben diese Organisationen?

b) Wie sind diese Gruppierungen in der Bundesrepublik Deutschland organi-
siert, und wo befinden sich ihre lokalen und regionalen Organisations-
schwerpunkte?

c) Welchen Einfluss haben diese Gruppierungen unter türkischstämmigen
Bürgerinnen und Bürgern in der Bundesrepublik Deutschland?

d) Über welche Medien verfügen diese Gruppierungen in der Bundesrepu-
blik Deutschland, und welchen Verbreitungsgrad haben diese?

e) Welche in der Bundesrepublik Deutschland auftretenden Musiker und
Musikgruppen rechnet die Bundesregierung zum Spektrum dieser Grup-
pen?

f) Welche türkischen rechtsextremen und rechtsextremistisch durchsetzten
Organisationen und Gruppierungen sind Objekt der Beobachtung durch
das Bundesamt für Verfassungsschutz?

2. Inwieweit sieht die Bundesregierung bei türkischen Rechtsextremisten in der
Bundesrepublik Deutschland Anhaltspunkte, wonach diese gegen den Ge-
danken der Völkerverständigung oder das friedliche Zusammenleben der
Völker verstoßen (bitte entsprechende Gruppierungen einzeln benennen)?

a) Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über kurdenfeindliche Äuße-

rungen oder Taten türkischer Rechtsextremisten in Deutschland?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7406

b) Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über armenierfeindliche Äuße-
rungen oder Taten türkischer Rechtsextremisten in Deutschland?

c) Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über antisemitische Äußerun-
gen oder Taten türkischer Rechtsextremisten in Deutschland?

3. Inwieweit kam es nach Kenntnis der Bundesregierung in den letzten fünf Jah-
ren zu gewaltsamen Übergriffen türkischer Rechtsextremer in Deutschland
(bitte nach Datum, Ort und Art des Überfalls auflisten)

a) auf kurdische Bürgerinnen und Bürger sowie kurdische Institutionen,

b) auf türkische Bürgerinnen und Bürger sowie türkische Institutionen,

c) auf links bzw. antifaschistisch orientierte Personen nicht türkisch-kurdi-
scher Herkunft oder linke Institutionen,

d) auf Homosexuelle oder Transsexuelle,

e) auf (vermeintliche) Juden und Jüdinnen oder jüdische Einrichtungen,

f) auf sonstige Einzelpersonen, Gruppierungen und Institutionen (bitte an-
geben) und

g) inwieweit konnten bei solchen Angreifenden organisatorische Kontakte
zu türkischen rechtsextremen Organisationen festgestellt werden, und zu
welchen?

4. Welche verfassungsschutzrelevanten Erkenntnisse hat die Bundesregierung
über die in der Türkei bestehende „Partei der Nationalistischen Bewegung“
(MHP) und der ihr nahestehenden „Föderation der türkisch-demokratischen
Idealistenvereine in Europa e. V.“ (ADÜTDF) sowie deren deutsche Sektion
„Deutsche Türkische Föderation“ (ATF)?

5. Welche verfassungsschutzrelevanten Erkenntnisse hat die Bundesregierung
über die in der Türkei bestehende „Große Einheitspartei“ (BBP) und die ihr
nahestehende „Föderation der Weltordnung in Europa“ (ANF) in Deutsch-
land?

6. Welche verfassungsschutzrelevanten Erkenntnisse hat die Bundesregierung
über die in der Türkei bestehende „Partei für Recht und Gleichheit“ (HEPAR)
und deren Anhänger in Deutschland?

7. Welche verfassungsschutzrelevanten Erkenntnisse hat die Bundesregierung
über die Vereine zur Förderung der Ideen Atatürks (Atatürkçü Düs¸ ünce
Derneg˘i – ADD) in der Bundesrepublik Deutschland?

a) Inwieweit sind der Bundesregierung kurdenfeindliche Äußerungen der
ADD bekannt?

b) Inwieweit sind der Bundesregierung antiarmenische Äußerungen oder
eine Leugnung oder Relativierung des türkischen Genozids an den Arme-
niern 1915/1916 durch die ADD bekannt?

c) Inwieweit sind der Bundesregierung antisemitische Äußerungen durch die
ADD bekannt?

d) Inwieweit sieht die Bundesregierung bei den ADD Anhaltspunkte, wonach
diese gegen den Gedanken der Völkerverständigung oder das friedliche
Zusammenlegen der Völker verstoßen?

e) Inwieweit beteiligten sich Anhänger der ADD an Veranstaltungen türki-
scher Rechtsextremisten oder rechtsextremistisch beeinflusster türkischer
Vereinigungen?

Drucksache 17/7406 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
8. Welche Aufmärsche, Demonstrationen und Veranstaltungen türkischer
Rechtsextremer in den letzten fünf Jahren sind der Bundesregierung be-
kannt geworden (bitte auflisten wann, wo und aus welchem Anlass diese
Demonstrationen oder Veranstaltungen stattfanden)?

9. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Tätigkeit türkischer
Rechtsextremisten oder von Mitgliedern rechtsextrem beeinflusster türki-
scher Vereine in Ausländer- und Migrationsbeiräten?

10. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über eine Kooperation
deutscher Parteien oder von Funktionären dieser Parteien mit türkischen
Rechtsextremisten oder rechtsextremistisch beeinflussten Vereinen in der
Bundesrepublik Deutschland (bitte nach Art der Kooperation und nach Par-
teien aufschlüsseln)?

11. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über eine Kooperation des
Deutsch-Türkischen Forums der CDU mit türkischen Rechtsextremisten
oder rechtsextremistisch beeinflussten türkischen Vereinen, insbesondere
der ADÜTDF?

12. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über eine Mitgliedschaft
oder Funktionärstätigkeit türkischer Rechtsextremisten oder von Mit-
gliedern rechtsextrem beeinflusster türkischer Vereinigungen in deutschen
Parteien?

a) Welche konkreten Fälle einer Mitgliedschaft, Funktionärstätigkeit oder
Kandidatur türkischer Rechtsextremisten oder Mitglieder rechtsextrem
beeinflusster türkischer Vereine in deutschen Parteien oder auf deren
Wahllisten sind der Bundesregierung bekannt geworden?

b) Wie reagierten die betroffenen Parteien jeweils auf die Mitgliedschaft,
Funktionärstätigkeit oder Kandidatur mutmaßlicher türkischer Rechts-
extremisten oder Mitglieder rechtsextrem beeinflusster türkischer Ver-
eine (bitte einzeln aufschlüsseln)?

c) Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Wahl von türki-
schen Rechtsextremisten oder Mitgliedern rechtsextrem beeinflusster
türkischer Vereine über die Listen der genannten deutschen Parteien in
Kommunalparlamente (bitte einzeln aufschlüsseln)?

13. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Kontakte der NPD oder
anderer deutscher Rechtsextremisten mit türkischen Rechtsextremisten?

14. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Kontakte türkischer
Rechtsextremisten ins radikalislamische Milieu in Deutschland?

15. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über eine Verstrickung türki-
scher Rechtsextremisten in den Drogen- oder Waffenhandel, Schutzgeld-
erpressung, Menschenhandel oder sonstige organisierte Kriminalität?

16. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über eine Zusammenarbeit
türkischer Rechtsextremisten mit dem türkischen Geheimdienst MIT in der
Bundesrepublik Deutschland?

Berlin, den 19. Oktober 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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