BT-Drucksache 17/7228

Durchführung von Sicherheitsbefragungen im Rahmen aufenthaltsrechtlicher Verfahren

Vom 28. September 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7228
17. Wahlperiode 28. 09. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dag˘delen, Wolfgang Neskovic, Frank Tempel
und der Fraktion DIE LINKE.

Durchführung von Sicherheitsbefragungen im Rahmen aufenthaltsrechtlicher
Verfahren

Im Zuge der vermeintlich gegen den sogenannten internationalen Terrorismus
und (islamistischen) Extremismus gerichteten Gesetzgebung der Koalitionsfrak-
tionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aus dem Jahr 2002 und nachfol-
gend auch der Koalition der Fraktionen der CDU/CSU und SPD aus dem Jahr
2007 wurde das Aufenthaltsrecht mit dem Gedanken der „fremdenpolizeili-
chen“ Gefahrenabwehr durchdrungen. Ziel der neu geschaffenen Regelungen,
insbesondere des Ausweisungsrechts, war es, den Aufenthalt von Personen, die
im Verdacht stehen, terroristische oder extremistische Bestrebungen zu unter-
stützen, von vornherein zu verhindern oder zu beenden. Dadurch soll den
Sicherheitsbehörden vor allem gegen solche Ausländerinnen und Ausländer
eine Handhabe gegeben werden, gegen die Sicherheitsbedenken vorgebracht
wurden, wenn zugleich keine gerichtsfesten Beweise für eine Strafverfolgung
vorliegen (z. B. wegen nicht vorhandener Straftaten). Einer vermeintlich in der
Zukunft liegenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder den
Bestand des Staates soll durch vorsorgliche Entfernung aus dem Bundesgebiet
begegnet werden.

Einen ersten Hinweis auf eine möglicherweise in der Zukunft zu einem unbe-
stimmten Zeitpunkt drohende Gefahr soll das Verschweigen von Voraufenthal-
ten in bestimmten Staaten, Verbindung zu terrorismusverdächtigen Strukturen
oder die Täuschung über die Identität geben. Nach § 54 Absatz 6 des Aufent-
haltsgesetzes (AufenthG) soll, nach § 55 Absatz 2 Nummer 1a AufenthG kann
die Einreise oder die Erteilung eines Aufenthaltstitels bereits wegen unvollstän-
diger Angaben gegenüber Behörden verweigert bzw. eine Ausweisung verfügt
werden.

Um das Vorliegen dieser Tatbestände feststellen zu können, stehen den Aus-
landsvertretungen und Ausländerbehörden verschiedene Verfahren zur Verfü-
gung. Zur Prüfung durch die Sicherheitsbehörden können nach § 73 Absatz 2
AufenthG vor Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels, einer Dul-
dung oder einer Aufenthaltsgestattung die Daten Betroffener über das Bundes-
verwaltungsamt an die Sicherheitsbehörden und Nachrichtendienste übermittelt
werden. Bei Vorliegen von Sicherheitsbedenken geben diese eine entsprechende
Rückmeldung an die Auslandsvertretungen bzw. Ausländerbehörden. Daran
schließt sich dann eine Sicherheitsbefragung durch die Behörden an, in der die
Betroffenen zu Auslandsaufenthalten und Kontakten zu möglicherweise terro-
ristischen Strukturen befragt werden. In einigen Bundesländern werden aller-
dings auch unabhängig von einer Rückmeldung auf die Sicherheitsanfrage
Staatsangehörige aller Nicht-EU-Staaten oder jedenfalls aller muslimisch ge-

Drucksache 17/7228 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

prägten Staaten befragt. Das Land Nordrhein-Westfalen hat im September 2011
die pauschale Befragung aller Staatsangehöriger aus muslimisch geprägten
Staaten wieder abgeschafft, da der Zeit- und Personalaufwand der Behörden in
keinem Verhältnis zum „Ertrag“, der Aufdeckung des Aufenthalts von poten-
ziellen „Gefährdern“, stand. Lediglich in 25 Fällen stimmten die Angaben im
Fragebogen nicht mit ohnehin vorliegenden Erkenntnissen überein, die Wider-
sprüche konnten in den meisten Fällen jedoch ausgeräumt werden. In keinem
Fall führte allein die Weigerung, den Fragebogen auszufüllen, zur Ablehnung
eines Antrags auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels, da bereits
andere Sachverhalte entgegenstanden. Landeskriminalamt und Landesamt für
Verfassungsschutz gaben an, der Erkenntnisgewinn aus den Fragebögen sei
gering bzw. ein Mehrwert für ihre Arbeit nicht festzustellen. Auch aus Sicht der
Sicherheitsbehörden lässt sich also feststellen, dass der hohe Aufwand für die
Überprüfung von Ausländerinnen und Ausländern in keinem Verhältnis zu
einem möglicherweise dadurch zu erzielenden Sicherheitsgewinn steht, sondern
vielmehr das dort eingesetzte Personal nicht für Aufgaben zur Verfügung steht,
mit denen tatsächliche Gefahren für die Allgemeinheit abgewendet werden
könnten.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Sicherheitsanfragen auf Grundlage von § 73 Absatz 2 AufenthG
wurden seit 2002 von den Ausländerbehörden an den Bundesnachrichten-
dienst, den Militärischen Abschirmdienst und das Zollkriminalamt und wei-
tere „zuständige Behörden der Polizei“ (soweit sie sich im Zuständigkeits-
bereich der Bundesregierung befinden) übermittelt (bitte nach Behörden,
hilfsweise summarisch, und Jahren auflisten)?

