BT-Drucksache 17/7087

Pirateriebekämpfung, Unterstützung autoritärer Regime und die weitere Eskalation gegenüber dem Iran

Vom 22. September 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7087
17. Wahlperiode 22. 09. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Annette Groth, Heike Hänsel, Andrej Hunko,
Harald Koch, Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Pirateriebekämpfung, Unterstützung autoritärer Regime und die weitere

Infolge des demokratischen Aufbruchs in vielen arabischen Ländern wurde
Europa und insbesondere Deutschland mit den verheerenden Folgen seiner
Außen- und Wirtschaftspolitik konfrontiert. Die Konsequenzen jahrzehntelan
ger Unterstützung für autoritäre Regime und bis heute fortdauernden ungerech
ten Handelsbeziehungen mit afrikanischen Küstenstaaten führen, vor dem Hin
tergrund ungelöster sozialer Probleme, zu wachsenden Spannungen. Zur Siche
rung ihrer wirtschaftspolitischen Einflusszonen greifen europäische Staaten im
mer mehr zu militärischen Mitteln, um die Folgeerscheinungen ihrer Politik zu
bekämpfen. Dabei treten die sozialen Ursachen von Phänomenen wie Piraterie
oder Kriminalität in den Hintergrund. Die Europäische Union versucht dabei
die negativen Konsequenzen ihrer Handelspolitik (insbesondere im Rahmen
der als „partnerschaftlich“ bezeichneten EU-Fischereipolitik) mit sicherheits
politischen Maßnahmen, wie Ausstattungs- und Ausbildungshilfe oder Sicher
heitssektorreformen (SSR) zu flankieren. So hat der Oberbefehlshaber der
NATO für Operation (SACEUR) und Kommandeur der US-Streitkräfte in
Europa Admiral James G. Stavridis bei der diesjährigen Münchener Sicher
heitskonferenz den demokratischen Umbruch in Nordafrika mit Sorge betrach
tet und im Hinblick auf die Verarmung der Fischer am Horn von Afrika eine
Lösung des Piraterieproblems durch eine seebasierte Raketenabwehr
vorgeschlagen.

Vor diesem Hintergrund bereitet die EU derzeit eine SSR im Sultanat Oman
vor. Die EU-Mission der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik
(GSVP) soll einen Beitrag zur Piratenbekämpfung (Somalia/Indischer Ozean),
mit dem Schwerpunkt Sicherung der omanischen Küstengewässer und ins
besondere der Straße von Hormuz, darstellen. Die Straße von Hormuz ist ins
besondere im Falle einer militärischen Konfrontation mit dem Iran von enor
mer strategischer Bedeutung, da etwa 40 Prozent des in der gesamten Region
gewonnenen Erdöls über diese exportiert werden. In den USA besteht deshalb
die Befürchtung, der Iran könne terroristische Angriffe auf Öltanker von sei
nem Territorium aus dulden oder gar unterstützen, was den weltweiten Ölpreis
in unabsehbare Höhen treiben würde.
Dieselbe Befürchtung besteht hinsichtlich des Golf von Aden. Sowohl die Al
Shabaab in Somalia als auch Al Kaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP)
werden demnach als eine Bedrohung für den sicheren Welthandel und die Ver
sorgung mit Erdöl verstanden, weshalb in der Region auch die Mission „Endu
ring Freedom“ im Rahmen des weltweiten Krieges gegen den Terror aktiv ist.
An der Mission Enduring Freedom zwischen Jemen und Somalia beteiligte sich
die Bundeswehr von Djibouti aus bislang unter anderem mit Seefernaufklärern

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Eskalation gegenüber dem Iran