2. Seit wann erfolgen diese Sicherheitsanfragen über das Bundesverwaltungs-
amt (BVA), auf welcher Rechtsgrundlage erfolgt die Übermittlung über das
BVA, und welche Daten zu den einzelnen Vorgängen werden beim BVA ge-
speichert?

3. In wie vielen dieser in Frage 1 genannten Fälle erfolgte eine Mitteilung über
Versagungsgründe oder Sicherheitsbedenken (bitte getrennt nach mitteilen-
der Behörde, Staatsangehörigkeit und nach Jahren auflisten)?

4. In wie vielen Fällen blieben die übermittelten Daten auf Grundlage von § 73
Absatz 3 Satz 3 AufenthG oder einer anderen Rechtsgrundlage,

a) beim Bundesnachrichtendienst,

b) beim Militärischen Abschirmdienst,

c) beim Zollkriminalamt,

d) bei anderen Behörden des Bundes gespeichert und auf welcher Rechts-
grundlage

(bitte jeweils nach Jahr der Speicherung auflisten und die Höchstdauer der
Speicherung angeben)?

5. Werden die Sicherheitsanfragen nach Aufnahme des Flächenbetriebs für die
Übermittlung durch das BVA am 1. Oktober 2011 neben den genannten
Bundesbehörden an alle Landeskriminalämter und alle Landesämter für Ver-
fassungsschutz übermittelt (wenn nein, an welche der Ämter nach welchen
Kriterien), bzw. an welche weiteren „zuständigen Behörden der Polizei“?

6. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zur Praxis der Bundesländer
bei der Durchführung von Sicherheitsbefragungen (bitte alle verfügbaren
Angaben wiedergeben, insbesondere zur Verwendung von Standardfrage-
bögen und dem Anlass der Befragung)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7228

7. In welcher Weise fließen die Erkenntnisse aus den Sicherheitsbefragungen
in die Arbeit der Behörden des Bundes ein?

8. Wie viele Fälle sind der Arbeitsgruppe „Statusrechtliche Begleitmaßnah-
men“ (AG Status) im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ)
bekannt, in denen eine Überwachungsanordnung nach § 54a AufenthG er-
gangen ist (bitte nach Staatsangehörigkeiten und Jahren auflisten)?

9. Wie viele Fälle sind der Bundesregierung bekannt, in denen nach § 58a
AufenthG eine unmittelbare Abschiebung ohne vorherige Ausweisung an-
geordnet wurde, um eine besondere bzw. terroristische Gefahr abzuwehren
(bitte nach Jahren und Staatsangehörigkeiten auflisten)?

10. Wie viele Verfahren zur Rücknahme oder zum Widerruf von Asylstatus
bzw. Flüchtlingsanerkennung wurden bzw. werden aktuell in der AG Status
behandelt (bitte nach Jahren, Staatsangehörigkeiten, Ausgang des Verfah-
rens aufschlüsseln)?

11. In wie vielen Fällen hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seit
dem 1. Juli 2007 Informationen einschließlich personenbezogener Daten
auf Grundlage des § 18 Absatz 1a des Bundesverfassungsschutzgesetzes an
das Bundesamt für Verfassungsschutz übermittelt (bitte nach Jahren und
Herkunftsländern auflisten)?

12. In wie vielen Fällen sind in verwaltungsgerichtlichen Verfahren mit aufent-
haltsrechtlichem Bezug seit 2008 Mitarbeiter der Nachrichtendienste des
Bundes als „Zeugen vom Hörensagen“ eingesetzt worden, um Erkenntnisse
des Nachrichtendienstes nicht im gerichtlichen Verfahren offenlegen zu
müssen?

13. Welche Rechtsprechung existiert nach Kenntnis der Bundesregierung mitt-
lerweile zur Frage des Einsatzes von Mitarbeitern der Nachrichtendienste
als „Zeuge vom Hörensagen“ oder zu den „in-camera-Verfahren“, bei denen
Erkenntnisse der Nachrichtendienste weder dem betroffenen Ausländer
noch seiner rechtlichen Vertretung offengelegt und damit widerlegbar ge-
macht werden?

14. Gibt es nach Ansicht der Bundesregierung eine sicherheitsstrategische Not-
wendigkeit, die Praxis bei der Durchführung der Sicherheitsbefragung zu
vereinheitlichen, und gibt es Bestrebungen des Bundes oder der Länder in
dieser Richtung?

15. In wie vielen Fällen kam es seit 2007 zur Anwendung des § 60 Absatz 8
AufenthG (keine Anerkennung als Flüchtling im Sinne der Genfer Flücht-
lingskonvention wegen mutmaßlicher Gefahr für die Sicherheit des Staates
oder der Allgemeinheit – bitte nach Jahren und Staatsangehörigkeiten auf-
listen)?

16. In wie vielen dieser Fälle kam es aufgrund des § 30 Absatz 4 Satz 2 des
Asylverfahrensgesetzes (offensichtlich unbegründeter Asylantrag) zur Ab-
lehnung eines Asylantrags – bitte nach Jahren und Staatsangehörigkeiten
auflisten)?

17. In wie vielen Fällen kam es seit 2007 zum Widerruf der Anerkennung als
Asylberechtigter oder Flüchtling aufgrund des § 60 Absatz 8 AufenthG
(bitte nach Jahren auflisten)?

Berlin, den 28. September 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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