vom Typ P3-C Orion, die zugleich unter dem Mandat der EU-Mission zur Pira
teriebekämpfung, Atalanta, eingesetzt wurden (Plenarprotokoll 17/18). Wahl
weise sollten dabei mutmaßliche Piraten von Fischern unterschieden oder Boote,
mit denen terroristische Angriffe auf Öltanker durchgeführt werden könnten,
identifiziert werden.
Flankiert wurden diese Maßnahmen auch im Falle des Jemen mit Ausbildungs
und Ausstattungshilfe der Bundeswehr mit der Begründung, dass die jemeni
tische Küstenwache durch die erfolgreiche Bekämpfung der Piraterie „zu Frie
den und Stabilität im Golf von Aden“ beiträgt. Die Bundesregierung hielt an
dieser Unterstützung auch noch fest, nachdem Piraterieverdächtige im Jemen
zum Tode verurteilt wurden (Bundestagsdrucksache 17/2060) und die jemeni
tischen Streitkräfte an der gewaltsamen Niederschlagung der demokratischen
Proteste im Jemen beteiligt waren. Über den endgültigen Abzug der Bun
deswehrberater aus dem Jemen, nachdem dort bereits bürgerkriegsähnliche
Zustände herrschten, machte die Bundesregierung widersprüchliche Angaben
(„Bundeswehr unterstützt Regime-Armee“, Frankfurter Rundschau vom 1. Au
gust 2011). Auf die Interventionen Saudi Arabiens gegen die Forderungen nach
mehr Demokratie in Bahrain und Jemen reagierte die Bundesregierung an
schließend mit der Ankündigung, den Export von bis zu 200 Kampfpanzern
vom Typ „Leopard 2 PSO“ zu genehmigen, der sich nach Herstellerangaben
insbesondere auch für die Aufstandsbekämpfung eignet. Zahlreiche Beobachter
gehen jedoch davon aus, dass die militärische Unterstützung Saudi-Arabiens
vor allem, angesichts einer möglichen militärischen Konfrontation, mit dem
Iran erfolgte – ebenso wie die schweigende Zustimmung zum repressiven Vor
gehen Saudi Arabiens gegen die Demokratiebestrebungen in diesem Land und
den Nachbarstaaten.

Mit der SSR-Mission im Oman soll nun die sicherheitspolitische Unterstützung
eines weiteren engen Verbündeten der autoritären Monarchie Saudi-Arabiens
und Nachbarn des Jemens auf europäischer Ebene gebündelt und koordiniert
werden. Als Vorwand dient auch hier die Bekämpfung der Piraterie.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Fälle von Piraterie in der Straße von Hormuz sind der Bundes
regierung bekannt (bitte nach Datum, Ort, Art des Angriffs und Bewaffnung
sowie „Erfolg“ auflisten)?

2. Wie viele der Piraterie verdächtigte Fischer oder andere Personen hat die
deutsche Marine im Rahmen ihrer bisherigen Einsätze vor den Küsten
Afrikas aufgegriffen?

3. Wie viele der in Frage 2 genannten Personen wurden einer ordentlichen
Gerichtsbarkeit in der Bundesrepublik Deutschland vorgeführt (bitte nach
Herkunft der Personen, Datum und Ort des Aufgriffs, beteiligte Einheiten
der Bundesmarine, strafrechtlichen Vorwurf, Datum der Anklageerhebung,
zuständige Staatsanwaltschaft, derzeitigen Aufenthaltsort und falls zutref
fend Datum und Verbringungsort in andere Staaten auflisten)?

4. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über eine evtl. Anklage
erhebung und den Verbleib der durch die deutsche Marine aufgegriffenen
Personen nach ihrer Überstellung an andere Staaten (bitte nach Datum,
rechtliche Grundlage, Zielstaat und den Ausgang jeglicher strafrechtlicher
Verfahren auflisten)?

5. Wie beurteilt die Bundesregierung die Gefahr terroristischer Angriffe auf
Frachtschiffe und Öltanker in der Straße von Hormuz?

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17. Wahlperiode–Deutscher Bundestag –2–708717/Drucksache

6. Welche diesbezüglichen Gefahreneinschätzungen durch ihre Verbündeten
sind der Bundesregierung bekannt, und welche Rolle spielt hierbei die
Möglichkeit einer militärischen Eskalation gegenüber dem Iran?

7. Wie beurteilt die Bundesregierung die bisherigen Erfolge der EU-Mission
Atalanta im Kampf gegen die Piraterie?

8. Wie beurteilt die Bundesregierung die Realisierung demokratischer Grund
sätze und die Menschenrechtslage in Oman?

9. Sind der Bundesregierung Überlegungen über eine SSR-Mission der EU in
Omanbekannt?

10. Welche Haltung hat bzw. würde die Bundesregierung zu solchen Überle
gungen einnehmen?

11. Sind der Bundesregierung konkrete Planungsschritte für eine SSR-Mission
in Oman bekannt?
Wenn ja, welche?

12. Welche Formen der SSR im Oman wäre die Bundesregierung bereit, mitzu
tragen und ggf. durch die Entsendung deutscher Soldaten und/oder Polizis
ten zu unterstützen?

13. Wäre die Bundesregierung bereit, einer SSR-Mission in Oman zuzustim
men oder diese zu unterstützen, die auch
a) Waffenlieferungen oder die Koordination von Waffenlieferungen um

fasst,
b) eine Bedarfsanalyse oder die Lieferung von Polizeiausrüstung beinhal

tet oder zu deren Koordinierung beitragen soll,

c) die Ausbildung von Polizei- und/oder
d) die Ausbildung von Militärangehörigen

umfasst?

14. Welche Formen der Sicherheitskooperation bestehen bislang zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und dem Sultanat Oman?

15. Welche Formen der Sicherheitskooperation zwischen dem Sultanat Oman
und deutschen Verbündeten, insbesondere den USA und den EU-Mitglied
staaten sind der Bundesregierung bekannt?

16. Welche Formen der polizeilichen und/oder militärischen Ausbildungs- und
Ausstattungshilfe hat die Bundesregierung bislang in welchem Umfang ge
genüber dem Sultanat Oman geleistet, und welche wäre sie bereit, für die
Zukunft in Betracht zu ziehen?

17. Den Export welcher Rüstungsgüter in den Oman hat die Bundesregierung
in den vergangenen zehn Jahren genehmigt?

18. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass das Sultanat Oman einen
Beitrag zur Sicherheit, zur Stabilität und zu Frieden in der Region leistet?

19. Ist die Bundesregierung weiterhin der Auffassung, dass der Jemen einen
Beitrag „zu Frieden und Stabilität im Golf von Aden“ leistet oder geleistet
hat?

20. Wie beurteilt die Bundesregierung die gegenwärtige Lage in Jemen?

21. Was ist der Bundesregierung über die gegenwärtige Rolle jemenitischer
„Sicherheitskräfte“ und Militärs bekannt, die in der Vergangenheit Nutz
nießer der deutschen Ausbildungs- und Ausstattungshilfe waren?

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708717/Drucksache–3–17. Wahlperiode–Deutscher Bundestag

22. Wie erklärt die Bundesregierung die widersprüchlichen Angaben des Aus
wärtigen Amts hinsichtlich der Beendigung der Ausstattungshilfe und des
endgültigen Abzugs der Beratergruppe der Bundeswehr aus dem Jemen?

23. Wann wurden welche Beschlüsse hinsichtlich des Abzugs der Berater
gruppe getroffen, wann und in welcher Form umgesetzt, und was geschah
am 6. Juni 2011, dem Datum, an dem nach Antwort der Bundesregierung
die Ausstattungshilfe eingestellt wurde (Bundestagsdrucksache 17/6712)?

24. Teilt die Bundesregierung weiterhin die von der Gesellschaft für Außen
wirtschaft und Standortmarketing mbH mehrfach zum Ausdruck gebrachte
Einschätzung, wonach „[d]ie Länder der Arabischen Halbinsel [...] ein
hervorragendes Absatzgebiet für Sicherheitstechnik und -dienstleistungen“
darstellen (Bundestagsdrucksache 17/5667)?

25. Welche Schlüsse und Konsequenzen hat die Bundesregierung anlässlich
der früheren und teilweise anhaltenden Unterstützung durch Rüstungs
exporte, Ausbildungs- und Ausstattungshilfe sowie sonstige Sicher
heitskooperationen für Regime, die demokratische Bewegungen gewalt
sam niederschlugen oder dies versuchten, gezogen?

26. Inwiefern wird zum Aufspüren von Angriffen auf Handelsschiffe, an deren
Verhinderung die Bundesregierung beteiligt ist, Satellitenaufklärung ein
gesetzt, und um welche Satelliten welcher Regierungen handelt es sich?

27. Wo werden die in Frage 26 genannten Satellitenbilder aufbereitet und von
welchen deutschen Stellen empfangen bzw. eingesehen, bzw. inwieweit
stellt die Bundeswehr Kapazitäten optischer oder Radarsatelliten zur Ver
fügung?

Berlin, den 22. September 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
esellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-

gesetze.de
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17. Wahlperiode–Deutscher Bundestag –4–708717/Drucksache

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